Andere Orte oder „Das politische Wort in Taten verwandeln“ – Eine heterotopologische Untersuchung intermedialer Fotoarbeiten von Carlos Garaicoa – Hanna G. Diedrichs gen. Thormann

In der zweiteiligen Serie Para transformar la palabra política en hechos, finalmente von Carlos Garaicoa sind Fotografien von Tragkonstruktionen leerer Plakatwände zu sehen, die vom Künstler durch Architekturmodelle und Textentwürfe erweitert wurden. Diese intermediale Arbeitsweise untersucht Hanna Diedrichs g. Th. in der heterotopologischen Analyse der Serie. Dabei legt sie offen, wie in den künstlerischen Arbeiten Möglichkeitsräume der kubanischen Gesellschaft aufscheinen, die zum Nachdenken über die gegebenen Verhältnisse einladen und mit denen Garaicoa fordert, politischen Versprechungen Taten folgen zu lassen.

„AARGHH“ (Abb. 1) – ein lautmalerischer Ausruf verstellt in stahlgewordenen Lettern formatfüllend den Blick auf eine schwarz-weiße Stadtlandschaft. Dieser dem Comic entlehnte Begriff wird zumeist verwendet, um ein Gefühl der Frustration, Wut oder Verzweiflung auszudrücken.1 Als ein „intermedialer Bezug“2 verweist der Ausruf in der unbetitelten Arbeit Nummer fünf der Serie Para transformar la palabra política en hechos, finalmente II (2009) des Künstlers Carlos Garaicoa, wie diese Untersuchung zeigen wird, auf die unerfüllten Versprechungen der Kubanischen Revolution.

Abb. 1: Carlos Garaicoa: Aus der Serie Para transformar la palabra política en hechos, finalmente II, 2009 (Schwarz-Weiß-Fotografie mit lasergeschnittenem Drahtmodell auf Metall und Stuck, 81 x 120 cm, Besitzverhältnisse und Ort unbekannt). Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Carlos Garaicoa: Orden Aparente, Santander (Fundación Botín) 2014, S. 149.

Aus den Tragestrukturen einstiger Propagandatafeln an kubanischen Straßen und Gebäuden konstruiert Garaicoa in der zweiteiligen Werkserie neue geometrisch-technische Architekturen, Wortzeichen und Infrastrukturanlagen. Als Basis dienen ihm Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Straßen- und Stadtlandschaften mit ebensolchen leeren Metallkonstruktionen. Die Fotografien überlagert er mit Konstruktionszeichnungen in Form von eingefrästen Modellen oder solchen aus Faden und vollzieht damit eine imaginierte bauliche Weiterführung der ursprünglichen Gerüste.3 Mit dem Ziel, den Sinn dieser scheinbar trivialen Gegenstände zu verändern, um über gesellschaftsrelevante Fragestellungen nachzudenken, schafft er Orte der Reflexion über die „Ordnung der Dinge“.4

Carlos Garaicoa, geboren 1967 in Havanna, ist seit Mitte der 1980er-Jahre zunächst als autodidaktischer Künstler tätig.5 Es folgten Studien am Institute of Fine Arts of Cuba von 1989 bis 1994. Heute lebt und arbeitet er in Havanna und Madrid. Garaicoa arbeitet in unterschiedlichen Medien und mit verschiedenen gestalterischen Techniken sowie deren vielfältigen Kombinationen an der Thematik von „[…] Architektur und Urbanismus als Spiegel politischer Realität und gesellschaftlicher Entwicklung […]“ 6 im 20. und 21. Jahrhundert. Architektur versteht und verhandelt er hierbei als „[ …] Symbol der Macht wie gescheiterter Utopien […].“7 In seinen oft multimedialen Installationen, Modellen und Skulpturen, Zeichnungen, Video- und Fotoarbeiten „[…] macht der Künstler auf die Krise und Geschichte des städtischen Raums aufmerksam.“8 Und verwirklicht dabei, wie der Philosoph und Kunstkritiker Fernando Castro Flörez feststellt, aber nicht weiterverfolgt „[…] a different conception of urban space, a heterotopia, to employ a Foucaultian term, which calls into question the space in which we live (survive).“9

Mit dem philosophischen Konzept der Heterotopie, das Michel Foucault 1966/67 entwickelt hat, eröffnet sich an der Schnittstelle zwischen dem Realen und dem Imaginären eine Art Zwischen- und Denkraum, der die Möglichkeit bietet, gegebene Verhältnisse zu problematisieren und zu reflektieren.10 Der vorliegende Text setzt sich entsprechend mit Garaicoas zweiteiliger Werkserie Para transformar la palabra política en hechos, finalmente I und II anhand Foucaults Begriff der Heterotopie auseinander: Infolge des Kontrasts der dokumentierten leeren Tragestrukturen einstiger Propagandatafeln auf Kuba zu den imaginierten Architekturanlagen scheinen buchstäblich Möglichkeitsräume der kubanischen Gesellschaft auf, die zur Reflexion über die gegebenen Verhältnisse einladen.

Dieser kunstwissenschaftlich-interdisziplinäre Beitrag stellt das vielschichtige Werk eines Kunstschaffenden in den Mittelpunkt, der trotz seiner Teilnahme an Biennalen und Documentas in Europa weitgehend unbekannt ist und greift in der Verknüpfung mit Foucaults Heterotopie-Konzept eine Schwachstelle bisheriger Publikationen über Garaicoas Œuvre auf: Der häufig zur Charakterisierung seines Werks genutzte Begriff der Utopie ist einseitig verzerrend und ungeeignet, die Synthese des real Existierenden und des Erhofften zu greifen. So birgt eine heterotopologische Herangehensweise an seine Arbeiten eine gewisse Notwendigkeit in sich, um die werkimmanente Kluft zwischen Verheißung alter Ideale und deren Umsetzung angemessen zu erfassen. Ziel der Betrachtung ist es, die Arbeiten zu kontextualisieren und als mediale Heterotopien respektive als Bildräume, die in sich heterotopisch sind, zu entfalten. Leitend ist dabei die Frage, wie der Künstler es bewerkstelligt, durch die Konstruktion von Heterotopien die gesellschaftspolitische Ordnung anzusprechen.

