#4 Editorial

Issue #4 Körper, 2022

Der menschliche Körper besteht aus bis zu 100 Billionen Zellen. Nichts ist individueller als unser Körper und dennoch kommen wir nicht als unbeschriebenes Blatt zur Welt, denn wir sind immer Teil einer kollektiven Identität, die an Vorstellungen von Körperbildern geknüpft ist.

Wir verändern, gestalten, entwerfen unsere Körper regelmäßig, scheinbar selbstbestimmt. Aber wie frei sind wir dabei wirklich? Unsere Körper sind permanent von anderen Körpern umgeben ⎼ stählerne Körper präsentieren frisch antrainierte Muskeln auf Spiegel-Selfies im Fitnessstudio. Freizügig bekleidete, sich lasziv räkelnde Frauen bewerben auf großen Plakatwänden Elektrogeräte oder Joghurtmarken. Während dabei einige Körper als erstrebenswert präsentiert werden, erfahren andere Ablehnung und werden stigmatisiert. An Idealvorstellungen von Körpern sind in einer Leistungsgesellschaft auch immer Vorstellungen von Produktivität geknüpft ⎼ erst ein arbeitender Körper ist ein nützlicher Körper. Doktrinen wie diese sind in unseren Köpfen stark verwurzelt und bestimmen selbst vermeintlich objektive Wissenschaftskontexte. Manchen Körpern kommen dabei Privilegien zu, andere sind behaftet mit Vorurteilen. Den Vorstellungen nicht zu entsprechen, kann dabei Scham auslösen und zu Unsicherheiten führen, unsere sozialen Beziehungen beeinflussen. 

Doch in jeder Norm und jeder Reglementierung liegt auch das Potential zur Umwälzung. Denn mit unseren Körpern sind wir politisch. Wir haben Körper, die bluten, von Haaren, Falten und Malen übersät sind und es gibt keinen Grund, sich davor zu ekeln. 

Schon lange definiert sich ein Körper nicht mehr ausschließlich durch die  Zusammensetzung seiner Zellen. Die Sichtbarkeit und Bandbreite an Körperdarstellungen ist größer geworden. Das Ideal der Antike könnte längst durch Cyborgs abgehängt sein, Avatare im digitalen Raum nehmen beliebige Formen an und zeigen neue Perspektiven auf.

Und am Ende bleibt nur noch die Frage: Was passiert mit diesem Körper nach dem Tod?

Die vierte Ausgabe von frame[less] vereint vielfältige Formate wie theoretische, kritische und wissenschaftliche Annäherungen an das Thema, mit praktischen, projektbezogenen Beiträgen. Wir danken allen Beitragenden für die Zusammenarbeit, ihre Zeit, Ideen und ihr Vertrauen.

Lasst uns gemeinsam die Ideale stürzen und als politische Körper die Potenziale dieser erforschen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert