Das Mittelalter war nicht prüde, wie die meisten wohl zu denken vermuten. Aber Sexualität ist eng verwoben mit den Vorstellungen über Körper und die soziale Geschlechterrolle innerhalb der Gesellschaft. Auf medizinischen Abbildungen wird dieser Konnex sichtbar. Die Schwangerschaft avanciert zum gesundheitsfördernden Idealzustand des weiblichen Körpers. Reproduktion bleibt im Mittelalter oberstes und einzig legitimes Ziel für sexuellen Verkehr. Sophie Roßbergs Beitrag möchte eben jene anatomischen Bildquellen decodieren, inwieweit die Zeichnungen des Frauenkörpers die genderspezifischen Konnotationen zementiert und verbreitet.
„… hiet der êrst mensch niht gesünt, all menschen wæren ân geprechen geporn.“1
Zu dieser Schlussfolgerung kommt der Dominikaner Konrad von Megenberg in seinem Werk Buch der Natur aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, wonach die Sünde Evas und Adams Grund für deformierte Geburten ist. Die menschliche Sexualität ist für ihn mit dem Sündhaften behaftet. Diese Assoziation zwischen sexuellem Akt und Sünde beginnt kurz nach der Vertreibung aus dem Paradies. So berichtet die Genesis: „Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain […].“ (Gen 4,1)2 Vor jeder Schwangerschaft und Geburt steht der pejorativ konnotierte Sexualakt. Im Mittelalter lassen sich Sexualität und Schwangerschaft nicht trennen. Die Frauen werden anders als ihre männlichen Zeitgenossen in der mittelalterlichen Medizin3 hernach über ihre Sexualität definiert: Sie sind jungfräulich, schwanger, unfruchtbar oder nicht mehr gebärfähig.4 Die Lebensphasen des Frauenkörpers referieren auf ihre Physiologie und Anatomie, die im Mittelalter maßgeblich von der naturphilosophischen Idee der humores, der Humoralpathologie oder Viersäftelehre, vereinnahmt ist. Hat die heutige Wissenschaft Sexus als biologisches sowie Gender als kulturelles Geschlecht identifiziert und dekonstruiert, erscheint eine Differenzierung in der Betrachtung und dem Verständnis von mittelalterlicher Körperlichkeit defizitär und schwierig. Denn als unumstößliche Größe hat Gott den menschlichen Körper in seinem Ganzen geschaffen, wobei die angelernten, auferlegten oder abgesprochenen Körperaskepte Teil seiner Schöpfung und somit angeboren sind. Verhalten, sexuell oder intersozial, welches nicht der Norm entspricht, wird daher auf ein Ungleichgewicht der Körpersäfte zurückgeführt. Der geschlechtliche Körper (sexed body) und die Sexualtität (sexual body) müssen daher zusammengedacht werden. Sexuelles Verhalten (sexual body) erscheint als natürlich, wenn es dem sexed body entspricht: Eine Person mit männlichen Körpermerkmalen verhält sich maskulin, feminines Gebaren obliegt einer Person mit weiblichem Merkmalen. Diese mittelalterliche Faktizität determiniert die Frau als passiven Part, den Mann als aktiven Part sowohl im sexuellen als auch sozialen Kontext.5 Für die mittelalterliche Frau ist zudem der reproductive body von zentraler Bedeutung, der mit der Geschlechtsreife aktiviert wird. Mutterschaft bezeichnet Katherine Park sogar als „highest status“, den eine Laiin erreichen kann, wobei im Mittelalter Virginität und spirituelle Mutterschaft neue Idealvorstellungen konstituieren.6 Dennoch gehören Schwangerschaft und Kinderstillen für die Mehrheit der mittelalterlichen Frauen zu normalen Lebensvorgängen. So schreibt auch Matthäus in seiner apokalyptischen Rede: „Weh aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen!“ (Mt 24,19)7

Eine medizinische Sammelhandschrift aus dem späten 15. Jahrhundert, die sich heute in der Bibliothèque nationale de France unter der Signatur MS Latin 111229 befindet, zeigt auf fol. 31r eine ganzseitige Zeichnung eines Frauenkörpers (Abb. 1). Der Körper ist entlang der linea alba, die bei einer Schwangerschaft als dunkelgefärbte Linie, der linea nigra, hervortritt, aufgeklappt und die Haut ist aufgelöst. Lediglich ihr Kopf weist keine Öffnung auf. Es präsentiert sich eine Innenansicht des Körpers in beziehungsweise um dessen Teile Krankheitssymptome, anatomische Bezeichnungen und ätiologische Kommentare eingeschrieben sind. Sie zählen unter anderem die negativen Auswirkungen beim Ausbleiben der Menses (Bildung von Hämorriden8) oder Beschwerden wie geschwollene Füße (inflacio pedum) auf. Aber zentral im ausladenden Brauch platziert, findet sich die Gebärmutter (matrix), in der zwei ungeborene Kinder (embrio) gen Betrachtende blicken. Ihr Körper und jeweils eine Gesichtshälfte verschwinden hinter der inneren Wand der Gebärmutter. Da sie beide Seiten besetzen, kann dies als Indiz für ein Jungen und ein Mädchen gelesen werden. Die rechte Seite wird dabei dem Maskulinen und die linke Seite dem Femininen zugeordnet. Denn die Naturphilosophie markiert die linke Seite als die kältere, auf der sich der weibliche Embryo langsamer entwickelt, während auf der wärmeren Seite Jungen produziert werden. Blickt man auf die Heimsuchungsgruppen mit den sichtbar gemachten Kindern erscheint dies als Paradoxon, weil Christus und Johannes der Täufer frontal in der Mitte der Uteri platziert sind. Laut der Naturphilosophie müsse es sich dabei um Hermaphroditen handeln. Die mariologische Ikonografie steht jedoch außerhalb des parallelen naturphilosophischen Diskurses, fehlt ihnen doch trotz Innenansicht das männliche Glied oder die anderen geschlechtlichen Merkmale (Abb. 2).9 Abseits des sakralen Kontexts manifestiert die Unterscheidung einer guten und einer schlechten Seite die medizinische Genderkonstruktion. So schreibt Joan Cadden: „The strings of association, right-warm-male and left-cool-female, return us also to the gender implications of medical views of sex differences.“10 Die Zeichnung integriert dieses imaginierte Seitenverhältnis und zeugt von dessen weiter Verbreitung im medizinischen Kontext.
Um die Gebärmutter windet sich die secundina, die Nachgeburt. Sie wird durch einen Fortsatz der matrix unterbrochen. Dieser wird als innenliegendes männliches Glied (vulnerata virga iacens) benannt. Nach der medizinischen Überzeugung des Mittelalters besitzen Frauen sowohl ein äußeres Geschlechtsorgan, die Vagina mit einem anschließenden Uterus und ein verstecktes, inneres Geschlechtsorgan, das dem männlichen Glied in seiner äußeren Form entspricht.11 Der zugehörige Text der Handschrift teilt sich in ein französisches Traktat Régime ordonné pour la santé du corps de créature humaine (fol. 1r – 18r) und einen lateinischen ohne Titel (fol. 19v – 49v), der nur kurz Obstetrik und Frauenheilkunde beinhaltet und fast unverändert 1491 zum ersten Mal in Venedig von den Gebrüdern de Gregoriis da Forli als Fasciculus medicinae des Johannes de Ketham (Pseudo-Johannes von Kirchheim) gedruckt wird.12Generell prägen die Texte eine iatromathetische Auffassung von Medizin, wonach die Stellung der Himmelskörper und Gestirne Krankheitsart, -verlauf und -heilung beeinflussen. Viele mittelalterliche medizinisch geschulte Personen nutzen Zählertabellen mit Daten und Uhrzeit, um schnelle Diagnosen auszustellen.13 Neben der Frauenzeichnung beinhaltet die Handschrift noch fünf weitere Miniaturen, die allesamt männlich konnotiert sind: ein Wundenmann (fol. 36v), ein Krankheitsmann (fol. 37v), ein Mann in einem Zodiakus-Zirkel (fol. 45r), ‚Die vier Zonen des Menschen‘ auf fol. 25v und schließlich auf fol. 40v der Venenmann. Alle Abbildungen dienen als Lehrgraphiken für die medizinisch-gebildete Leserschaft der Traktate. Jedoch steht die weibliche Zeichnung isoliert. Die männlichen Figuren verwehren den Blick ins Innere. Denn dort lässt sich kein verstecktes Genital finden. Sie verkörpern eher die einzelnen diagnostischen und therapeutischen Disziplinen wie die Chirurgie in Form des Wundenmannes oder die Phlebotomie als der Venenmann. Sie repräsentieren darüber hinaus den „generic human”14. Die Innenansicht der weiblichen Figur dagegen zentriert die Reproduktionsorgane und ordnet jedes körperliche Leiden der Viersäftelehre unter. Während der Wundenmann von verschiedenen Werkzeugen oder spitzen Gegenständen von außen malträtiert wird, ist der weibliche Körper eo ispo Ursache für die weiblich konnotierten Krankheiten. Folglich wird auch die weibliche Sexualität pathologisiert.
