Issue #8 Sex
Sexualität ist eines der zentralsten, vielschichtigsten und zugleich kontroversesten Themen der Kunst. Von mythologischen Erzählungen in barocken Meisterwerken über subtile Anspielungen in Stillleben bis hin zur expliziten Konfrontation in der zeitgenössischen Kunst – die Darstellung von Sexualität ist immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Normen, Machtverhältnissen und individueller Begierden.
Sexualität war lange Zeit codiert, verborgen, nur angedeutet – In den Erzählungen der Kunstgeschichte lassen sich diese Spuren nachvollziehen. Tizians „Zeus und Danae“ oder Berninis „Apoll und Daphne“ zeigen, wie sexuelle Themen in mythologischen Kontexten verarbeitet wurden. Sie bieten, wie die Erzählung der unbefleckten Empfängnis, die ikonografisch besonders in religiösen Darstellungen verankert ist, reiches Material für eine kritische Auseinandersetzung und verweisen auf die Komplexität kultureller Konstruktionen von Körper und Begehren. Diese Komplexität zeigt sich auch in den provokanten Heiligen-Darstellungen des Malers Sebald Beham, die bis heute Fragen aufwerfen: Waren die erotischen, fast pornografischen Bilder aus dem 16. Jahrhundert lediglich auf finanziellen Gewinn ausgerichtet, oder lassen sich darin tiefere Bedeutungsebenen erkennen? 200 Jahre später tauchen in den Werken Fragonards subtile erotische Anspielungen auf, die verborgen hinter der Oberfläche einer formalisierten Ästhetik folgen und sich in bestimmten Motiven wie der “Lesenden” manifestieren. Die Schaukel, die spätestens im 18. Jahrhundert zur versteckten Metapher für Lust und Sex avancierte, bietet ein weiteres Beispiel dafür: die scheinbar unschuldige Darstellung schaukelnder Paare entlarvt geschlechtsspezifische Dynamiken, die bis in die Werke von Kiki Kogelnik, Carolee Schneemann und Monica Bonvicini nachwirken.
Seit den 1960er Jahren wurde die Auseinandersetzung mit Sexualität in der Kunst zunehmend radikaler. Künstler:innen wie Sarah Lucas oder Nan Goldin hinterfragen in ihren Werken unverhüllt die Darstellung von Körper und Geschlecht während der New Yorker Künstler und Aktivist David Wojnarowicz die AIDS-Epidemie der 1980er Jahre in seinen Sex Series (1989) auf subtile Weise verarbeitet und dabei nicht nur seine eigene Krankheit, sondern auch deren politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen thematisiert. Seine collagenartigen Fotoarbeiten, die in Negativbildern erscheinen, machen sichtbar, wie eng Fragen von Sexualität, Körper und politischer Realität miteinander verwoben sind.
Aktuelle künstlerische Positionen werfen unter anderem einen neuen Blick auf Männlichkeit und Intimität, wie Richard Culver mit der Neuverhandlung der sexuell-provokativen Ära der Young British Artists oder setzen sich mit digitalen und postfeministischen Perspektiven zu Sexualität auseinander. Die schwedische Netzkünstlerin Arvida Byström etwa polarisiert mit einer Kunst, die zwischen digitaler Kultur, girly aesthetic und Post-Softporno oszilliert. Sie navigiert sich selbstbewusst durch die Bilderlandschaft des Web 2.0 und nutzt deren Bildwelten, um Fragen zu Sex und Fetisch, Körperbildern und Schönheitsidealen des 21. Jahrhunderts zu kontextualisieren, in welchem neue hybride Formen Kategorien von real und virtuell, Körper und Abbild auflösen.
Denn wer oder was definiert Sex eigentlich? Und welche Rolle spielt Kunst in der Auseinandersetzung mit Sex und Machtverhältnissen, mit Missbrauch und Übergriffen? Die Sichtbarmachung sexualisierter Gewalt im Kunstfeld zeigt, wie tief verwurzelte patriarchale Strukturen den Kunstbetrieb prägen. Werke von Andrea Fraser, Jenny Holzer und den Guerrilla Girls thematisieren sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch und werfen die Frage auf, wie feministisch-aktivistische Kunst bestehende Strukturen herausfordern kann.
All das zeigt: Sex ist in der Kunst nicht nur ein Sujet, sondern eine gesellschaftspolitische Frage, der sich frame[less] in Issue #8 widmet. Wir präsentieren theoretische und kritische Annäherungen ebenso wie künstlerische, performative und interdisziplinäre Arbeiten, die neue Perspektiven auf Sexualität, Gender und Körperlichkeit eröffnen.