Pop-Up Umzugsbüro Dannenröder Forst – Lea Lenk und Vesna Hetzel

Die geplante Strecke der A49 führt mitten durch den Dannenröder-Forst. Umweltaktivist:innen protestierten für eine klimagerechte Verkehrspolitik und Rettung des 300 Jahre alten Mischwald aus Buchen und Eichen während die hessische Landesregierung auf den Bau der Autobahn und der damit verbundenen Teilrodung beharrt. Um den Raumkonflikt zu lösen entwickelt das Pop-Up Umzugsbüro Dannenröder Forst verschiedene hybride Szenarien zum Umzug des Waldes. Doch welcher Ort bietet dem Wald seine ungehindertere Entfaltung? Welche Strategien sollten eingeleitet werden um eine Kooperation von Mensch, Wald und anderen Akteur:innen zu ermöglichen? Einen Versuch, den das Umzugsbüro verfolgt: den Umzug in die Cloud.

Willkommen im Pop-Up-Umzugsbüro Dannenröder Forst. Hier werden Strategien und Prototypen zum Umzug eines Waldes erforscht. Gerade sind wohl alle unsere Mitarbeitenden in einen Video-Call verwickelt. Schauen Sie sich um, tragen Sie sich in die Umzugshelfer:innen-Liste ein.

Flipchart steht im Eck. Gemappte Schlagwörter, Notes, Karten und Schematas sind an die Wand geclustert. Charmant-konzentrierte Stimmung im Umzugsbüro. “Terrestrisches Verfahren wäre hier…” “möchte Ihnen noch das Airborn Laserscanning vorstellen…”. Es geht momentan um die Erfassung und Vermessung des Waldstückes, das an einen anderen Ort umgezogen werden soll. Gearbeitet wird an der Umsetzung von hybriden Konzepten: Physischer Umzug und Umzug in den virtuellen Raum.

“Wir möchten momentan in strategischen Schritten verschiedene Szenarien entwickeln, um einen Prototypen zu entwickeln, wie das Waldstück als Ökosystem im Kompletten an einen anderen Ort umgezogen werden kann. Dazu bringt uns der demokratisch beschlossene Bau der A49 und die Vision, einen neuen Raum zu finden, wo der Wal weiter für immer expandieren und florieren kann. Dazu muss er vor allen dingen auf ganz vielen verschiedenen Ebenen flexibilisiert werden.”

CEO, Pop Up Umzugsbüro

Dieses Gebiet löst sich wie eine Erdplattenverschiebung. Eine dicke Kruste bildet sich und führt oval unter die Erde. Dann löst sich der Wald langsam aus seinen Angeln und beginnt zu schweben. Die Autobahn bleibt zurück inmitten einer dunklen Kluft von Leere.

Unsere Strategie-Entwicklung wird zunehmend komplexer. Nicht nur aus dem offensichtlichen Grund, dass monetäre Mittel in unserem Projektbereich eher für die Rodung und den Bau der Autobahn zur Verfügung stehen. Oder den Problemen, auf welche man aus forstwissenschaftlicher Sicht stößt. Die Entwicklung unterschiedlicher Umzugsszenarien wird vor allem komplexer, da wir uns mit einem Territorium beschäftigen, welches mit verschiedenen Ebenen über-und durchzogen ist. Es reicht in verschiedene, wir nennen es in diesem Artikel ‘Plattformen’ hinein und findet auf diesen unterschiedlichen Plattformen einen Platz und Raum.

JURISTISCHE EBENE

Das betreffende Teritorium hat einen bestimmten Nomos. Ein Gitter an Gesetzen entsteht wie eine juristische Ebene über dem Wald. Lässt Linien, Zäune, Segmente, Markierungen entstehen, verwebt sich mit ihnen. Verschiedene Geometrien akkumulieren sich.

