Slave to the Rhythm – Patrick Angus‘ Darstellungen der schwulen New Yorker Subkultur – Tobias Bednarz

Die Bilder des amerikanischen Malers Patrick Angus führen uns mitten in die Szenelokale der schwulen New Yorker Subkultur der 1980er Jahre. Eines der Charakteristika dieser Werke ist deren Betonung einer Atmosphäre von Einsamkeit und Isolation. Das gezielte Inszenieren dieser pessimistischen Stimmung und die Anreicherung seiner Werke mit einer emotionalen Schwere stehen bei Angus jedoch einer rein dokumentarischen Schilderung des Geschehens entgegen.

Oh oh oh 
You you you take my heart and shake it up 
You you you take my heart and break it up 
Get me to the doctor 
My heart goes bang bang bang bang 
My heart goes bang bang bang bang 
My heart goes bang bang bang bang 
My heart goes bang bang bang bang“

Auf den ersten Blick passen diese eingängigen Lyrics des Refrains eines Songs der Band Dead or Alive aus dem Jahr 1985 durchaus zum extrovertierten Gepose des nackten Tänzers im Gemälde My Heart Goes Bang, Bang, Bang, Bang (Abb. 1) des US-amerikanischen Malers Patrick Angus (* 1953 in North-Hollywood, † 1992 in New York, USA) von 1986. Wie in diesem Falle, entlieh Angus die Titel vieler seiner Gemälde mit Motiven der schwulen New Yorker Subkultur der 1980er Jahre beliebten Popsongs der Zeit, zu denen die Tänzer in den Striplokalen performten.1 Bei genauer Betrachtung wird Angus‘ Bild der Spannung und Erregung, die dieser rhythmische Titel vermittelt, jedoch nicht gerecht. Der Fokus liegt nicht auf dem – bis auf die weißen Nike-Sneaker – völlig nackten Stripper, sondern hauptsächlich auf dem Publikum, das dieser Stripvorführung beiwohnt. Über die nackte Rückenansicht des Tänzers blicken wir über die Bühne hinweg in die starren Mienen der Besucher, die verhalten, vielleicht fast ein bisschen gelangweilt, das „beste Stück“ des jungen Tänzers fixieren. Interaktionen zwischen den Männern im Publikum zeigt Angus kaum. Das Interesse der Männer gilt allein dem Objekt ihrer (sexuellen) Begierde auf der Bühne. Kommt es dann doch einmal zu Annäherungen, so sind diese meist von „käuflicher“ Natur, wie in der Kontaktaufnahme eines älteren Freiers mit einem jungen Stricher, die Angus uns schemenhaft abseits des Zuschauerraumes auf der rechten Seite zeigt. Eine Ausnahme bilden lediglich die zwei Besucher in der letzten Reihe, die sich engumschlungen küssen. Doch diese glücklichen Momente schwulen Lebens lässt Angus – wenn überhaupt – nur am Rand passieren, während ein Schleier pessimistischer, fast melancholischer Stimmung über der Darstellung liegt. Diese Atmosphäre der Einsamkeit und Isolation ist ein charakteristisches Element fast aller Arbeiten mit dieser Motivik, die Angus schuf. 1980 kam Patrick Angus von Kalifornien, wo er geboren wurde, aufwuchs und studierte, an die Ostküste nach New York und fand dort in den Lokalen der schwulen Szene die Inspiration und Motivik für viele seiner Gemälde und Zeichnungen.2 Mit seiner dauerhaften Übersiedlung nach Manhattan in der Mitte der 1980er Jahre wurden diese Darstellungen dann zum zentralen Sujet.3

Abb. 1: Patrick Angus, My Heart Goes Bang, Bang, Bang, Bang, 1986, Acryl auf Leinwand, 122 x 152,5 cm, Berlin, Schwules Museum*. Abbildungsnachweis: Ausst. Kat. Patrick Angus. Private Show, Stuttgart (Kunstmuseum) 2017, S. 139. [© 2017 Douglas Blair Turnbaugh; Fotonachweis: Berlin, Schwules Museum*]

My Heart Goes Bang, Bang, Bang, Bang ist ein charakteristisches Beispiel für Angus‘ offenen Umgang mit einem schwulen Bildthema. In Bildern wie diesem thematisiert der junge Maler seine eigene Identität als schwuler Mann und zeigt die Orte, an denen er sich oft selbst aufhielt. Diese Orte der Subkultur, in der schwule Männer trotz gesellschaftlicher Tabuisierung und Verbote ihren sexuellen Begierden nachgehen konnten, sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Doch gerade ab den 1970er Jahren kam es mit einer neuen Offenheit gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe und Sexualität, sowie besonders durch das Nachlassen der polizeilichen Verfolgung von Homosexuellen im Zuge der Schwulen- und Lesbenbewegung zur Entstehung einer ausgeprägten schwulen Subkultur in Großstädten wie New York, die sich speziell an diese „Kundschaft“ wandte. Es entstanden neben Bars auch Schwulensaunen, Striptheater und Pornokinos, häufig mit Hinterzimmern für sexuelle Handlungen, sogenannten „back- oder darkrooms“, die von vielen schwulen Männern besucht wurden.4

Trotz des liberaler werdenden Klimas in den Jahrzehnten nach dem Stonewall-Aufstand 1969,5 waren zu Angus‘ Lebzeiten diese Szeneorte für viele schwule Männer die einzige Möglichkeit, ihre sexuellen Neigungen auszuleben und mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen. Ein solcher Treffpunkt der Szene – und besonders beliebt – war das berühmte Gaiety Male Burlesque Theatre, ein Striplokal, das sich unweit des Times Squares befand und von 1975 bis 2005 betrieben wurde.6 Es sind dessen legendäre Bühne und Zuschauersaal, die Angus in My Heart Goes Bang, Bang, Bang, Bang detailliert wiedergibt. Genau wegen dieser Präzision der Darstellung wird Angus immer wieder als „Chronist der Schwulenszene“ bezeichnet. Wie sehr er in dieser Rolle gesehen wird, verdeutlicht ein Artikel der New York Times mit der Überschrift Quietly a Bawdy Beacon Goes Dark aus dem Jahr 2005, der über die Schließung des Gaiety Theatre berichtete. Neben dem Artikel wurde ein Detail des Gemäldes Hanky Panky (Abb.2) von Angus abgedruckt (Abb.3). Die Bildunterschrift dazu lautete: „‘Hanky Panky‘ […], a 1990 painting by Patrick Angus that immortalized the world of the Gaiety.“7 Angus hat demnach diesen legendären Ort der schwulen Subkultur in seiner Kunst verewigt. Unrecht hat die Autorin sicherlich nicht, denn Angus nimmt uns in seinen Bildern tatsächlich mit in eine Szene, die hauptsächlich hinter verschlossenen Türen existierte. Ihn als Chronist zu bezeichnen hat daher also sicherlich auch eine Berechtigung, denn viele seiner Bilder besitzen durchaus einen dokumentarischen Charakter. Im Zuge der Aids-Epidemie schlossen die Badehäuser und Striptheater nach und nach. Die Orte und damit die Subkultur, wie Angus sie in seinen Bildern zeigt, existieren so heute nicht mehr.8 Dass Angus besonders bedacht war, die Orte wie das Gaiety exakt wiederzugeben, zeigt sich nicht nur im Vergleich mit den wenigen überlieferten Fotos, sondern auch anhand mehrerer Skizzen wie Untitled (Study for Gaiety Painting Triptych) (Abb.4), in denen Angus die räumlichen Gegebenheiten des Striptheaters genauestens festgehalten und nachvollzogen hat, um sie dann in Bildern wie My Heart Goes Bang, Bang, Bang, Bang korrekt darzustellen. Doch Angus scheint es nicht um eine rein naturalistische Wiedergabe der Lokalitäten und erlebten Szenen zu gehen. Denn dagegen sprechen das bewusste Komponieren seiner Werke, sowie der gezielte Einsatz bestimmter malerischer Mittel.9 Mit diesen künstlerischen Strategien macht Angus seine Bilder zu höchst subjektiven Darstellungen und geht weit darüber hinaus, ein bloßer Chronist zu sein.

Abb. 2: Patrick Angus, Hanky Panky, 1990, Acryl auf Leinwand, 102 x 137 cm, Leslie-Lohman, New York, Museum of Gay and Lesbian Art. Abbildungsnachweis: Ausst. Kat. Patrick Angus. Private Show, Stuttgart (Kunstmuseum) 2017, S. 124. (© 2017 Douglas Blair Turnbaugh; Fotonachweis: Leslie-Lohman Museum of Gay and Lesbian Art, New York).
Abb. 3: Zeitungsauschnitt aus: The New York Times vom 24. April 2005. Abbildungsnachweis: Zeitungsauschnitt aus den Unterlagen des Nachlassverwalters Douglas Blair Turnbaugh, gescannt vom Autor. (© Douglas Blair Turnbaugh; Genehmigung zur Verwendung an Tobias Bednarz erteilt)
Abb. 4: Patrick Angus, Untitled (Study for Gaiety Painting Triptych), undatiert, Bleistift auf Papier, 45,5 x 120 cm, Courtesy Galerie Thomas Fuchs. Abbildungsnachweis: © Douglas Blair Turn- baugh; Fotograf: Thomas Fuchs

Ein Werk, das zeigt, wie hoch komplex Angus‘ Bildaufbau und Darstellungsweise sind, ist das bereits erwähnte Gemälde Hanky Panky (Abb.2), das nur zwei Jahre vor dem aidsbedingten Tod des Malers 1992 entstand. Auch hier zeigt Angus uns eine Szene aus dem Gaiety Theatre. Diesmal ist das Bildthema jedoch nicht eine der Stripshowvorführungen, sondern der Konsum eines Schwulen-Pornos auf einer Leinwand oberhalb der Bühne.10 Über die Rückenansichten der Besucher hinweg blicken wir auf eine Pornoszene, die in pastelligen Farben den ansonsten dunklen Vorführsaal schwach beleuchtet. Die Umrisse der Männer im Publikum treten durch diese Lichtgebung aus dem Schatten des Raumes hervor. Ihre Köpfe sind auf das gezeigte Techtelmechtel (englisch: hanky panky) zweier nackter Pornodarsteller an einem sonnigen Pool gerichtet. Im linken Drittel des Gemäldes fällt die stehende Figur eines oberkörperfreien Tänzers ins Auge, der sich neben den Zuschauerreihen lässig an eine Wand lehnt und an seiner Zigarette zieht. Schräg links hinter dieser Figur zeigt Angus einen zweiten Tänzer, der im Licht eines Türrahmens steht. Ein älterer Herr mit Glatze und untersetzter Figur scheint, unbeeindruckt von der Pornovorführung, den Blickkontakt zu diesem muskulösen Stricher-Tänzer zu suchen. Angus macht mit dieser Figurenkonstellation – wie auch schon in My Heart Goes Bang, Bang, Bang, Bang – subtil auf die Aspekte käuflicher Liebe innerhalb der schwulen Subkultur aufmerksam, die sich in vielen seiner Darstellungen in der Annäherung deutlich älterer Herren und sportlichen Jungen präsentiert.11 An Orten wie dem Gaiety ging es in erster Linie um die Befriedigung sexueller Begierden, indem junge, schöne und meist muskulöse Männerkörper sowohl auf der Bühne als auch in privaten Treffen zwischen Besuchern und Tänzern vom schwulen Publikum konsumiert wurden. In Hanky Panky verweist Angus gleich doppelt auf diesen Aspekt des Konsumierens: Neben der Kontaktaufnahme am Rand des Bildes, rückt er den Konsum von Pornografie mit der leuchtenden Farbigkeit der Leinwandszene in den Fokus. Im Nachlass des Künstlers fand sich die Vorlage für dieses Bild-im-Bild-Motiv: Ein Pornomagazin aus den 1980er Jahren (Abb.5). Mark Gisbourne bringt es auf den Punkt, wenn er Hanky Panky als „[…] eine komplexe und vielschichtige Zusammenfassung verschiedener Ideen“ beschreibt.12 Denn diese Pornoszene referiert gleichzeitig auch auf ein bekanntes Werk des offen schwulen Malers David Hockney (*1937). Angus zitiert die Komposition eines berühmten Gemäldes des britischen Künstlers mit dem Titel Portrait of an Artist (Pool with two Figures) von 1972 (Abb. 6). Wie im Folgenden gezeigt werden soll, lässt sich dieses Zitat als deutlicher Kommentar von Angus zu Hockneys Werk verstehen. Angus ist selbstverständlich nicht der erste Maler, der Bilder mit offen schwulen Sujets schuf. Er reiht sich vielmehr in eine Reihe von Kunstschaffenden ein, die seit der Antike eine Thematisierung oder Visualisierung von Homosexualität in Literatur und bildender Kunst auf unterschiedliche Weise vollzogen. Besonders in verschlüsselter Form oder in Gestalt nackter und erotischer Männerkörper durchziehen die Themen Homosexualität und Homoerotik die gesamte Kunstgeschichte.13 David Hockney nimmt in diesem Kontext aber sicherlich eine besondere Rolle ein, denn er gilt als einer der ersten Künstler, der offen zu seiner Homosexualität stand und das auch in seiner Kunst thematisierte. In seinen frühen Werken experimentierte Hockney bei der Darstellung seiner Figuren und einer schwulen Thematik noch mit Abstraktion, im Laufe der Zeit wurde sein Umgang jedoch immer offener und er schuf mit Selbstverständlichkeit homoerotische Bildwelten.14 Hockneys Werke – und vor allem sein freier Umgang mit der eigenen Sexualität darin – prägten Angus als Student in Santa Barbara nachhaltig.15 Auch wenn Hockney mit seinen Darstellungen wie Portrait of an Artist (Pool with two Figures) zwar eine Visualisierung schwulen Lebens lieferte, so haben Kritiker verständlicherweise angemerkt, dass es seinen Los Angeles-Werken mit der Reduzierung auf Pools und schöne Jungs an sozialem Kontext mangelt und sie die gesellschaftliche Realität Kaliforniens in dieser Zeit ausblenden.16 Auch Angus scheint die Arbeiten Hockneys, trotz aller Bewunderung für den Maler, als „unehrliche“ Repräsentationen schwulen Lebens zu sehen. Das belegt die Verbannung dieser pastelligen Bildwelten auf die Pornoleinwand seiner Subkulturdarstellung. Jens Hinrichsen findet die richtigen Worte, wenn er den Unterschied zwischen dem Ins-Bild-Bringen schwuler Lebensrealitäten der beiden Maler wie folgt zusammenfasst: „Anders als David Hockney […] schildert Angus nicht das hedonistische Homoglück unter kalifornischer Sonne, das für die meisten ohnehin ein unerreichter Traum blieb.“17 Angus zeigt in seinen Gemälden eine andere Realität vieler schwuler Männer, die ein Leben, wie es Hockney in seinen Bildern präsentiert, lediglich auf der Bühne oder der Kinoleinwand der Szene-Lokale konsumieren konnten.

Abb. 5: Bildvorlage für das Leinwandmotiv in Patrick Angus‘ Gemälde Hanky Panky. Die Fotos stammen aus einem Pornomagazin, das sich im Nachlass des Künstlers fand. Abbildungsnachweis: Pornomagazin aus dem Nachlass von Patrick Angus, gescannt vom Autor.
(© Douglas Blair Turnbaugh; Genehmigung zur Verwendung an Tobias Bednarz erteilt)
Abb. 6: David Hockney, Portrait of an Artist (Pool with Two Figures), 1972, Acryl auf Leinwand, 213,5 x 305 cm, Privatsammlung. Abbildungsnachweis: Livingstone, Mark: David Hockney, London 2017, S. 137. (© Art Gallery of New South Wales; Fotogra- fin: Jenni Carter)

Angus scheint offensichtlich ein besonderes Interesse an der Betonung einer melancholisch-pessimistischen Stimmung seiner Darstellungen der schwulen Subkulturszene gehabt zu haben. Denn liest man die Berichte von Zeitgenossen wie Robert B. Stuart, der laut eigener Aussage auch mehrmals gemeinsam mit Angus in Schwulenbars und Stripvorführungen des Gaietys war, so zeigt sich eine gewisse Diskrepanz zu Angus‘ Bildern. Während die Protagonisten bei Angus häufig einsam und isoliert erscheinen, betont Stuart das rege Treiben und die sexuellen Begegnungen zwischen den Besuchern der Stripshows und Pornokinos.18 Es kam dabei wohl nicht nur zu sexuellen Kontakten zwischen den Besuchern und den Stricher-Tänzern, sondern auch zwischen den Besuchern untereinander. In Hanky Panky (Abb. 2) ist ein subtiler Hinweis hierauf gegeben: Hier nähern sich die Arme zweier Männer auf einer Rückenlehne einander an. Angus macht damit zurückhaltend darauf aufmerksam, dass vielleicht noch mehr zwischen den beiden Männern passieren wird.

