Wet Dreams, 2024 – Claudia Lomoschitz & Konnie Krčal

In einem von kunsthistorischen und queer-feministischen pornografischen Referenzen durchzogenen Dialog verhandeln Claudia Lomoschitz und Konnie Krčal Fragen der Darstellung von Körperflüssigkeiten. Welche Genealogien und ökonomischen Regimes lassen sich bei der Darstellung von Laktat, Blut, Schweiß, Spucke, Sperma und weiblichem Ejakulat ausmachen? Bildanalysen erfolgen als kritischer Schlagabtausch, ein Gespräch zwischen dem Wunsch nach Resignifikation und Repräsentation, Körperempfindung und feministischer Kritik an patriarchalen Machtdynamiken.

Im Folgenden betrachten Claudia Lomoschitz und Konnie Krčal ausgewählte Beispiele der Kunst- und Kulturgeschichte zeitgenössischer Bildproduktion, hingehend der Darstellung von Körperflüssigkeiten und deren Ökonomien. Die Bildanalysen erfolgen als Gespräch zwischen dem Wunsch nach Resignifikation und Repräsentation, Körperempfindung und queer-feministischer Kritik an patriarchalen Machtdynamiken. Welche Genealogien und ökonomische Regimes lassen sich bei der Darstellung von Laktat, Blut, Menstruationsflüssigkeit, Schweiß, Spucke, Sperma und weiblichem Ejakulat ausmachen? Welche Fantasien wurden und werden mittels der Darstellung von Körperflüssigkeiten figuriert, und inwieweit reproduzieren diese patriarchale Gewalt von male gaze und compulsive heterosexuality? Wie nehmen Bilder Bezug auf transformierende Flüssigkeiten wie Testogel und Östrogeninjektionen, sowie auf körperergänzende Substanzen, wie Milchpulver, Gleitgel und Fake-Sperma der Pornoindustrie? Wie können nicht-patriarchale und gewaltfreie Darstellungsmöglichkeiten imaginiert werden? 

Konnie Krčal: ALLEGORIE
In der europäischen Kunstgeschichte der Neuzeit wird Sexualität, im Gegensatz zum Porno, meist allegorisch ambivalent dargestellt oder in den Bereich des Karnevalesken verschoben, der als bestimmender und fremdbestimmter Repräsentationsrahmen die Bauernschaft und urbanes Proletariat als gewalttätig und triebgesteuert entmenschlicht. Kot, Urin, Speichel und Erbrochenes, die reichlich im Karnevals- und Genrebild fließen, stehen göttlicher Laktation und göttlichem Blutfluss in der religiösen und, besonders der antik-mythologisch inspirierten Kunst seit der Renaissance, entgegen. Vermengungen dieser beiden Bildsphären sind mit der Ausnahme der frühneuzeitlichen nordalpinen Kunst, die dem Karnevalesken insgesamt mehr Raum gibt, rar. All diese Flüssigkeiten wurden zweifellos sexuell besetzt und assoziiert, fast völlig abwesend sind allerdings zwei Flüssigkeiten, die heute so zentral für die Repräsentation von Sexualität und Geschlechtlichkeit sind: Scheidensekret und Sperma. Als deren nächstes allegorisches Äquivalent kann in vielen Bildern Wasser identifiziert werden, was wohl auch damit zusammenhängt, dass viele mythologische Szenen der (sexuellen) Transformation und des Begehrens um Quellen und Gewässer strukturiert sind, etwa die Mythen des Hermaphroditos und des Narzissus.

Claudia Lomoschitz: FLEISCHESLUST
Christliche Normen beeinflussen seit jeher Sexualität maßgeblich, auch wenn im Alten Testament wird noch relativ unbefangen von körperlicher Liebe gesprochen wurde, hielt mit dem neuen Testament ein zunehmender Sexualpessimismus einzug ins Privatleben, der Körperlichkeit und Körperflüssigkeiten als Unrein diffamierte.1 Körperfeindlichkeit wurde vom Christentum gezielt genutzt, um die Kontrolle sowie Definitionsmacht über Körper zu erlangen und lustvolle Praktiken anderer Glaubensrichtungen zu verunglimpfen. Sexualität wurde als unkontrollierbare Fleischeslust unter den Generalverdacht der Sünde gestellt. Diese Körper- und Sexualfeindlichkeit diente dem Christetum als Machtinstrument, um heteronormative Fortpflanzung und Erbreichtum zu festigen.2 Ausschließlich Enthaltsamkeit – Unbeflecktheit – wurde als rein propagiert. Als fleischlich und unrein wurden vor allem gebärende, menstruierende und laktierende Körper verunglimpft und mit illusorischer Schuld aufgeladen. Weibliche Körper wurden in die Schablonen, der körperlichen Sünderin (Eva) oder der unbefleckten Heiligen (Maria) gepresst.3Die Emotion der Scham gegenüber dem eigenen Körper und dessen Begehren wurde genutzt, um Sexualität zu kontrollieren und patriarchale Normen zu festigen.

