„The blackness of eternal night encompassed me“ – Dunkelheit und Licht im Werk Gregor Schneiders, 2024 – Malgorzata Galazka

Anhand der Rauminstallationen Total isolierter toter Raum und Sterberaum analysiert Malgorzata Galazka die Bedeutung von Licht und Dunkelheit in Gregor Schneiders Werk, die gleichermaßen als potentielle Gefahr, aber auch als kathartisches Element verstanden werden können. Zwischen 1989 und 1991 in Giesenkirchen installiert, versteckt sich Total isolierter toter Raum hinter einer unscheinbaren Tür in einem Einfamilienhaus. Auch wenn das Werk nicht als ein Raumerlebnis gedacht war, erzeugen schon Fotografien der Installation Gefühle der Beklemmung und Gefangenschaft. Gegensätzlich dazu verhandelt Malgorzata Galazka die Reflexion über den Tod anhand Schneiders Sterberaum (2007/2021). Die Arbeit selbst – ein Nachbau eines Mies van der Rohe Wohnraums – dient als Lichtquelle, während der Zuschauerraum im Dunkeln liegt. 

„My worst thoughts, then, were confirmed. The blackness of eternal night encompassed me. I struggled for breath. The intensity of the darkness seemed to oppress and stifle me. The atmosphere was intolerably close.“1

Auf diese Weise beschreibt der namenlose Ich-Erzähler2 in Edgar Allan Poes The Pit and the Pendulum (dt.: Die Grube und das Pendel) sein Erlebnis, als er sich nach einem Gerichtsurteil in einem komplett finsteren Raum wiederfindet. Die absolute Dunkelheit des Kerkers wird durch den Protagonisten als unermesslich weit und zugleich klaustrophobisch eng empfunden. Nicht in der Lage die eigene Hand vor Augen zu sehen, verliert er jegliches Gefühl für Zeit und Raum.3

Tote Räume

So oder so ähnlich könnte sich jemand beim Anblick von Gregor Schneiders u r 8, Total isolierter toter Raum (Abb. 1) fühlen.4 Der temporär zwischen 1989 und 1991 in Giesenkirchen befindliche Raum versteckt sich hinter einer unscheinbaren Holztür in einem Einfamilienhaus. Erst wenn die dicke, aus mehreren Schichten Material bestehende Tür geöffnet wird, gibt sie den Blick auf das im Dunkeln liegende Innere preis.

Abb. 1: Gregor Schneider: u r 8, Total isolierter toter Raum, 1989–1991, Boden, Blei, Glaswolle, schallschluckendes Material im Raum, Holzkonstruktionen, Tür, ohne Maße, Giesenkirchen.
Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Hannelore Reuen – Gregor Schneider, Hamburg (Kunsthalle) 2003, 37. © Gregor Schneider / VG Bild-Kunst Bonn (URL: https://www.gregor-schneider.de/places/1989gkirchen/pages/1989-91_total_isolierter_toter_raum_giesenkirchen_06.htm)

Auch wenn das Werk aufgrund seiner kurzen Installationszeit von nur zwei Jahren nicht mehr betretbar und somit auch körperlich nicht mehr erfahrbar ist, erzeugt es allein beim Anblick der Fotografien ein Gefühl der Beklemmung. Dies liegt unter anderem daran, dass die fotografischen Aufnahmen bei Schneider nicht nur einen dokumentarischen Zweck erfüllen. Durch ihre bewusste Inszenierung avancieren sie zu Produkten mit eigenständigem Werkcharakter. In seinen Fotografien schafft Schneider einen Kontrast zwischen dem gewöhnlichen Erscheinungsbild des Flurs und dem unvorstellbaren, durch seine spezielle Auskleidung nicht greifbaren Raum, der sich dahinter öffnet.5 Unweigerlich versetzt man sich in die potenzielle Situation, in diesem Raum gefangen zu sein – ein Gefühl das durch die in der Bilderfolge gezeigten, sich öffnende Tür evoziert wird. Gut versteckt innerhalb eines leerstehenden Hauses und zu einer Zeit, als Schneiders Tun vor den Augen der Öffentlichkeit noch halb verborgen war, bleibt es fraglich, ob sich jemand dort nichtsahnend wiedergefunden hat. Die fotografischen Aufnahmen bleiben die einzigen Hinweise auf dessen Existenz. Bild für Bild wird der Raum etwas weiter geöffnet, bis schließlich die schwarzen schallschluckenden Elemente zum Vorschein kommen und die Betrachtenden in das Innere des seltsamen Raumes blicken können.

Typisch für seine frühe Schaffensphase beschreibt Schneider in einem Interview fünf Jahre nach Abbau des Werkes die intendierte Wirkung des Total isolierten toten Raumes auf die Betrachtenden: 

„Die Arbeit war nicht als Raumerlebnis gedacht, obwohl man sich in die schwarze, nicht abschätzbare Tiefe beugte. Man hätte sich für die Arbeit entscheiden müssen. Hätte man den Raum betreten, wäre die Tür zugefallen. Der Raum war von innen und von aussen nicht mehr zu öffnen. […] In dem Raum wäre man nicht mehr sinnlich wahrnehmbar gewesen. Man wäre weg gewesen.“6

An der grausamen Realität solch einer Gegebenheit lediglich kratzend, wird von Schneider ein suggestives Narrativ gesponnen, das eng verknüpft ist mit der Inszenierung seiner frühen Arbeiten. Oftmals entfalten sich die den Arbeiten zugrundeliegenden Themen, wie es hier der Fall ist, erst durch die sprachlichen Hinweise des Künstlers selbst, die essentiell für den Nachvollzug der Arbeit zu sein scheinen. Immerhin wird auf diese Weise zum einen die Endgültigkeit der Situation vermittelt – die Tür sei nicht mehr zu öffnen, zum anderen kann die Arbeit nicht mehr mit allen Sinnen erfahren werden. Der sprachliche Akt erleichtert es jedoch, sich mittels der Bildfolge gedanklich in die Situation hineinzuversetzen und gibt zugleich einen möglichen Hinweis auf die Fiktionalität des Raumes beziehungsweise die um ihn gesponnenen Geschichte. Wenn die Tür nicht mehr zu öffnen ist nachdem sie einst geschlossen wurde, wie kann dann die Bildfolge überhaupt erst entstanden sein?

Gregor Schneider (*1969, Rheydt), der hauptsächlich für seine Interventionen am Haus u r  bekannt ist und für die er 2001 den Goldenen Löwen bei der Venedig Biennale erhielt, erzeugt mit seinen Arbeiten oft mittels eines leicht verkleinerten Maßstabs, der Nutzung von schallschluckenden Elementen, Verdoppelungen und Vervielfältigungen sowie einer suggestiven Konstellation von Alltagsgegenständen eine unheimliche und beklemmende Wirkung auf die Betrachtenden. Konträr dazu steht die sonst so penible Erfassung von Maßen und Materialien, die in Katalogen und auf seiner Internetseite die von ihm gebauten Räume näher zu beschreiben scheinen. Doch genau für dieses Werk fehlen die Größenangaben – eine Leerstelle, die nur zu gut mit dem Empfinden des Ich-Erzählers von Poes Geschichte zusammenpasst. Es ist unmöglich für die Betrachtenden von Schneiders Werk die Maße des Raumes auszumachen, ebenso wie es für Poes Protagonisten unmöglich ist, sich in der Dunkelheit seiner Zelle zurecht zu finden. 

Nicht weit ist da der Gedanke an Isolationshaft und Folter. Dabei wird den Gefangenen in der Isolationshaft der Umgang mit anderen Menschen, zur Außenwelt und oft auch zu jeglichen Möglichkeiten der Beschäftigungen verwehrt. Aufgrund der dadurch auftretenden psychischen und physischen Belastung für die Häftlinge wird sie durch Kritiker:innen als eine Art von Folter betrachtet. Verstärkend kann die sensorische Deprivation – sprich (totaler) Sinnesentzug – eingesetzt werden, um die Insassen weiter zu brechen.7 Diese Praxis fand etwa im Gefangenenlager der Guantánamo Bay Naval Base Anwendung. Um diesen nur schwer vorstellbaren Zustand zu erzeugen, in dem Seh-, Riech-, Hör- oder Tastsinn ausgeschaltet werden, kommt beispielsweise eine sogenannte camera silens zum Einsatz. Sie entspricht einem vollkommen verdunkelten und schalldichtisolierten Raum. Umgangssprachlich wird diese Methode auch als Weiße Folter bezeichnet, da sie keine am Körper sichtbaren Spuren hinterlässt. Die geistige und körperliche Belastung für die Gefangenen ist jedoch gravierend.8

Diese Arten der Folter – Isolation und Sinnesentzug – werden sowohl von Poe als auch von Schneider in ihren jeweiligen Werken thematisiert. Die absolute Dunkelheit und der damit einhergehende Sinnesentzug stellen dabei für Poes Protagonisten zunächst eine psychische Belastung dar, die sich körperlich durch Atemnot bemerkbar macht, wie auch durch die räumliche Desorientierung. Die durch die Dunkelheit verursachte Unmöglichkeit der Erfassung des Raumes drängt zwangsläufig die Assoziation auf, lebendig begraben zu sein. Im Verlauf der Geschichte, nachdem der Erzähler unzählige Male eingeschlafen und wieder aufgewacht ist, versucht hat sich des Raumes mithilfe seines Tastsinnes bewusst zu werden und dabei scheiterte, erleuchtet ein grelles Licht die Zelle – und gibt weitere Schrecken preis.9 So schlussfolgert Johannes Binotto: „Für Poes Gefangenen […] folgt auf die Dunkelheit des Zweifels nicht das Licht der Gewissheit um die eigene Existenz. Im Licht, das in den Kerker dringt, wird vielmehr klar, dass er hier gerade nicht zum Existieren, sondern zu Tode kommen soll.“10

Eine Bemerkung, die ebenso für die Betrachtenden des Total isolierten toten Raumes zutreffend erscheint. Immerhin stellt der Raum – folgt man Schneiders Aussage – einen Ort dar, aus dem es potentiell kein Entrinnen gibt, an dem die nichtsahnende Person letztendlich stirbt, sollte der Raum jemals betreten werden. Das Licht ist aber auch Voraussetzung dafür, dass überhaupt durch die Betrachtenden erkannt werden kann, welches Schicksal ihnen zu blühen droht, sollten sie sich hineinwagen. Denn im Gegensatz zu Poes Protagonisten befinden sich die Betrachtenden von Schneiders Werk zunächst im Licht und blicken dann in die Dunkelheit des Raumes hinein und stehen somit auch außerhalb des vermeintlichen Kerkers. Diese veränderte Anordnung ermöglicht es aber auch die Dunkelheit und den Raum selbst aus einer sicheren Perspektive zu betrachten. Das Licht und die Dunkelheit erzeugen eine Schwelle, zwischen einem als sicher empfundenen Raum und der vermeintlichen Falle, die der Total isolierte tote Raum darstellt. Die scheinbar gefährliche Situation wird als künstlerische Intervention entlarvt. Das Licht gibt somit nicht nur die Möglichkeit das Werk tatsächlich zu betrachten – anstatt körperlich zu erfahren – sondern auch aus einer sicheren Warte heraus über die Implikationen nachzudenken, die das visuelle Erscheinungsbild und Schneiders Aussage bergen.

Letztendlich besteht die Herausforderung für die Betrachtenden also darin, sich der Dunkelheit des Raums und ihren metaphorischen Bedeutungen zu stellen. Dies kann einen kathartischen Effekt haben, indem die Betrachtenden dazu angeregt werden, über die eigenen Ängste und existenzielle Fragen nachzudenken und sich möglicherweise von ihnen zu befreien. Dadurch, dass der Raum nicht betreten werden sollte und auch nicht mehr betreten werden kann, wird die körperliche Erfahrung zurückgestellt und äußert sich in einem Versuch des Nachempfindens der suggerierten Situation. 

