Juan Sánchez Cotán – Meister der Dunkelheit, 2024 – Paula Finsterbusch

In ihrem Aufsatz beschäftigt sich Paula Finsterbusch mit der spezifischen Bildsprache der Stillleben des spanischen Barockmalers Juan Sánchez Cotán. Der Künstler gestaltet stets dieselbe Fensternische mit unterschiedlich angeordneten vegetabilen Gegenständen. Als Besonderheit stellt sich hierbei heraus, dass die vordergründig angeordneten Objekte malerisch stark ausgeleuchtet werden, wobei sich der Hintergrund in einer nicht lokalisierbaren Dunkelheit verliert. Mithilfe verschiedener methodischer Ansätze versucht Paula Finsterbusch diese schwarzen Stellen innerhalb der Gemälde zu deuten und berücksichtigt dabei sowohl christliche Bezüge als auch biografische Wendepunkte aus dem Leben des Malers.

Wenn von barocken Gemälden die Rede ist, so wird häufig der meisterhafte Einsatz von Licht und Schatten assoziiert. Caravaggio, Rembrandt, Rubens, Vermeer – sie alle sind für ihre wirkungsvollen Hell-Dunkel-Kontraste bekannt. Ein ungewöhnlicher und oft unbeachteter Stilllebenmaler des Barock, der mit dem Tenebrismus, dem Maximum an Schatten, der Schwärze, gearbeitet hat, ist Juan Sánchez Cotán (1560 – 1627). Aufgrund der rückständigen sozialen Stellung und dem Ausbleiben höfischer, geschweige denn bürgerlicher Aufträge für spanische Maler, gerät die barocke Malerei Spaniens auf europäischer Ebene oft in den Hintergrund.1 Dennoch ist der toledische Maler international bekannt und gilt als einer der bedeutendsten Maler des spanischen Barocks. Diese Bekanntheit haben nicht seine religiösen Arbeiten bewirkt, sondern die säkularen Stillleben, seine Bodegones2, wie das vorliegende Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke (1602). All seine Stillleben folgen einem ähnlichen Muster und heben sich darin enorm von den niederländischen und italienischen ab: gewöhnliches Gemüse, Obst und ab und zu tote Jagdvögel werden in einer gemauerten Fensternische vor schwarzem Hintergrund präsentiert und stechen durch die starke Beleuchtung hervor. Die einzelnen Gegenstände sind nebeneinander, oft unverbunden, aufgereiht. Manche Elemente liegen, manche hängen. Trotz der scheinbaren Schlichtheit und Natürlichkeit ist nicht nur die Objektwahl symbolisch zu verstehen, auch die Schwärze in seinen Arbeiten verweist auf mehr als nur maximale Dunkelheit. Wie der Tenebrismus3 in den nur scheinbar gänzlich weltlichen Bildern des Malers, zusätzliche Sinnebenen erschließt und welche Bedeutung der Dunkelheit in dem Bildzusammenhang zukommt, wird im Folgenden näher beleuchtet.

Sowohl biografisch als auch künstlerisch ist Juan Sánchez Cotán herausragend. 1560 in Orgaz geboren, war er einer der ersten spanischen Stillleben-Maler, deren einzigartige Ästhetik bis heute Bewunderung hervorruft. Er lebte und wirkte in Toledo4, dem damalig führenden Zentrum des spanischen Humanismus als auch Zentrum der katholischen Kirche war. Eingeführt in das zu der Zeit neu aufkommende Sujet wurde er wahrscheinlich von seinem manieristischen Meister Blas de Prado (1545-1599), von dem selbst kein einziges Stillleben erhalten ist. In Toledo fertigte er zunächst Historiengemälde und Porträts an. Um die Jahrhundertwende widmete er sich auch den hier zu besprechenden Stillleben, deren starker Realismus sich enorm von seinen übrigen Bildern unterschied, die durch eher unaufgeregten Idealismus geprägt sind. Letzteren wird jeher weniger Beachtung geschenkt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Gegenstücken sind diese vor allem durch Strenge und Reduktion gekennzeichnet. Nahezu alle Stillleben haben eine ähnliche Größe, alle folgen denselben kompositorischen Grundmustern in derselben Fensternische, variieren lediglich in Anzahl und Anordnung der Lebensmittel, sie sind anspruchsvoll und fordern durch verschiedene Techniken der Illusion heraus.5 Dies verstärkt den Eindruck, dass seine Stillleben nicht für bestimmte Auftraggeber:innen angefertigt wurden – der experimentelle Charakter und die Innovation dieses neuen Sujets legt nahe, dass er sie für sich als Experiment, Erforschung und die Demonstration seines Könnens anfertigte.6 1603 gab der Künstler all seinen Besitz, auch sein Atelier und seine Bilder auf, um im Kloster Santa Maria de El Paular in Rascafría zu leben und ab 1612 in Grenada als Kartäusermönch zu leben. Im Kloster setzte er seine sakrale Malerei und religiösen Historien fort, bis er 1627 dort verstarb. Viele der nachfolgenden Stilllebenmaler:innen wurden durch seine innovativen Kompositionen inspiriert, deren Realismus sich auf das spätere 17. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht auswirkte.