Konnie Krčal: SUBSTITUT
Die Verdrängung einer lustvollen Sexualität und negative Besetzung weiblicher und queerer Körper entspricht der angesprochenen Dialektik von allegorischer Sublimierung und karnevalesker Abwertung. In denjenigen Bildern, die später als Kunst in öffentlichen Museen gelandet sind und unsere Vorstellungen von bildlicher Repräsentation, Geschichte, Menschlichkeit etc. bis heute stark prägen, wird Sex fast nicht dargestellt. Der “Akt” ist meist die nächste Szene oder war die vorangehende Szene, passiert im Nebenzimmer, oder wird metaphorisch verklärt als Goldregen, Engelszungen, Wolken, Schlangenbisse, in dieser oder jener mythologischen Geschichte, historischem Geschehen, oder weniger expliziten Genreszene. Neben der Substitution von Körperflüssigkeiten und -teilen durch Wasser, Muscheln, Früchte etc. können Ersatzhandlungen von Mensch und Tier allegorisch für Sex und sexuelles Begehren einstehen. Joachim Wtewaels Gemälde Goldenes Zeitalter, das seine offensichtliche Prämisse der schamfreien Sexualität einer mythisch-vorkulturellen Menschheitsstufe visuell nicht einzulösen vermag, bietet sämtliche Substiutionsmodi auf (Abb. 1). In diesem und zahlreichen ähnlichen Bildern bekommt die Familie der sexualisierten Pfirsich- und Melanzani-Emojis eine größere historische Dimension. Hinsichtlich einer Geschichte der queeren Sexualität und Resignifikation erlauben uns solche Bilder das Archiv sexueller Substitutionen, Prothetik und transformativer Flüssigkeiten zu erweitern, jedenfalls hinsichtlich der Imagination und Repräsentierbarkeit von Sexualität. Die zugrundeliegenden historischen Bild- und Interpretationsnormen sind allerdings zutiefst patriarchal geprägt und bedürfen einer Allegoriekritik, wie sie Mieke Bal am Beispiel des Mythos der Lucretia formuliert: “Allegory is a historical reading attitude. It is a mode of reading that isolates the event from its own history in order to place it within a different one, it is an act of displacement and reframing. But the gist of my argument is that allegory can never replace the ‚literally‘ real. Rather, allegory is an extended metaphor, it is a reading based on the continuous similarity, involving both difference and contiguity, between its vehicle – say, here, the myth of Lucretia – and its tenor – according to its oldest pre-texts, political tyranny”.4 Eine solchermaßen auf die Füße gestellte Allegorisierung, die die zugrundeliegende Realität nicht verschleiert, sondern explizit aktiviert, um genuine metaphorische Bedeutung zu produzieren, kann dazu beitragen historische Lücken des Archivs, wie etwa Darstellungen selbstbestimmter queerer und weiblicher Sexualität, mit kritisch-utopischer Imagination zu überbrücken.

Abb. 1: Joachim Wtewael, Das goldene Zeitalter, Öl auf Kupfer, 1604. 
Abbildungsnachweis: New York, MET, Edward Joseph Gallagher III Memorial Collection, Inv.: 1993.333, public domain.

Claudia Lomoschitz: MYTHOLOGISCHE MILCH
In meiner künstlerisch-wissenschaftlichen Arbeit beschäftige ich mich mit der kunstgeschichtlichen Repräsentation von Laktation und deren queer-feministischen Implikationen. Im Folgenden werde ich auf meine Rechercheergebnisse, die in die Videoarbeit Lactans (Abb. 2) zusammenflossen, näher eingehen. Laktat ist eine der ersten kunsthistorisch dargestellten Körperflüssigkeiten, womöglich weil Laktat historisch überlebenssichernd war. Von der Antike bis in die Renaissance wurde Milch als heilende, wie auch magische Flüssigkeit zelebriert und in zahlreiche Mythologien gegossen. In der antiken ägyptischen Kultur wurde Laktat mit besonderer Wertschätzung begegnet und als eine schützende, reinigende Substanz verehrt, die aucb als Wundheilmittel Verwendung fand. Einige, auf ein Grab geträufelte Tropfen Milch konnten eine mythologische Wiedergeburt hervorrufen.7 Die Gottheit Isis wurde häufig beim Stillen ihres Sohns Horus dargestellt und ein Kult rund um Isis verbreitete sich bis nach Europa, sogar in Rom wurden Isis-Tempel errichtet. Der Isis-Kult forderte die in Rom aufkommende patriarchale christliche Moral heraus, sodass jegliche Isis Verehrung ab dem sechsten Jahrhundert vom Christentum verboten wurde. Die Stillende Maria Lactans kann als Substitut für Isis gelesen werden, um Gläubige zu konvertieren. Isis stillt Horus auf ihrem Schoß sitzend, wie Maria Jesus stillt, die Ähnlichkeit der Darstellungsweise ist verblüffend. Weiters sind sowohl Horus als auch Jesus der Legende nach zur Wintersonnenwende geboren, was wiederum auf die Inkorporation vorangehender Rituale von Naturreligionen verweist. Gläubige Christen beteten Darstellungen von Maria Lactans an und modellierten Wachsnachbildungen von Brüsten als Opfergabe bei Stillschwierigkeiten und entzündeten Brustdrüsen. Brunnen der laktierenden Maria wurden angefertigt, um Pilger:innen mit übernatürlichen Laktationskräften zu heilen. Vergleichsweise brutal wirkt der Umgang mit Laktation in der antiken griechischen Mythologie. Während z.B. die Göttin Hera schlief, wurde ihr von ihrem Mann Zeus gewaltsam Milch entnommen. Zeus drückte seinen außerehelichen Sohn an die Brust seiner schlafenden Frau Hera, um ihre göttliche Milch zu stehlen. Als Hera vom kräftigen Saugen des Kindes erwachte, stieß sie das Kind von ihrer Brust, wodurch sich ein Bogen ihrer magischen Milch in den Nachthimmel ergoss und die Milchstraße kreierte. Neben der Erschaffung der Milchstraße verlieh Hera dem Kind übermenschliche Kräfte – Herakles betritt die mythologische Bühne, sein Name bedeutet “Heras Ruhm“. Schon in griechischen Ursprungsmythen wurde weiblichenPersonen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper abgesprochen. Hallen Mythen in heutigen Körperpolitiken nach? Und welche Sehnsüchte verbergen sich hinter zeitgenössischen Laktations-Darstellungen?

Abb. 2: Claudia Lomoschitz, Isis in Lactans, 2023, Videostill, ©Claudia Lomoschitz.

Konnie Krčal: ZUM VISUELLEN BEGEHREN VON MILCH
In zeitgenössischer Pornografie wird Laktation oft in zweifacher Weise als Tool patriarchaler Macht wirksam: Im Begehren nach Milch als erotisierender Substanz auf Basis der Fetischisierung des weiblichen Körpers und als binär kodierte Rollendynamik, in der einem Part die entlastende kindliche Rolle zuteil wird. Damit übernimmt die milchgebende Person das allzu bekannte Rollenklischee der nährenden und sexualisierten Figur – und damit eine Doppelbelastung. Diese Rollenverteilung findet sich auch in frühneuzeitlichen Darstellungen, wie z.B. der Affäre zwischen Venus und Mars, mit bekannten Beispielen von Paolo Veronese und Peter Paul Rubens. Während Venus in Rubens Darstellung einen Milchstrahl an den in der Szene anwesenden kindlichen Armor abgibt, ist Mars völlig bekleidet und wird zum Voyeur der Szene. Ganz ähnlich verhält es sich in Veroneses Gemälde, wobei der ebenfalls bekleidete Mars hier vollends die Doppelrolle des sexuell Begehrten und kindlich Umsorgten einnimmt (Abb. 3). Die “Entwaffnung”, wie der Bildtypus auch genannt wird, oder Bändigung als Kriegsgott, die hier durch verschiedene Symbole und Motive wie das Pferd mit Zaumzeug Betonung findet, dient in dieser Darstellungsform ausschließlich den sexuellen Fantasien der maskulinen Identifikationsfigur, wie regressiv diese auch sein mögen. Für mich stellt sich angesichts solcher Bilder die Frage, inwieweit die Allegorisierung von Sexualität in der europäischen Kunstgeschichte, in der meist männliche Interpret:innen die Deutungsmacht über zumeist weibliche Körper innehatten, die heutige Bildproduktion prägt und welche allegorischen Überreste sich in pornografischen Bildern ausmachen lassen? Die Sexualisierung der Venusfigur kann in jedem Augenblick millionenfach im Internet wieder aufgeführt werden, nicht nur in unkommentierten Bildern der Vergangenheit, sondern insbesondere in zeitgenössischer pornografischer Bildproduktion. Können queer-feministische Pornos Laktation widerständig aufgreifen, oder bleiben sie als Nischenprodukte kapitalistischer Diversifikation Teil des Problems?

Abb. 3: Paolo Veronese, Venus und Mars, Öl auf Leinwand, 1570er,
Abbildungsnachweis: New York, Met, John Stewart Kennedy Fund, 1910, Inv.: 10.189, public domain.

Claudia Lomoschitz: BEDÜRFNISSE LAKTIERENDER KÖRPER
In der Darstellung von Veronese wird Venus, die Göttin der Liebe, in Zusammenhang mit Laktation und einer sexuellen Annäherung gebracht. Venus ist im Vergleich zu Mars unbekleidet dargestellt und dem patriarchal gaze dargeboten. Weiters steht sie labil auf einem Bein, um welches Armor das Band der Liebe schnürt. Eine allegorische Leseweise würde hier die Ebene der Körperpolitik außen vorlassen und verunmöglicht es, kunsthistorische Figuren kontextualisiert zu erfassen.8 Patriarchale Darstellungen, wie die der Venus, sind weit entfernt von der Lebensrealität laktierender Personen, die mit schmerzenden Brüsten, entzündeten Brustwarzen und Geburtsrückbildung beschäftigt sind. Matilde Cohen verdeutlicht, dass die Sexualisierung von Laktation ökonomische Realitäten der reproduktiven Arbeit verschleiert.9 Viel wichtiger ist die Frage, ob laktierende Personen sexuelle Nähe begehren? Begehren sie Unterstützung, Arbeitsteilung und Care-Arbeit? Zeitgenössische Normen rund um das Stillen sind eng gefasst und drängen die zumeist weibliche Person in die alleinige Verantwortung, meist bleibt sie auch alleine mit ihren Bedürfnissen.10 Wo zeigen bildliche Repräsentationen tatsächliche körperliche Bedürfnisse und Sorgearbeit? Wie kann Laktation außerhalb patriarchaler Sehnsüchte aufgewertet werden und als unbezahlte Reproduktionsarbeit unter Schweiß, Tränen, Blut und Schlafmangel Wertschätzung erfahren? Ist es ethisch, milchgebende Körper zu sexualisieren, wenn diese es selbst nicht tun? Ermächtigen erotische Darstellungen laktierende Personen, oder üben sie patriarchale Gewalt aus? Wie stellen sich laktierende Personen selbst dar?

Konnie Krčal: EROTISCHE REPRÄSENTATION VON LAKTATION
In Anbetracht der aktuellen antifeministischen, regressiven und aggressiven Gesellschaftsformation wäre es bedenklich, Milch und andere Körperflüssigkeiten noch zusätzlich zu sexualisieren. Es darf nicht darum gehen, den scheinbar unaufhaltsamen Prozess der Überführung von Körperlichkeit in die kapitalistische Begehrensökonomie unkritisch weiter zu beschleunigen. Die zentrale Frage für mich lautet, wie wir Sexualität aus Machtverhältnissen lösen können und welche Rolle (pornografische) Repräsentation dabei spielen kann.  Auf einer queeren Porno Seite sehe ich das Video Maman II (2023), in der zwei weibliche Darstellerinnen laktieren und gemeinsam mit einer queeren Person und einer Transfrau sexuelle, nicht-penetrative Handlungen, rund um Laktation vollziehen. In einem für Pornos untypisch durchgehendem Voice-Over, thematisieren die Darsteller:innen ihre wechselnden Rollen und ihre Begehren, wodurch eine Atmosphäre der Intimität geschaffen wird und gleichzeitig eine Distanzierung von den Bildern der Pornografie. Die Akteur:innen sprechen auch darüber, wie sie ihre Milchproduktion durch Hormongabe ermöglicht haben und wie sie auf Basis eigener Erfahrungen Körperteile wie Nippel, Brüste, Klitoris und Penis re-signifizieren. Diese Strategien erinnern mich daran, dass frühneuzeitliche Männer laktieren konnten, ohne große Verwunderung auszulösen, da Körperflüssigkeiten, insbesondere Milch und Blut, in der Humoralpathologie und darüber hinaus nicht diskret konzeptualisiert waren.11 Auch nicht-menschliche Flüssigkeiten, wie etwa Rubens Bleiweiß zur Darstellung von Milchstrahlen, konnte alchemisch-symbolische Teilhabe an menschlicher Körperlichkeit haben.12 Was das für historische Queerness bedeutet, muss angesichts des mehr als fragmentarischen Archivs weitgehend offen bleiben. Die eher voyeuristische Faszination mit Figuren wie Hermaphroditos und die Entmenschlichung nicht-europäischer Menschen als effeminiert oder geschlechtlich uneindeutig bieten unerfreuliche Verdachtsmomente.