Ein Raum zum Sterben

Eine umgedrehte Lichtdramaturgie findet sich im Sterberaum (Abb. 2) wieder, denn hier ist es die Arbeit selbst, die als Lichtquelle dient, während der Publikumsraum im Dunkeln bleibt. Diese Konfiguration erzeugt eine einzigartige Atmosphäre, in der die Besuchenden von außen das Licht erleben, das aus dem Raum kommt, während sie sich selbst im Dunkeln befinden. Der Raum kann nicht betreten werden und ist somit nur von außen durch die Fenster einsehbar – ein leerer Raum mit weißen Wänden, einem Holzparkett und zwei großen Fensterfronten. Die äußeren Wände wurden mit schwarzem Material verkleidet, sodass er mit der ihn umgebenden Dunkelheit zu verschmelzen scheint. Nicht der Raum selbst, sondern lediglich der Titel, geben Auskunft über die ihm zugeschriebene Funktion – das Sterben. Die Analyse der Bedeutung von Dunkelheit und Licht vorbereitend, werden im folgenden zunächst Entstehungskontext und Rezeptionsgeschichte betrachtet.

Abb. 2: Gregor Schneider: Sterberaum (teilweise auch: Toter Raum), Ansicht im Kunstraum Innsbruck, 2005–2007, Raum im Raum, Tischlerplatten auf Holzkonstruktion, Türen, Fenstersysteme, Lampen, Parkettboden, weiße Wände und Decke, freistehend, 769,5 x 544 x 275 cm, Mönchengladbach/Rheydt.
Abbildungsnachweis: Stephan Maier: Gregor Schneider. Sterberaum. In: Kunstforum 213 (2011), S. 336-337, hier S. 337. © Gregor Schneider / VG Bild-Kunst Bonn (URL: https://www.gregor-schneider.de/places/2011innsbruck/pages/20111119_kunstraum_innsbruck_02.htm

Der Sterberaum ist ein leicht verkleinerter Nachbau eines Herrenzimmers im von Mies van der Rohe 1927 entworfenen Haus Lange in Krefeld, das heute zusammen mit dem benachbarten Haus Esters als Museum genutzt wird.11 Hier hatte Schneider 1994 mit anderen Kunstschaffenden unter dem Titel Drei Arbeiten seine erste museale Ausstellung, die sich den unmerklichen Veränderungen von Räumen und damit einhergehend der Frage nach der Wahrnehmbarkeit dieser durch die Betrachtenden widmete – einem Kernaspekt seines Œuvres, der bereits in Total isolierter toter Raum angelegt ist. So schnitt Schneider im Haus Lange unter anderem ein Stück aus der Wand heraus und transplantierte es anschließend in sein Haus u r. Es folgten weitere Ausstellungen am selben Ort, wodurch sich eine Beziehung zwischen Künstler und Raum entwickelte, die Schneider 2008 wie folgt beschreibt: 

„Er ist ein Nachbau eines Raums aus dem Museum Lange/Esters, der in meinen Augen einer der empfindsamsten und künstlerisch anspruchsvollsten ist, die wir für Gegenwartskunst als Museumsbau haben. […] Von Mies van der Rohe konzipiert, ist er für mich ein Ausdruck räumlicher Freiheit. […] Und dadurch, dass mein Alltag so eng mit den Räumen verknüpft ist, kann ich mir dort auch den Tod sehr gut vorstellen. Dort hatte ich 1994 meine erste Museumsausstellung und ich wünsche mir, ich hätte dort auch meine letzte.“12

Die Thematik des Todes beziehungsweise des Sterbens wurde 2000 durch eine Performance Schneiders eingeführt. In dem Raum, den er ein paar Jahre später nachbauen sollte, verharrte er als Toter Mann regungslos auf dem Boden.13 Eine sich bei anderen Ausstellungen wiederholende Praktik, die mitunter auch stellvertretend von Puppen übernommen wird.14