Ambivalente Bildräume

Der spanische Titel der zweiteiligen Werkserie Para transformar la palabra política en hechos, finalmente (auf Englisch: To transform the political speech in facts, finally) meint auf Deutsch etwa: Um das politische Wort in Taten umzusetzen, endlich. Die Plakatwände in Havanna und Umgebung, die den Kern der Serie ausmachen, wurden in Kuba üblicherweise zur Darstellung und Verbreitung von politischen Propagandamaterialien verwendet und besitzen somit eine eindeutig politische Funktion.11 „Wurden“, weil die Mittelknappheit dazu geführt hat, dass selbst diese Tafeln immer mehr dem Verfall preisgegeben sind. Als gewissermaßen sprechende Architekturen dienen sie Garaicoa als visuelle Ressource für sein künstlerisches Schaffen – „[…] structures which, by underscoring the communicative void With their very presence, bear witness to an impossibility of telling.“12 Die Arbeiten zeigen nun diese leeren Unterkonstruktionen, die vom Künstler schöpferisch weitergeführt wurden: „The images speak of a recent though strangely distant past full of hope and desire for a rich, healthy and vigorous future – a future perfect which has been undeniably unfulfilled, a failed promise […] that now needs to be reasse[sse]d. Better late than never.“ 13

Das Kuba der 1950er-Jahre war geprägt von der Kubanischen Revolution, in der Fidel Castro, an der Spitze von Revolutionären, gegen den Diktator Fulgencio Batista kämpfte. Die an der Revolution Beteiligten erstrebten politische, wirtschaftliche und soziale Umbrüche, wie den Aufbau einer kommunistischen Regierung und einer klassenlosen Gesellschaft. Mit dem Sieg Castros im Jahr 1959 entstand ein realsozialistisch geführter Staat mit der Sowjetunion als nahem Verbündetem.14 Vom damaligen Sieg des Sozialismus zeugen heute, 60 Jahre nach der Kubanischen Revolution, die Propagandatafeln: Mit politischen Parolen wie „Vaterland oder Tod“, „Die Revolution geht weiter“ oder „Fidel verkörpert ein ganzes Land“ gehören sie, auch nach dem Zusammenbruch des weltweiten sozialistischen Verbunds und dem Ende des Castro-Regimes, zum Straßenbild und bewahren das kollektive Gedächtnis. Doch zeugen die baufälligen Tafeln und oft leeren Gerüste im Land ebenfalls von der Schattenseite der globalen, politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse und von gescheiterten oder zunehmend vergessenen Idealen.15

Die erste der beiden Werkgruppen der Serie, Para transformar la palabra política en hechos, finalmente I (2003/04), besteht aus sechs quer- und drei hochformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien in der Größe von 121 x 175 cm, die mit Fadenzeichnungen überlagert sind, sowie aus 220 Briefmarken, die in Vitrinen ausgestellt und mit Vergrößerungsgläsern ausgestattet sind.16 Diese Untersuchung fokussiert vornehmlich auf die intermedialen Fotoarbeiten.17

Die Technik der Fadenbilder, die zumeist in eigenständigen, dichter gewirkten Arbeiten im Kunsthandwerk oder in der Textilkunst Anwendung findet, verwendet Garaicoa für in seine Fotografien eingreifende Interventionen. Der Künstler vergleicht die Fadenzeichnungen mit einem schwebenden Spinnennetz.18 Feingliedrig „[…] zeichnet Garaicoa mit Nähgarn, gespannt über Stecknadeln an den perspektivischen Eckpunkten, die imaginierten baulichen Vollendungen [der Werbetafeln] nach. Oder er notiert […] vollkommen neue, ideale Architekturen […].“19 Eine Technik, die er schon zuvor anwandte, um fotografierte Gebäuderuinen geisterartig wieder auferstehen zu lassen.20

Daran anschließend fertigte Carlos Garaicoa eine zweite Werkgruppe an: Para transformar la palabra política en hechos, finalmente II (2009). Sie besteht aus fünf auf Aluminium und Stuck gedruckten Schwarz-Weiß-Fotografien in den Maßen 81 x 120 cm, in die der Künstler AutoCad-DrahtmodeIIe21 einarbeitete, drei davon im Quer- zwei im Hochformat.22 „Die Linien w[u]rden per Laser in die Aluminium-Trägerplatte der Fotografien gefräst, [wodurch] metallisch reflektierende Architekturprospekte entstehen.“23

Die Bildmotive und Konstruktionen der tendenziell unbetitelten Arbeiten reichen von Garagenbauten, Wohn- und Bürogebäuden über industrielle Anlagen und landwirtschaftliche Silos bis zu Brückenentwürfen. In zwei der Arbeiten – wie der einleitend zitierten – hat Garaicoa Text- oder Wortversatzstücke eingebaut. Besonders entgegen den sonst leeren oder sprachlosen Tafeln, bei denen gerade die Absenz einer (Text-)Botschaft auffällig ist, vollziehen sich in diesen die Verschiebungen und Transformationsprozesse nicht nur auf der Ebene der Konstruktion, sondern auch auf der Ebene der Sprache.24 Innerhalb der gesamten Serie stellen diese Systemreferenzen und intermedialen Bezugnahmen in Textform eine Ausnahme dar, verdeutlichen jedoch in besonderem Maße die Intermedialität der hier zu untersuchenden Werke.

Garaicoas künstlerische Methodik in der Serie ist vornehmlich mit dem Terminus der Medienkombination zu greifen: der innerhalb der Serie „[…] durchgehende[n] Kombination mindestens zweier, konventionell als distinkt wahrgenommener Medien, [also der Fotografie und der Konstruktionszeichnung,] die sämtlich im entst[andenen] Produkt materiell präsent sind.“25 Zudem ist der Serie ein subtiler Medienwechsel in Bezug auf die architektonische Konstruktionszeichnung zu diagnostizieren. Mit dieser intermedialen Arbeitsweise koppelt der Künstler in der Serie verschiedene Zeichenverbundsysteme und erweitert damit die Vielschichtigkeit und das transformatorische Feld in seinen Arbeiten.26

Die medienspezifischen Charakteristika von Fotografie und Konstruktionszeichnung werden in der Serie explizit vom Künstler genutzt und weitergeführt. Garaicoa setzt gezielt stilistische Merkmale der dokumentarischen Fotografie ein – er bedient sich eines dokumentarischen Gestus.27 Die nach einheitlichem Muster mit zumeist ungewöhnlich tief angelegtem Horizont angefertigten, schnappschussartigen Aufnahmen akzentuieren einerseits einen subjektiven Zugang, heben andererseits aber auch einen vermeintlich stärkeren Zugang zur „objektiven“ Wirklichkeit hervor. Auch wenn die Schärfentiefe der Fotografien generell durchgängig ist, finden sich leichte Unschärfen in den Bildern – zufälliges, mobiles Bildinventar wie Personen oder Automobile betont diese als Bewegungsunschärfe und damit den Schnappschusscharakter im Besonderen (Abb. 2). Der Künstler schafft den Eindruck, dass die Fotografien im Vorbeigehen oder aus dem fahrenden Auto aufgenommen wurden und mimt die frühere Rezeptionssituation und damit die Position der ursprünglich von den Werbe- oder Propagandabotschaften adressierten Personen in den Werken nach.

Abb. 2: Carlos Garaicoa: Aus der Serie Para transformar la palabra política en hechos, finalmente I (Valla Puerto), 2003 (Nadeln und Faden auf Schwarz-Weiß-Fotografie, 125 x 175 cm, Privatsammlung Ela Cisneros, CIFO, Miami). Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. La enmienda que hay en mi, Havanna (Museo Nacional de Bellas Artes) 2009, S. 135.

Die technisch bedingte Zentralperspektive der Fotografien wird in den Konstruktionszeichnungen weitergeführt. Sie orientieren sich jeweils an der spezifischen Form der Unterkonstruktionen der leeren Werbetafeln, die zwar an und für sich unterschiedlich sind, doch bildimmanent jeweils konsequent aufgegriffen werden. Die modellierten Bauten wirken durchweg modern bis futuristisch. Zwar unterscheidet sich die Technik der Konstruktionszeichnung im ersten und zweiten Teil der Serie, beiden Varianten wohnt jedoch etwas schemenhaftes in der materiellen Überlagerung inne. Mit beiden Macharten greift Garaicoa, das Bild transformierend, physisch in die Oberfläche der Fotografien ein: einmal mit Perforation durch Nadeln und aufgebautem Fadenmotiv, einmal durch Laserschnitt.

Die intermedialen Fotoarbeiten entstehen also in einer Medienkombination, die das Auftreten heterotopischer Räume begünstigt.28 Das fotografische Medium wird hierbei (pseudo-)dokumentarisch nutzbar gemacht, die Konstruktionszeichnung evoziert einen utopischen Impuls. Was dabei erzeugt wird, sind ambigue Bildräume, die das Dokumentarische mit dem Imaginären, besser dem Imaginativen, inszenieren, wodurch heterotopische Räume eröffnet werden (können); infolgedessen, sehen sich die Betrachtenden im Rahmen der Rezeption mit einer Reflexion über die gesellschaftspolitische Ordnung Kubas konfrontiert – durch die Kombination der beiden unterschiedlichen Medien erzeugt Garaicoa eine Art Hybrid, in dem die Grenzen zwischen Repräsentation und Konstruktion verschwimmen. 

Die schöpferische Idee hinter den Arbeiten war, laut Garaicoa, auf die alten Metallstrukturen der Werbetafeln zu „bauen“ und konstruktive Möglichkeiten zu schaffen. Weiter versucht Garaicoa, das imaginäre Bild des täglichen Lebens in den Städten Kubas in seine Werke zu übersetzen – ein imaginäres Abbild der weitergedachten Ideen der realsozialistischen Regierung. Sein Ziel sei es gewesen, damit den Sinn dieser scheinbar trivialen Objekte der Werbetafeln zu verändern, um über politische, existentielle und künstlerische Probleme zu reflektieren. Laut seiner eigenen Aussage beschäftigen sich die Arbeiten mit Erinnerung und Existenz „[…] by the creation of images and how these pieces are related to the memory of the City and their political backgrounds.“29

Die ehemaligen Propagandatafeln sind zu einem wesentlichen Fokus in der Arbeit Garaicoas geworden und offenbaren ein fruchtbares politisches Potenzial: Sie vereinen in einem physischen Objekt die Gestalt eines Textes, die Ideologie einer Botschaft und die Visualität eines Symbols, wie Corina Matamoros Tuma schreibt.30 Viele der Werbetafeln sind in den letzten Jahren „stumm“31 geworden. Leer geworden oder geblieben, aufgrund von Vernachlässigung oder konstruktiven Mängeln. Schweigend und rätselhaft manifestieren sie eine Abwesenheit und verbildlichen eine Leerstelle, die der Künstler aufgreift und an der er seine neuen Botschaften festmacht. Laut Matamoros Tuma, handelt es sich dabei nicht um Skizzen für Utopien, wie gewöhnlich betont wird, sondern um eine Art wirklichen Werbeträger gegen die Existenzen von Trugbildern, der einen konkreten Handlungsweg vorschlägt.32

Die dokumentierenden Aspekte seiner künstlerischen Arbeit und das utopische Denken sind Themenkomplexe, die häufig im Kontext von Garaicoas Œuvre in der Literatur zum Tragen kommen. Das „Dokumentarische“ und vor allem die Utopie-Begriffe, mit denen am Œuvre des Künstlers bedeutsam operiert wird, sind dabei aber nicht nur komplexitätsreduzierend, sondern halten auch einer genauen Betrachtung nicht stand. Aus dem Bezug zum tatsächliChen Ort in Vereinigung mit dem Nicht-Ort, werden in Para transformar la palabra política en hechos, finalmente andere Orte.

