Die schwedische Netzkünstlerin Arvida Byström polarisiert mit ihrer Kunst, die zwischen digitaler Kultur, girly aesthetic und Post-Softporno oszilliert. Als Digital Native navigiert sie sich selbstbewusst durch die Bilderlandschaft des Web 2.0 und benutzt wie selbstverständlich ebendiese Bilder, um immer wieder einen neuen Kontext bezüglich Sex und Fetisch, Körperbilder und Schönheitsideale des 21. Jahrhunderts herzustellen. Sowohl ihr Short-Form-Video Girl Dinner (2023), der die inhärent erotische Färbung des viralen Girl-Dinner-Trends transformiert und selbstbezüglich erotisiert, als auch die Nacktbilder in ihrem Buchprojekt In the Clouds (2024), die von einer, auf sie trainierten Undress-AI erstellt wurden, kritisieren und negieren den Male Gaze, insbesondere in einem pornografischen und exploitativen Kontext. Byström eröffnet einen Diskurs über repressive Schönheitsideale in der digitalen Welt.
Hauptsache Pastell! Hauptsache Pink! Hauptsache Aesthetic! – Das geht wahrscheinlich zuerst durch den Kopf, wenn man den Instagram-Feed der schwedischen (Netz-) Künstlerin Arvida Byström sieht. Ihr Contentist mannigfaltig. Ob leicht abzeichnende Bräunungstreifen in der Form eines Bikinis, oder sich kräuselnde Gentitalhaare unter einem Stringtanga oder Konversation mit dem abgetrennten, aber dennoch funktionstüchtigen Kopf einer Sexpuppe. Klar ist, Byström polarisiert bewusst, klar ist auch, Byström will polarisieren.
Ihr extensives und diverses Oeuvre nur auf Instagram-Content zu reduzieren, wird ihr aber nicht gerecht. Ihre Kunst oszilliert zwischen Digital (Visual) Culture, „girly aesthetic“ und Post-Softporno. Durch ihren einzigartigen Stil schafft es Byström etablierte Bilder und Konzepte von Sex, Geschlecht, Körper- und Schönheitsidealen kritisch und subtil zu hinterfragen und auf eine ganz neue Art zu interpretieren. Als Digital Native navigiert sie sich selbstbewusst durch die Bilderlandschaft des Web 2.0, benutzt wie selbstverständlich ebendiese Bilder, um immer wieder einen neuen Kontext bezüglich Sex und Fetisch im 21. Jahrhundert herzustellen.
Das Short-Form Video Girl Dinner aus dem Jahr 2023, welches auf Instagram veröffentlich wurde, sowie das Buch In the Clouds, welches in Kooperation mit NUDA PAPER entstanden und verlegt worden ist und 2024 veröffentlicht wurde, sollen beispielhaft zeigen, welcher Techniken und Strategien Byström sich bedient.
Girl Dinner
Im frühen Sommer des Jahres 2023 entwickelte sich auf TikTok der virale Trend, in dem vornehmlich junge Frauen ihr übliches Abendessen präsentieren. Meist bestehend aus kleinen Portionen ihres Wohlfühlessens. Unterlegt sind diese Videos, wie auf TikTok üblich, mit einem dedizierten Sound. Auch Byström postet ein Short-Form Video, sie veröffentlicht es aber auch Instagram, mit dem Titel Girl Dinner.
In diesem Video sieht man Byströms untere Gesichtshälfte vor einem pastellrosanen Hintergrund als Close-Up ihres Mundes, dessen Lippen glänzen. Eine durchsichtige Flüssigkeit, vermutlich ihr eigener Speichel, rinnt ihr Kinn herunter. In ihrem Mund hält sie eine Kirsche zwischen ihren Lippen. Diese Kirsche ist ausstaffiert mit einem weißen Spitzenhöschen. Byströms Lippen umspielen die Kirsche, bis sie endlich zubeißt und den Stiel, an dem sie die Kirsche festgehalten hat, herauszieht. Der rote Saft der Kirsche läuft über ihre Lippen. Dann ist das Video beendet. Unterlegt ist das Video mit dem Intro von Shygirls Song Heaven.
Byström eignet sich den Girl Dinner Trend an und transformiert diesen. Sie folgt nicht den üblichen Konventionen des Trends, sondern bedient sich ausschließlich seiner Ästhetik. Zum einen wählt sie einen Sound der nicht typischerweise mit dem Girl Dinner Trend assoziiert wird, zum anderen bedient sie sich am Mukbang. Ein Videophänomen, welches ursprünglich aus Korea stammt und mittlerweile weltweit praktiziert wird. Der zentrale Punkt für einen Mukbang ist das Essen vor der Kamera. Byström zeigt offensiv den sinnlichen Akt des Essens, den Biss in die Kirsche.