Abbildung 1: Juan Sánchez Cotán: Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke, 1602, Öl auf Leinwand,
65 x 81 cm, San Diego, The Fine Arts Gallery of San Diego.

Das vorliegende Bild Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke (1602) ist beschreibend für Sánchez Cotáns Bodegones und das wohl am meisten wahrgenommene. Verschiedenes Obst und Gemüse, hier eine hängende Quitte, ein ebenfalls hängender Kohlkopf, eine angeschnittene Melone samt herausgeschnittener Spalte und eine Gurke werden in einer steinernen Fensternische, die oft in spanischen Häusern als kühle Lagerungsmöglichkeit für Lebensmittel genutzt wurde, naturnah präsentiert. Die Gurke als auch die Melonenspalte ragen über die Mauer in den Betrachter:innenraum, und reihen sich in die Tradition der „Trompe-l’œuil“7 ein. Die Verbindung des Bildraumes mit dem der Betrachter:innen wird durch die hängenden Lebensmittel verstärkt. Sie werfen keine Schatten, trotz der von Lichtquelle ausgehenden Beleuchtung sind ihre Schlagschatten nicht erkennbar, was den Verdacht erhärtet, die Quitte und der Kohl seien in unserem Raum angebracht. Die Schnüre, offensichtlich im Betrachter:innenraum befestigt, erwecken die Illusion von Unmittelbarkeit. Die übliche Verfahrensweise, Lebensmittel aufzuhängen, wurde mit dem Ziel angewendet, den Prozess des Verrottens aufzuhalten. Visuelle, olfaktorische und gustatorische Sinne der Betrachter:innen werden durch den starken Illusionismus angesprochen, das gemalte Bild als solches geleugnet.8

Dieser Eindruck wird jedoch durch ein Element des Bildes erheblich gehemmt, das den Naturalismus aufhebt. Die Schwärze des Hintergrundes steht der Naturtreue gegenüber. Was in den Lebensmitteln im Vordergrund realistisch und täuschend echt dargestellt wurde, wird durch die maximale Dunkelheit verklärt. Trotz des hohen Beleuchtungsgrades und der offensichtlich starken Lichtquelle ist von Farbigkeit im Hintergrund keine Spur, die Dunkelheit wirkt bedingungslos unerklärlich. Im gleichen Moment, in dem Offenbarung versprochen wird, wird sie durch die maximale Dunkelheit dekonstruiert.9 Was durch die täuschende Genauigkeit von Obst und Gemüse offenbart wird, gerät durch die Schwärze in Unsicherheit. Die Isolierung jedes einzelnen Gegenstands wird durch die Schwärze maximiert und gibt der Szenerie eine theatralische, künstliche und inszenierte Anmutung, die der naturalistischen Darstellung der Objekte sowie der genauen Wiedergabe der Beleuchtungssituation entgegentritt. Die Illusion wird durch die präzise Wiedergabe, den meisterhaften Farbauftrag, den naturnahen Umgang mit Licht und vor allem durch die mathematisch genaue Kalkulation des Arrangements10 erreicht. Die Objekte stehen durch räumliche Übergänge in Verbindung. Sie werden durch die konstruierte Fensternische gerahmt und scheinen in klaren geometrisch exakt berechneten Hyperbeln positioniert. Die Reduktion des Bildgegenstandes und die Strenge des Aufbaus machen das Bild zeitlos und müssen auf die damaligen Betrachtenden geradezu modern und im Angesicht der Tiefe des Bildes nahezu meditativ gewirkt haben.11