Mitte der 2000er-Jahre folgte schließlich der Nachbau des von van der Rohe entworfenen Raumes. Verbunden mit seiner Aussage in The Art Newspaper im April 2008: „I want to display a person dying naturally in the piece or somebody who just died. […] My aim is to show the beauty of death“15, löste der Raum eine – bisweilen auch aggressiv geführte – Diskussion aus, die sich an der Frage abarbeitete, was Kunst dürfe und wo ihre Grenzen liegen. Schnell folgten in den Medien Vorwürfe einer gezielten Provokation und Pietätlosigkeit, privat erhielt der Künstler sogar Morddrohungen.16 Trotz der negativen Presse konnte der Sterberaum 2011 schließlich im Kunstraum Innsbruck und ein Jahr später im Nationalmuseum in Stettin gezeigt werden.17 Die Ausstellungssituation blieb dabei die gleiche: Über einen dunklen Gang erreichten die Besuchenden schließlich den von innen erleuchteten Nachbau des van der Rohe Zimmers – leerstehend, denn es fand sich kein Leichnam darin.

Die vorerst letzte Präsentation des Sterberaums fand 2021 auf dem Höhepunkt der Corona Pandemie im Staatstheater Darmstadt statt. Über einen Live-Stream – ein Ausschnitt kann auf der Homepage des Künstlers angesehen werden18 – konnte die dreitägige Perfomance Gregor Schneiders verfolgt werden, in der er vor dem Raum zumeist sitzend verharrte. Auch hier wurde der von Innen beleuchtete Raum wie bei vorangegangenen Ausstellungen auf gleiche Weise so inszeniert, dass er mit der ihn umgebenden Dunkelheit verschmolz. Doch das Dispositiv änderte sich: Das Publikum musste nicht erst selbständig seinen Weg durch die Dunkelheit zum Exponat finden und persönlich vor dem Raum stehen, diese Aufgabe wurde stattdessen stellvertretend von Schneider übernommen. 

Auch die Reaktion der Kritiker änderte sich. Als „Künstler für die Corona-Pandemie“19 ermöglichte Schneider den Betrachtenden nun das, was um sie geschah, zu verarbeiten.
Der Sterberaum wurde durch die veränderte gesellschaftliche Situation zu einem Kontemplationsraum, der einen sicheren Rahmen für die Auseinandersetzung mit den Themen Tod und der eigenen Sterblichkeit bot. Die Vorwürfe der Effekthascherei und gezielten Provokation waren angesichts des allgegenwärtigen Sterbens wie vergessen. Das Kunstwerk konnte nun aus einer neuen, konkreten Sicht betrachtet werden, als ein Raum, der eine Beschäftigung mit dem gesellschaftlichen und persönlichen Umgang mit dem Tod ermöglicht – ein Prozess, der ansonsten nur allzu oft verdrängt wird. Schneider, der stellvertretend für die Zuschauenden anwesend war, kann dabei als Identifikationsfigur gesehen und somit auch als eine Aufforderung zur Auseinandersetzung mit der unbequem erscheinenden Realität der menschlichen Existenz und Sterblichkeit verstanden werden.20

Vergleicht man die Darmstädter Inszenierung mit der Ausstellungssituation des Raumes vor 2021, so fällt das bereits erwähnte veränderte Dispositiv zwischen Kunstwerk und den Betrachtenden als markantester Unterschied auf. Die dem Werk inhärente Inszenierung mittels Dunkelheit und Licht hebt den Sterberaum beziehungsweise sein Inneres in aller Deutlichkeit hervor und lässt, in Verbindung mit dem Titel des Werks, die Assoziation zu, in diesem Fall wortwörtlich, ins Licht gehen.21 Es scheint nur allzu bezeichnend zu sein, dass ausgerechnet dieser Raum, nicht betreten werden kann. Wir – die Lebenden – sind lediglich in der Lage den Tod sowie das Sterben als Außenstehende zu betrachten, und tappen hinsichtlich seiner tatsächlichen Bedeutung im Dunkeln bis wir auf die andere Seite gelangen. Eine Situation, die der im Total isolierten totem Raum ähnlich erscheint. Denn auch hier, wie in Poes Kurzgeschichte The Pit and the Pendulum, bedeutet das Licht Gewissheit, dass der Tod eine unausweichliche Erfahrung ist, die uns letztendlich alle erwartet. Schlussendlich wohnt auch diesem Kunsterlebnis ein kathartischer Moment inne, ebenso wie in der über den Stream verfolgbaren Präsentation im Staatstheater Darmstadt, der sich durch die Auseinandersetzung mit Leben und Tod vollzieht.22