Hinzu kommt, dass auf einer subkutanen Ebene alle Mukbangs sexuell aufgeladen sind, nicht nur durch den sinnlichen Akt des Essens, sondern auch durch das Spiel mit Voyeurismus und Feeder-Gainer-Dynamiken. In Girl Dinner übernimmt Byström die Ästhetik des Mukbangs in der Wahl der Musik und des pastellfarbenen Hindergrundes., und erotisiert, durch den Speichel an ihrem Kinn und das Close-Up auf ihren Mund lädt sie die Inszenierung des Bisses in die Kirsche erotisch auf.

Es findet eine Subjekt-Objekt Umkehr1 statt. Die Künstlerin, das implizierte Subjekt, stellt sich in den Hintergrund, fragmentiert und anonymisiert sich und bewegt sich dadurch in die Rolle des Objekts. Die Kirsche hingegen, das implizierte Objekt, platziert im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wird zum Subjekt stilisiert. So, wie die Schuhe in Octave Mirabeaus Tagebuch einer Kammerzofe, so wird die Kirsche das Subjekt der Begierde und wird zum Fetisch. Die Ausstaffierung die Kirsche mit einem Spitzenhöschen unterstreicht die Rolle der Kirsche als Fetisch, da das Höschen eine erotisierte und sexualisierte Konnotation innehat. Es ist eine der unzähligen Referenzen Byströms. In diesem Fall referenziert sie ihr eigenes Oeuvre (Abb. 1). Oft sind es Pfirsiche, aber auch Kirschen, die in kleine Höschen gesteckt werden. Beides Obst hat gemeinsam, dass sie als Metaphern in sexualisierten Kontexten genutzt werden. Der Pfirsich steht für den Hintern. Kirschen stehen für die Brüste. Hinsichtlich der Konjunktion von Werktitel und Framing, verortet sie die Kirsche in die feminine Sphäre.
In the Clouds
Vom 13. Dezember 2023 bis zum 1. April 2024 hat Arvida Byström auf einer pornografischen Plattform, Nacktbilder von sich zum Verkauf angeboten und trat mittels Chats und Anrufen in Interaktion mit den Usern der Plattform. Byström hat allerdings keine echten Nacktbilder von sich verkauft, sondern hat diese vor Veröffentlichung von einer Undresss-AI erstellen lassen, auf Basis von bestehenden bekleideten Bildern. Aber ohne das Wissen ihrer Betrachter:innen ist sie nie selbst mit ihnen in Kontakt getreten, sondern es geschah mittels der speziell auf Arivda Byström programmierte Arvia-AI. Diese Bilder sind gesammelt in einem Buch veröffentlich worden, samt Kommentaren von Usern und die Antworten der Arvida-AI. Vorangestellt sind den Bildern noch Texte von Slavoj Žižek, dem schwedischen Kritiker Carl Michael Edenborg und der Fan-Fic Autorin Olivia Kan-Sperling. Anders als bei Girl Dinner handelt es sich bei den Arbeiten von In the Clouds um explizite Bilder. Byström geht es nicht um plumpe, pornografische Darstellungen, sondern um die Verortung von pornografischen Bilderwelten.