Erotisches Knistern vermitteln aber auch solche stillen Momente nicht. Ob Angus uns nun stumme Rückenansichten in schummrig beleuchteten Sitzreihen oder die ausdruckslosen starren Mienen des Publikums zeigt, immer mangelt es an Interaktion zwischen den Protagonisten, von sexueller Erregung ist keine Spur. Vielmehr wird uns der Eindruck von Isolation und Einsamkeit vermittelt. Mit dieser pessimistischen Stimmung rückt Angus seine Bilder in die Nähe der Bildwelten Edward Hoppers (1882-1962). Der amerikanische Maler ist bekannt für das Gefühl der Distanz und die Vereinzelung der Figuren seiner Gemälde. Angus scheint fasziniert von dieser Vermittlung menschlicher Gefühle und verlieh vielen seiner Subkultur-Motive eine ganz ähnliche Wirkung. In seiner Pornokinodarstellung Hanky Panky bezieht sich Angus mit der Komposition sogar ganz bewusst auf Hopper und dessen Gemälde New York Movie von 1939 (Abb. 7). Angus‘ an die Wand gelehnter halbnackte Tänzer erscheint in seiner Haltung fast wie die gespiegelte Version von Hoppers Platzanweiserin mit der Melancholie-Geste in New York Movie.19 Als eines der bedeutendsten Werke des Amerikaners gilt Night-Hawks aus dem Jahr 1942 (Abb. 8), das den Blick von einer dämmrigen Straße in das Innere eines beleuchteten Diners zeigt, an dessen Tresen dem Wirt drei Gäste gegenübersitzen. Hubert Beck beschreibt treffend die Stimmung, die zwischen den Figuren in diesem Gemälde herrscht: „Die Menschen sind sich anscheinend fremd, scheinen sich nicht zu trauen, sie schweigen und sind erstarrt, als liege eine unsichtbare Last auf ihnen.“20 Wie diese Beschreibung verdeutlicht, liegt die Stärke Hoppers darin, selbst in Werken mit mehreren Figuren Vereinzelung und Einsamkeit zum Thema zu machen, indem er eine Beziehungslosigkeit zwischen ihnen ins Bild bringt.21 Genau diesen Moment der Beziehungslosigkeit bringt auch Angus in seinen Bildern zum Ausdruck. Den Figuren im Publikum scheint meist jegliche zwischenmenschliche Beziehung zu ihrem Umfeld zu fehlen. Diese für Angus charakteristische Betonung einer Stimmung der Vereinzelung im Kollektiv lässt sich als subjektiver Kommentar des Künstlers zu jener Subkulturszene, von der er selbst ein Teil war, lesen.

Angus selbst äußerte sich kurz vor seinem Tod in einem Interview zu seinen Gemälden der schwulen Subkultur folgendermaßen: „People go to places I’ve depicted looking for sexual adventure, and my paintings show what they end up with. I mean, it’s all about men standing around looking at each other, which is pretty much what I’ve seen ever since I’ve been out in the gay world. When I went out to bars or any situation in which gay men gather, all of them regard each other with distrust in dark little places. So when I made my paintings, that’s what I depicted.“22

Abb. 7: Edward Hopper, New York Movie, 1939, Öl auf Leinwand, 81,9 x 101,9 cm, New York, Museum of Modern Art. Abbildungsnachweis: Beck, Hubert: Edward Hopper, Hamburg 1992, Abb. 30.
Abb. 8: Edward Hopper, Night-Hawks, 1942, Öl auf Leinwand, 76,2 x 152,4 cm, Chicago, The Art Institute of Chicago. Abbildungsnachweis: Beck, Hubert: Edward Hopper, Hamburg 1992, Abb. 32.

Wir können Angus‘ Darstellung so als Selbstreflexionen seiner eigenen Erfahrungen verstehen. Er liefert uns seine subjektive Übersetzung der Welt der schwulen Subkultur in die Malerei. Sebastian Preuss sieht die pessimistische Sicht auf die Szene darin erklärt, dass Angus „[…] selbst an der Beziehungslosigkeit in der Szene [litt], wo viele keinen anderen Sex haben, als den schnell wechselnden Verkehr in Saunen und Clubs.“23 Eine gewisse Kritik an diesem Aspekt der Schwulen-Szene, die an diesen Orten ihre Begierden zu befriedigen sucht, ist deutlich in Angus‘ Bildern zu spüren. Für Angus scheinen die Männer zu sehr nach unnahbaren Idealen, wie sie auf der Stripbühne oder in Pornofilmen gezeigt und von den jungen Strichern verkörpert werden, zu suchen, als sich auf die realen Männer um sich herum einzulassen.24 Indem er auf verschiedene Vorbilder referiert und sich durch seine Kompositionen und Malweise von der „schwulen Bildtradition“ einer Idealisierung nackter Männerkörper sowie der homoerotischen und pornografischen Darstellungsweise entfernt, gelingt es Angus, Bilder mit einem ganz eigenen Charakter zu schaffen. Mit seiner Betonung einer pessimistischen Stimmung der Einsamkeit an Orten wie den Striptheatern und Pornokinos macht Angus „[…] die Sehnsüchte und Enttäuschungen, de[n] Kampf auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten und des Jugendwahns [, sowie] die Isolierung des Einzelnen, die in der Gay Community genauso präsent sind, wie überall sonst […]“ zum eigentlichen Thema 25 Es geht nicht nur um die sexuellen sondern auch um die emotionalen Bedürfnisse der Männer, die in dieser Szene unterwegs sind. Es geht um das „[…] Hamsterrad aus Sehnsucht, Hoffnung, Erfüllung und Enttäuschung […]“,26 in dem sie sich befinden. So verweisen Angus‘ Bilder darauf, was wir im Grunde alle teilen: den Wunsch nach Nähe, Zuneigung und Anerkennung. Es geht also nicht allein um die Darstellung einer gesellschaftlichen Minderheit und deren Szenelokale, sondern um universelle menschliche Erfahrungen. Denn gewissermaßen sind wir alle doch „Slaves to the Rhythm“, wie es Grace Jones 1985 in ihrem berühmten Song zusammenfasst, wenn sie singt:

„Work to the Rhythm 
Live to the Rhythm 
Love to the Rhythm 
Slave to the Rhythm“

Und es verwundert nicht, dass Angus auch diesen Titel für eines seiner Gaiety-Bilder adaptierte (Abb.9).

Abb. 9: Patrick Angus, Slave to the Rhythm, 1986, Acryl auf Leinwand, 101,5 x 150 cm, Privatsammlung. Abb. Nachweis: © Douglas Blair Turnbaugh; Fotograf: Thomas Fuchs.

Biografie

Tobias Bednarz

Tobias Bednarz studiert Kunstgeschichte im Master an der Universität Stuttgart. Sein Schwerpunkt liegt in der Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts, wobei er sich besonders für soziale Kontexte und popkulturelle Rezeption interessiert. Bereits während seines Bachelorstudiums arbeitete er  in der Galerie Thomas Fuchs, die seit 2015 den Nachlass des Malers Patrick Angus vertritt. In seiner Bachelorarbeit vertiefte Tobias seine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Oeuvre des Malers. Seit 2018 arbeitet er als freier Kunstvermittler für verschiedene Institutionen in Stuttgart sowie als wissenschaftliche Hilfskraft der Professur der Moderne am Institut für Kunstgeschichte.

Fußnoten

  1. Siehe: Gisbourne, Mark: Boys Together Clinging, in: Patrick Angus, Berlin 2016, S. 8–17, hier S. 11.
  2. Zur Biografie des Künstlers: Turnbaugh, Douglas Blair: Strip Show. Paintings by Patrick Angus (1953–92), London 1992.
  3. Auch wenn sich dieser Beitrag allein mit dieser Motivik beschäftigt, so wird eine Beschränkung seines Werkes auf Bilder mit offen schwuler Thematik dem Künstler nicht gerecht. Wie sein Nachlassverwalter Douglas Blair Turnbaugh in der ersten Publikation zu Angus aus dem Jahr 1992 betont (siehe Endnote 2), schöpfte Angus seine Kunst aus dem eigenen Leben. Als figurativ arbeitender Maler führt das in den meisten Fällen zwangsläufig zu den klassischen Genres der Kunstgeschichte und so ist auch Angus‘ Oeuvre geprägt von Landschaften und Stadtansichten, Interieurs sowie einer großen Anzahl von Porträts, Akten und weiteren Darstellungen der menschlichen Figur. Besonders aber auch seine Lebensrealität als offen schwul lebender Mann findet in zahlreichen Arbeiten Eingang, wobei die daraus entstehenden Darstellungen mit mal offensichtlicheren und mal subtileren schwulen Sujets im Falle der Gemälde etwa ein Drittel des Gesamtwerkes einnehmen.
  4. Siehe: Smalls, James: Die Homosexualität in der Kunst, New York 2003, S. 240; Beyon, John: Bathhouses and Sex Clubs. In: Gay Histories and Cultures, hrsg. von George E. Haggerty, New York/ London 2000, S. 101–103, hier S. 101f.
  5. Der Stonewall-Aufstand im Juni 1969 gilt für viele als Initialzündung des Kampfes der modernen Schwulen- und Lesbenbewegung – heute mit der Bezeichnung Queer- oder LQBTQI+-Community noch inkludierender gefasst – für Gleichberechtigung. – Siehe: Meyer, Richard: Inverted Histories. 1885-1979, in: Art and Queer Culture, hrsg. von Catherine Lord und Richard Meyer, New York 2013, S. 17–28, hier S. 25.
  6. Siehe: Gisbourne, Mark: Boys Together Clinging, in: Patrick Angus, Berlin 2016, S.8–17, hier S. 8
  7. Vgl. : Belgiorno, Kathryn: Quietly a Bawdy Beacon Goes Dark, in: The New York Times, April 24, 2005.
  8. Siehe: Sternweiler, Andreas: My Heart Goes Bang, Bang, Bang, Bang., Ausst. Broschüre Schwules Museum*, Berlin 2004, S. 5.
  9. An dieser Stelle soll auf Angus‘ Umgang mit der Darstellung attraktiver Männerkörper in seinen Subkultur-Bildern hingewiesen sein: Auffällig ist das bewusste Entgegenwirken einer sinnlichen oder erotischen Darstellung der nackten Stripperfiguren in Werken wie My Heart Goes Bang, Bang, Bang, Bang. Das Bild-in-Bild-Motiv auf der Leinwand in Hanky Panky verdeutlicht, dass Angus durchaus in der Lage war, den menschlichen Körper exakt wiederzugeben. Angus scheint sich also ganz bewusst gegen eine naturalistische Wiedergabe der Stricher-Tänzer entschieden zu haben und mischte gerade bei diesen Figuren häufig abstrahierende Elemente mit einer rohen Handschrift mit in seine figurative Malweise. Es wurde von mehreren Autoren bereits darauf hingewiesen, dass hier Einflüsse der Malerei des Bay Area Figurative Movement deutlich zum Ausdruck kommen (Siehe bspw. : Gisbourne 2016.). Angus distanziert sich mit dieser Strategie von einer gewissen „schwulen Bildtradition“, bei der es meist um die Zuschaustellung homoerotischer Ideal-Körper und die Betonung bewusst maskuliner Potenz geht (Siehe hierzu bspw. : Reed, Christopher: Art and Homosexuality. A History of Ideas, Oxford 2011; Weinberg, Jonathan: Male Desire. The Homoerotic in American Art, New York 2004 oder Theis, Wolfgang: Homosexualität in der Kunst, in: Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung. Ausst. Kat. Schwules Museum* und Akademie der Künste, Berlin 1997, S. 309–321.).