Raum für alte Ideale und neue Ideen, endlich

Foucault beschreibt Heterotopien als „[…] wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenpla[t]zierungen [sic] oder Widerlager [sic], tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind […].“33 Seinem Begriffskonzept ist eine gewisse Unschärfe inhärent, die oft kritisiert, aber ebenso häufig – im Sinne eines flexiblen Interpretationsrahmens und eines Raums für neue Perspektiven – als Bereicherung beschrieben wird.34

Heterotopie, wie sie für diesen Beitrag relevant ist, meint eine Reihe verschiedener, sich überschneidender und eher durch Ähnlichkeiten als durch ein einheitliches Prinzip geformter räumlicher Phänomene oder Orte, für die, nach Foucault, vor allem ihr Verhältnis zum übrigen Raum von Bedeutung ist. Und die als „andere Räume“35 – gewissermaßen als räumliche Denkanstöße – die geltende Ordnung in Frage stellen. Anders als bei Foucault, der seine Beispiele primär aus der physikalischen beziehungsweise gesellschaftlichen oder außermedialen Wirklichkeit greift, wird hier die Meinung vertreten, dass die Heterotopie sich nicht auf den Realraum beschränken muss, sondern auch darüber hinaus eine wertvolle Analysekategorie darstellt, die interessante Blickwinkel eröffnen kann.36

Foucault stellt sechs idealtypische Prinzipien als Grundsätze der Heterotopie auf.37 Erstens sind für ihn Heterotopien „universal“38 und existieren in allen Gesellschaften. Zweitens unterliegen Heterotopien und ihre Bedeutungen über die Zeit Umdeutungen und Wandlungen innerhalb einer Gesellschaft.39 Das Nebeneinandertreten von räumlich (drittens) und zeitlich (viertens) heterogenen Elementen in ein und demselben (Bild-)Raum macht diesen Raum nach Foucault zu einem heterotopischen.40 Durch diese zeitlichen wie räumlichen Schichtungen,41 die sich auch in den Arbeiten Garaicoas finden, werden Zwischenräume und Wechselbeziehungen offengelegt. Sie zeigen einen alten, bereits bestehenden Ort in der außermedialen Wirklichkeit sowie in der Fotografie, den visionären Gebäuderaum in der Konstruktionszeichnung und letztlich den neuen, daraus entstandenen Gesamtort. Die Fotografie verweist (verstärkt durch das Schwarz-Weiß) auf vergangenes, dementgegen steht die zukunftsgerichtete Konstruktionszeichnung. Die Darstellung wird damit sowohl surreal als auch real. In diesem Spannungsfeld, in diesem Dazwischen, kann die Heterotopie entstehen. 

Fünftens setzen „ [d]ie Heterotopien […] ein System von Öffnungen und Schließungen voraus, das sie gleichzeitig isoliert und durchdringlich macht.“42 Garaicoas Werke unterliegen in ihren Zugangsbedingungen einerseits den Eingangsritualen und Reglementierungen der Ausstellungsorte, in denen sie präsentiert werden.43 In Bezug auf das Eintreten in die Bild- beziehungsweise Objekträume stehen sie einerseits als Reflexionsräume jeder Person offen, die gedanklich einsteigen möchte, doch gleichzeitig bleibt den Rezipierenden der tatsächliche Eintritt in die in den Werken geschaffenen Räume verwehrt.44

Besonders hebt Foucault den sechsten Grundsatz hervor, der als Kernpunkt seines Konzepts gilt und besagt, dass den Heterotopien eine Funktion gegenüber dem verbleibenden Raum innewohnt.45 Sebastian Dirks verdeutlicht hierzu: „[…] dass die Untersuchung einer Heterotopie nicht auf die Frage reduziert werden darf, ob sie allen sechs Grundsätzen entspricht. Er argumentiert, dass es ein Leichtes wäre, jeden Ort als Heterotopie zu identifizieren und damit noch keine Erkenntnis gewonnen wäre. Nach ihm ergibt sich erst dann eine kritische Analyse von gesellschaftlichen Räumen, wenn das Verhältnis der Heterotopie zum Restraum bestimmt wird.“46

In diesem Sinne wohnt den künstlerischen Arbeiten vor allem eine Funktion inne: ihn einerseits zu spiegeln und für Reflexion zugänglich zu machen, andererseits ihn in Frage zu stellen, zu problematisieren und sich ihm gegenüber dadurch widerständisch zu verhalten. Foucault geht es dabei um die Verbindung oder auch das Netz zwischen den realen und den surrealen Orten.47 In Garaicoas Arbeiten weiten sich die architektonischen Konstruktionen auch tatsächlich auf den „realen“ Raum aus, indem sie sich nicht mehr im Bildraum der Fotografie bewegen, sondern netzartig hervor- oder zurücktreten. Durch das Aufspannen eines Dazwischens und den Aspekt des Unfertigen der Gerüstkonstruktionen dienen sie den Betrachtenden weiter als „ImaginationsarsenaIe“48 im Sinne Foucaults.

