Ein Endlager für Kunst – Herr Clair Bötschi

Zwei Probleme, eine Lösung: die Planung eines Endlagers für Atommüll soll Kunstsammlungen entlasten, sowohl logistisch als auch finanziell. Eine große Idee, eigenwillig formuliert – Clair Bötschi erklärt wie es funktioniert! Purer Ernst oder Provokation? Künstlerischer Beitrag oder Projektidee?

Ein Endlager für Kunst

Ein Museum ist eine Heterotopie der Zeit. Es spiegelt die Kulturgeschichte wider und verhandelt kulturelle Relevanz immer wieder neu. Es speichert Zeit und bietet der Gesellschaft einen Raum zur Reflexion.

Das muss wohl in Zeiten von Foucault, der den Begriff Heterotopie prägte, gestimmt haben. Heute dagegen nähern sich Museen immer mehr der Norm des Zeitgeistes an. Relevanz wird durch den Markt der Aufmerksamkeit hergestellt. Die Ausstellungen werden bombastischer, größer und schneller. Mehr ist mehr. Ein Hoch auf das Wachstum, die Moral und den Zeitgeist.

Abb. 1: Von der griechischen Küste stammen die Wracks von Flüchtlingsbooten, aus denen der Künstler GuillermoGalindo seine Installation gemacht hat. (Bild © picture-alliance/dpa). Abbildungsnachweis: URL: https://www.hessenschau.de/kultur/documenta/highlights/der-sound-von-flucht-und-migration,gallindo-100.html (01.08.2021).

Museen und besonders Kunstmuseen sind nicht mehr Heterotopien und damit keine Gegenräume in einer Gesellschaft, die fortwährend auf Fortschritt und Wachstum setzt. Gerade der heutige Zwang, einen gesellschaftsrelevanten Beitrag zu leisten, wie es in der Zeitgenössischen Kunst zu beobachten ist und damit immer schnelleren moralisch-politischen Themen ein herzufallen, bietet nur einen oberflächlichen Raum der Reflexion und ist eigentlich nicht zu unterscheiden von einem Shopping-Center. Die Moden kommen und gehen und das, was relevant bleibt, wird ins Depot geschoben.

Wenn man den Begriff Heterotopie ernst nimmt und sich auf die Suche nach einem Gegenraum in der Gesellschaft macht, kann man diesen heute vielleicht am ehesten im Kunstdepot erkennen. Wer es schafft die sakrosankten Hallen zu betreten – dem eröffnet sich ein Ort mit einem eigenen Verständnis von Welt, Zeit und Geschichte. Kunstdepots sind Orte, die außerhalb des Zeitgeistes stehen und die Vergangenheit mit der Zukunft verbinden.

Doch das Kunstdepot ist in Gefahr. Es wird zu einer immer größeren ökonomischen Belastung für die Museen. Gerade weil es eine Heterotopie ist – ist es nicht marktfähig und relevant. Zwar wird alle Jahre mal etwas Besonderes, fast Vergessenes im Kunstdepot gefunden und dann ans Licht geholt – aber über 95 % einer Sammlung liegt dauerhaft im Depot (Walter Grasskamp, Das Kunstmuseum, Eine Erfolgreiche Fehlkonstruktion, München 2016) und erblickt nicht mehr die Ausstellungsräume. Je nach finanzieller Ausstattung kümmern sich die Museen mal gut bis weniger gut um die kulturellen Hinterlassenschaften. So vergammelt langsam, aber sicher die Kunst und wenn nicht – verbraucht sie ungeheure Summen bei den einzelnen Institutionen. Da fleißig neue Kunst produziert und angekauft wird, gibt es ein immer größer werdendes Platzproblem. Wohin also mit dem teuren Edelmüll, wie die Wochenzeitung Die Zeit einmal titelte?

Abb. 2: Ausschnitt aus Teurer Edelmüll (Die Zeit, 21. April 2016). Abbildungsnachweis: URL: https://www.magazin-restkultur.de/teurer-edelmuell/ (30.07.2021).

Ein Endlager für Kunst ist die Lösung. Ein zentrales Depot für das künstlerische Erbe der Gesellschaft, um die Museen zu entlasten, die Depots zu leeren und einen wirklichen Gegenort, eine Mega-Heterotopie in der Kunst zu schaffen. Doch wo in Deutschland sollte dieses Endlager sein?

Wer sich mit Endlager-Suchprozessen auskennt, weiß, wie langwierig und schwierig die Suche nach einem sein kann. Deutschland sucht gerade ein Endlager für radioaktive Abfälle (Atommüll) und die Blockaden, Bedenken und Ablehnungen werden den Prozess auf Jahre hinziehen. Keiner will den Atommüll vor seiner Tür haben und das ist auch verständlich.

Abb. 3: Unbekannt/Joseph Beuys, Tag X, Plakat (Offsetdruck), 1984/85. Abbildungsnachweis: URL: https://www.bpb.de/apuz/333364/gorleben-als-kulturelles-erbe-die-anti-atom-bewegung-zwischen-historisierung-und-aktualitaet (30.07.2021).

Doch die Kraft der Kunst kann das ändern. Wie wäre es, wenn wir ein Endlager für Kunst und Atommüll zusammendenken würden und damit den bisherigen rein wissenschaftlich-technischen um einen kulturellen Prozess erweitern?

Durch die Kombination von radioaktiven Abfällen und Kunst ändert sich die Bedeutung und Ausstrahlung eines Endlagers. Das künstlerische und technische Erbe gilt es zu bewahren und nicht in Vergessenheit zu kippen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn die Kommune oder Stadt, welche ein Endlager für Deutschland errichtet, einen Großteil der Kunstwerke, die schon jetzt nur in Depots liegen, von den anderen Bundesländern geschenkt bekommen würde – als kulturellen Ausgleich?

Das könnte einen Anreiz bieten, sich für ein Endlager zu entscheiden und würde zwei Endlagerprobleme lösen. Als Künstler und Ökonom befasse ich mich schon mehrere Jahre mit dieser Frage. Im Folgenden möchte ich die Region Stuttgart als erstes Endlager für Kunst und Atommüll vorschlagen und ihnen einen möglichen Standort anempfehlen.

Endlager Stuttgart

Am 28. September 2020 wurde der Zwischenbericht Teilgebiete von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) veröffentlicht (https://www.bge.de/de/endlagersuche/zwischenbericht-teilgebiete/).

Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle in Deutschland und auch die Region Stuttgart – genauer der Stadtbezirk Bad Cannstatt ist mit dem sogenannten kristallinen Wirtsgestein (Granit und Gneis) noch im Rennen.

Abb. 4: Zwischenbericht Teilgebiete 2020 – Endlagerstandort in der Neckarvorstadt – Stadtbezirk Bad Cannstatt – Kristallinen Wirtsgestein (Orange). Abbildungsnachweis: Garmin, https://www.bge.de/de/endlagersuche/zwischenbericht-teilgebiete/ Interaktive Karte – Ausschnitt Baden-Württemberg, Stuttgart und Bad Cannstatt.

Zwar bemühte sich das Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart zugleich um eine Untauglichkeitserklärung, es handle sich um ein Heilquellenschutzgebiet, aber fast jede Kommune, die in Deutschland betroffen ist, hat scheinbare Gründe gefunden, warum sie eben nicht geeignet ist. Das zeigt hervorragend die gesellschaftliche Haltung zu diesem Thema. Dabei hat Stuttgart neben den geeigneten geologischen Formationen auch die Human Resources zu bieten. Die Tunnelarbeiten von Stuttgart S21 sind fast fertig und es könnte somit zeitnah mit den ersten Bohrungen für ein Endlager begonnen werden. Die Karte vom Zwischenbericht Teilgebiete zeigt, wo der passende Untergrund ist. Stuttgart-Mitte, Zuffenhausen und Untertürkheim sind nicht geeignet. Ein perfekter Standort für das Endlager wäre der Stadtbezirk Bad Cannstatt, genauer das Gebiet des Kraftwerk Stuttgart-Münster in der Neckarvorstadt.

Schon jetzt ist das Kraftwerk ästhetisch ein Ort, wo Energie auf Gestaltung trifft. Die Architektur spricht eine brutale Sprache der Zeitlosigkeit. Die Travertinsäulen, die bestellt und nie abgeholt wurden, können in diesem Sinne auch als Symbol eines Gegen-Orts der Gesellschaft gesehen werden. Hier, zwischen Kraftwerk, Recycling-Hof und Travertinpark schlummert eine Heterotopie, die es aufzugreifen gilt und die durch das Ansiedeln des Endlagers ins Unermessliche vergrößert werden würde. Die Infrastruktur mit Straße, Fluss und Schiene (Eisenbahnviadukt) ist für ein Depot und Endlager perfekt. Hier könnten die Bergbauarbeiten zeitnah beginnen und der Schlund in das unterirdische Endlager würde sich öffnen. Später könnte die bestehende Kraftwerks-Architektur umgenutzt und umgebaut werden, sodass hier ein überirdisches Kunstdepot geschaffen werden würde.