  10. Zwischen den einzelnen Auftritten der Stripper ließ man eine große Leinwand von der Decke, auf der Pornofilme gezeigt wurden, die das Publikum während der Wartezeit unterhalten sollten. Vgl. : Stuart, Robert B.: Patrick Angus. Portrait in Friendship. Narrative Chronology and Personal Memoir, unveröffentliches Manuskript, New York 2018.
  11. Wie Robert B. Stuart–ein Zeitgenosse und guter Freund von Angus–in seinem Beitrag Theatre in Patrick Angus. A Visual Diary beschreibt, boten die Tänzer nach ihren Vorführungen auch sexuelle Dienste an.– Siehe: Stuart, Robert B.: Theatre, in: Patrick Angus. A Visual Diary, hrsg. von Anna Siccardi und Fabio Cherstich, Mailand 2015, S. 54–58.
  12. Siehe: Gisbourne, Mark: Boys Together Clinging, in: Patrick Angus, Berlin 2016, S. 8–17, hier: S. 8.
  13. Siehe: Röske, Thomas: Homosexualität in der Bildenden Kunst heute, in: Queer. Homosexualität in der Kunst, Ausst.Kat. Kunstverein Eislingen, Eislingen 1997, S. 11–14, hier S. 11.
  14. Wolfgang Theis macht darauf aufmerksam, dass besonders „[d]ie große Verbreitung von [seinen] Männerpaaren in Duschen, Freundespaaren, prominenten Schwulen und vor allem von sonnendurchfluteten Swimmingpools mit nackten Boys […] dazu beigetragen [haben], dass nicht nur die kunstinteressierte Öffentlichkeit begann, Homosexualität als eine Variante der Sexualität zu akzeptieren.“ – Theis, Wolfgang: Homosexualität in der Kunst, in: Goodbye to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung. Ausst. Kat. Schwules Museum* und Akademie der Künste, Berlin 1997, S. 309–321, hier S. 312.
  15. Sein Nachlassverwalter Turnbaugh beschreibt Angus‘ Entdeckung von Hockneys Werk folgendermaßen: „Here he found an artist who celebrated his sexual persona in his work and who glamorized the ‚good‘ gay life in Los Angeles.“ – Turnbaugh, Douglas Blair: Angus, Patrick, in: The Queer Enzyclopedia of the Visual Arts, hrsg. von Claude J. Summers, San Francisco 2004, S. 33–34, hier S. 34.
  16. Siehe: Stephens, Chris: Sunbather, in: David Hockney, Ausst. Kat. Tate Britain, London 2017 / Centre Georges Pompidou, Paris 2017 / The Metropolitan Museum of Art, New York 2018, hrsg. von Chris Stephens und Andrew Wilson, London 2017, S. 65–69, hier S. 68.
  17. Hinrichsen, Jens: Liebes Leben, in: Monopol, August 2016, S. 96–99, hier S. 98.
  18. Siehe: Stuart, Robert B.: Theatre, in: Patrick Angus. A Visual Diary, hrsg. von Anna Siccardi und Fabio Cherstich, Mailand 2015, S. 54–58, hier S. 54.
  19. Siehe: Gisbourne, Mark: Boys Together Clinging, in: Patrick Angus, Berlin 2016, S.8–17, hier: S. 8.
  20. Beck, Hubert: Edward Hopper, Hamburg 1992, S. 31.
  21. Siehe: Lucie-Smith, Edward: Amerikanischer Realismus, Leipzig/London 1994, S. 124.
  22. Patrick Angus zitiert nach: Chunovic, Louis: A Showdown in Santa Barbara. Patrick Angus’s Sexy Paintings of Gay Male Life Survive Censorship Threat at University of California, in: The Advocate, February 1992, S. 62–63, hier S. 63.
  23. Preuss, Sebastian: The Places I’ve Been. The People I’ve Seen. Patrick Angus, ein amerikanischer Realist, in: Patrick Angus. Private Show. Ausst. Kat. Kunstmuseum Stuttgart, Berlin 2017, S. 10–18, hier S. 15.
  24. Siehe: Brown, Gary H. / North, Steven / Stern, William: The Paintings of Patrick Angus, in: Thresholds. Viewing Culture, Journal of the Graduate Students Association, University of California, Volume 6, Spring 1992, Santa Barbara 1992, S. 81–86, hier S. 84.
  25. Preuss, Sebastian: Eros, in: Patrick AngusPrivate Show. Ausst. Kat. Kunstmuseum Stuttgart, Berlin 2017, S. 58–59, hier S. 58.
  26. Preuss, Sebastian: The Places I’ve Been. The People I’ve Seen. Patrick Angus, ein amerikanischer Realist, in: Patrick Angus. Private Show. Ausst. Kat. Kunstmuseum Stuttgart, Berlin 2017, S. 10-18, hier S. 10.

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