Der pandemiebedingte Lockdown hat uns in unseren eigenen Wohnräumen festgehalten und zum Stillstand gebracht. Zurückgeworfen auf die eigenen Gedanken wurden so aus schützenden Wände, einengende, unüberwindbare Mauern. Doch wie lässt sich diese Erfahrung beschreiben, für Menschen ohne einen festen Unterschlupf oder Wohnsitz? Zhang Jianling macht den unfreiwilligen, zweiwöchigen Quarantäneaufenthalt des jungen Migranten Kamlesh Meena auf einem Baum vor dem eigenen Dorf im indischen Rajasthan zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Es geht nun einmal nicht. Zählen alleine genügt nicht.
Wieder schließt er seine Augen: die durch den Wind
verbreiteten Pilzsporen siedeln sich auf dem ersten
Blatt an und bilden dort oberseits oliv-braune Flecken
und unterseits einen weißlichen Pilzrasen. Zunächst wird
das zweite Blatt glasig-faulig, später folgt der typisch
gräuliche Schimmelrasen. In den Adern des dritten
Blattes ist es schwer die wenige Millimeter kleinen
Insekten ohne Lupe zu erkennen. Es riecht nach
stärkehaltigem Spritzmittel gegen Schädlinge. Leider zu
spät für das vierte Blatt. Durch Hagel, Windbruch,
Frost, Trockenheit usw. ist das Erscheinungsbild der
Schädigungen vielfältig, das fünfte Blatt zum Beispiel,
hat sich eingerollt, ist gehärtet und vergoldet. Das
sechste Blatt, einst das größte, ist stetig geschrumpft,
sogar auf die Größe eines Kleinkinds, grün-schwarze,
später braun-schwarze Teile von Armen und Beinen… “
Eine Nacht von Kamlesh Meenas Quarantäne auf dem Baum.
Jianling Zhang spring/summer of 2020.
Biografie
Zhang Jianling
Zhang Jianling studierte an der China Academy of Art Curatorial Studies, es folgte ein Abschluss an der Akademie der Bildenden Künsten in München in der Klasse von Prof. Julian Rosenfeldt. Die Abschlussarbeit Zhangs trug den Titel Redemption of Images: Mnemosyne and Angelus Novus. Während der langjährigen Tätigkeit im kuratorischen sowie künstlerischen Bereich, entstanden zahlreiche Ausstellungsformate innerhalb Europas und Chinas, die ein vertieftes Interesse an Ortsspezifik und daran gebundene Narrative erkennen lassen.