Abb. 5: ENBW Heizkraftwerk Stuttgart-Münster. Abbildungsnachweis: URL : https://www.enbw.com/unternehmen/konzern/energieerzeugung/fossile-energie/standorte.html (30.07.2021).

Wichtig wäre dabei, dass der Ort an sich den Charakter von heute behält und nicht kulturell aufgewertet werden würde. Direkt hier könnte ein Endlager entstehen, welches eine wirkliche Heterotopie darstellt – kein totes urbanes Quartier wie überall sonst. Die Neckarvorstadt würde zum Endlager von Kunst und Energieerzeugung – genau dieser kreativen Gesellschaft.

Das Endlager in der Neckarvorstadt könnte aus drei Teilen bestehen. Der oberirdische Teil könnte als Kunstdepot genutzt werden. Von hier würden große Stollen in die Tiefe gehen zum zweiten Komplex, wo mittel und leicht radioaktive Abfälle gemeinsam mit Kunstwerken gelagert würden. Der dritte Teil des Endlagers wäre noch tiefer gelegen und würde Platz bieten für die 5000 Castoren mit dem hoch radioaktiven Abfall.

Abb. 6: Endlager Neckarvorstadt – Bad Cannstatt.

Dass dies gar nicht so abwegig ist, konnte ich 2019 auf einer künstlerischen Forschungsreise in das Zwischenlager Covra NV im niederländischen Vlissingen erfahren. Hier werden schon längst Kulturgüter und radioaktiver Abfall gemeinsam gelagert. Museen aus der Region können dies kostenlos beantragen und nehmen das Angebot gerne an. Denn sowohl der „Edelmüll“ als auch der radioaktive Abfall brauchen das Gleiche. Ein konstantes Klima, wenig Umwelteinflüsse und maximale Sicherheit. Während der radioaktive Abfall in Betonfässer gelagert wird, können die Kunstwerke dank des perfekten Klimas offen gezeigt werden. Was lässt sich daraus für Stuttgart lernen?

Es ist nicht nur möglich, Kunst und radioaktiven Abfall gemeinsam zu lagern, sondern wirtschaftlich sinnvoll. Dabei reicht es nicht das Museen kostenlos lagern können. Nein, das Stuttgarter-Endlager-Modell würde voraussetzen, dass sich die Eigentumsverhältnisse der Kunst ändern würden. Mindestens 50 % der Kunstwerke aus allen Depots in Deutschland, welche in öffentlicher Hand sind, sollten in das Eigentum der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) überführt werde. Das würde die Museen entlasten, die BGE zu einem der wertvollsten Unternehmen machen und das Endlager in der Neckarvorstadt zum größten Lager für Kunst in Deutschland. Natürlich müssten die anderen Bundesländer hierfür zusätzlich einen finanziellen Ausgleich schaffen, der die Erweiterung des Endlagers für Kunst ermöglicht und die dauerhafte und wiederkehrende Restauration der Kunstobjekte erlaubt. Wie genau das funktionieren könnte, ist noch offen. Klar ist, dass sich der Endlagersuchprozess durch die Erweiterung mit Kunst vereinfachen würde und eine Umsetzung wahrscheinlicher erscheint. Für den Atommüll sollten wir Verantwortung übernehmen – für die Kunst müssen wir das. Eine Gesellschaft, die das nicht einsieht – ist nicht zukunftsfähig. Stuttgart könnte als gutes Beispiel vorangehen und sich für ein Endlager bewerben. Worauf warten wir noch?


Biografie

Herr Clair Bötschi

Herr Clair Bötschi ist Künstler und Ökonom. Er arbeitet und forscht an der Schnittstelle von Kunst und Wirtschaft. Dabei liegt sein Schwerpunkt auf einer künstlerischen Praxis, die ökonomische Strukturen nutzt, entwickelt oder verfremdet, um damit selbst Kunst zu produzieren. Daneben arbeitet er als Produktionsleiter für das Kunstfestival CURRENT– Kunst und urbaner Raum und hat sein Studio im Kunstverein Wagenhalle in Stuttgart.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert