„Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen.“ – Psychoanalytische und feministische Perspektiven auf den Bund zwischen Frau und Schlange, 2024 – Ines Gerber

Mit Schlangen assoziierte Frauen wie Eva, Lilith, Medusa und Kleopatra werden in der Kunst meist als unheilbringende Verführerinnen dargestellt. Während Sigmund Freud in der Schlange ein Phallussymbol und in der Enthauptung der Medusa die Kastrationsangst erkennt, verstehen feministische Psychoanalytikerinnen den vermeintlichen weiblichen Penisneid als reale Unterdrückungserfahrung, die durch den Bund zwischen der biblischen Urmutter und der Paradiesschlange legitimiert wird.

Der Sündenfall als erster menschlicher Moment des Ungehorsams markiert mit dem Aufkommen des Schamgefühls zugleich den Beginn der sexuellen Lust. Die Schlange als Symbol der Verführung wurde dabei eng mit dem Bild der unheilbringenden Frau verbunden, deren Bann sich der Mann nicht zu entziehen vermag. Obwohl die Schlange, so Natalie Lettner, in vielen animistischen und totemistischen Religionen Weisheit, Macht und Ausdauer verkörpere, ihre Häutung mit Unsterblichkeit und ihre phallische Gestalt mit sexueller Kraft in Verbindung gebracht werde,1 dient sie nach Aby Warburg zugleich als allgemeines erlösendes Erklärungssymbol für Zerstörung, Tod und Leid in der Welt.2 Dieses symbolische Motiv ist, so Lettner, durch ein Geflecht aus Mythen, christlichen Deutungen und Misogynie untrennbar mit dem Weiblichen und dem Bösen verknüpft.3

Die Vertreibung Evas und Adams aus dem Garten Eden stellt als Anfangspunkt dieser Verknüpfung eins der ikonischsten Motive der (westlichen) Kunstgeschichte dar, an dem auch zentrale Fragen nach der Beschaffenheit des Menschseins verhandelt werden. In der biblischen Erzählung kommen mit dem Verlassen des Paradiesgartens verschiedene Phänomene wie die Arbeit, das Schamgefühl, der Schmerz der Geburt und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern auf, welche danach allgemein als Teil der menschlichen Natur wahrgenommen und durch die Geschichte gleichsam legitimiert werden. Während die Vertreibung in der christlichen Theologie das Dogma vom Sündenfall und der Erbsünde repräsentiert und, so Shulamit Laderman, bereits im dritten Jahrhundert künstlerisch dargestellt wurde, lassen sich derlei visuelle Abbildungen in der jüdischen Kunst erst ab Ende des 13. Jahrhunderts belegen, wobei in schriftlicher Form umfassende Auseinandersetzungen mit Evas Erschaffung und ihrer Beziehung zur Schlange stattgefunden hatten.4 Im Buch Genesis wird beschrieben, wie Adam und Eva eine Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen essen und infolge dessen aus dem irdischen Paradies vertrieben werden. Adam weist als vermeintlich passives Opfer jegliche Schuld von sich: „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben und so habe ich gegessen.“ Eva entgegnet: „Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen.“5 Diese Abstufung an Verantwortlichkeit, die Eva näher an die Schlange rückt, findet sich in der jeweiligen Bestrafung wieder, wonach die Schlange fortan auf dem Bauch kriechen und Staub fressen muss, Eva dazu verdammt ist, unter Schmerzen Kinder zu gebären und ein Verlangen nach dem über sie herrschenden Mann zu spüren. Adam bekommt zwar die mühevolle Bearbeitung des Bodens übertragen, genießt allerdings gleichzeitig das Privileg, der Frau gar erst einen Namen zu geben: „Adam nannte seine Frau Eva (Leben), denn sie wurde die Mutter aller Lebendigen.“6 Sie wird also zum einen zur Urmutter erklärt, zum anderen wird ihre Verführung Adams mit der Täuschung durch die Schlange gleichgesetzt, was ihr eine ambivalente Rolle verleiht. Gerade im christlichen Glauben an die Ursünde ist es notwendig, Eva mit der Schuld zu beladen, wie Andrea Imig verdeutlicht, denn sonst „wäre die Ursünde per definitionem keine Sünde und die Darstellung des Sündenfalls könnte somit als Allegorie des Sündigen an sich nicht bestehen.“7

Abb. 1: Franz von Stuck, Adam und Eva, um 1920, Tempera auf Holz, 98 x 93,7 cm, Frankfurt am Main, Städel Museum.

Franz von Stucks Gemälde Adam und Eva (um 1920) präsentiert die biblischen Stammeltern vor einem schwarzen Hintergrund. Eva posiert selbstbewusst, den nackten Körper den Betrachtenden zugewandt, den Arm in die Hüfte gestemmt, und lächelt Adam herausfordernd an (Abb. 1). Sie streckt ihm den Apfel entgegen, den sie von unten mit der Hand umfasst, so dass ihre Finger mit den Zähnen der von oben in die Frucht beißenden Schlange ein Gebiss bilden. Das bläulich schimmernde Reptil windet sich um ihren Oberschenkel, schlängelt an ihrem Schritt entlang. Mit dem das Rot des Apfels aufgreifenden Haar erinnert Eva Darstellung an Hexenbilder. Während sie amüsiert scheint, schaut Adam betroffen nach unten. Seine zögerlich ausgestreckte Hand verfehlt den Apfel und bewegt sich bezeichnenderweise auf Evas nackten Oberkörper zu.

Von Stuck gehörte zu den Symbolisten, die um die Jahrhundertwende die erotische Anziehungskraft der vermeintlich unheilbringenden Frau verarbeiteten und dafür wiederholt auf das Schlangenmotiv zurückgriffen. Neben den zahlreichen Versionen seines Gemäldes Die Sünde schuf der Künstler 1889 auch eine Radierung mit dem Titel Die Sinnlichkeit, die in einigen Quellen den Untertitel Lilith trägt (Abb. 2). Zu sehen ist eine nackte weibliche Figur, die sich in sinnlicher Umarmung mit einer Schlange verbindet. Ihre entblößte porzellanweiße Brust hebt sich stark vom Hintergrund der oberen, dunkel schattierten Bildhälfte ab. Ihr Blick, der die Betrachtenden sehnsüchtig zu fixieren scheint, wird von dem an ihren Hals geschmiegten Schlangenkopf gedoppelt. Der Anblick der bedrohlichen Zähne und der am Busen hinabrankenden Schlangenzunge weist auf eine Ambivalenz der erotischen Ästhetik als gefährlichem Genuss hin. Während die dargestellte Frau sich keiner Bedrohung bewusst zu sein scheint, umschlingt das monströs wirkende Reptil ihren gesamten Körper, wobei auch hier die Berührung mit dem weiblichen Schoß betont wird. Frau und Schlange befruchten sich gegenseitig in Schönheit und Dämonie. Die weibliche Allegorie der Sinnlichkeit verkörpert gleichsam die, in der Endzeitstimmung des Fin de Siècle äußerst populäre Figur der Femme Fatale. Die Faszination für das Schaurigschöne hatte sich mit der sogenannten Schwarzen Romantik bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ausgebreitet, wobei die misogynen, gleichermaßen sexualisierenden, dämonisierenden und pathologisierenden, Frauenbilder der Belle Époque auch als Reaktion auf die als bedrohlich empfundene erste Welle der modernen Frauenbewegung und auf die zunehmend emanzipierte weibliche Sexualität verstanden werden können. Durch die Abgrenzung vom Gegengeschlecht würden, so Astrid Lange-Kirchheim, die Angstgestalten gleichzeitig zu Sehnsuchtsgestalten. Der Betrachter der Darstellungen sei dabei als Mann präfiguriert: „Nach der patriarchalischen Logik von weiblichem Blickobjekt und männlichem Blicksubjekt ist dieser weibliche Blick [der Dargestellten] im Vorhinein entmächtigt, eben ins Bild gesetzt und damit gebannt.“8

Abb. 2: Franz von Stuck, Die Sinnlichkeit, um 1889, Radierung, 56 x 38 cm, Stuttgart, Staatsgalerie Stuttgart.

