„Wie eine Fliege in Bernstein“ – Eine Stadt wird zur Ikone, 2023 – Anna D’Avino

In einer florentinischen Werkstatt voller Gips und Terracotta posiert die italienische Schauspiel- und Mode-Ikone Monica Bellucci 2020 vor der Kamera für die nicht weniger symbolträchtige Marke Dolce & Gabbana, deren Fotostrecke in der November Ausgabe der Vogue Italia abgedruckt wird. Was zunächst als bloße Werbekampagne abgetan werden kann, ist bei näherer Betrachtung vielmehr ein Sinnbild für die Ikonisierung einer ganzen Stadt, die weit über die Fotokampagne des italienischen Designer-Duos hinausgeht und bereits um 1900 ihren Höhepunkt fand, als die Stadt zum Inbegriff der Renaissance wurde.

Die Werkstatt Galleria Romanelli, die seit 1860 zum festen Bestandteil der toskanischen Hauptstadt zählt und sich unweit vom Arno, in Borgo San Frediano befindet, legt den Grundstein für die Fotokampagne. Zugleich umreißt sie das fotografische Sujet sowie das Kennzeichen des italienischen Modelabels Dolce & Gabbana: Haute-Couture trifft auf Handwerkskunst; denn 1985 in Mailand gegründet, versteht sich das Label um die Gründungsväter Domenico Dolce und Stefano Gabbana als Vermittler italienischer Werte und Traditionen anhand von Mode.1

Abb. 1: Monica’s Beauty. Monica Bellucci für Dolce & Gabbana. © Sebastian Faena. In: Vogue Italia 842 (November 2020), S. 266f.

Auf der ersten Doppelseite der gedruckten Kampagne (Abb. 1), die mit „Monica’s Beauty“ betitelt ist, offenbart sich rasch die Nähe zu Florenz. Bellucci, in einem Tüllkleid aus hellem Azur und übersäht Blumenapplikationen, hält in ihrer rechten Hand demonstrativ eine Frucht, die für die Gegend um Florenz bedeutend ist: Die Pesca Reginda di Londa, eine Pfirsichsorte, die das Gebiet von Val di Sieve bis Mugello ihre Heimat nennt. Der florale Schmuck wie auch die bewegt drapierte Masse an blauem Stoff, die Bellucci umgeben, lassen eine Verbindung zu den Gemälden Botticellis zu, der die Schaumgeborene in der Nascità di Venere (1485–1486) und der Primavera (1477–1482) auf Leinwand festgehalten hat. Über das Sichtbarmachen der Antike und deren Schönheitsideal („Monicas Beauty“) folgt Bellucci in einer weiteren Fotografie mit vorgehaltenem, bedrucktem A-Linien-Kleid (Abb. 2), daneben in einem abermals von bunten Blumen übersäumten Kleid mit Hut; dieses Mal nicht stehend, sondern auf einem Stuhl sitzend und die Füße auf einem Totenkopf aus Gips gestützt (Abb. 3). Zwei weitere Fotografien (Abb. 4 und Abb. 5) machen die Referenzen auf Florenz komplett: Zum einen die Nachstellung der Pietà (1498–1500) Michelangelos, der wie Botticelli ebenfalls als Ikone der Renaissance bis heute verehrt wird und dessen Schaffen maßgeblich von Florenz unter den Medici beeinflusst wurde; und Monica Bellucci, die mit verbundenen Augen versucht, einer ebenfalls verhüllten Marmorbüste durch einen Kuss Leben einzuhauchen – ganz im Sinne Pygmalions, des Bildhauers, der im Quattrocento als Vorbild vieler florentinischer Kunstschaffenden galt. Verweise auf Florenz, die im kunsthistorischen Zusammenhang mit dem Begriff der Renaissance in Verbindung gebracht werden, sind also nicht mehr von der Hand zu weisen.

Die toskanische Hauptstadt birgt einen kulturellen Schatz von unermesslichem Wert und lockt damit jährlich Millionen von Tourist:innen an. Was heutzutage in ausgeleuchteten und kompositorisch durchdachten Räumen bewundert werden kann, ist nicht zuletzt den zahlreichen Arbeiten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu verdanken. Über eine Aufarbeitung des kulturellen Erbes hinaus formierten sich Strukturen, die offenkundig konstruiert sind. Am auffälligsten wird dies in der Zeit um 1865, als Florenz das piemontesische Turin vom Thon stieß und bis 1895 Hauptstadt Italiens sein sollte. Zu dieser Zeit erfolgte die innerstädtische Sanierung, der Risanamento di Firenze. Unter der Leitung von Giuseppe Poggi (1811–1901)2 wurde das florentinische Stadtbild erneuert und erweitert. Die Realisierung seines kontrovers aufgefassten Plans – die mittelalterlichen Stadtmauern hatten abgerissen, die Stadttore innerhalb der Hauptverkehrsadern jedoch stehen gelassen zu werden – zieht sich bis in das neue Jahrhundert; sie ist nur eines von vielen Beispielen für die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen und kulturellen Erbe der Stadt um 1900.3