Die Betrachtung der Werkserie im Verhältnis mit Foucaults Grundsätzen einer Heterotopie zeigt, dass die Arbeiten Bildräume eröffnen, die in sich heterotopisch sind und „[…] in der Lage, die Materialitäten des […] Raums [auf den sie sich beziehen] offen zu legen und sie mit neuen, zuvor imaginierten Eigenschaften zu besetzen.“49 Es ist also das Zusammenzutreffen des dokumentarischen Gestus in den Fotografien mit dem imaginativen Aspekt der Konstruktionszeichnungen, das die Heterotopie bedingt. Wobei die Bilder „[…] der Dokumentarfotografie […] einerseits den Mythos eines Wirklichkeitsversprechens reproduzieren, andererseits jedoch in spezifische Macht-Wissens-Quotienten eingebunden sind.“50 Hierauf verweist auch die Einbeziehung der Briefmarken in die Ausstellungspräsentationen, die als weiterer Anker zur Realität wie zum gesellschaftspolitischen Kontext dienen und den seriellen Aspekt nochmals betonen.

Als „[…] widerständische [Praxis] gegen dominierende Raumstrukturen […]“51 sind Heterotopien niemals ein reines Abkupfern von Realität, sondern stellen eine eigene Realität dar, eine Realität der Unruhe.52 Als widerständische Praxis ist dabei auch das physische Eingreifen in die Fotografien, also in den direkten Bezug zur Realität, und ihre daraus folgende Verfremdung durch die Konstruktionszeichnungen zu sehen. Als Unruhestiftende, sprechen die Einzelwerke der Serie in einem Wechselspiel von Vision und Wirklichkeit die gesellschaftspolitische Ordnung an. Der spezifische, gesellschaftspolitische Bezug geht dabei aus dem Zusammenkommen des Serientitels mit dem durchgängigen Sujet und dem Fokus auf die Plakatwände hervor. Genauer: Er ergibt sich aus der Forderung des Titels, auf politische Worthülsen Taten folgen zu lassen, in Kombination mit den Tragekonstruktionen, die ehemals einzig für den Zweck der Propaganda politischer Inhalte erbaut wurden und derzeit dem Verfall überlassen werden. Indem Garaicoa die Fotografien überarbeitet, transformiert er bereits – wie auch im Serientitel angedeutet. Der Brückenschlag erfolgt dabei nicht nur auf der Ebene der architektonischen Konstruktionen, sondern auch auf der Ebene der Sprache. Dies wird besonders deutlich in den beiden Einzelwerken, in die der Künstler Buchstaben oder Wörter eingearbeitet hat.

Die Gerüste als (ehemalige) Tragestrukturen für Propagandamaterial, als Träger politischer Ideologie, in Form der utopischen Ideale der Revolution, verweisen auf die Errichtung des sozialistischen Staates durch Fidel Castro sowie den heutigen Realsozialismus unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) als einziger Partei des Inselstaates. Die verfallenen Propagandatafeln verbildlichen ein Scheitern, Vergessen und Distanzieren von den früheren Werten und Ideen sowie der damit einhergehenden problematischen politischen wie wirtschaftlichen und städtebaulichen Lage Kubas. Dies gilt sowohl für das Land im Allgemeinen, wie auch für Havanna als Aufnahmeort der Fotografien, Landeshauptstadt und größter Stadt Kubas im Besonderen.

„In the visual arts, Carlos Garaicoa’s projections and manipulations of Havana’s buildings […] are impressive testimonies to the imagination and reconstruction of spaces in Havana.“53

Angesichts der disziplinierenden Architektur der Macht, hier in Form der Propagandatafeln, welche nach Castro Flórez die Bevölkerung, mittels einer Rhetorik über die „differenzielle Erfahrung“54, vereinheitlicht, vergegenständlicht Garaicoa einen anderen Entwurf des urbanen Raums, der den Raum des alltäglichen Lebens in Frage stellt.55

Ausgehend von den Leerstellen der nicht bespielten Werbetafelstrukturen, wie der unerfüllten politischen Versprechungen, schafft Garaicoa durch materielle, räumliche und zeitlich Schichtung Momente einer mehrdeutigen Spannung. Er macht die Abwesenheit von etwas deutlich, durch „[…] konkrete widerständische Strategien […], die in ihrer Negation des Bestehenden auf die utopische Leerstelle einer ‚besseren Zukunft‘ verweisen.“56 Im Gegensatz zu den alten Gerüsten, dienen die weitergebauten Strukturen nicht dazu, eine übliche Botschaft auf ihrer Schauseite zu tragen. Gleichzeitig unterstreichen sie gerade durch ihr Nicht-Zeigen die Absenz der früheren Botschaften und bringen die Ambivalenz von Zeigen und Nicht-Zeigen zum Ausdruck.57 Jedoch rückt der Künstler nicht nur Leerstellen ins Bewusstsein, sondern bietet mit den bruchstückhaften Konstruktionen und Zukunftsvisionen auch zu verwirklichende Lösungsansätze an. Diese bleiben aber Ansätze und sind nicht als fertige Gebäude über die alten Tafeln gebaut. Sie lassen im Rezeptionsprozess selbst als Leerstelle Raum für Reflexion, für neue Ideen und Ideale: Die Serie „[…] evokes both, the unfinished and that which has not yet been constructed.“58

Abb. 3: Carlos Garaicoa: Aus der Serie Para transformar la palabra política en hechos, finalmente II (III), 2009, Schwarz-Weiß-Fotografie mit lasergeschnittenem Drahtmodell auf Metall und Stuck, 81 x 120 cm, Besitzverhältnisse und Ort unbekannt. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Carlos Garaicoa: Orden Aparente, Santander (Fundaciön Botin) 2014, S. 1 52.