Denn es ist eben jener Körper der dem sexual body, also der sexuellen Aktivität, vollkommen ergeben ist. Schließlich erklären sich die mittelalterlichen Autor:innen die unersättliche sexuelle Lust vieler Frauen aus deren feuchteren Körpern. Der Drang nach sexueller Aktivität scheint insofern kurios, als dass die Frau als passiv und der Mann als aktiv agierend definiert ist. Die Frau empfängt den semen des Mannes und je nach dem welcher Theorie man folgt, gibt die Frau ihren semen hinzu, der nur durch einen Orgasmus abgegeben wird, oder sie öffnet lediglich ihren Uterus zur Aufnahme des männlichen Samens, was für sie wiederum die sexuelle Lust generiert. Beide Meinungen existieren im Mittelalter parallel.15 Lust ist also anhängig vom Mann und gleichzeitig jedoch sehr ambivalent. Denn Koitus soll ausschließlich der Reproduktion dienen, folglich ist der reproductive body bereits immer beim weiblichen sexual body inhärent. Auch die Pariser Zeichnung zeigt das gewünschte Ergebnis sexueller Aktivität. Die Schwangerschaft wird hier zu einem idealen Zustand sublimiert; mehr noch: Die Gravidität fördert die Gesundheit, da während ihr und der anschließenden Stillzeit keine menstruale Purifikation stattfindet. Der weibliche Körper nutzt das Blut als Muttermilch zur Ernährung des Säuglings.16 Die Zeichnung kommuniziert den Betrachtenden eben jenen Idealzustand, der den sündhaften Sex legitimiert. Außerdem trägt die Frauenzeichnung im Gegensatz zu den männlichen Zeichnungen einen Marker sozialen Status‘. Auf ihrem Kopf platziert der Maler eine Haube, die die Haare komplett bedeckt, obschon ihre Bedeutung und Existenz mit dem Haarausfall (casus capillorum) als körperliches Leiden benannt werden. In der mittelalterlichen Gesellschaft verweist die Haube auf den ehelichen Status der Frau. Besonders die Heimsuchungsgruppen nutzen sie als Objekt zur Differenzierung zwischen der jungfräulichen Maria mit wallenden, langen Haar und ihrer älteren Cousine Elisabeth, deren Haube sowohl ihren Ehestand mit Zacharias als auch ihr fortgeschrittenes Alter symbolisieren. In der Pariser Zeichnung ist die Haube ein wichtiges Detail, da sie die Legitimierung des sexual body garantiert. Nur eine konjugale Verbindung zwischen Frau und Mann erlaubt den sexuellen Verkehr. Die Haube ersetzt in der Hochzeitsnacht die sogenannte Brautkrone, die gemeinhin die Virginität der Braut symbolisieren soll. Die Haube wird zu einem Zeichen von Sittsamkeit und Keuschheit.17 Die partielle Verschleierung anatomischer Abbildungen ist auf eine lange kunsthistorische Tradition zurückzuführen. Silke Tammen statuiert in ihrem Aufsatz, dass der Schleier eine Grenze zwischen der anatomischen Entblößung, begierigem Wissensdrang durch das Sezieren weiblicher Körper und einem verschleierten Geheimnis der Frau markiert. Es verweist „auf das ebenso wissenschaftlich wie sinnlich motivierte Begehren des Sehens und ruft die Metaphorik von Organen und Haut als Gewebe auf.“18 Der körperbedeckende Schleier ist die Weiterentwicklung der hier genutzten Haube, da vor allem über das Haar im Mittelalter soziale Identität und Integrität kommuniziert wird.19 Schleier und Schwangerschaft der gezeichneten Gravida präsentieren nicht nur ihren reproductive und sexual body, sondern vermitteln ebenso den sozialen Status als Ehefrau und Mutter – einem kontrollierbaren und kontrollierten Raum innerhalb der Gesellschaft.