Während Eva im allgemeinen Verständnis die Urmutter darstellt, handelt es sich bei der in Stucks Radierung von 1889 dargestellten Figur um eine andere Frau. Nach rabbinischer Auslegung existierten zwei unterschiedliche Partnerinnen Adams, wobei Lilith, so Dagmar Börner-Klein, erst mit dem Alphabet des Ben Sira ab dem 9. Jahrhundert zu Adams erster Frau erklärt wurde. Diese sei nach dieser Version der Schöpfungsgeschichte gleichzeitig mit Adam und somit ihm grundsätzlich gleichwertig geschaffen worden, während Eva aus seiner Rippe geformt wurde. In dieser Interpretation sei Liliths Anspruch auf Gleichberechtigung und ihre Weigerung, sich im Sex zu unterwerfen, mit ihrer Vertreibung und der Ersetzung durch Eva gestraft worden.9 Das weibliche Aufbegehren habe dann, so Dorothee Pielow, auch eine Diffamierung des Weiblichen nach sich gezogen:

„Dieses (unerlaubte und scheinbar unverzeihliche) Verlangen nach eigener, nicht dem Mann untergeordneter Aktivität beim Liebesspiel, ja mehr noch, der Wunsch ‚oben zu sitzen‘, trugen zur Entstehung vom Urbild der Lilith als wollüstigem Weib, ‚Dämonin der Onanie‘, als personifiziertem Succubus und Incubus bei.“10

Ab der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde die vormals in Sündenfalldarstellungen verbreitete zoologische Schlange, so Andrea Imig, vermehrt durch ein Mischwesen aus Frau und Schlange ersetzt.11 Während die frauenköpfige Schlange in diesem Zusammenhang als Symbol des Teufels zu verstehen sei,12 identifizierte der Kunsthistoriker Josef Kirchner sie in seiner 1903 erschienene Publikation Die Darstellung des ersten Menschenpaares in der bildenden Kunst als eifersüchtige Lilith:

„Lilith aber gönnte den vorerst ihr eigen gewesenen Gatten der Nachfolgerin nicht, und da ihr die psychische Gewalt über ihn genommen war, so nahm sie zur List ihre Zuflucht, um die Nebenbuhlerin zu verderben und jenen vielleicht wieder zu sich herüberzuziehen.“13

Kirchners Neuerfindung des Lilith-Mythos, mit der die Schlange eine aus Rache rückkehrende Versucherin wurde, wurde breit und weitgehend unkritisch rezipiert. So schreibt Jeffrey Hoffeld in seinem Aufsatz Adam’s Two Wives (1968):

„She consorted with the devil and took on the form of a serpent, with the features and long hair of a female (fulfilling her earlier reputation as a seducer). It was in this form that she became the serpent in the Garden of Eden, associated with the fall of man in Genesis.“14

Dabei werde Lilith, so Andrea Imig, weder im Alphabet des Ben Sira noch im kabbalistischen Sohar mit der Paradiesschlange in Verbindung gebracht. Vielmehr stützte sich Kirchner auf ein 1868 verfasstes Gedicht des Künstlers Dante Gabriel Rossetti,15 der Lilith beschrieb als

„[…] The witch he loved before the gift of Eve,
that, ere the snake’s, her sweet tongue could deceive.
And her enchanted hair was the first gold.
And still she sits, young while the earth is old,
And, subtly of herself contemplative,
Draws men to watch the bright web she can weave,
Till heart and body and life are in its hold. […]“16

Vor ihrem langen Haar wird in Rosettis Gedicht somit explizit gewarnt. Auch andere vermeintlich sündhafte Frauenfiguren wie Maria Magdalena wurden meist mit langem, offenem Haar dargestellt und im Zuge der Hexenverfolgung wurde Frauen der Kopf geschoren, um ihren Zauber unschädlich zu machen. Dass Lilith und Eva durchaus mit Hexen in Zusammenhang gebracht wurden, lässt sich unter anderem durch Martin Luthers Hexenpredigt (1526) belegen, in der er auf die Frage, warum das Gesetz gegen Zauberinnen vor allem von Frauen spricht, entgegnete: „Weil Frauen mehr als jene [Männer] durch Verführungen (superstitionibus) dem Satan unterworfen sind. Wie Eva. Der Volksmund nennt sie die Weisen Frauen. Sie sollen getötet werden.“17 Lilith wurde, so Dorothee Pielow als „verführerische Hexe und Hure, […] als langhaarige Dämonin, die Frauen und Kinder würgt und mit Männern Unzucht treibt“18 beschrieben und mit ihr auch das Bild der Schlange zum Feindbild erklärt.19

Dabei war die Schlange nicht immer weiblich konnotiert. Nach Natalie Lettner betont die rabbinische Tradition mitunter „den männlichen, phallischen Charakter der Paradies-Schlange“20 und der Psychoanalytiker Bruno Bettelheim vertrat die Ansicht, Eva sei gerade durch die Männlichkeit der Schlange verführt worden.21 Die Vorstellung von der Schlange als weiblich habe sich, so Lettner, ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Kontext eines neuen christlich-theologischen Frauenbildes entwickelt. Mit einem anwachsenden Marienkult sei Eva nun der Gottesmutter im Sinne einer Heilige-Hure-Dichotomie gegenübergestellt worden.22 In einem Holzschnitt von Lukas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1523 wird eine zudem homoerotische Aufladung der Beziehung zwischen Eva und der Schlange deutlich (Abb.3).23 Eva drückt die ihr zum Verwechseln ähnliche Schlange mit dem Rücken gegen den Paradiesbaum, hinter dem Adam voyeuristisch hervorblickt. Während dessen Intimbereich durch ein Blatt bedeckt ist, wird die Nacktheit Evas durch den herbeieilenden, in voller Montur bekleideten Engel noch hervorgehoben. Im Zeitalter der Reformation stellte der Sündenfall ein beliebtes Motiv in der Kunst dar, verdeutlichte die Geschichte doch bildhaft die protestantische Sündenlehre und bot gleichzeitig die Möglichkeit einer unverfänglichen Aktdarstellung.

Abb. 3: Lucas Cranach d. Ä., Sündenfall, 1523, Holzschnitt, 27,6 × 22,1 cm, Wien, Grafische Sammlung Albertina.

Als weiteres Sujet hierfür bot sich die ebenfalls mit moralischen Vorstellungen aufgeladene Leidensgeschichte der schlangenhaarigen Medusa an. Nach griechischer Mythologie ist sie die einzige sterbliche unter den drei Gorgonentöchtern der Meeresgötter Phorkys und Keto und wird als unwiderstehliche Schönheit beschrieben. In Folge ihrer Vergewaltigung durch den Meeresgott Poseidon verwandelte Athene Medusa in ein schreckliches Monster, dessen Anblick jeden, der sie ansah, zu Stein erstarren ließ. Perseus enthauptete die Gorgone später durch den Schutz eines Spiegels. Das abgetrennte Medusenhaupt nutzte der nun als Heros Verehrte als Waffe und übergab es anschließend an Athene, die es auf ihrem Schild befestigte. Benvenuto Cellinis berühmte Bronzeplastik in der Loggia dei Lanzi in Florenz zeigt Perseus, wie er das Medusenhaupt in seiner linken Hand als Trophäe in die Luft streckt (Abb. 4). Unter seinen Füßen liegt der zusammengefallene, nackte Körper der Medusa, welcher, jeglicher Menschlichkeit beraubt, sogar im Tod sexualisiert ist. Die Skulptur des Perseus, die 1545 von Cosimo I. de’ Medici in Auftrag gegeben wurde, entstand im Kontext einer neuen Machtkonsolidierung, im Laufe derer sich der Fürst als heldenhaften Perseus inszenierte.24 Das Thema der Enthauptung hatte in der florentinischen Kunst, wie Allie Terry erläutert, eine rhetorische Funktion, um den wechselnden politischen Status der Medici zu beschreiben.25 Die Enthauptung der Medusa diente demnach als politisches Symbol, um die eigene Macht und Herrschaft zu legitimieren.

Abb. 4: Benvenuto Cellini, Perseus, um 1550, Bronze, Florenz, Loggia dei Lanzi.

Bereits in Homers Epos der Odyssee repräsentiert Medusa nach Achim Geisenhanslüke „eine weibliche Urmacht, von der eine Bedrohung ausgeht, der keine Form des männlichen Ruhms standhalten kann.“26 Sie stelle eine ambivalente Figur dar, in der sich Angst und Faszination dadurch überlagern, dass sie die männliche Geschlechterpolitik außerkraftsetze. Als böse Schwester von Frauengestalten wie Pallas Athene repräsentiere sie eine „Weiblichkeit, die für die männliche Ordnung eine kaum zu bewältigende Form der Bedrohung darstellt.“27 Sigmund Freud beschrieb den Schrecken der Medusa in seinem posthum erschienenen Aufsatz Das Medusenhaupt (1922) als Spiegelbild des Kastrationskomplexes, welcher im kleinen Jungen beim Anblick der weiblichen Genitalien geweckt würde. Bei Medusas Schlangenhaaren handele es sich nach Freuds Ansicht um Phallussymbole, die Versteinerung durch den Anblick Medusas parallelisiert er mit der Erektion, die dem Jungen oder Mann beruhigend vor Augen führt, dass er im Besitz eines Penis ist. Geisenhanslüke erklärt, für Freuds These sei der Akt des Sehens zentral, der „ihn mit der Angst konfrontiere, sein eigenes Genital zu verlieren.“28 Freud verstehe Medusa somit nicht als (drohende) Kastratorin, sondern, so Klaus Heinrich, als Kastrierte: „Selbst diese Drohung nimmt ja Freud den Frauen weg und fügt sie in effigie den Männern zu als ein Privileg, nämlich das höchst zweideutige: zu kastrieren.“29 Bei Hesiod sei, so Geisenhanslüke, allein Perseus handlungsmächtig und stünde gar im Mittelpunkt der Geburtsszene, in der Pegasus und sein Bruder Chrysaor aus dem abgeschlagenen Kopf entspringen. Von Medusa hingegen sei „nur noch als von einem passiven Material die Rede.“30

Abb. 5: Jean-André Rixens, La Mort de Cléopâtre, 1874, Öl auf Leinwand, 198 x 289 cm, Toulouse, Musée des Augustins.

Um jener weiblichen Passivität zu entkommen und zu vermeiden, als Trophäe vorgeführt zu werden, wählte die ebenfalls als Gefahr für die Männerwelt dargestellte Kleopatra VII. Philopator bezeichnenderweise den Schlangenbiss als Ausweg und setzte ihrem Leben angesichts der anrückenden römischen Armee unter Kaiser Augustus ein Ende. Manfred Clauss betont, wie schwierig die wenigen antiken Quellen gerade unter Berücksichtigung der männlichen Sprecherposition einzuordnen sind.31 Jean-André Rixens Gemälde La Mort de Cléopâtre aus dem Jahr 1874 zeigt Kleopatras leblosen, nackten Körper auf einem mit Geieremblemen verzierten Bett (Abb. 5). Mit von sich gestreckten, erschlafften Armen liegt sie, dem Blick des Betrachtenden ausgeliefert, auf dem Rücken. Lediglich ein Teil ihres Beines wird von einem weißen Tuch bedeckt. Eine ihrer zwei Dienerinnen berührt liebevoll die Schläfe der Königin und thront an ihrer Seite, als bewache sie die Tote, während die römischen Soldaten, die der ägyptischen Herrscherin einen selbstbestimmten Abgang nicht zugestehen wollen, bereits herbeieilen. Der Raum ist mit einer Statue der Isis, als deren Inkarnation sich die Königin stets inszeniert hatte, ausgestattet. Kleopatras Diadem mit vergoldeter Uräusschlange verweist auf das heilige Tier des Sonnengottes Amon Ra, das im alten Ägypten als Herrschersymbol genutzt wurde.32