Garaicoas neue Konstruktionen greifen die bestehenden Strukturen – konkret wie metaphorisch – auf, führen sie weiter, lassen sie wachsen und integrieren sie in etwas Neues, mit einer fast denkmalpflegerischen Akribie. Doch die Tafeln werden durch die Weiterbearbeitung auch unbrauchbar gemacht, so sehr in die neuen Strukturen eingebettet, dass sie darin verschwinden und kaum mehr in ihrem ursprünglichen Zweck erkennbar sind (Abb. 3). Dadurch wird die Vergangenheit teilweise verdeckt und der Fokus auf die Zukunft gelegt. Die Tafeln dienen nun als Ausgangspunkt und Grundstein für eine heterotopische Parallelwelt, die jedoch einen dauerhaften Wandel im Realraum fordert.


Biografie

Hanna G. Diedrichs genannt Thormann

Hanna G. Diedrichs genannt Thormann studierte nach einer Ausbildung zur Fotografin Kunst- und Kulturwissenschaft in Tübingen und Zürich. Ihren Masterabschluss absolvierte sie mit Schwerpunkt „Museum und Sammlungen“ am kunsthistorischen Institut der Eberhard Karls Universität Tübingen. Derzeit arbeitet sie im Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern als wissenschaftliche Volontärin (bis Sept. 2021). Als Kuratorin und Kunstwissenschaftlerin konzipiert Diedrichs g. Th. Ausstellungen und recherchiert im Bereich der Kunst und Fotografie von der Moderne bis zur Gegenwart. Zuletzt entwickelte sie mit der Kuratorinnen-Gruppe Kollektiv Kollektiv den partizipativen Ausstellungszyklus Communitas, in dem sie sich mit gemeinschaftlichen Ausstellungs- und Vermittlungsformen beschäftigte. Ausstellungen haben für Hanna Diedrichs g. Th. das Potenzial, Themen zur Diskussion zu stellen, auf gesellschaftspolitische Zustände aufmerksam zu machen, Wissen wie Erfahrungen zu generieren und neue Formate zu erproben.