Das Gemälde schafft es durch die Dunkelheit, dem Genre-Namen gerecht zu werden. Naturaleza muerta, spanisch für Stillleben, gibt mit muerta (spanisch für tot, leblos)12 bereits einen wichtigen Hinweis auf die Charakteristik, aber auch Widersprüchlichkeit, des Gemäldes des toledischen Malers. Die Dunkelheit des Hintergrundes verweist auf unberührte Leblosigkeit, kein Lichtstrahl, kein Lebewesen scheint sich in ihr zu verirren. Die Aufhängung und Positionierung der Lebensmittel verweisen auf die menschliche Aufbewahrung und Haltbarmachung der so überlebenswichtigen Nahrung, und auch andere Elemente des Bildes zeugen von der Anwesenheit menschlicher Personen. Auch wenn sie nicht zu sehen sind, gerät bei genauerer Betrachtung in den Blick, dass die Szene noch nicht lange menschenleer sein kann. Die Schnüre, an denen die Quitte und der Kohl aufgehängt sind, stehen nicht parallel zueinander. Die leichte Schieflage verweist auf Bewegung, auf die Abwesenheit, die vor kurzem aus Anwesenheit hervorgegangen ist. Mit dem Bewusstsein der Vergänglichkeit tritt Bewegung in das Bild. Nicht ganz parallel ausgerichtet zeugen sie von der Anwesenheit nicht sichtbarer Instanzen, von Lebendigem im Bild und konfrontieren Betrachter:innen gleichzeitig mit ihrer Gegenwärtigen Präsenz – das Bild suggeriert greifbare Nähe, die Melonenkerne rutschen triefend vom Fruchtfleisch, Stücke des aufgeschnittenen Obstes fehlen, die angeschnittene Scheibe ragt aus dem Bildraum heraus und lädt zum Konsum ein. Die Melonenscheibe daneben kann die Leerstellen nicht ausfüllen, mehrere Stücke scheinen bereits gegessen, das nächste liegt zum Genießen bereit. Das unbelebte Stillleben wirkt durch die zahlreichen Hinweise auf menschliche Anwesenheit nahezu lebendig und doch scheint die Leblosigkeit greifbar. Die Dunkelheit führt vor Augen, wie nahe die unendliche Stille, die ewige Nacht auch bei voller Lebendigkeit ist.

Diese Klarheit in der Komposition wird durch die Schwärze des Hintergrundes entscheidend herausgefordert. Sie setzt dem gerade noch Lebendigen eine ungewisse Stille entgegen, was gerade noch greifbar scheint, wird in unerklärliche Dunkelheit gehüllt. Die irritierende Ungewissheit über den Hintergrund verstärkt alle Geheimnisse des Bildes und komplementiert die Gegensätze des Lebens und des Bildes, die im Bildprogramm des Barocks verankert waren – Leben und Tod, Gut und Böse, Licht und Dunkelheit.

Die Stillleben Juan Sánchez Cotáns lediglich mit dem Hintergrund seiner Religiosität und seines später des Klosters verschriebenen Lebens zu deuten, wäre stark simplifiziert und würde der Komplexität seiner Arbeiten nicht gerecht. Dieser Aspekt kann jedoch nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Seine überschaubare Komposition und die Reduktion auf wenige Lebensmittel verleiten zu der Annahme der totalen Weltlichkeit – was bei genauerer Betrachtung hinterfragt werden muss.

Der Tenebrismus, die Aufteilung des vorliegenden Bildes in Schwärze und stark beleuchteten Lebensmitteln, wirft einige Fragen auf, die nur mithilfe des Hintergrundes der Epoche des Barock und dem Leben des ungewöhnlichen Malers beantwortet werden können. Die mathematisch hochakribische Komposition erscheint in der Tradition antiker Gestaltungsgrundlagen und Motive und gibt Aufschluss über die symbolischen Horizonte, in denen seine Stillleben zu lesen sind. Nicht nur die von Sanchez gewählte Lebensform verweist auf seine Verbindung zur Religiosität. Seine Kompositionen sind ernst, demütig präzise und naturnah gegenüber den Schöpfungen Gottes, als auch voll von Symboliken, die auf eine transzendentale Bedeutung verweisen.