Im Vordergrund ist ein Beistelltischchen mit Löwenbeinen und der Feigenkorb, in dem die todbringende Schlange zu ihr gebracht wurde, platziert, der gleichzeitig Assoziationen zum Paradiesgarten hervorruft. Jene Sündigkeit wird durch das Tierfell in Kombination mit Kleopatras entblößter Brust und ihrem goldenen Schmuck unterstrichen. Während Kleopatra als Männer verführende und verderbende Femme fatale, als Opfer einer tragischen Liebe und als Symbolfigur von verschwenderischem Luxus und moralischer Schwäche dargestellt wurde, sei „ihre historische Leistung als Königin, die rund 20 Jahre über Ägypten herrschte“33 in der Kunst hingegen unporträtiert geblieben. Wie Patrick Farsen betont, ist die in der Malerei dargestellte Nacktheit Kleopatras „ein frappantes Detail, das sich keiner historischen Quelle entnehmen lässt […].“34 Der römische Sieg über Kleopatra wird anhand ihres wehrlosen und ausgelieferten Körpers inszeniert. Nach Anja Wieber und Filippo Carlà-Uhink enthält das Thema „the soothing message that the established order, i.e. male domination, would return […].“35 Die meist männlichen Autoren der Antike hätten Frauen in Machtpositionen grundsätzlich als Normbruch und Zeichen der Schwäche ihrer männlichen Angehörigen beschrieben.36 So lästerte Plutarch, Kleopatra hätte Antonius‘ voriger Ehefrau Fulvia „eigentlich das Dressurgeld für das Pantoffelregiment zahlen müssen, worunter Antonius stand, denn von Fulvia übernahm sie ihn schon ganz gezähmt und längst darauf abgerichtet, auf Weiberstimmen zu hören.“37 Mit Kleopatras Tod habe in diesem Verständnis, so Camille Paglia, die psychische Stabilität über die psychische Impulsivität triumphiert.38

Geschichten über Kleopatra und ihren ausschweifenden Lebensstil seien in Rom gerade vor der Kontrastfolie der sittsamen Octavia ausgeschmückt worden.39 Das Säen von Zwietracht unter Frauen ist auch den anderen diskutierten Erzählungen eigen, welche die Beziehungen zwischen Lilith und Eva, Medusa und Athene sowie zwischen Kleopatra, Fulvia und Octavia als Beziehungen weiblicher Eifersucht und Rache beschreiben. Nach Klaus Heinrich werde das Rachebedürfnis Frauen geradezu angehext und dadurch ihre reale Unterdrückung legitimiert.40 Dabei findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, indem Lilith von der Unterdrückten und Vertriebenen zur eifersüchtigen Rächerin und Schlange, Eva von der Verführten zur Verführerin, Medusa vom Vergewaltigungsopfer zur männervernichtenden Bestie und Kleopatras Schmerz zum dekadenten Bund mit einer Schlange umgedeutet werden. Gleichzeitig bedienen die Geschichten den von Sigmund Freud formulierten Madonna-Hure-Komplex. So, wie Schlangen neben der Gefahr auch die Fruchtbarkeit symbolisieren, so verkörpert die Frau eine Dichotomie der Mutter und der Verführerin. Eva, die sich im Kontrast zum passiven Adam aus ihrer Unmündigkeit befreit, wird von diesem zur Urmutter erklärt. Damit handelt es sich um eine ambivalente Erfahrung der Rebellion und Befreiung, die gleichermaßen neue Formen der Lust und der Unterdrückung hervorbringt. Obgleich der Selbstmord Kleopatras, durch den sie sich mithilfe des Schlangenbisses der männlichen Kontrolle entziehen kann, einen emanzipatorischen Moment aufweist, wird sie ähnlich wie Medusa leblos und unschädlich zur Schau gestellt. Ihre nackten Körper werden als wehrlos und verfügbar präsentiert und so die Geschlechterordnung wiederhergestellt.

Die Kunst des Symbolismus mit ihren Bildern gefährlicher Verführerinnen und die Psychoanalyse mit ihren Studien über Hysterie (1895) befassten sich beide mit unbewussten Ängsten und Träumen, entsprangen derselben Zeit und übernahmen so auch ähnliche misogyne Frauenbilder. Nach der Psychoanalytikerin Jessica Benjamin ist Freuds Beschreibung der Weiblichkeit „auch als ein wirklicher Teil der patriarchalischen Kultur lesbar, deren erkennbarer Inhalt sich auf eine bestimmte psychische Konstellation zurückführen läßt.“41 Benjamin betont, die Psychoanalyse sei trotz ihrer Unzulänglichkeiten dem aufklärerischen Projekt der Befreiung aus der Unmündigkeit verpflichtet. Obwohl sie die Gegensätzlichkeiten des aktiven Subjekts und des passiven Objekts, und damit die Geschlechterhierarchie, immer wieder neuinszeniert habe, stelle sie gleichzeitig die Instrumente zu deren Analyse bereit.42 Schließlich geht es, so Margarete Mitscherlich und Christa Rohde-Dachser, in der Psychoanalyse um die psychische Verarbeitung von Konflikten. Der Penis könne dann auch als symbolischer Wert, der über seine biologische Bedeutung als Sexualorgan hinausgeht, verstanden werden43 – als Symbol gesellschaftlicher Macht. Die Vorstellung von einem Penisneid der Frau und einer Kastrationsangst des Mannes steht so für eine reale weibliche Benachteiligungserfahrung auf der einen Seite und für eine männliche Angst vor dem Verlust der Vormachtstellung auf der anderen. Sowohl die von den Medici in Auftrag gegebene Skulptur der Medusa als auch die frauengestaltigen Schlangen der Renaissance und die symbolistischen Femme Fatale-Bilder des Fin de Siècle entstanden im Kontext sozialer oder politischer Umbrüche und reagierten auf drohende oder tatsächliche Machtverschiebungen.

Abb. 6: Chana Orloff, Ève et le serpent, 1966, Gips, Bronze, 55 x 29 x 1,23 cm, Privatsammlung.

Während die Angst vor der weiblichen Emanzipation und Rache von den Künstlern unter anderem auf ihre erotisch aufgeladenen Darstellungen von Lilith, Eva, Medusa und Kleopatra projiziert wurde, boten sich für Künstlerinnen andere Identifikationsmöglichkeiten. So verarbeitete die Bildhauerin Chana Orloff mit ihrem wiederkehrenden Sujet der vertriebenen Eva den Schmerz ihrer eigenen Erfahrung von Vertreibung und Verlust. Im Kontext ihres von antisemitischer Verfolgung geprägten Lebens nimmt sie die weibliche Perspektive der Geschichte ein und sieht in dieser keineswegs eine gefährliche Verführerin. Orloffs Eva-Figuren aus den Jahren 1916, 1928 und 1966 sind allesamt von Scham und Verzweiflung gezeichnet, bedecken mit ihren Händen Schritt und Gesicht. Insbesondere mit der spätesten Ausführung Ève et le serpent, die Orloffs Stilentwicklung unter den Eindrücken der Shoah und des Krieges widerspiegelt und zum ersten Mal auch eine Schlange beinhaltet, wird durch eine grobe und expressionistische Gestaltung die Drastik des Motivs verstärkt (Abb. 6). Ähnlich wie Chana Orloff sich mit Eva identifizieren konnte, erkannte sich die Bildhauerin Camille Claudel in der Leidensgeschichte Medusas wieder. 1901 schuf sie eine Skulptur der enthaupteten Gorgone mit ihren eigenen Gesichtszügen, um dem Schmerz des Verlassenwerdens durch Auguste Rodin Ausdruck zu verleihen (Abb. 7). Während Rodin, der neben seiner Ehe weiterhin Affären unterhielt, größeren Ruhm erreichte, verarmte Claudel zunehmend, erlitt einen vermeintlichen Nervenzusammenbruch und entwickelte eine ständige Furcht, Rodin stehle ihre Entwürfe. Im Jahr 1913 wurde sie gegen ihren Willen von ihrer Familie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, wo sie dreißig Jahre später verstarb und als Künstlerin in Vergessenheit geriet.44 Nach Anne Higonnet verkörpert Camille Claudel das schöpferische Potenzial von Frauen, wobei ihre Geschichte die gewaltigen inneren und äußeren Hindernisse verdeutlicht und vor Augen führt, welchen Preis die Gesellschaft Frauen für ihre Normabweichungen abverlangt.45 Claudel galt lange nur noch als Muse Rodins. Ihre Geschichte wurde somit wie Medusas aus der männlichen Perspektive umgeschrieben und sie ihrer aktiven Rolle der Kreation beraubt.