Welche Implikation hat die die Gravida-Zeichnung auf die Lesenden der Handschrift? Zunächst einmal muss von einer überwiegend männlichen Leserschaft ausgegangen werden. Sie sind die Adressaten solcher Traktate, die meist im universitären Kontext zirkulieren und von Medizinern konsultiert werden.20 Sie sehen diese Lehrgraphik als Idealbild des sexed body und zugleich sexual body: Die Frau ist verheiratet und zeugt Kinder. Die männlichen Leser nutzen es als Schablone für ihre Behandlungen. Dabei funktioniert die Zeichnung mnemotechnisch. Die weitreichende Überlieferung solcher Abbildungen im Kontext verschiedener Texte, die zumeist unabhängig von den Zeichnungen stehen, suggerieren den hohen Wert visueller Medien im medizinischen Bereich.21 In dieser Funktion offeriert die Gravida eine Anleitung des weiblichen Körpers, die mit den Darstellungsmodi eines aufgeklappten Leibes, der beschrifteten Teile und beistehender Legenden einer Karte ähnelt. Diese Kartierung des weiblichen Körpers wird sukzessive durch den männlichen Arzt erforscht und er prägt sich das Körperbild des anderen Geschlechts ein. Als Entdecker des Körperlichen agiert er wie ein Landeroberer und nutzt die Gravida wie einen Atlas.22 In seinen Händen dient es als therapeutisches und diagnostisches Hilfsmittel, aber ebenso als moralische Mahnung eines zu kontrollierten Körpers.
An dieser Stelle muss noch auf die Beziehung zwischen solchen medizinischen Bildern und dem fetus type bei Heimsuchungsgruppen eingegangen werden. Den fetus type kennzeichnet die Sichtbarkeit der heiligen Kinder Christus und Johannes. Diese können bei Skulpturen entweder als Relief oder aber als Statuen gestaltet sein. Bei zweidimensionalen Werken sind sie entweder im Leib der Frauen oder davor schwebend abgebildet. Die Sichtbarkeit der Ungeboren erklärt Silke Tammen mit einer „Sehbegier“, die auch durch das Tabu, schwangere Leiber zu öffnen und zu untersuchen, entsteht. Daher erscheint es ihr auch nachvollziehbar, dass die Innenansicht auf die Kinder mit dem Aufkommen der Anatomie als Wissenschaft wieder verschwinden.23 Diese Sichtbarmachung des belebten Uterus läuft parallel zu den medizinischen Abbildungen. Jedoch verfolgen sie jeweils eine disparate Intention. Sowohl Maria als auch Elisabeth geben zwar ihre ungeborenen Kinder preis, verbergen aber dennoch ihren reproductive body. Die einzige Analogie zwischen ihnen und der Pariser Gravida scheint in der Form der Uteri als oval geformtes Fenster zu bestehen. Dieses Sichtfenster bleibt im mariologischen Kontext, wie bereits erwähnt, von allen anderen Eingeweiden oder Organen isoliert – ihr secretum mulieris. Lediglich die sogenannte Passauer Heimsuchung, heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, von circa 1420 füllt den elisabethanischen Uterus mit undefinierbaren wurmartigen Gebilden (Abb. 2). Während Hildegard Urner-Astholz darin Eingeweide erkennen mag, spricht Silke Tammen von einem Kontrastmittel zum „jungfräulich-reinen Ausnahmekörper” Mariens.24 Man möchte hier einen naturalistischen Anspruch geltend machen, weil das menschliche Ungeborene, Johannes, nicht in einem leeren Uterus wie Christus schwebt, womit ebenso das Erkennen Christi als Heiland durch Johannes den Täufer visuelle Relevanz erhält. Nichtsdestotrotz zeugt der sakrale Topos von der Abwesenheit des Sexuellen. Obschon die genaue Funktion solcher Bildwerke nicht rekonstruierbar ist, aber dennoch die Überlieferung aus Frauenklöstern dokumentiert ist, ist von einer Aufstellung im Nonnenchor und dem Zugang der Nonnen zu ihnen auszugehen. Besonders während der Zeit der Frauenmystik häuft sich das Bild der Visitatio. Als Andachtsbild dient es ergo für die spirituelle Mutterschaft respektive geistige Schwangerschaft, bei der die Figuren auch um Interzession angerufen werden können.25

Was bedeutet also Sex im Mittelalter? Sexuelle Aktivitäten werden nah zur Sünde beschrieben und dennoch ist Sex laut Gottes Anweisung notwendig: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde […].“ (Gen 1,28).26 Die gottgewollte sexuelle Aktivität stellt die mittelalterliche Theologie und Naturphilosophie vor Herausforderungen, propagieren sie doch die Kontrolle des weiblichen Körpers und Sexualität ist nur im Zusammenhang mit Reproduktion erstrebenswert. Die medizinische Zeichnung aus Paris verkörpert einen restringierten reproductive body, der das einzig legitime Ergebnis sexueller Aktivität im Leib trägt. Dabei gehören die Gravidität und Mutterschaft zu wiederkehrenden Lebensphasen vieler mittelalterlicher Laiinnen. Die Zeugung von Nachkommen soll jedoch in einer Ehe vollzogen werden, wie es auch die Haube der Gravida suggeriert. Die relativ hohen Überlieferungskontexte solcher Zeichnungen implizieren zudem, dass sie einer regen Kopiertätigkeit sowie medizinischen Bekanntheit unterlagen und die Miniaturen zu Lehrzwecken in der medizinischen Behandlung genutzt worden sind. Dabei überlagern sich sexual body und reproductive body stetig, da die Naturphilosophie dem weiblichen Körper in Gänze dem Prinzip der humores und dem Kontrast von warm und kalt unterstellt. Sie bestimmen nicht nur sexuelles Verhalten, sondern beeinflussen ebenfalls den Charakter eines Menschen.27 Hieraus leitet sich eine Hierarchie der sexed bodies ab. Mit den innenliegenden Genitalen werden der Frauenkörper und der Vorgang der Befruchtung zu einem Geheimnis, secretum mulieris, was zu dem Andersartigen, Inferioren und Imperfekten stilisiert wird. Hinzukommt die Vorstellung, dass die Frau sowohl in sozialen als auch in sexuellen Beziehungen nur passiv handelt: „This did not mean that women did not experience sexual pleasure, but rather they were conceptualized as being acted upon, while men were the actors.”28 Diese Hierarchisierung spiegelt sich auch in der medizinischen Sammelhandschrift wider, in der die männlich konnotierten Zeichnungen der Gravida gegenüberstehen. Auch heute steht die Frauenheilkunde vor ungeklärten secreta mulieris, die sich nur sukzessiv in medizinischen Abbildungen visualisieren.
Biografie
SOPHIE ROßBERG ist Kollegiatin am Graduiertenkolleg „Dynamiken der Konventionalität 400 – 1550“ an der Universität zu Köln. Ihr Dissertationsprojekt „Ego te baptizo. Zwischen visueller und gendernormativer Konventionalität: Biologische & Rituelle Elternschaft“ fokussiert Geburts- und Taufdarstellungen im Mittelalter im Kontext von Ritual Studies, Gender Studies und dem Begriff der Elternschaft.