Die Schwärze der ewigen Nacht 

Um die Bedeutung von Dunkelheit und Licht im künstlerischen Schaffen Gregor Schneiders ausdifferenzieren zu können, wurden exemplarisch zwei seiner Werke in Augenschein genommen. Dabei stellte sich sowohl für Total isolierter toter Raum als auch Sterberaum heraus – neben anderen Implikationen, wie Folter und Gefangenschaft –, dass die Dunkelheit als eine Sphäre der Unwissenheit und Unbestimmtheit in Hinsicht auf die Existenz der Betrachtenden gedeutet werden kann. Ebenso wie Poes Protagonist sind die Betrachtenden von Schneiders Werken gezwungen sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Ob sie dies im Rahmen der eigenen Imagination mit Hilfe von Fotografien und Äußerungen des Künstlers versuchen oder die Arbeiten leiblich erfahren – sie scheitern.

Das Licht dagegen bedeutet in beiden Werken die Gewissheit der Unausweichlichkeit des Todes. Was zunächst vielleicht grausam anmutet und etwas darstellt, das allzu gerne verdrängt wird, ist etwas, dem Schneider entgegenwirken möchte: „Weil es [das Sterben] eine elementare existentielle Erfahrung ist, durch die wir viel lernen können. Offenheit und Wahrhaftigkeit zum Beispiel.“23 So gilt es zum einen der Verdrängung von Tod in der Gesellschaft entgegenzuwirken, um daraus eine persönliche Lehre zu ziehen, den Tod als Teil der menschlichen Existenz – nicht mehr und nicht weniger – zu begreifen. Zum anderen bedeutet es aber auch den Sterbenden einen würdevollen, da selbstbestimmten Tod zu ermöglichen, fern ab von der Sterilität von Krankenhäusern.24 Diese Empathie den Sterbenden gegenüber und die Akzeptanz des Todes zeigen sich wohl auch nicht zuletzt an der Verwendung eines wärmeren und indirekten Lichts, das aus dem Sterberaum dringt und eine Ausnahme in Schneiders Werken darstellt. 

Diese Beobachtung verweist aber auch darauf, dass die vorliegende Analyse nur einen kurzen Abriss über die Sujets Licht und Dunkelheit in Schneiders Werken darstellen kann. So wurden die Arbeiten deshalb ausgewählt, da sie innerhalb eines Raumes Licht und Dunkelheit miteinander vereinen und diese zwei Elemente somit direkt miteinander wirken können. Der Aspekt des kalten durch Leuchtstoffröhren erzeugten Lichts, der Gregor Schneiders Arbeiten wie ein roter Faden durchzieht, wurde hingegen außenvorgelassen. In WEISSE FOLTER – einer Raumfolge von Zellen, die nach Fotografien des Gefängnisses Guantánamo Bay gestaltet wurden – werden erneut die Themen Isolationshaft und Folter aufgegriffen. Das grelle, kalte Licht der Neonröhren auf den strahlend weißen Wänden erschwert es, den physikalischen Raum bewusst zu erfassen – Ecken und Kanten verschwimmen, Entfernungen können nur schwer eingeschätzt werden, die eigene Position im Raum wird zu einer Ungewissen. Inmitten der vielen hell beleuchteten Korridore und Zellen steht ein Raum, in dem absolute Dunkelheit herrscht. Auch hier finden sich die Betrachtenden letztendlich mit der beklemmenden Unendlichkeit der Finsternis konfrontiert – ein Echo von Poes Grube und Pendel.


Biografie

MALGORZATA GALAZKA studierte Kunstgeschichte und Theater- und Medienwissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg. Seit 2016 arbeitet sie am Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Sie promoviert zu transmedialen Phänomenen im Werk von Bruce Nauman und Gregor Schneider. Ihre Forschungs- und Interessenschwerpunkte liegen in der Wirkung von Raum und von Werken auf Betrachtende, in Strategien der Angsterzeugung im Horrorfilm und -literatur und in der Transmedialität in der Kunst.