Die höchste Frucht im Stillleben (Abb.1) ist die Quitte. Diese hat eine lange Tradition und wurde im antiken Griechenland bereits verehrt und der Göttin Venus und Aphrodite zugeschrieben.13 Sie gilt seit der Antike als Liebesfrucht und wird in einigen Regionen der Welt als die älteste Frucht anerkannt und sogar als Frucht der Versuchung anstelle des Apfels im Garten Eden angenommen.14 Der antike biblische Name für die Quitte lautet übersetzt „Goldener Apfel“, sie ist seit jeher mit hoher Bedeutung aufgeladen. Von der Quitte, der Frucht der Versuchung, ausgehend scheinen die Objekte hyperbolisch zu Fallen. Nach dem Verzehr der verbotenen Frucht des Baumes der Erkenntnis folgte der fall of men, die Ursünde der Menschen zog sowohl die Unheils- als auch die Heils- und Erlösungsgeschichte der Menschen und ihrer Welt nach sich, in Erwartung der Wiederkunft Christi, des Kommens des Messias.15 Dies wird in Stillleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke, als mögliche Lesart des Bildes, durch die Frucht der Versuchung am Anfang und den Fall der Menschheit als exakte Hyperbel dargestellt – die Erbsünde der Menschen, in die jeder Nachkomme Adams hineingeboren wird. Von links nach rechts gelesen steht nach der Abwärtsbewegung der Objekte zum Schluss die Gurke und verweist in den Betrachter:innenraum, konfrontiert Sehende mit der eigenen Existenz in der Nachfolge der ersten Sünder. Sie verweist auf die Greifbarkeit und Übertragbarkeit der biblischen Geschichte ins Diesseits, die nicht endenden Versuchungen, die nicht endenden Sünden. Nicht nur die Anordnung und Auswahl der Früchte und Gemüse kann als visuelle Metaphorik des Sündenfalles des Menschen gelesen werden. Auch die Dunkelheit, die unnachgiebige Schwärze, die totale Abwesenheit des Lichtes zeugt von der Entfernung zu Gott, die unüberwindbar und kompromisslos scheint. Die erste Schöpfung Gottes, das Licht, macht sichtbar, welche Schönheit im irdischen Dasein verborgen liegt – deckt aber auch die Entfernung der Menschen zu Gott auf, verweist auf die begrenzte Macht der Menschen und führt ihnen die Versuchungen vor Augen. Die Schwärze, als ungewisse Dimension des Bildes, visualisiert die Offenheit und Unbestimmtheit der Geschichte in der Zukunft und die Geheimnishaftigkeit allmächtigen Handelns. Die maximale Dunkelheit in Juan Sanchez Cotáns Stillleben hebt die irdischen Elemente auf eine überirdische Ebene und komplettiert die zurückhaltende Symbolik des Gemäldes.

Mithilfe der fein ausgewählten Kunstmittel, der theatralischen Komposition und der illusorischen Malerei auf der einen Seite sowie der Verfremdung durch die unerklärbare Schwärze schafft Juan Sánchez Cotán es, ein so irdisches Sujet in ein sphärisches zu transformieren, ohne die Betrachter:innen mit offensichtlichem Pathos zu unterschätzen. Seine scheinbar simplen Stillleben sind durch Raffinesse und symbolische Bedeutungen von hoher Faszination und stellen die Betrachter:innen insbesondere in Bezug auf die Dunkelheit, als unergründbare Ebene des Bildes, vor ebenso viele unbeantwortete Fragen als auch vor Einladungen, sich als partizipierende und wahrnehmende Instanz zu verstehen.

In seinen Stillleben wird sowohl der im goldenen Zeitalter aufkommenden Naturwissenschaft durch die hochpräzise Kalkulation, als auch dem Glauben Rechnung getragen, indem subtil auf die Ebenen und Komponenten irdischen als auch sphärischen Daseins verwiesen wird. Symbolisch dafür wurde von ihm die Dunkelheit in seinen Werken verwendet. Die Schwärze kann sowohl im Hinblick auf barocke Motive, als auch auf die religiöse Weltsicht gedeutet werden und stattet das scheinbar simple, dennoch bedeutungsgeladene Gemälde mit einer Tiefe aus, die Betrachter:innen bis heute fasziniert. Die asketischen und beinahe avantgardistisch anmutenden Stillleben Sánchez Cotáns, finden, vor allem mit der tiefgreifenden Dunkelheit, Einzug in die Welt der sphärischen Dinge.16 Die monumentale und kompromisslose Klarheit, die seinen Arbeiten durch die reduzierte und mathematisch hochpräzise Anordnung seiner raffiniert ausgewählten Objekte vor maximaler Dunkelheit verliehen wird, machen sie zu herausragenden Arbeiten, die sich nicht auf die irdische Welt begrenzen lassen.


Biografie

PAULA FINSTERBUSCH studierte Deutsch und Kunst auf Lehramt an der Universität Greifswald. Sie ist zertifizierte Kunsttherapeutin. Derzeit studiert sie Kunstgeschichte im Master und arbeitet als Dozentin für Kunst- und Designgeschichte an der Designakademie Rostock sowie als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Kunstgeschichte des Capar-David-Friedrich-Instituts in Greifswald. Ihr wissenschaftlicher Fokus bezieht sich auf die barocke Stilllebenmalerei, den Künstler Caspar David Friedrich, Transhumanismus und Posthumanismus und die Digital Humanities in der Kunst.