Abb. 2: Monica’s Beauty. Monica Bellucci für Dolce & Gabbana. © Sebastian Faena. In: Vogue Italia 842 (November 2020), S. 268.

Um ein Gefühl für den Reiz der Stadt am Arno um die Jahrhundertwende zu bekommen, empfiehlt sich ein kurzer Exkurs zum damaligen Zeitgeschehen: Die Jahrhundertwende birgt nicht nur technischen und wirtschaftlichen Fortschritt, sondern dient auch als Moment der Reflexion. „Der verunsicherte moderne Mensch steigt hinab in die Abgründe der eigenen Seele; zugleich geht er daran, das Universum zu ermessen.“ 4Gesellschaftliche Umbrüche sind nicht mehr aufzuhalten, das Lager der wissbegierigen Intellektuellen trifft auf diejenigen, die in den Tiefen ihrer Seele nur noch eine Antwort auf die Ausweglosigkeit der Moderne zu kennen scheinen: den Freitod. Auch vor den florentinischen Stadtmauern macht er nicht Halt. Das soll der Anziehungskraft des Städtchens aber keinen Abbruch tun, ganz im Gegenteil: Arkadien – das ist das Ziel des irrenden Menschen um 1900, und kaum ein Ort des europäischen Kontinents in dieser Zeit wird so überhöht dargestellt wie die Stadt im Herzen der toskanischen Hügel. Bernd Roeck spricht von regelrechten „Pilgerfahrten“ und nennt Florenz das „Lourdes der Enthusiasten“, gar ein „ästhetisches Utopia“.5 Kunst wird zum Religionsersatz erhoben und soll den Tourist:innen – zumindest vorübergehend – aus der Ausweglosigkeit helfen: „In den Uffizien, im Bargello, in der Akademie, in den dämmrigen Kirchen mit ihrem Weihrauchdunst stehen die Altäre der Schönheit, die magischen Fetische der Kunstreligion, deren Hohepriester Jacob Burckhardt, John Ruskin oder Bernard Berenson heißen – Seelenführer auf den Reisen zur Schönheit.“6

Die bereits erwähnte Konstruktion, der sich die Stadt unterzog, wird offenkundig. Ohne Priester funktioniert ein Gottesdienst nicht und das ist es, was die Tourist:innen sich von einer Reise nach Florenz erwarten: Ein durchkomponiertes Ganzes, an dem teilgenommen werden kann – immer in der Hoffnung, dadurch zu einer besseren Wirklichkeit zu gelangen. Betrachten allein reicht nicht mehr aus; sie kommen, um sich von der Aura eines von Vergänglichkeit befreiten Raumes umschließen zu lassen.

Abb. 3: Monica’s Beauty. Monica Bellucci für Dolce & Gabbana. © Sebastian Faena. In: Vogue Italia 842 (November 2020), S. 269.

Die Praktiken, v.a. die reziproke Partizipation, von der Ikonen leben, wird immer deutlicher. Nicht nur wird der Stadt eine natürliche Sakralität zugesprochen, sie wird auch mit Mechanismen der Ikonisierung durchzogen. Aleida Assmann beschreibt diese Ikonisierung als einen Prozess des Übergangs von Eindrücken und Bildern (images) ins kollektive Gedächtnis, die durch „Stilisierung, Auswahl und Wiederholung“ die (Wieder-)Erkennbarkeit intensiviert und sie schlussendlich zu „Gedächtnisikone[n]“7 werden lässt. Die Fotokampagne von Dolce & Gabbana veranschaulicht die für Florenz stattgefundenen und immer noch anhaltenden Ikonisierungsprozesse, indem sie bereits ins kollektive Gedächtnis transportierte Motive wieder aufruft und für die Betrachtenden erkennbar und erlebbar macht. Das Setting der Fotokampagne, die Galleria Romanelli, ist als Ausganspunkt für eine etwaige Ikonisierung nicht zu vernachlässigen: Als Werkstatt und somit Ort des Produzierens (von Bildern und Bedeutung) wird sie selbst Teil des Prozesses, von dem Assmann spricht.

Strukturell vergleichbare Mechanismen einer Ikonisierung werden ebenfalls auf kulturpolitischer Ebene greifbar: Um die Jahrhundertwende wurde nicht nur der Risanamento di Firenze realisiert, es wurden auch Gesetze zum Schutz der Kunst- und Kulturgüter verabschiedet.8 Damit Giuseppe Poggis Sanierungsplan problemlos umgesetzt werden konnte, erhielt der toskanische Architekt finanzielle und rechtliche Unterstützung durch die Kommunalverwaltung. 9So mag es nicht verwundern, dass zwei Jahre nach der Jahrhundertwende, am 12. Juni 1902, das Parlament das erste umfassende Gesetz (LEGGE 12 Giugno 1902 n.185) zum Schutz und zur Erhaltung des historisch-künstlerischen Erbes Italiens verabschiedete. 10Dazu zählten Denkmäler, Gebäude sowie bewegliche Gegenstände. Obendrein wurde dem Staat das Vorkaufsrecht von Kulturgütern zugesprochen und ihre Ausfuhr geregelt. Nach einem langen Disput zwischen öffentlichen Stimmen, die zurecht ein großes Interesse an der Zugänglichkeit zu jenen Gütern hatten, und dem Schutze des persönlichen Eigentums, ist solch eine Gesetzesverabschiedung durchaus als Meilenstein im italienischen Recht zu verstehen.

 Abb. 4: Monica’s Beauty. Monica Bellucci und Emanuele de Lorenzo für Dolce & Gabbana. © Sebastian Faena. In: Vogue Italia 842 (November 2020), S. 271.

Bestehend aus 37 Artikeln vermittelt das Dekret ein Gefühl für die dezidierte Auseinandersetzung mit dem Kulturerbe Italiens. 11Das zeigt sich auch heute noch, denn über 100 Jahre später ist das Gesetz durch die Verordnung Nr. 200 vom 22. Dezember 2008 bestätigt, nur teilweise umgewandelt und durch die Gesetzesänderung Nr. 9 vom 18. Februar 2009 erweitert worden.12Die überregionale Verteilung zahlreicher Ämter und Aufgaben im Bereich der Denkmalpflege und des Kulturschutzes trägt neben der Fülle der Kunstschätze maßgeblich dazu bei, dass Italien bis heute als wichtigstes Zentrum für Kunst und Kultur des globalen Nordens verstanden wird – manch einer möchte hier sogar die Geburtsstunde der westlichen Kunst verankert sehen.

Zwischen den Florenzreisenden und der staatlichen Institution steht außerdem das konkrete Kunstwerk. Ende des 19. Jahrhunderts waren über 250 offiziell vermerkte florentinische pittori und scultori in der toskanischen Hauptstadt tätig, die jedoch kaum avantgardistisch arbeiteten, sondern sich an der Tradition orientierten, die von der breiten Masse so geschätzt wurde, denn „[w]o Geschäft und Erwerb, Technik und Verkehr, die Zeichen der modernen industriellen Welt, sind, ist die Kunst nicht. Ihr Ort sind die Tempel der Kunstreligion, sind Museum, Salon oder Studio. Spiegelt sich diese Welt doch einmal in ihr, dann erscheint sie nicht in ihrer Häßlichkeit, sie wird überzogen mit dem goldenen Firnis des Schönen.“13

Was die suchenden Reisenden als Wiederaufleben der Renaissance vorfanden, war nach 1902 also ein offiziell staatlich geregelter Vorgang zur Konservierung, der mit einer Konstruktion eines Vergangenen einherging und im Dienste der Öffentlichkeit stand. Der Staat nahm sich einer Vermittlerrolle an, die sowohl Anwohnenden als auch Besuchenden ermöglichen sollte, in einen ästhetisch-sinnlichen Erfahrungsraum einzutreten und die Konstruiertheit der italienischen Stadt als gelebte Wirklichkeit wahrzunehmen. Religiöse Metaphern in der Beschreibung von Florenz sind nur eines von vielen Indizien der Wirkmacht, die durch unterschiedliche Mechanismen freigesetzt und verstetigt wurden. Wie auch die historischen Kult- und Heiligenbilder durch menschliche Einwirkung ihren Status beibehielten, so wurde auch die toskanische Stadt vor allem um 1900 auf lokaler wie nationaler Ebene auf eine Weise geprägt, die sie bis heute zum Dreh- und Angelpunkt (kunst-)wissenschaftlichen Austauschs und als Renaissance-Stadt ausstellbar macht. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Ikonisierungsprozesse auf Teilhabe beruhen, das heißt ohne gemeinschaftliche Prozesse nicht die Wirkkraft entfalten, die ihnen zugeschrieben werden.