ÜBERLAGERUNG VON RAUMFIGURATIONEN

            Der Wald war nie frei

            Kommodifizierungphantasien in der Kolonialisierung

            Er entzieht sich, gibt den Platz wieder frei,

            Verortet sich neu, löst Raumkonflikte auf,

            Zugriff ist weiter möglich

            Ein Wald, der ewig expandieren wird

            Forever alive and has forever died

            Der Wald als Souverän

Die binäre Wahrnehmung von Territorien des Zusammenspiels aus Ortung und Ordnung kollabiert. Klare Unterscheidungen wie – dies ist der Raum der Erde, dies ist der Bereich des Wassers, dies ist die Zone der Luft – verflechten sich. Man kann das nun auch so sehen, wie Benjamin Bratton in The Strack einführt: Verschiedene Plattformen entstehen durch strategische Zusammenführung der Konturen von plastischen Territorien. Es fällt nun also schwer, in dieser Raumimagination von Territorien in einzelne Typen der Erde zu unterteilen. Wir überlegen ob das “fortfahrende Entstehen von planetary scale computation möglicherweise einen ähnlichen Bruch und Herausforderung an die politische Geographie repräsentiert.”

CHANGIEREN ZWISCHEN IMAGINÄREN UND REALEM RAUM

Wie verschiebt sich das Konzept Wald in der Umrechnung einer planetary scale computations? Oder ab welchem Punkt wird dieses Konzept sich materialisieren können, aber nicht im Sinne des Erschaffens einer neuen Repräsentation (physische Herstellung der Oberfläche eines Waldes), sondern in ihr eigenes Souverän. Auch hier ist ein großes Komplex zu finden. Das Materialisieren entzieht sich beim Umzug ins Virtuelle der Wahrnehmung der großen Öffentlichkeit. Ein Umzug in die Cloud.

WAS BEDEUTET EIN UMZUG IN DIE CLOUD?

Der Wald ist nach Umzug ins Virtuelle in der Cloud zu finden. Er ist nicht nur verschwunden oder in einen vierten Raum verpflanzt, der einfach zu Luft, Erde und Wasser – Raumdimensionen des Schmittschen Nomos – hinzugefügt wurde. Sondern ist auf verschiedene Ebenen verteilt. Die Trennung und Unterschiedungsprioritäten des Nomos, wie ihn Schmitt verstand, auf die Cloud bezogen bzw. auf das, was aus der planetary scale computation entstanden ist, also die trennung zwischen Cloud-Infrastruktur und Cloud-Interaktivität im Spektrum von greifbar bis virtuell, kann nicht lange überleben. (Vgl. Bratton 2015, S.28)

NEU-VERORTUNG, NEUE ORDNUNGEN

“Bei einem Umzug stellt sich immer die Frage des Wohin? Welcher neue Ort passt zur Neuansiedlung, welcher Raum kann den Bedürfnissen des umziehenden Territoriums Platz bieten, gerecht werden?“ Weiterführend stellt sich die Frage, welche Bedürfnisse beachtet werden müssen. In welcher Form soll der Wald in Erscheinung treten, wer darf Zugriff auf ihn haben? Wer ist Eigentümer:in, wer besitzt den Wald? Wie wird der Wald von wem wahrgenommen?

VERORTUNGEN UND TERRITORIALISIERUNG DES VIRTUELLEN RAUMS

Konkrete Utopien sind schwierig zu benennen. Eine Veränderung der Wahrnehmung der Zusammenhänge aus physischem und virtuellem Raum ist beobachtbar. Die Wechselwirkungen zwischen beiden vermeintlich getrennten Räumen wird aufgrund unseres expandierenden Umgangs und des erweiterten Bewegen sichtbarer. Beziehungsweise verlagern sich Bewegunsradien in den unterschiedlichen Räumen. Ein Bewusstwerdungsprozess des eigenen materiellen Ortes im Ökosystem.

Alles braucht einen vorhandenen Ort und nimmt Raum ein. Die Trennung dieser beiden Räume löst sich auf. Alles fließt ineinander über. Materiell und virtuell. In der Luft vereinen sich obere Waldschicht und untere Waldschicht zu einem Ganzen. Das Neue schwebt als Cloud, als ihr eigenes Souverän, als Mini-Staat.