Claudia Lomoschitz: QUEERE LAKTATION
In meiner künstlerischen Arbeit Partus Gyno Bitch Tits (Abb. 4) beschäftige ich mich mit induzierter Laktation, und thematisiere queere, kollektive und multigenerationale Reproduktionsphantasien.13 In der Videoinstallation teilen Protagonist:innen Erfahrungen, Wünsche, Ängste, Zärtlichkeit und Erinnerungen in Bezug auf sorgetragende Praxen. Grundsätzlich ist es allen Körpern, unabhängig vom Geschlecht möglich, mittels monatelanger Stimulation der Brüste, durch eine Milchpumpe und Hormonpräparate, den Milchfluss auszulösen. In dem empfehlenswerten Ratgeber Queer Nursing schreibt Liesel Burisch: “nursing does not solidify a gender”.14 Induzierte Laktation wird in Gemeinschaften rund um Adoptivelternschaft, Queer-Parenting, Milchtauschbörsen und erotische Laktation praktiziert. Fiona Giles hinterfragt das Verhältnis von queerer Repräsentation und gelebter Körperlichkeit wie folgt: “A queer mode of inquiry invites an opening of attitudes towards breastfeeding as a practice intrinsically marked by difference, relationality, and fluidity. In addition to inviting an exploration of the ethics of diverse breastfeeding practices, it also encourages us to critically analyse the meanings of existing, inherited representations of breastfeeding.”15 Wie könnten sexuelle Bedürfnisse abseits kapitalistischer pornografischer Darstellungen repräsentiert werden? Solange weiterhin infrastrukturelle Ungerechtigkeiten bestehen, sehe ich von der kapitalistischen Vermarktung und Sexualisierung von Laktation ab – wobei ich laktierenden Körpern Sexualität nicht abspreche.  Viel eher interessiert mich die Repräsentation von gerechten Strukturen, die körperliches, emotionales, geistiges und wirtschaftliches Wohlbefinden reproduktiver Arbeit unterstützen. Unter anderem sind das Räume, in denen das Abpumpen von Milch, Erwärmen von Milch und Stillen störungsfrei möglich sind. Auch Zugang zu Stillberater:innen, sowie eine Entschädigung des Verdienstausfalls durch Stillzeiten und wirtschaftliche Absicherung zählen zu solchen noch zu erkämpfenden Strukturen.

Abb. 4: Claudia Lomoschitz, Partus Gyno Bitch Tits, 2021, Videostill, ©Claudia Lomoschitz.

Claudia Lomoschitz: VON MILCH ZU BLUT
Anhand von christlichen Bildwerken lässt sich eine genealogische Verschiebung von Milch (Maria Lactans) zu Blut (Jesus am Kreuz) erkennen. Die Darstellung von laktierenden Marienfiguren versiegt geschichtlich, zu dem Zeitpunkt wo Jesus Blut in Strömen zu fließen begann. Die Flüssigkeit des weiblich konnotierten, überlebenswichtigen Laktats, wurde nach und nach durch das Blut leidender männlicher Figuren substituiert. Christus wurde erst ab der Spätromanik als sterblicher, leidender und blutender dargestellt, dies geschah, damit sich Gläubige mit dem Körper Jesu identifizieren konnten. Davor wurde Jesus vorwiegend mit geöffneten Augen als wiederauferstandener Weltenherrscher (Pantokrator), der den Tod überwunden hat, abgebildet. Christus als leidender am Kreuz, mit geschlossenen Augen und blutenden Wunden, ist Symbol für den christlich-patriarchalen Übergang von der Wertschätzung weiblicher Körperflüssigkeiten hin zu männlichem Leid, welches mittels der Emotion Angst, christlichen Reichtum befeuerte.

Konnie Krčal: BLUTSTRÖME
Fra Bartolomeos verlorener Heiliger Sebastian wurde angeblich aus einer Kirche in Florenz entfernt, weil die Reaktion der Gläubigen auf diesen blutüberströmten Märtyrer den kirchlichen Autoritäten allzu weltlich-lustvoll erschien. In dieser Anekdote tritt sexuelles Begehren mit einer konservativen Autorität in Konflikt, die nicht zuletzt Macht über Körper ausübt, indem sie Flüssigkeiten als sündig tabuisiert. Dennoch setzte sich die Aneignung und Transformation des frühchristlichen Heiligen zur queeren Ikone fort, wofür heute insbesondere Derek Jarmans Film Sebastiane (1976) steht. Wie alle Märtyrer ist Sebastian ein Nachahmer Christi, dessen Blut sozusagen immer mitmischt, wenn es seinen Nachfolger:innen an den Kragen geht. Ausgehend vom geschundenen Körper Jesu hat das römische Christentum eine reiche Ikonographie körperlicher Versehrtheit hervorgebracht, die den Verlust körperlicher Integrität zum Ideal erhebt. Die bizarre Ikonographie des “Christus in der Weinpresse” macht das ganz explizit in einem Blutstrahl, der in den meisten Versionen in hohem Bogen aus der Seitenwunde schießt und letztlich im liturgischen Kelch zur Konsumation aufgefangen wird (Abb. 5). Obskurer ist die mittelalterliche Ikonographie dieser Wunde als Vagina, aus der die Kirche selbst geboren wurde. Handelt es sich hierbei um eine weitere patriarchale Aneignung weiblicher Körperlichkeit und weiblich konnotierter Symbolik, oder können wir Christus als queeren Körper ansprechen (Abb. 6)? Queering the church oder Jesus ist mir als ungetaufter Atheist kein persönliches Anliegen, letztlich wissen alle wie gay besonders die katholische Kirche ist, was die Institution nicht weniger queerphob, misogyn und reaktionär macht. Allerdings haben alle Gläubigen meine Sympathie, die durch die Vorstellung einer Red-Shower aus Jesus vaginaler Seitenwunde so erregt werden, wie Teresa von Ávila oder Franz von Assisi beim Empfang ihrer Stigmata.