Abb. 5: Monica’s Beauty. Monica Bellucci für Dolce & Gabbana. © Sebastian Faena. In: Vogue Italia 842 (November 2020), S. 272. 

Einen großen Beitrag leisteten auch die Kunst- und Kulturwissenschaftler:innen sowie die Kunstkennerschaft14um 1900. Der kunst- und kulturwissenschaftliche Austausch zwischen Giovanni Poggi und dem Wahlflorentiner Aby Warburg ist ein Beispiel italienischer und deutscher Initiativen im Bemühen, einerseits die am Ort greifbaren Kunstschätze wissenschaftlich zu erschließen und andererseits ein international relevantes Kulturerbe für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich zu machen.15 Poggi war bis zu seinem Tod ein gern gesehener Gast am Kunsthistorischen Institut in Florenz, an dem sich auch Aby Warburg Zeit seines Lebens aufhielt. Aufgrund Poggis zahlreicher Arbeitsbereiche innerhalb des kunst- und kulturhistorischen Sektors reichten seine Verbindungen weit über die einzelnen Institutionen hinaus, was ihn für Warburg zu einem bedeutenden Kontakt machte. Die Korrespondenz zwischen beiden Kunst- und Kulturwissenschaftlern legt die enge Zusammenarbeit offen und kann als Exempel für den generellen Kunstdiskurs um 1900 fungieren.16

Warburg fokussierte sich in seinen Forschungen stets auf das Nachleben der Antike, arbeitete am Austausch mit seinen Studienkollegen dadurch aber auch an einem Nachleben der Renaissance, das bis heute noch in Florenz zu spüren ist.17 Die in Szene gesetzten Kunstwerke sind „lebende Fossilien“18, sie halten den Besuchenden der toskanischen Hauptstadt trotz ihres Todes ihre kulturelle Bedeutung vor Augen, geben Aufschluss über ein Gewesenes, ein nicht Wiederherstellbares. Die verschiedenen Akteure, von Kunstwissenschaftler:innen über Städteplaner:innen bis hin zu Politiker:innen, tragen dazu bei, dass die Artefakte der Renaissance nicht nur auf neue, umfassendere Weise betrachtet wurden, sondern förderten genau ab diesem Zeitpunkt die Symptome eines vergangenen Jahrhunderts zu Tage, die übernommen, zum Teil abgeändert, vor allem aber idealisiert wurden. Das Resultat ist heute noch ein Gefühl Warburgschen Nachlebens, das die Stadt für immer einzuhüllen, zu konstruieren scheint.

Was nun Dolce&Gabbana mit seiner Kampagne visuell auf die Spitze treibt, ist, dass die toskanische Hauptstadt in der Konstruktion von außen gleichzeitig immer auch als begehbare und in Austausch tretende Ikone zu verstehen ist.

Die Modedesigner wählen mit Monica Bellucci eine Mode- und Schauspielikone aus und fotografieren sie in einem Setting, das ebenfalls mit zu Ikonen geronnenen Bildwerken bestückt ist. Hier wird erneut sichtbar, dass das heutige Verständnis von Ikone nicht länger auf die Darstellung einer (heiligen) Person limitiert ist, sondern auch Prozesse der von Assman beschriebenen „Stilisierung, Auswahl und Wiederholung“ umfasst. Nur einige fotografische Momente, in denen sich diese verdichten, seien hier genannt: Da ist die Nachstellung der Pietà Michelangelos (Abb. 3), dessen Replik seiner monumentalen David-Skulptur heute noch den Eingang des Palazzo Vecchio ziert, und auch die Pietà Bandini (1547) ist seit 2015 in einem vor Sakralität strotzendem Ausstellungsraum im Nuovo Museo del Duomo in Florenz exponiert. Die bedeutendste Fotografie innerhalb der Kampagne von Dolce & Gabbana ist aber jene, auf der Monica Bellucci das A-Linienkleid an ihren Körper presst, während von links außerhalb des fotografischen Ausschnitts ein Gipskopf in das Setting gehalten wird, der wie das Model den Kopf nach links neigt, während sich der (verklärte) Blick der Kamera zuwendet (Abb. 2). Monica Bellucci verkörpert in dieser Fotografie mehr als nur eine Ode an die florentinische Stadt: Als Bella Italiana19 wird sie auch außerhalb Italiens als Stil-Ikone gefeiert: „[…] the actress has consciously constructed a multi-faceted image that is both highly contemporary and related to conventional perceptions of the Italian beauty.“ 20Das Zeitgenössische, also Dolce & Gabbanas neue Modekollektion von 2020, und Monica Bellucci in ihrer Rolle als Model sowie Repräsentantin ebenjener Kollektion wird als ein von Tradition und Ikonisierung getränktes Setting entlarvt. Kulturhistoriker und Filmwissenschaftler Stephen Gundle schreibt Bellucci „the perfection and iconic stillness of a Renaissance beauty“21 zu, die in diesem fotografischen Beispiel erkennbar wird: Das Model avanciert, im Kontrapost stehend, zur Renaissance-Ikone und transformiert das Kleid zur Kontaktreliquie, die den Konsumierenden ein Stück Bellucci ermöglichen soll. Sie selbst repräsentiert die Ikonisierung also auf doppelte Weise: Zum einen stellt sie eine physische Verbindung zu einer der wichtigsten Architekturikonen Italiens, der Kathedrale Santa Maria del Fiore in Florenz, und dem italienischen Modelabel her. Zum anderen schreibt sich Monica Bellucci als lebendiger Beweis eines Ikonen-Werdens am eigenen Leibe in das Bildgeschehen ein.