GEDANKEN-SYNAPSEN IM GEHIRN … DATEIEN/PROTOKOLLE/…

EINEN PLATZ AUF EINEM SERVER. 27 Hektar auf zwei Zentimetern der Serverfarm im Pazifik. So klein wie möglich, aber trotzdem noch auffindbar.

Durch den Prozess des Umzugs wird es möglich, die verschiedenen Plattformen aufzudecken und dem nachzugehen.

Der Umzug in die Cloud fungiert wie ein Mikrokolonialisierung: DieCloud als eine Art Kontinent der neu besiedelt werden kann. Und gleichzeitig findet durch die planetary scale computation auf unterschiedlichen Plattformen schon eine Kolonialisierung statt, beziehungsweise hat dadurch an stattgefundene Kolonialisierungen angeknüpft. Das Feld sinnlichen Erlebens, eingebettet in die Materie, ist längst einem visuellen Feld gewichen, das uns auf den Wald als Bild schauen lässt und uns somit erlaubt, es zu Clustern zu kategorisieren, berechnen, vermessen und seinen Wert zu kalkulieren.

Der Wald ist durch eine neue Verortung im virtuellen Raum nun nicht verschwunden oder wurde in einen vierten Raum verpflanzt, sondern wird sich dann auf verschiedenen Ebenen verteilen. In unterschiedlichen Plattformen wird der Wald physisch sein. Visuell, taktil, auditorisch, vielleicht sogar bald olfaktorisch, in ferner Zukunft gustatorisch, kann der sich in der Cloud eingefundene Wald, durch technische Lösungen wahrgenommen werden. Der Wald als Kulturgut bleibt bestehen. Wird archiviert. Durch künstliche Intelligenz als Simulation erweiterbar. Durch auf der Erde verankerte Maschinen, die örtlich ungebundener und flexibler sind als ein Ökosystem, werden die Funktionen des Ökosystems, wie z.B. die CO2-Filterfunktionen im physischen Raum übernommen. Es existieren quasi die Informationen über das Ökosystem, allerdings aufgeteilt auf verschiedene Plattformen des Stacks. Der Wald aber ist tot. Umgezogen wird nicht ein Ökosystem, sondern das Ökosystem als Medium kultureller Prozesse, als Kulturgut. Wir wollen diesen Wald, weil wir ihn brauchen. Wir wollen diese Autobahn, weil unser System sie braucht. Der Körper des Waldes und unser Körper sind existenziell verwoben, aber nicht nur auf stoffliche, sondern auch auf ideelle, konzeptuelle, ethische und kulturelle Weise.

DAS PROBLEM MIT DEM KULTURGUT

Der Wald ist längst kein unbelasteter, ursprünglicher Raum mehr, sondern wird wie eine Ware, wie Geld ungeordnet strukturiert und verwertet. Dem entgegen steht eine Vorstellung vom Wert eines Ökosystems, das Grundlage jedes Lebens auf dem Planeten bildet und als solches unbedingt schützenswert ist.

Eine solche Vorstellung betrachtet den Wald innerhalb einer bestimmten Wertvorstellung als Kulturgut. Einem Wald aber überhaupt Wert im Sommer eines ‘Gutes’ zu zuschreiben, ist bereits ein kultureller und kulturalisierender Prozess und somit ein virtuelles Konzept, eine Aneignung. Wie kann in einer solchen Konzeptualisierung der Wald als Wert an sich außerhalb eines Wertesystems gedacht werden? Die Grenzen unserer eigenen Imagination konfrontieren unser Unvermögen, außerhalb dieser Prozesse eine Sprache zu finden, die diese kulturelle Aneignung des Ökosystems beschreibt, denkt, aufbricht. Vielleicht sollten wir den Wald einfach lassen, als was er ist – außerhalb unseres Systems und gleichzeitig zutiefst verwoben mit unserem System. Den Wald vielleicht sogar betrachten als existenzielle Grundlage des Fortbestehens menschlicher Kultur.