Abb. 5: Hieronymus Wierix nach Marten de Vos, Christus in der Weinpresse, Kupferstich, vor 1611. Abbildungsnachweis: Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.: RP-P-OB-66.891/Wikimedia commons, public domain.
Abb. 6: Four Chambers, MAMAN II, Still: Seitenwunde, 2023.
Abbildungsnachweis: ©Four Chambers.

Claudia Lomoschitz: BLUTLEER
Im Vergleich zu Darstellungen des blutüberströmten Jesus und heiligen Sebastians wirken die Darstellungen weiblicher Ikonen wie Agatha von Catania oder Lucrezia meist blutleer.16 Lucrezia bürdete sich, nachdem sie vergewaltigt wurde, in einer Täter Umkehr jegliche Schuld auf und ermordete sich aus Verzweiflung mit einem Dolch selbst. Ihr blutendes Leid wird seit dem Mittelalter kaum noch dargestellt, hingegen wird sie mit Beginn der Renaissance zunehmend sexualisiert. Die ihr erfahrene Gewalt wird außen vor gelassen und es wirkt so, als dürften in der christlichen Ikonografie nur männliche Protagonisten bluten, leiden und empfinden. Dies zeigt sich auch bei blutleeren Darstellungen von Agatha von Catania, die oftmals ihre abgetrennten Brüste auf einem Tablett präsentiert. Diese steht in Kontrast zur Gewalt die Agathe erfahren musste. Im Alter von 15 Jahren legte sie das Gelübde der Jungfräulichkeit ab, eine durchaus verständliche Entscheidung im mittelalterlichen Patriarchat.  Der weitaus ältere Statthalter Quintianus respektierte ihre Entscheidung jedoch nicht und wollte sie zur Frau nehmen. Agatha lehnte seinen Antrag ab und wurde daraufhin von Quintianus in ein Bordell gesperrt und dort zwangsprostituiert. Nach den Qualen unterbreitete Quintianus ihr erneut einen Heiratsantrag, den Agatha ebenfalls entschieden ablehnte, woraufhin er beschloss, ihr mit einer Zange am lebendigen Leib die Brüste abzutrennen. Sie ertrug diesen grausamen Akt der Folter und überlebte, doch daraufhin ließ er ihren Körper auf glühende Kohlen legen, was ihren brutalen Tod zur Folge hatte. Trotz all der Gewalt gegenüber ihrem Körper vergießt Agatha in christlichen Darstellungen keinen Tropfen Blut. Stattdessen feierte die christliche Kirche sie als hingebungsvolle, unbefleckte Heilige – welch grausame Ironie. Bis heute wird die Gewalt gegenüber Agathas Körper in Form eines Kuchens, der sizilianischen St. Agatha-Torte gefeiert. Diese ist ihren abgeschnittenen Brüsten nachempfunden, mit einer Kirsche oben auf – eine in Zuckerguss gehüllte Normalisierung von Gewalt gegen weibliche Körper. In meiner Videoarbeit Lactans (Abb. 7) taucht Agatha aus einem Meer von Blut auf, mit dem Verweis auf all das Blut, das von weiblichen Körpern im Lauf der Geschichte vergossen wurde.

 Abb. 7: Claudia Lomoschitz, Agatha in Lactans, 2023, Videostill, ©Claudia Lomoschitz.

Claudia Lomoschitz: MENSTRUATION
Obwohl die Hälfte aller Menschen seit Anbeginn der Zeit, vom Teenager-Alter bis zum Klimakterium, jeden Monat menstruiert, existiert so gut wie keine Darstellung von Menstruation in der Kunstgeschichte vor 1970. Bis ins vorige Jahrhundert wurde Menstruation vom Christentum als weibliche Krankheit diffamiert, die als unrein galt. Und als ob diese Leseweise immer noch tief sitzt, finde ich kaum lustvolle Darstellungen von Menstruationssex im Internet, weder bei Mainstream Porno Anbietern noch bei queeren Seiten. Ist Menstruation zu dirty für die Pornoindustrie oder will das Patriarchat immer noch Kontrolle über weibliche Körper ausüben? In der Antike wurde Menstruationsflüssigkeit hingegen als heiliges, zyklisch-reinigendes Liquid verehrt und fand sogar in spirituellen Zeremonien Verwendung.17 Ägyptische Texte der Antike bringen weibliche Gottheiten in Verbindung mit dieser zyklischen Kraft, so trat aus der Gottheit Isis Hellrotes hervor, aus Nephthys Rotes.18 Sogar die Morgenröte wurde im antiken Ägypten mit dem göttlichen Blut der Geburt verglichen – jeden Morgen gebar die Göttin Nut aufs Neue den Sonnengott Re.19 Da Menstruation ein regenerativer Prozess ist, der im Wiederaufbau der Gebärmutterschleimhaut mündet – einer Flüssigkeit, die Leben spenden kann, ist eine positive Leseweise naheliegend. Auch frühe mesopotamische Hochkulturen fertigten Malereien mit Menstruationsblut an, um Fruchtbarkeit zu beschwören. Im antiken Griechenland nahm Aristoteles an, dass Menstruation das Äquivalent zum männlichen Samen sei und Kinder aus einer Vermengung der beiden Flüssigkeiten entspringen würden. Menstruation wird auch seit jeher mit dem Mondzyklus in Verbindung gebracht, und bis heute sprechen wir, wenn der Mond vergrößert und orange am Himmel steht, vom Blutmond. Dennoch wird zeitgenössisch Menstruation selten positiv dargestellt, außer in Form von euphorischen Werbungen der Billionenschweren Industrie von Hygieneprodukten. Ich selbst nehme meine Menstruationsflüssigkeit nicht als hygienebedürftige Flüssigkeit wahr, sondern als spannendes, warmes Liquid in unterschiedlichen Rottönen.  Auch wenn sich Künstler:innen in den letzten Jahrzehnten vermehrt mit Menstruation beschäftigen, scheint Menstruation immer noch nicht normalisiert zu sein. Das beweist z.B. ein Social Media Post von Rupi Kaur 2015, wo sie mit rot beflecktem Jogginganzug am Bett liegend posiert. Das Bild wurde umgehend von der Social Media Plattform entfernt. Weshalb wird Menstruation immer noch zensiert? Besteht Angst vor Menstruationsflüssigkeiten, da es manche immer noch verwirrt, dass Körper jeden Monat bluten und nicht sterben? Meine Suche nach erotischen Darstellungen von Menstruationsflüssigkeit verebbt in zartrosa Spuren, kaum ein blutiger Cunnilingus lässt sich im Netz finden, verwunderlich, da doch Orgasmen krampflösend wirken. Es drängt sich die Frage auf, ob einem lustvollen Umgang mit Menstruationsflüssigkeit noch immer ein Tabu anhaftet. Auch der Versuch, KI-Bilder von Menstruationssex zu generieren, bleibt überraschend trocken. Meine Sehnsucht danach, einen Film über Menstruationsvampire zu drehen, wächst. Eine lustvolle Annäherung an Menstruationsflüssigkeit könnte dazu beitragen, Emotionen wie Ekel und Scham zu entgegnen und soziale Codes zu verflüssigen. Auch nach langer Recherche lustvoller Abbildungen finde ich vorwiegend Bilder glitzernder Hygieneprodukte oder Malereien mit Menstruationsflüssigkeit, jedoch selten erotische Darstellungen. Auch wenn ich ein persönliches Leintuch-Archiv monatlicher Menstruationsspuren sexueller Lust erfreulich finde, wirkt es nicht unmittelbar reizvoll. Als eines der wenigen lustvollen Bilder bleibt mir ein Foto, welches Cardi B (Abb. 8), in einem von Tom Brown entworfenen Kleid zeigt, in Erinnerung. Die geriffelte Oberfläche des Kleides ruft Assoziationen zu der Schleimhaut der Vulva wach, aus der sich Ströme roter Flüssigkeit ergießen. Auch wenn diese stoffliche Darstellung lustvoll auf Menstruation aufmerksam macht, fügt sie sich Millionenschwer in sexualisierende kapitalistische Strukturen ein, ohne realpolitische Forderungen zu stellen. Eine hingegen unsichtbare, erfreuliche strukturelle Wertschätzung von menstruierenden Körpern, vollzieht sich seit kurzem in Spanien, wo menstruierende jeden Monat mehrere Tage bezahlten Krankenstand beantragen können, um sich von Periodenkrämpfen oder Endometriose zu erholen. Nicht jede Handlung kann sich in Bilder kleiden.

Abb. 8: Cardi B attends The 2019 Met Gala Celebrating Camp: Notes On Fashion at The Metropolitan Museum of Art on May 06, 2019 in New York City. Photo by Lionel Hahn/ABACAPRESS.COM.

Konnie Krčal: MONEY–SHOT
Im Gegensatz zur fehlenden Darstellung von Menstruationsflüssigkeiten erfährt eine Flüssigkeit besonders in der zeitgenössischen Pornografie übertriebene Aufmerksamkeit: Sperma. Wenn wir das männliche Ejakulat ganz unvoreingenommen in den Blick nehmen könnten, was für eine Flüssigkeit wäre es dann? Milchig-trüb, erst zähflüssig, dann zunehmend flüssiger, mit schwer beschreibbarem Geruch. Der Blickpunkt, der für ein verändertes, nicht reproduktives sexuelles Verhältnis zu Sperma notwendig wäre, ist stark verstellt durch eine jahrhundertelange patriarchale und lustfeindliche kulturelle Dominanz. Als eine schambesetzte Spur des Sexuellen, die nie zu sehen sein darf, war Ejakulat im historischen Längsschnitt zumeist nicht bildwürdig. Die völlig normalisierte Allgegenwart des “money shots” als zentraler Ausdruck des Phallozentrismus in heutiger Mainstream Pornografie ist auch innerhalb des Genres ein sehr junges Phänomen und kennt kein funktionales Äquivalent in der älteren Kunst. Als “defining trope of pornography” konnte sich der “money shot” erst seit den 1970er Jahren etablieren.20 Damit hat die Pornoindustrie eine einfache Antwort auf die Frage der Repräsentation von Orgasmen gefunden, die dem Patriarchat zugutekommt. Der Cumshot mag Ejakulat als Flüssigkeit in gewisser Hinsicht enttabuisieren und aus dem reproduktiven Imperativ lösen, doch zugleich lädt er diese unbedeutende Flüssigkeitsmenge mit übergebührlicher Bedeutung und vermeintlicher Dominanz auf, unter der alle möglichen nicht-ejakulierenden Körper leiden. Diese Bilder sind stark verengte Allegorien eines phallozentrischen patriarchalen Begehrens, das neu interpretiert und verflüssigt werden muss.

Claudia Lomoschitz: WEIBLICHES. VS. MÄNNLICHES EJAKULAT
In der heutigen erotischen Bildproduktion ist die Fokussierung auf Ejakulat auffallend überrepräsentiert, auch wenn dies in der europäischen Geschichte ein relativ junges Phänomen ist, da Ejakulat in pornografischen Bildern bis ins 20. Jahrhundert so gut wie nicht dargestellt wurde. Die zeitgenössische erotische Bildproduktion ist hingegen äußerst phallozentristisch und setzt oftmals Ejakulat mit der gesamten männlichenSexualität gleich. Erogene Zonen, Bedürfnisse sowie Sensitivitäten werden ausgeklammert – jegliches Lustempfinden wird auf 2-6 Milliliter Ejakulat reduziert, welches von der Pornoindustrie mit fake-Sperma in großen Mengen inszeniert wird. Eventuell ist dies eine überproportionale Gegenreaktion auf die Jahrhunderte lang vom Christentum propagierten patriarchalen Irrglauben, dass Embryos zur Gänze im Ejakulat angelegt seien und jegliche Verschwendung von Ejakulat, wie z.B. Verhütung, Masturbation und Homosexualität, als eine Sünde die dem Mord glich gehandhabt wurde.21 So behauptete die christliche Kirche zum einen die schöpferisch patriarchale Dominanz, die das weibliche Zutun zur Kreation eines Menschen völlig ausklammerte, und verknüpfte zugleich Autoerotik und Homoerotik mit Schuld. Auch die chinesischen Taoisten setzten den Verlust von Sperma mit Verlust von Lebensenergie gleich und gingen davon aus, dass die Vermeidung von Ejakulation dazu führen würde, Lebensenergien zu bewahren. Sie beschrieben, dass männlichen Körpern Samen nur begrenzt zur Verfügung stünde, während die Säfte weiblicher Körper unerschöpflich fließen würden und nie versiegen würden.22 Weibliches Ejakulat, in China auch Mondblumenwasser, Pfirsich- oder Melonensaft genannt, galt als hochgradig potente Flüssigkeit, wobei davon ausgegangen wurde, dass Empfängnis sich bei der Vermischung von weiblichem und männlichem Ejakulat vollziehen würde.23 In der chinesischen Kosmologie galt der Austausch von Körperflüssigkeiten als lebenserhaltende Medizin: „Man trinkt einander. Atmet den Atem und den Duft des Liebsten, nimmt die Energien und die Kraft des Geliebten über alle Öffnungen des Körpers auf.“24 Solch sinnliche Beschreibungen der Verbundenheit fehlen oftmals in heutigen Darstellungen, wo sogar ein zärtlicher feuchter Kuss zur Ausnahme zählt. In der Pornoindustrie steht dem Money-shot männlicher Ejakulation seit den 2010er Jahre der Money-shot weiblicher Ejakulation gegenüber. Anfänglich wurde weibliche Ejakulation in feministischen Bildungsvideos der 1980er propagiert, jedoch geriet sie in den 2010ern in den Fokus von Mainstream-Pornos, die weibliche Ejakulation für den patriarchalen Blick vermarkten.25 Die Repräsentation von weiblicher Ejakulation, in für den Male-gaze erstellten Money-Shots, verharrt in allzu bekannten Rollenstereotypen. Vergleichsweise selten ejakuliert z.B. eine weibliche Person ins Gesicht einer männlichen Person. Viel eher wird Squirting in Mainstream-Pornos als Kuriosität ausgestellt und einer Leistungsschau unterzogen, wie z.B. in einem Video, wo eine Protagonist:in angehalten wird, 4m weit zu ejakulieren, um einen Lichtschalter auszuschalten. Gibt es ähnliche Videos mit männlichem Pendant dazu? Squirting wird zu einem raren Kunststück stilisiert, und weibliche Körper werden der Schaulust preisgegeben, ohne auf deren lustvolles Empfinden einzugehen. Absurd ist dies vor allem, da beinahe jede Person mit Vulva Squirten könnte, ob die Praxis aufgrund der Flüssigkeitsfeindlichkeit der Gesellschaft oder der sexuellen Kontrolle weiblicher Körper nicht jeder Person bekannt ist, bleibt offen.

Claudia Lomoschitz: TRÄNEN
Der Text endet mit der Betrachtung von Tränenflüssigkeit und beweint zeitgleich patriarchale Ungerechtigkeit. In einigen Kulturen wurden und werden Tränen als produktive Flüssigkeit wertgeschätzt, z.B. im antiken Ägypten, wo Tränen die kreative Kraft der Wiederauferstehung zugesprochen wurde.26 Die Entstehungsgeschichte des Mittleren Reichs spricht sogar davon, dass Menschen aus göttlichen Tränen geschaffen wurden.27 Im christlichen Spätmittelalter wird Jesus häufig weinend dargestellt (Abb. 9), hingegen wurde mit Beginn der Renaissance vor allem weiblichen Figuren die emotionale Leistung des Weinens zugesprochen. Dies wirkt bis heute in Form der Verdrängung von white male tears nach, ein Meer unterdrückte Tränen, dass zu Sexismus, Diskriminierung und Rassismus führt. Vielleicht würde es um die Welt besser stehen, wenn Tränen als Ausdruck von Empfindsamkeit und Berührbarkeit flüssiger Bestandteil körperlicher Intimität wären. In heutiger Pornografie sind männliche wie weibliche Tränen nicht präsent. Kunstgeschichtliche Darstellungen tränenfeuchter Gesichter scheinen durch digitale Bilder von Ejakulat auf Gesichtern visuell ersetzt worden zu sein – Bild und Empfindung driften auseinander. Den eigenen Körper von Bildern zu befreien, sehe ich derzeit als bio-politischen Aktivismus, um sich Körperempfinden und Körperflüssigkeiten wieder anzunähern. Pornografische Bilder bleiben trotz Zuhilfenahme von Fake-Flüssigkeiten, digital glatt und trocken, sie erzählen viel eher von kapitalistischen Ökonomien, als von körperlichen Erfahrungen. Können wir uns von den unzähligen, auf der Netzhaut klebenden Bildern lösen? Und wie könnten Formen der Repräsentation von Emotionalität und Intimität aussehen? In klingenden Worten: „Da seh′ ich es in Deinen Augen glitzern, sag mal, weinst du, oder ist das der Regen, der von deiner Nasenspitze tropft? Sag mal, weinst du etwa, oder ist das der Regen, der von deiner Oberlippe perlt? Komm her, ich küss den Tropfen weg, probier‘ ihn, ob er salzig schmeckt.”28

Abb. 9: Ambrogio Bergognone, Christus trägt das Kreuz (Detail), um 1501
Abbildungsnachweis: The National Gallery, London.

Biografie

CLAUDIA LOMOSCHITZ ist als bildende Künstlerin, Choreografin und Filmemacherin tätig. Sie studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien, der Royal Danish Academy in Kopenhagen und absolvierte den MA Performance Studies an der Universität Hamburg. Sie ist Lektorin an der Akademie der bildenden Künste Wien und forscht zu kulturgeschichtlichen Implikationen von Laktation und queer-feministischer reproduktiver Arbeit. Ihre künstlerischen Arbeiten waren u.a. in der Kunsthalle Wien (LACTANS, 2023), im brut Wien (CUMULUS, 2022), Kunstraum Niederösterreich (PARTUS Gyno Bitch Tits, 2021), Tanzquartier Wien (G.E.L., 2021) und Belvedere 21 (One Mess Gallery, 2019) zu sehen. www.claudialomoschitz.com

KONNIE KRČAL beschäftigt sich in seiner kunsthistorischen Praxis mit Gattungstheorie, allegorischer Signifikation, Ephemeralität, sowie der Repräsentation und Konstruktion von Normen und Alteritäten in der europäischen Kunst der Frühen Neuzeit. 2024 ist seine Dissertationsschrift unter dem Titel „Das französische Thesenblatt im 17. Jahrhundert. Drei Studien zur allegorischen Gattungsgenese“ bei DeGruyter erschienen. Das aktuelle Postdoc-Projekt ist einer Auseinandersetzung mit der ersten Phase des Kolonialismus gewidmet, mit dem Ziel die entstehende Ästhetik kolonialer Repräsentation und Legitimation im Rahmen der europäischen Festkultur und des politischen Rituals zu analysieren.

Fußnoten

  1. Vgl. Jakob Patsch: Ein verhängnisvolles Erbe, In: Plattform „Wir sind Kirche“ (Hrsg.): Liebe, Eros, Sexualität, Wien 1996, S. 102- 152, hier: S. 110 ff.
  2. Vgl. ebd. S. 114.
  3. Vgl. Daniela Hammer-Tugendhat: Kunst/Konstruktionen, In: Lutz Musner,  Gotthart Wunberg (Hrsg.): Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen, Wien 2002, S. 313–338, hier: S. 321.
  4.  Mieke Bal: Reading Rembrandt. Beyond the Word-Image Contradiction, Cambridge 1991, S. 227.
  5. Vgl. Natalie Schmidt: Körperflüssigkeiten und -ausscheidungen der Götter des Alten Ägypten, Wiesbaden 2022: S. 286 ff.5 Die ägyptische Göttin Hathor, dargestellt als himmlische Kuh, galt als Amme des Horizonts und Schöpferin der Milchstraße, die mit ihrem heiligen Milchfluss das Sternenlicht kreierte. Pharaon:innen tranken symbolisch von Hathors’ Milch, um magische Kräfte zu erlangen und so als Herrscher:innen legitimiert zu werden. Laktat wurde als machtvolle Flüssigkeit, als “Water of Life and Domination” verehrt.6Vgl. Maria Ivanova: Milk in ancient Egyptian religion, Uppsala 2009, S. 7.
  6. Vgl. Hammer-Tugendhat, 2002: S. 328.
  7. Vgl. Matilde Cohen: “The Lactating Man.” , in: Mathilde Cohen; Yoriko Otomo (Hrsg.): Making Milk. The Past, Present and Future of Our Primary Food,  London; New York 2017, S. 141–160, hier: S. 142.
  8. Vgl. Fiona Giles: ‚Relational, and Strange‘: A Preliminary Foray into a Project to Queer Breastfeeding, in: Australian Feminist Studies19.45, 2004, S. 301–14, hier: S. 308f.
  9. Vgl. Barbara Orland: Why Could Early Modern Men Lactate? Gender Identity and Metabolic Narrations in Humoral Medicine, in: Jutta Sperling (Hrsg.): Medieval and Renaissance Lactations. Images, Rhetorics, Practices, Farnham 2013, S. 37–54, hier: S.37ff.
  10. Margit Thøfner: Nursing Paint: On Rubens, Facture and Breast Milk, in: Cordula van Whye (Hrsg.): Rubens and the Human Body, Turnout 2018, S. 175–197, hier: S.194.
  11. Bodybuilding- Steroide können zu einer Überproduktion des Hormons Prolaktin führen und Milchfluss auslösen. Im Bodybuilder Jargon wird vergrößertes männliches Brustgewebe mit dem selbst gewählten Begriff Bitch Tits bezeichnet.
  12.  Liesel Burisch: Queer Nursing, Berlin 2020, S. 4.
  13. Giles, 2010: S. 303.
  14. Vgl. Anne M Scott; Michael David Barbezat: Introduction: Bodies, Fluidity, and Change, in: Anne M Scott; Michael David Barbezat (Hrsg.): Fluid Bodies and Bodily Fluids in Premodern Europe. Bodies, Blood, and Tears in Literature, Theology, and Art, Leeds 2019, S. 9.
  15. Vgl. Schmidt 2022: 332.
  16. Vgl. Schmidt 2022: 417.
  17. Vgl. Schmidt 2022: 413.
  18. Vgl. Tiffany Sostar; Rebecca Sullivan: The Money Shot in Feminist Queer and Mainstream Pornographies, in: Toby Miller (Hrsg.): The Routledge Companion to Global Popular Culture, New York 2015, S. 197–206, hier: S.197.
  19. Vgl. Patsch 1996: 113.
  20. Vgl. Stephanie Haerdle: Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation, Hamburg 2020, S.24.
  21. Vgl. ebd.
  22. ebd.
  23. Vgl. ebd., S.210 ff.
  24. Vgl. Schmidt 2022: 621.
  25. Vgl. Schmidt 2022: 85.
  26. Echt: Weinst du, Album: Freischwimmer. Laughing Horse 10.9.1999, 3,51 min.