Dolce & Gabbana inszeniert also auf verschiedenen Ebenen eine „Wiederverzauberung der Welt“,22  die mit ähnlichen Mitteln wie der beschriebenen Ikonisierung operiert – ihr Ziel: Die Marke von reinem Konsum in Kulturgut zu überführen. Ihre Fotostrecke ist daher ein zeitgenössischer Beweis dafür, wie das Bild (image) der italienischen Stadt als durchaus „inszenierter und inszenatorischer Raum“23 weiterhin bespielt wird. In den Fotografien geht es zudem immer um Formen der Bildwerdung, das heißt Bellucci veranschaulicht für Dolce & Gabbana durch das Zupfen am Kleid, das vermeintliche Beleben der Statue wie auch die Transformation des Kleides zur Kontaktreliquie die  Ikonisierungsprozesse. Wenn die Konsumgüter-Industrie der mediterranen Halbinsel also als eine „industry that regularly drew on the repertoire of visual culture“ charakterisiert wird, so zeigt sich, wie Assmanns Theorie der Ikonisierung sogar für ein ganzes Land und in diesem Falle vor allem für eine Stadt greift. Italien basiert darauf, eine Kultur aus (gemachten) Bildern zu sein, die für Florenz nun vor allem in Bezug auf eine geistesgeschichtliche Epoche gelten und fruchtbar gemacht werden. Die Modefotografien selbst werden durch ihre Verbreitung wie klassische Ikonen ebenfalls belebt: Von im wahrsten Sinne des Wortes trag-barer Mode bis hin zum Lifestylemagazin, gelingt es dem italienischen Label, den vermeintlichen Traditionsreichtum Italiens über Florenz als Renaissance-Ikone zu präsentieren und innerhalb der Gesellschaft zu verbreiten.

Ikonen waren nie an bestimmte Materialien gebunden: Wieso sollte eine Stadt nicht auch zu solch einer avancieren können?

Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Hüllen der zum Teil noch unerforschten Objekte von florentinischen Kunst- und Kulturwissenschaftler:innen aufgebrochen, bis aufs Innerste analysiert, präsentiert, von kommunaler Seite aus organisiert und so zu einem essenziellen Part des städtischen Kulturerbes transformiert. Dieser Prozess ist nicht ausschließlich auf einzelne Artefakte anwendbar, sondern er weitet sich auf die komplette Stadt am Arno aus: Es bildet sich eine Art von metaphorischer Zeitkapsel, die die rekonstruierte Renaissance in sich aufnimmt, bewahrt und den eintretenden Besuchenden die scheinbar verlorene Vergangenheit lebendig offenbart. So sind die kunst- und kulturwissenschaftlichen Leistungen um 1900 auch heute noch, über 100 Jahre später, in der toskanischen Hauptstadt zu spüren und erwecken bei den Tourist:innen den Anschein, immer noch auf den Pfaden eines längst vergangenen Zeitalters wandern zu können: Florenz präsentiert sich, wie eine Ikone, fernab von jeglichem Raum- und Zeitempfinden – „eingeschlossen, wie eine Fliege in Bernstein.“24


Biografie

ANNA D’AVINO hat Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften (B.A. und M.A.) an der Universität Konstanz studiert und ist seit September 2022 akademische Mitarbeiterin an der Universität Konstanz. Sie ist für die Projektkoordination des Graduiertenkollegs ‚Rahmenwechsel. Kunstwissenschaft und Kunsttechnologie im Austausch‘ verantwortlich, dass eine enge Verzahnung der Fächertrias Kunstwissenschaft – Kunsttechnologie – Restaurierung fördert. Im Sommersemester 2023 lehrt sie an der Uni Konstanz zur zeitgenössischen Kunst und fokussiert sich dabei auf Kernfragen zu der Bedeutung des Materials zeitgenössischer Skulptur und Plastiken.

Fußnoten

  1. Vgl. Sonnet Stanfill: The Glamour of Italian Fashion, London 2014; Luke Leitch und Ben Evans: Vogue on Dolce & Gabbana, London 2017. Siehe außerdem Stephen Gundle: Bellissima. Feminine Beauty and the Idea of Italy, London 2007, S. 246–248: „the success of Italian fashion designers brought about a shift in the ideals of beauty and created an aura of fashionableness around Italian products and qualities.”
  2. Giovanni Poggi zählte bereits in jungen Jahren zu einem der engagiertesten Kunsthistoriker in Florenz um 1900. Mit 23 Jahren schrieb er diverse Aufsätze für die Monatsschrift Miscellanea d’Arte. rivista mensile di storia dell‘arte medievale e moderna, die später unter dem Namen Rivista d‘Arte auch über die Stadttore hinaus hoch angesehen war. Seine Aufsätze wurden stets unter dem Hauptitel Opere d‘arte ognote o poco note veröffentlicht; es ging Poggi also vor allem um die Recherche unbekannter bzw. nicht namhafter Kunstwerke, die er der Leserschaft der Revista d’Arte näherzubringen versuchte. Siehe dazu Elena Lombardi (Hrsg.): L‘Archivio Di Giovanni Poggi (1880-1961). Soprintendente alle Gallerie Fiorentine. Florenz 2011, S.29; S.43–45.
  3. Ausführliche Informationen und entsprechende zeitgenössische Quellen dazu in D. Medina Lasansky (Hrsg.): Hidden Histories. The Alternative Guide to Florence + Tuscany. Florenz 2018, S.23–29; zur allg. städtischen Entwicklung zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert siehe Accademia delle Arti del Disegno (Hrsg.): Il Disegno della Città. L‘urbanistica a Firenze nell‘ottocento e nel novecento. Florenz 1986.
  4. Bernd Roeck: Florenz 1900. Die Suche nach Arkadien. München 2001, S.14.
  5. Ebd., S. 11–19.
  6. Ebd., S.16.
  7. Aleida Assmann: Individuelles Bildgedächtnis und kollektive Erinnerung. URL: https://www.boell.de/de/demokratie/kulturaustausch-6769.html (27.12.22).
  8. An dieser Stelle sei außerdem auf das kurz vor der Jahrhundertwende, im Mai 1898, ins Leben gerufene Komitee für die Erhaltung und den Schutz des antiken Florenz verwiesen, zu dessen Mitglieder u.a. Herbert Horne und Adolf von Hildebrand zählten und den Drang nach der Wahrung des kulturellen florentinischen Erbes abermals verdeutlichen. Vgl.: Bernd Roeck: „Una città all‘alba die tempi moderni. Aby Warburg a Firenze“, in: Max Seidel und Martina Hansmann (Hrsg.): Storia dell’arte e politica culturale intorno al 1900. Florenz 1997, S. 271–279.
  9. In Pietro Roselli et. al. (Hrsg.): Nascità di una Capitale, Firenze, Settembre 1864 – Giugno 1865. Florenz 1985 sind all jene Gebäude, sei es Privatbesitz oder kirchliches Eigentum, verzeichnet, die durch verschiedene Gesetze in den Besitz des Staates übergegangen und somit für das Risanamento nutzbar gemacht wurden. Dass Modernisierungsmaßnahmen mit solch einem Ausmaß nicht nur positive Stimmen entgegengebracht wurden, ist nachvollziehbar. Siehe dazu Lasansky 2018, S. 28.
  10. Siehe „LEGGE 12 giugno 1902, n. 185“, Istituto Poligrafico e Zecca dello Stato S.p.A.: Normattiva. Il Portale della Legge Vigente. URL: https://www.normattiva.it (20.02.2023).
  11. Dass diese Gesetzesverabschiedung bedeutend war, zeigt auch der in der italienischen Literaturzeitschrift Marzocco (1896–1932) publizierte Aufsatz auf der Titelseite, in dem von einer grundlegenden Neuordnung an und mit der Arbeit von Kulturgütern gesprochen wird. Vgl. dazu: Angelo Conti: „L‘Italia monumentale.“ In: Marzocco 26 (29.06.1902), S. 1.