Abb. 7: Camille Claudel, Persée et la Gorgone, 1901, Marmor, 196 x 111 cm x 99 cm, Paris, Musée Rodin.

Achim Geisenhanslüke hatte Medusa eine Gebärfähigkeit im doppelten Sinne attestiert: „Aus ihrem Schoß, in diesem Fall der blutenden Wunde, die der abgeschlagen Kopf hinterlassen hat, entspringt ein kleines Pferdchen und mit diesem eine Form der Kunstmächtigkeit, für die der mythologische Name Pegasus einsteht.“46 Dass er Medusas unfreiwilliges Gebären der Nachkommen ihres Vergewaltigers aus ihrem abgeschlagenen Kopf als „Kreativität“ bezeichnet, steht in starkem Kontrast zu Simone de Beauvoirs Verständnis der Gebärfähigkeit als Ursprung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. So schreibt auch Camille Paglia: „Ob sie Mutter werden will oder nicht, die Natur zwingt sie unter das Joch des unerbittlichen, unwandelbaren Rhythmus der Fortpflanzung.“47 Selbst die Menstruation, die in Anspielung auf die Vertreibung aus dem Garten Eden passenderweise als „der Fluch“ bezeichnet wird, könne vom Mann noch als für ihn bedrohlich wahrgenommen werden: „Sie verwandelt einen Schleimauswurf in das sich ausbreitende Gespinst eines fühlenden Wesens, das an der schlangengleichen Nabelschnur hängt, mit der die Frau jeden Mann bindet.“48 Camille Claudels Schicksal hallt in zeitgenössischen Narrativen nach, in denen Frauen, verbunden durch das Schlangenmotiv, sexualisiert, dämonisiert und pathologisiert werden. Ein prominentes Beispiel ist Britney Spears, die 2001, sieben Jahre vor ihrer Entmündigung und dem Verlust ihrer Autonomie, für ihren VMA-Auftritt mit einer Schlange als Sinnbild der Verführung gefeiert wurde. Die Öffentlichkeit erklärte sie für verrückt, als sie sich symbolisch von der ihr aufgezwungenen Sexualisierung befreite, indem sie sich die Haare abrasierte. Ähnliche Mechanismen wirken auch heute in medial begleiteten Gerichtsprozessen, im Rahmen derer Frauen als hinterlistige Schlangen oder Wahnsinnige diffamiert werden. In Internetforen finden sich Gewaltfantasien gegen Amber Heard, die dort als „abusive mentally deranged snake“ oder „manipulative snake“49 be-zeichnet wird.

Die Psychoanalytikerin Hélène Cixous unterstrich bereits in ihrem 1975 erschienenen Essay Le Rire de la Méduse die Bedeutung von weiblichen Perspektiven, deren Vernachlässigung sie bei Freud kritisierte und deren Glaubwürdigkeit immer noch weit unter den Aussagen eines Mannes eingeordnet werden. Im Hinblick auf die von Frauen ausgehende Gefahr stellte Cixous klar: „You only have to look at the Medusa straight on to see her. And she’s not deadly. She’s beautiful and she’s laughing.“50 Doch angesichts ihrer Geschichten stellt sich die Frage: Müssen Frauen wie Medusa, Camille Claudel und Britney Spears schön sein und lachen, damit ihr Anblick erträglich ist?


Biografie

INES GERBER ist Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin. Sie studierte an der Universität Leipzig und der TU Berlin, mit Auslandssemestern in Paris und Haifa. Gerber beschäftigte sich bereits mit Kleopatra-Bildnissen des 19. Jahrhunderts, ihre Master-Arbeit trägt den Titel »Das Leben als Quelle der Kunst: Chana Orloffs Denkmäler in Israel zwischen persönlichem Zeugnis und nationalem Narrativ«. Sie ist auf der Open Source Plattform DepositOnce der TU-Berlin veröffentlicht. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die feministische und die antisemitismuskritische Kunstgeschichte.