In the Clouds greift sie kritisch Körperbilder und Schönheitsideale auf. Die Undress-AI ist auf normschöne, dem Male Gaze unterworfene Körper trainiert. Diese werden von Byström reproduziert (Abb.2). Die Subversion findet statt wenn sie ihr Buch mit AI-Fragmenten abschließt. Bilder, auf denen ihre Kleidung mit dem Körper verschmilzt (Abb.3), sie mehr als nur zwei Brüste hat (Abb.4) oder ihr Körper in auf diverse Weise verdreht und verrenkt ist (Abb.5). Oder, um es mit den Worten von NUDA zu sagen: „[…]images that the AI has fucked up in different ways, challenging ideas of what’s hot and what’s not.“2


Daran lässt sich sehr gut festmachen, wie Byström Konzepte von Pornografie hinterfragt, kritisiert und transformiert. Sie stellt diesen künstlich verzehrten Körpern den normschönen, aber ebenfalls künstlichen Körpern gleich und eröffnet einen Diskurs über repressive Schönheitsideale einer Cis-Hetero Male Gaze Pornografie. Ein Diskurs der auch von den Denker:innen des Post Pornografie bearbeitet wird. So zum Bespiel Eric Pussyboy:
„To me, post-pornography means being able to engage in explicit representations of sex without the primary goal of being arousing. Post-pornography comes from a queer feminist positioning that is aware of the political dimensions of sex imagery and narratives […] or the exclusion from the realm of desirability and sexuality of people with disabilities.“3
Byström bedient sich mit In the Clouds dem Konzept von Eric Pussyboy, mit seiner Definition zu Post-Porno. Denn In the Clouds will die Künstlerin nicht sexuell erregen. Es muss als eine Subversion des Male Gaze und von männlicher Begierde verstanden werden. Wenn Georg Seeßlen schreibt, dass männliche Kontrollfantasien des Digital Age gegenüber Frauen im virtuellen Raum ausgeübt werden, dann ist In the Clouds die Rebellion dagegen.4 Es wird eine Unterwerfung unter männliche Kontrollfantasien vorgetäuscht, die aber durch die Offenbarung der Künstlichkeit der Bilder umgedreht, da der Mann in Wirklichkeit keine Kontrolle über die Frau, in diesem Fall die Künstlerin, ausüben konnte. Byström eignet sich die Technik der Kontrolle, das Deep-Fake5 an, benutzt sie an sich selbst und entzieht sich dadurch der männlichen Kontrolle. Durch die Befreiung vom Male Gaze und von dem Zweck sexuelle zu erregen, kann sich die Künstlerin mit komplexeren Fragen beschäftigen. Die Grenzen von künstlich und authentisch verschwimmen zunehmend. Ist die an Byström trainierte Arvida-AI nicht auf ihre eigene Art authentisch? Reicht es, wenn Nacktbilder für authentisch gehalten werden, auch wenn sie in Wirklichkeit künstlich sind? Es verschwimmen aber auch die Grenzen von Geschlecht. Ist auf den von der Undress-Ai generierten Bildern denn überhaupt noch eine Frau zu sehen?
Man muss auch die Medialität näher betrachten. Durch das Medium des Buches, wird das digitale Sujet in eine analoge Welt gesetzt. Das Buch verortet sich in einer intimen Umgebung, was auch dadurch betont wird, dass In the Clouds von einem Piercing verschlossen wird.
Rückbeziehend zur Post-Pornografie lässt sich sagen, dass Eric Pussyboy in seinen Ausführungen in expliziterer Pornografie verankert bleibt. Analog zu seinen Gedanken, und den Post-Porno-Grundsätzen, formuliert nach Tim Gregory, lässt sich das Konzept Post-Porno um die Soft-Porno-Komponente erweitern. Dadurch lässt sich es sich auch auf Girl Dinner anwenden. Denn so, wie die Post-Pornografie für Gregory nicht für „the pleasure of the spectator, but about the exploration of sex“6 steht, ebenso steht bei Girl Dinner das Ergründen und begreiflich machen von Fetisch an erster Stelle.
Sie nutzt zeitgenössische Techniken, wie künstliche Intelligenz, beispielsweise in In the Clouds, schafft dadurch neue Möglichkeiten Körper neu zu definieren. Durch zum Beispiel stark verdrehte Körper, die nicht als normschön wahrgenommen werden, um diese dann in einem Post-Porno Kontext zu verorten. Sie erweitert die Diskussion um Sex im 21. Jahrhundert, durch eine Auseinandersetzung mit Fetischen, wie sie in Girl Dinner zu sehen ist. Die relevante Rolle des Internets und seiner spezifischen Ästhetik in Byströms Verhandlung von Sex und Fetisch, Körperbilder und Schönheitsidealen läuft analog zu der Prominenz, die das Internet in der Verhandlung dieser Themen in der Gegenwart einnimmt.
Biografie
JOHANNES PORWOLL studiert im 2- Fach-Master Kunstwissenschaft und Transkulturalität und Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. In den gleichen Fachbereichen verfasste er bereits eine Arbeit zum Werk von Carrie Mae Weems mit dem Titel: „Snow white, you black bitch, and don’t you forget it!!!“ Black Hair und Intimität im Werk von Carrie Mae Weems. Seine Schwerpunkte liegen auf der Gegenwartskunst mit einem besonderen Augenmerk auf Medienkunst, digitale Kunstwissenschaft und Transkulturalität. Johannes Porwoll war zudem als freier Mitarbeiter am Josef Albers Museum Quadrat Bottrop tätig.