  12. In Bezug auf die kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung um 1900 ist es von Vorteil, die einzelnen Artikel in ihrer Gültigkeit von 1902 näher zu untersuchen: In Art. 23 befindet sich der wohl relevanteste Beschluss, der die Erstellung von Katalogen von Denkmälern und Kunst- und Antiquitätenobjekten fordert und mithilfe des Bildungsministeriums durchgesetzt wird. Privatbesitz und öffentlich-staatliches Eigentum wird differenziert und in zwei verschiedenen Katalogen niedergeschrieben, in der Absicht, Veräußerungen zu erschweren. Es könnte beinahe von der italienischen Geburtsstunde einer staatlich-systematischen Provenienzforschung die Rede sein. Art. 10 und Art. 11 sowie Art. 13 unterstreichen die anfängliche These einer doppelten Konstruktion der Stadt, denn alle drei Artikel regeln die Arbeit mit bzw. an immobilen Kulturgütern, wie Denkmälern oder Gebäuden. Dabei spielt es Art. 10 zufolge keine Rolle, ob sie in Privatbesitz sind. Sofern jenes Kulturgut der Öffentlichkeit zugängliche Seiten besitze, dürfe keine Änderung daran vorgenommen werden. Dasselbe gilt für den Abriss von monumentalen Überresten, der in Art. 11 untersagt wird und schlussendlich Art. 13, der sogar über das einzelne Monument hinaus geht und staatlichen Einfluss auf Neubauten, Rekonstruktionen und Anhebungen von Gebäuden erlaubt. Weder die Perspektive noch das auf das Kulturgut einfallende Licht dürfe bei etwaigen Maßnahmen beeinträchtigt werden. Die Folgen einer Missachtung der zuvor aufgezählten Anordnungen sind in Art. 25–33 in Form von Geldstrafen aufgeführt. Um Stellung zu den in diesem Gesetz genannten Angelegenheiten zu beziehen und die Durchführung des Gesetzes zu gewährleisten, war das Einrichten weitere Ämter möglich, was letztendlich zu einem Beschluss führte, der fünf Jahre später verabschiedet wurde: LEGGE 27 Giugno 1907 n.386. Während Gesetz Nr. 185 von 1902 die Bedeutung von Kulturgütern und die Verpflichtung im Umgang mit ihnen definiert, reguliert der Beschluss von 1907 das Arbeitsumfeld um ebenjene, d.h. den Hohen Rat, die Ämter sowie das Personal, das für die Wahrung der Antiquitäten und die schönen Künste eingesetzt werden solle. Bis 2008 hatte es in seiner Vollständigkeit Bestand und umfasste 75 Artikel, die in sieben Überpunkten unterteilt wurden. Siehe Confederazione Italiana Archeologi. Centro Ex Novo: LEGGE 27 Giugno 1907, n. 386. URL: https://www.archeologi-italiani.it/wp-content/uploads/2021/05/LEGGE-27-Giugno-1907-n.-386.pdf (20.02.202
  13. Roeck 2001, S. 201.
  14. Die florentinische Kunstkennerschaft gewann im 19. Jh. an gewaltiger Bedeutung, bildete einen für die Kunstwissenschaftler:innen wichtigen Zweig und wurde für den generellen kunstwissenschaftlichen Diskurs um 1900 wesentlich. So wurde ab dem 19. Jahrhundert vermehrt von Laien Kunst gesammelt, die sich auf eine fachliche Meinung der Connaisseure beriefen. Einer der wohl für Italien und die Umländer wichtigsten Protagonisten ist Giovanni Morelli, der die uns heute selbstverständliche Prüfung von Gemälden vor einem Kauf, d.h. Zuschreibung, Provenienz, Echtheit, revolutionierte und salonfähig machte. Siehe dazu Irma Richter und Gisela Richter (Hrsg.): Italienische Malerei der Renaissance im Briefwechsel von Giovanni Morelli und Jean Paul Richter. Baden-Baden 1960, S. 9f. Dieser Meinung scheint auch Bernard Berenson zu sein, der 1958 von Morellials „rationalizer and reformer of connoisseurship“ (Bernard Berenson: Essays in Appreciation. London 1958,S. 100.) spricht. Diese Kunstkennerschaft scheint einen immensen Einfluss auf die Kunstausstellungen um 1900 zu haben, denn Francis Haskell zufolge wurden sie für die Realisierung von Retrospektiven zu Alten Meistern undder Renaissancekunst zu Rate gezogen, um dann der breiten Masse ein möglichst umfassendes Bild vergangener (Kunst-)Zeiten darzubieten. Siehe Francis Haskell: „Exhibiting the Renaissance at the End of the Nineteenth Century”, in: Max Seidel (Hrsg.): Storia dell‘arte e politica culturale intorno al 1900. Venedig 1999, S. 111–118.
  15. Frank Fehrenbach und Marina Hansmann: „La fondazione dell‘Istituto Germanico di Storia dell‘Arte di Firenze. ricerca, arte e politica culturale intorno al 1900 (Florenz, Kunsthistorisches Institut, 21.-24. Mai 1997), in: Kunstchronik 51/6, (1998), S. 276.
  16. Der Briefwechsel ist heute in zwei Archiven konserviert: Das Archivio Giovanni Poggi verwahrt fast 7000 Briefe, die vorwiegend alphabetisch geordnet sind. Die meisten sind im Original vorhanden und reichen von Kunsthistoriker:innen aus der ganzen Welt bis hin zu Politiker:innen oder Editior:innen. Unter all jenen Korrespondenzen sind 48 Briefe von und an Warburg zu verzeichnen, wobei der frühste auf den 11.03.1903 und der letzte im Bestand vorhandene auf den 23.01.1914 zu datieren sind. Selbst nach Warburgs Abreise aus Florenz blieben die beiden Wissenschaftler in Kontakt und tauschten sich über aktuelle Vorkommnisse und Forschungsanliegen aus; siehe dazu Lombardi 2011, S. 42–82. Das Warburg Institute Archive (WIA) in London bewahrt 79 Briefe auf, darunter 65 Briefe von Poggi an den Wahlflorentiner und 14 von Warburg an den italienischen Kunsthistoriker. So zeigt das Schreiben von Warburg an Poggi am 21.03.1905 (Ref No WIA GC/10237) beispielsweise, dass Poggi seine in der Revista d‘Arte publizierten Aufsätze seinem Forschungskollegen nicht vorenthielt, selbst wenn dieser zu jener Zeit nicht mehr in Florenz lebte. Warburg scheute aber auch nicht davor zurück, den italienischen Kunsthistoriker um Rat in Bezug auf seine Arbeiten zu fragen. Ihr enger Austausch macht sich auch in Briefen bemerkbar, die Warburg nicht an Poggi adressierte, ihn aber dennoch thematisierte, so zum Beispiel in einem Brief an den damaligen Direktor des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, Heinrich Brockhaus (Ref No WIA GC10860), dem Warburg mitteilte, dass seine Forschungsarbeit stark von der Hilfe Poggis abhängt; oder aber das Schreiben an seine Frau Mary Warburg im Jahre 1902 (Ref No WIA GC/23399), in dem er das sich über Jahre hinwegdauernde Inventarisierungsprojekt von Poggi thematisierte und dessen gewissenhafte Arbeit sehr schätzend wiedergibt.
  17. Das unterstützt auch Georges Didi-Huberman, wenn er behauptet, dass sich der Terminus Nachleben „keiner historischen Periodisierung überlagern ließ.“ Georges Didi-Hubermann: Das Nachleben der Bilder. Kunstgeschichte und Phantomzeit nach Aby Warburg. Übers. v. Michael Bischoff, Berlin 2010, S. 95.
  18. Ebd., S. 76.
  19. „The Bella Italiana is, at an imaginary level, everybody’s neighbor, the girl-next-door, your friend’s sister, the girl at the bus stop or in the marked“, Gundle 2007, S. 246.
  20. Ebd.
  21. Ebd. S. 249.
  22. Barbara Straumann, „Apotheose des Stars – Moderne Formen der Bewunderung“, in: Eva Fischer-Hausdorf und Christoph Grunenberg (Hrsg.), Ikonen: Was wir Menschen anbeten. Ausst. Kat. Bremen 2019/20, München 2019, S. 328–339, hier S. 333.
  23. Gerhard Wolf, „Florenz als Raum-Experiment und Selbstausstellung“, in: Silvestra Bietoletti et al. (Hrsg.), Florenz! 22. November 2013 bis 9. März 2014. Ausst. Kat. Bonn 2013/14, München 2013, S. 21–31, hier S. 21.
  24. Thomas Steinfeld, „Fotografie. Die Welt als Vorstellung“, in: Süddeutsche Zeitung. 29. Dezember 2017, URL: https://www.sueddeutsche.de/stil/fotografie-die-welt-als-vorstellung-1.3803681 (23.02.2023).

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