Fußnoten

  1. Vgl. Urban Dictionary: Beiträge zum Begriff „ARGH“, URL: https://www.urbandictionary.com/define.php?term=ARGH (28.04.2020), o. S.
  2. Irina O. Rajewsky: Intermedialität, Tübingen 2002, S. 28.
  3. Vgl. Bettina Maria Brosowski: Einfach weiterbauen. Der Künstler Carlos Garaicoa vollendet gescheiterte Utopien, in: Bauwelt 195 (2012), S. 2, hier ebd.
  4. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 96, 1974), 24. Auflage, übers. v. Ulrich Köppen, Frankfurt a. M. 2017. Folgend im Kurzbeleg als „Foucault 2017a“ benannt.
  5. Vgl. Carlos Garaicoa zit. in: E-Mail von Lillebit Fadraga, Leiterin des Estudio Carlos Garaicoa (13.04.2020).
  6. Kunstverein Braunschweig: Carlos Garaicoa. A City View from the Table of My House (2012), URL: https://kunstvereinbraunschweig.de/exhibitions/carlos-garaicoa-city-view-table-my-house/ (11.06.2020), o. S
  7. Jolanda Drexler: Carlos Garaicoa ‚Unvollendete Ordnung‘, Museum Villa Stuck, München, 9.6–4.9.2016, in: Kunstforum 241 (2016), S. 361, hier ebd.
  8. Kunstverein Braunschweig 2012, o. S.
  9. Fernando Castro Flórez: Composition in Catachresis, in: Ausst.-Kat. Ser Urbano. Carlos Garaicoa, Sao Paulo (Espaço Cultural Porto Seguro) 2018, S. 90–118, hier S. 93.
  10. Michel Foucault: Die Heterotopien / Der utopische Körper (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 2071, 2013), übers. v. Michael Bischoff, mit einem Nachw. v. Daniel Defert, 3. zweisprachige Aufl., Berlin 2017. Folgend im Kurzbeleg als „Foucault 2017b“ benannt.
  11. Vgl. Andrew B. Turner: Propaganda in Havana: The Politics of Public Space and Collective Memory in the Socialist City, Beitrag zum Urban Studies Program, University of Pennsylvania, 2007, URL: https://repository.upenn.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1007&context=senior_seminar (03.10.2020), o. S. (gez. S. 7); Victoria Alcalá: Billboards in the Revolution (o. D.), URL: http://www.lahabana.com/content/billboards-in-the-revolution/ (01.09.2020), o. S. sowie Havana Club: Propaganda Billboards & Murals (16.03.2018), URL: https://havana-club.com/en-ww/live-havana/propaganda-billboards-murals (01.09.2020), o. S.
  12. José Ignacio Roca: Architecture as a Projection of Desire, in: Ausst.-Kat. Carlos Garaicoa: Orden Aparente, Santander (Fundación Botin) 2014, S. 299–306, S. 302.
  13. Adriano Pedrosa zit. in: E-Mail von Lillebit Fadraga (13.04.2020).
  14. Vgl. Julie Marie Bunck: Fidel Castro and the Quest for a Revolutionary Culture in Cuba, Pennsylvania 1994, S. 1–12. Vgl. hierzu auch Gerardo Mosquera: The Third Bienal de la Habana in its Global and Local Contexts, in: Rachel Weiss (Hrsg.): Making Art Global. The Third Havana Biennial 1989 (Bd. 1), London 2011, S. 70–80, hier S. 72.
  15. Adele Frauscher: Castros langer Abschied (13.11.2013), URL: https://www.focus.de/politik/ausland/kuba-castros-langer-abschied_aid_225750.html (13.10.2020), o. S.
  16. Vgl. E-Mail von Lillebit Fadraga (13.04.2020). In der E-Mail wurde für die Arbeiten eine Größe von 121 cm x 150 cm angegeben. Dieses Seitenverhältnis stimmt jedoch mit dem der Abbildungen der Kunstwerke nicht überein. Die hier im Text genannte Maßangabe von 121 cm x 175 cm orientiert sich daher an den passenderen Abbildungslegenden im Ausst.-Kat. Carlos Garaicoa. La enmienda que hay en mí, Havanna (Museo Nacional de Bellas Artes) 2009, S. 127–136.
  17. Zu den Briefmarken liegt kein ausreichendes dokumentarisches Bild- oder weiterführendes Informationsmaterial vor. In den meisten Texten, die sich mit der hier untersuchten Serie beschäftigen, werden sie nicht erwähnt. Orlando Hernández legt nahe, die Briefmarken im Kontext der ersten Ausstellung der Serie auf der Ersten Moskauer Biennale für zeitgenössische Kunst (2005) zu lesen: „What the Cyrillic characters say on Carlos‘ stamps is much less important than history (political, economic, aesthetic) that the mere presence of these characters is itself capable of transmit us as an image. Especially for those of us who don’t read Russian, but that we are still able to identify in our current Cuban propaganda system (political, sports, economic) the high-sounding rhetoric, typographic, chromatic, iconographic, that that heroic Soviet nation exported to the entire socialist camp half a century ago. Like a hot potato, Carlos tries now forward that aesthetic (or the Creole version of that aesthetic) to your original recipient using a light philatelic postal support. The funny [thing] is that the old sender (now possible re-ceiver) of this message has simply disappeared.“ Orlando Hernández zit. in: E-Mail von Lillebit Fadraga (13.04.2020). So sollen die Briefmarken den Export einer „abgestandenen“ Ideologie von Russland nach Kuba verdeutlichen. Garaicoa kommentierte dies in einem Interview mit der New York Times wie folgt: „I’m bringing back to Russia all this official propaganda that doesn’t belong to me […].“ Amei Wallach: Below the Surface: Daydreams of Havana, and Other Cities, Too (19.05.2005), URL: https://www.nytimes.com/2005/05/19/arts/design/below-the-surface-daydreams-of-havana-and-other-cities-too.html (18.09.2020), o. S.
  18. Vgl. Sofía Hernández Chong Cuy: Proyectista-Farsante, in: Ausst.-Kat. Carlos Garaicoa. Overlapping, Dublin (Irish Museum of Modern Art), Mailand/New York 2010, S. 12–15, hier S. 13–14.
  19. Brosowski 2012, o. S.
  20. Vgl. hierzu auch José Ignacio Roca (Hrsg.): Carlos Garaico, Havanna (Museo Nacional de Bellas Artes) 2009, S. 127–136.
  21. Drahtmodell bzw. Drahtgittermodell meint die geometrische Modellierung und Visualisierung von dreidimensionalen Objekten oder Körpern anhand ihrer Kanten. Der Begriff bezieht sich nicht auf ein spezifisches Material, aus dem die Modelle gefertigt sind, maßgebend ist ihre dreidimensionale Wirkung. Das heute v.a. digital generierte Drahtmodell selbst kann, muss aber nicht dreidimensional sein. Im Fall der hier untersuchten Serie sind die Modelle im Vergleich zu den architektonischen Körpern, die sie repräsentieren, als zweidimensional anzusehen. Als eigenständige Objekte überschreiten die aufgebauten Fadenmodelle im ersten Serienteil und die lasergeschnittenen Modelle im zweiten Teil der Serie jedoch die zweidimensionale Bildfläche der Fotografie und erweitern den Bild- bzw. Objektraum in die räumliche Dimension.
  22. Vgl. Brosowski 2012, o. S. Ob dem zweiten Teil der Serie in Ausstellungspräsentationen gelegentlich oder grundsätzlich auch Briefmarken beigeordnet waren, wird vermutet, kann jedoch anhand des Bildmaterials und der Literatur nicht abschließend beurteilt werden. Ebenso bleibt unklar, ob die beiden Serienteile nur einzeln oder auch gemeinsam ausgestellt wurden.
  23. Ebd.
  24. Vgl. Rajewsky 2002, S. 78–79 u. S. 157.
  25. Ebd., S. 157.
  26. Vgl. ebd.
  27. Vgl. Timm Starl: Dokumentarische Fotografie, in: Butin, Hubertus (Hrsg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, überarb. Neuauflage, Köln 2006, S. 73–77.
  28. Vgl. hierzu Nadja Elia-Borer Constanze Schellow, Nina Schimmel, Bettina Wodianka (Hrsg.): Heterotopien.Perspektiven der intermedialen Ästhetik (MedienAnalysen), Bielefeld 2013.
  29. Carlos Garaicoa zit. in: E-Mail von Lillebit Fadraga (13.04.2020).
  30. Vgl. Corina Matamoros Tuma: Arquitectura de la enmienda: el 18 Brumario de Carlos Garaicoa, in: Ausst.-Kat. Carlos Garaicoa. La enmienda que hay en mí, Havanna (Museo Nacional de Bellas Artes) 2009, S. 5–14, hier S. 12–13.
  31. Ebd., S. 13.
  32. Vgl. ebd., S. 12–13.
  33. Michel Foucault: Andere Räume, übers. v. Walter Seitter, in: Barck, Karlheinz et al. (Hrsg.): Aisthesis – Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Äs-thetik, Leipzig 1992, S. 34–46, S. 39.
  34. Vgl. Birgit Schäfer-Biermann, Aische Westermann, Marlen Vahle, Valérie Pott: Foucaults Heterotopien als Forschungsinstrument. Eine Anwendung am Beispiel Kleingarten, Wiesbaden 2016, S. 50.
  35. Die Begriffe „Orte“ und „Räume“ werden von Foucault sowie in diesem Text in Bezug auf Heterotopien synonym verwendet.
  36. So wurde vor allem in der Literatur- und Medienwissenschaft gezeigt, dass die Denkfigur der Heterotopie auch für mediale Räume fruchtbar gemacht werden kann. Vgl. hierzu auch Rainer Warning: Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung, München 2009; Valentin Dander: Zones Virtopiques – Die Virtualisierung der Heterotopien und eine mediale Dispositivanalyse am Beispiel des Medienkunstprojekts Zone*Interdite, Diss., Universität Innsbruck 2013, ebd. 2014, URL: https://library.oapen.org/handle/20.500.12657/33308 (10.08.2020) sowie Elia-Borer et al. 2013.
  37. Foucault 1992, S. 40–45.
  38. Ebd., S. 40.
  39. Vgl. ebd, S. 41–42. Da die ersten beiden Grundsätze als allgemeine Prämissen gelesen werden können und lediglich Aussagen über das generelle Bestehen von Heterotopien sowie deren Veränderbarkeit über längere Zeiträume treffen, jedoch keine Anforderung an das spezifische Phänomen stellen, werden sie folgend vernachlässigt. Nach der Klärung, ob es sich bei den untersuchten Kunstwerken um Heterotopien handeln kann, wäre es grundsätzlich möglich, Foucaults zweitem Grundsatz nach die Umdeutungen und Wandlungen dieser spezifischen Heterotopien und ihrer Bedeutungen innerhalb einer Gesellschaft (z.B. der kubanischen) über die Zeit diskursanalytisch zu betrachten. Eine derartige Analyse würde jedoch nicht nur den Rahmen des vorliegenden Artikels überschreiten, auch ist die Werkserie hierfür verhältnismäßig jung.
  40. Vgl. ebd., S 42–43.
  41. Hier lassen sich Verbindungen zu Gedanken von Schichtung und Topologie bei Gilles Deleuze und Félix Guattari herstellen.
  42. Foucault 1992, S. 44.
  43. Foucault beschreibt Museen selbst als „[…] Heterotopien der sich endlos akkumulierenden Ziele […]“. Ebd., S. 43; vgl. hierzu auch ebd., S. 44.
  44. Vgl. Foucault 2017b, S. 18.
  45. Foucault 1992, S. 45.
  46. Sebastian Dirks zit. in: Schäfer-Biermann et al. 2016, S. 81. Vgl. hierzu auch Sebastian Dirks: Heterotopien Sozialer Arbeit, in: Henning Füller, Boris Michel (Hrsg.): Die Ordnung der Räume. Geographische Forschung in Anschluss an Michel Foucault (Raumproduktionen: Theorie und gesellschaftliche Praxis, Bd. 15) Münster 2012, S. 179–205.
  47. Ein Punkt, der Foucault immer wieder interessiert, wie etwa in Hinblick auf die Diskurs- oder Dispositivanalyse.
  48. Foucault 1992, S. 46.
  49. Katharina Klung: Trialektik und Heterotopie. Raum, Film und die Dialektik von Zentrum und Peripherie, in: TRANSEO 3 (2010), URL: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/year/2010/docId/19851 (06.09.2020), o. S.
  50. Elia-Borer et al. 2013, S. 25.
  51. Monika Litscher: Urbane Szenerien. Ein Konzept im Repräsentationsmodus der ethnografischen Collage in Bild und Text, Münster/New York 2015, S. 25.
  52. Vgl. Marvin Chlada: In Heterotopia. Postmoderne Träume von Abenteuer und Freibeuterei: Über die Möglichkeiten und Grenzen der so genannten anderen Orte nach Michel Foucault & Co (11.01.2006), URL: http://jungle-world.com/artikel/2006/02/16708.html (14.09.2020), S. 1.
  53. ] Anke Birkenmaier, Esther Whitfield: Beyond the Ruins, in: Dies. (Hrsg.): Havana Beyond the Ruins. Cultural Mappings after 1989, Durham/London 2011, S. 1–11, hier S. 7–8.
  54. Castro Flórez 2018, S. 93.
  55. Vgl. ebd.
  56. Dander 2014, S. 64.
  57. Dieses Forschungsfeld ist besonders im fototheoretischen Diskurs und der Bildwissenschaft von Relevanz. Als Kernthese der Bildwissenschaft gilt, dass die Menschen und somit die Kultur mit Bildern leben und die Welt in Bildern verstehen. In Relation zur Bildwissenschaft wäre es sicher interessant, die Arbeiten der hier untersuchten Serie nach den Funktionen von Zeigen, Nicht-Zeigen und Sehen zu befragen. Die Herausforderung der Bildwissenschaft ist dabei nach dem Philosophen und Mathematiker Dieter Mersch der Blick, denn das Bildliche erschafft sich „[zu]allererst im Akt des Sehens; es wird durch den Blick, der auf es gelenkt wird, kreiert.“ Dieter Mersch: Bild und Blick. Zur Medialität des Visuellen, in: Christian Filk, Michael Lommel, Milke Sandbothe (Hrsg.): Media Synaesthetics. Konturen einer physiologischen Medienästhetik, Köln 2004, 95–122, hier S. 99. Die Bildwissenschaft lässt sich vornehmlich aus den Terminologien pictural turn und iconic turn herausbilden, welche nahezu zeitgleich von Gottfried Boehm und W. J. Thomas Mitchell definiert wurden. Die Paradigmenwechsel eröffnen in unterschiedlichen Disziplinen und Themenfeldern eine „[…] Reflexion der Bildlichkeit der Kultur […]“, die in einer Vielzahl von heterogenen Theorien interdisziplinär ausgehandelt wird. Vgl. hierzu auch W. J. Thomas Mitchell: Bildwissenschaft, in: Gottfried Boehm, Horst Bredekamp (Hrsg.): Ikonologie der Gegenwart, München 2009, S. 99–113 sowie Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild?, München 1994.
  58. Iria Candela: The Metaphors of the Temple, in: Ausst.-Kat. Carlos Garaicoa: Orden Aparente, Santander (Fundación Botín), 2014, S. 309–314, hier S. 314.

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