POINT: WIE TERRAFORMING UND TECHNISCHE MITTEL NUTZEN: Utopie:

Neue Möglichkeiten des Terraforming würden sich ergeben. Warum der Wald im Reellen erhalten werden sollte, hat mit subjektiven Empfindungen und auch mit seinen Funktionen innerhalb des Ökosystems der Erde zu tun. Sobald wir die technische Möglichkeiten haben, der Funktionen nachzubauen, besteht die Möglichkeit, darüber nachzudenken, die haptische Natur getrennt von ihrer Funktion zu digitalisieren und über ihre Funktionen in Form von Maschinen zu verfügen.

Stellt es eine Utopie dar, dass die Souveränität über den Wald als Menschen so aussieht, dass wir in der Lage sind, eventuell die für uns relevanten Funktionen von der realen Existenz des Dinges / Territoriums an sich zu trennen? Zu bestimmten, wo und wann etas entsteht und etwas sich formt? In dieser Heterotopie ist der Wald ein Territorium, ein System, das ewig expandieren wird, aber nicht sein eigenes Souverän besitzt.

Zwei schwarze, glänzende zylindrische Kästen ragen in die Höhe. Legt man den Kopf in den Nacken, kann man die Kante des Endes sehen. Auf der einen Seite spürt man den Luftzug und muss an der Absperrung anhalten, damit man nicht mit full of CO2 und Methan enthaltener Luft eingesaugt wird. Atmet man auf der anderen Seite ein, verspürt man die fresheste O2-Luft, die einem die Haare ins Gesicht wehen lässt.

Was im Physischen bleibt, ist Masse. Lebendige, moorige, wuchernde, gewaltige Erdmasse, Baummasse, Gehölz, Lebewesen, unvereinbar mit den Konstruktionen und Projektionen einer Gesellschaft, einer Autobahn, jeglicher Wertvorstellungen oder virtuellen Konstruktion. Alleine die Information und der Nutzen sind auf die Cloud übertragen. Der Boden wird zurück gefordert, der Wald war nie frei. Das Subaltern kann in der Konstruktion des Mächtigen nicht sprechen, sondern nur verwertet werden. Im schlimmsten Fall wird es abgelöst durch eine Verbildlichung, wird Oberfläche, degradiert zum Kulturgut und ins Archiv der Museen überführt.

In der Konfrontation mit der schieren Masse, dieser schieren Gewaltigkeit der Materie müssen all unsere gedanklichen, virtuellen Lösungen scheitern. Einen Wald umzuziehen ist lediglich ein Prozess imaginärer Umformung, in der der Wald wieder nur Objekt beziehungsweise Bild unserer Sehnsucht und Projektionen, ein Spiegel der Kultur und was sie mit der agency und Souveränität eines Ökosystems tut.

Diese Imaginationen öffnen aber auch Räume im Virtuellen, die selbst materialisierte Orte, Heterotopien werden können und ihrerseits die Formierung neuer Prozesse anstoßen, verhindern oder pervertieren können. Werden wir es schaffen?

Wir schlagen nicht nur eine neues Bild vor, das eine bereits existierende Repräsentation (Der Wald) mit einer anderen Repräsentation (der umgezogene Wald) ersetzen soll. Der naive, größenwahnsinnige, real-politische und existenziell verzweifelte Versuch ist es, Imaginationen eines von konzeptuellen und kulturellen Praktiken dekolonialisierten Waldes anzustoßen, eines Waldes ewigen Werdens und Expandierens, eines Souverän. Werden wir es schaffen?


Biografie

Pop-Up Umzugsbüro Dannenröder Forst

Das Pop-Up Umzugsbüro Dannenröder Forst wurde im Jahr 2021 von Lea Lenk und Vesna Hetzel gegründet und forscht interdisziplinär an Strategien zum Umzug eines Waldes. Sie entwickeln verschiedene analoge wie hybride Szenarien und Imaginationen zur Flexibilisierung bestimmter Ökosysteme, insbesondere des Terraforming. Fragen von Raumkonflikten und spekulativen Zukünften spielen dabei ebenso eine Rolle wie konkret-realpolitische Handlungsmöglichkeiten.