Gina Marie Schwenzfeier knüpft in ihrem Textbeitrag an die TEXTE ZUR KUNST-Debatte Vom Private View ans Licht der Öffentlichkeit. Überlegungen zur Sichtbarmachung sexualisierter Gewalt im Kunstfeld (2023) an, um die tief verwurzelten patriarchalen Machtstrukturen im Kunstbetrieb zu analysieren. Sie untersucht anhand von Werken Andrea Frasers, Jenny Holzers und der Guerrilla Girls, wie feministisch-aktivistische Kunst sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch sichtbar macht. Der Text lotet die Schnittstellen zwischen Kunst, Gewalt und Macht aus und zeigt auf, wie zeitgenössische künstlerische Praktiken die Diskrepanz zwischen sexualisierter Gewalt als Thema und deren Realität innerhalb der Kunstinstitutionen aufdecken können.
Do women have to be sexually harassed to get into the art industry?
Nein. Dennoch stabilisieren Machtstrukturen Räume, in denen patriarchale Aneignung marginalisierter Körper nicht (entsprechend) verurteilt oder gar unsichtbar gemacht wird. Ausgangspunkt für diese Auseinandersetzung ist die am 26. Juli 2023 in TEXTE ZUR KUNST veröffentlichte Debatte Vom Private View ans Licht der Öffentlichkeit. Überlegungen zur Sichtbarmachung sexualisierter Gewalt im Kunstfeld von Sabeth Buchmann, Christina Clemm, Iris Dressler und TEXTE ZUR KUNST. In dieser werden künstlerische Werke, aktuelle Berichterstattungen und theoretische Analysen verknüpft und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.
Der vorliegende Aufsatz erweitert diese Perspektive, indem er die drei folgenden künstlerischen Arbeiten untersucht: Untitled (2003) von Andrea Fraser,1 Abuse of Power Comes as No Surprise (1983) von Jenny Holzer und 3 Ways to Write a Museum Wall Label when the Artist Is a Sex Predator (2018) der Guerrilla Girls. Die Werke greifen (patriarchale) Machtstrukturen und sexualisierte Gewalt in Kunstinstitutionen aus unterschiedlichen Perspektiven auf: Fraser kritisiert die Machtmechanismen des Kunstsystems, Holzer betrachtet das Thema des Machtmissbrauchs im gesellschaftlichen Kontext und die Guerrilla Girls üben eine praktische institutionsbezogene Kritik anhand eines konkreten Fallbeispiels aus und gehen damit explizit auf Machtmissbrauch in Form von sexualisierter Gewalt ein. Alle drei Werke sind institutionskritisch, Holzers Werk und das der Guerrilla Girls sind zusätzlich aktivistisch angelegt.
Im Mittelpunkt meiner Untersuchung stehen folgende Fragen: Inwiefern machen diese Arbeiten die dem Kunstbetrieb zugrunde liegenden Machtstrukturen sichtbar? Wie distanzieren sie sich von diesen und schaffen zugleich Räume der Ermächtigung? Und welche Diskrepanz besteht zwischen der Thematisierung sexualisierter Gewalt sowie der Präsenz feministischer Perspektiven in Kunstwerken und Institutionen und den realen Bedingungen innerhalb des Kunstbetriebs, denen Teilnehmende des Kunstbetriebs gegenüberstehen? Um diese Fragen zu beantworten ist eine Klärung zentraler Begriffe wie Kunstbetrieb, Macht und Machtstrukturen im Kunstbetrieb, Sexismus und Misogynie und sexualisierte Gewalt notwendig.2 Am Ende wird daher ein glossarähnliches Kapitel zur Begriffsklärung der angeführten Begriffe, beigefügt, das bei Bedarf herangezogen werden kann. Es bleibt zu betonen, dass sexualisierte Gewalt in intersektionalen Zusammenhängen betrachtet werden muss. Sie ist kein Problem, das nur in heteronormativen, binären Verhältnissen auftritt, sondern ist eng mit Machtverhältnissen und weiteren Diskriminierungsformen wie beispielsweise Rassismus und Klassismus verflochten.3 Die Rolle kapitalistischer Strukturen in Machtungleichgewichte im Kunstbetrieb ist ebenfalls zu berücksichtigen.
Der folgende Text greift die These der TEXTE ZUR KUNST-Debatte auf, in der formuliert wird, dass die Kunst- und Kulturbranche – trotz der feministischen und kritischen Auseinandersetzung vieler Kunstwerke (mit sexualisierter Gewalt) – bereits über ihre Strukturen anfällig für Übergriffe ist.4 Dies liegt, so wird es festgehalten, unter anderem an der oft unscharfen Trennung zwischen beruflichem und privatem Kontext, der Machtkonzentration auf wenige Akteur:innen und den asymmetrischen Machtverhältnissen innerhalb der Branche sowie der starken Abhängigkeit vieler Karrieren von diesen Machtpolen.5 Ziel ist es, die Arbeitsrealitäten in dieser von (weißen) patriarchalen Machtstrukturen geprägten Branche offenzulegen und zu fragen, welche Funktion Kunstwerke, Debatten und in erster Linie die Schaffung neuer Strukturen in der Sichtbarmachung und Überwindung solcher Bedingungen einnehmen können.
„Worum geht es wirklich, um Sex oder um Macht?“6
Die TEXTE ZUR KUNST-Debatte zum Thema sexualisierter Gewalt im Kunstfeld setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern Machtstrukturen und institutionelle Dynamiken Sexismus und Übergriffe begünstigen. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach der Rolle der sexualisierten Gewalt bei der Aufrechterhaltung patriarchaler Machtverhältnisse im Kunstbetrieb, wie und warum der Kunstbetrieb daran scheitert, strukturelle Veränderungen herbeizuführen und inwiefern die spezifische Organisation des Kunstfeldes – unter anderem geprägt von Netzwerken, Veranstaltungen und Terminen, bei denen die Grenze zwischen beruflichem und privatem schnell verschwimmen – zu einer „Kultur des Schweigens“7 beiträgt.
Die Debatte verdeutlicht, dass die Probleme nicht auf individuelle Fehlverhalten beschränkt sind, sondern auf systemische Dynamiken verweisen, die tief in der Organisation des Kunstbetriebs verwurzelt sind. Die Diskussion greift dabei sowohl die gesellschaftliche Dimension als auch die spezifischen Bedingungen des Kunstfeldes auf. Dabei lassen sich unterschiedliche zentrale Punkte festhalten. Anzufangen ist mit dem Fortbestehen patriarchaler Strukturen trotz diskursiver Kritik. Während feministische Stimmen und die #MeToo-Bewegung die Diskurse im Kunstfeld geprägt haben, bleibt das Patriarchat institutionell und strukturell weitgehend unangetastet.8 Darüber hinaus ist sexualisierte Gewalt als eines der Instrumente von Machthierarchien und ihrem Erhalt zu verstehen. Sie wird nicht allein als individuelles Vergehen betrachtet, sondern als Mittel, um Macht und soziale Kontrolle auszuüben. Dabei überschreitet sie bewusst die Grenzen zwischen Einvernehmlichkeit und Nicht-Einvernehmlichkeit, um Hierarchien zu stabilisieren. Hinzu kommen Defizite im strukturellen Umgang mit Missbrauch, wie fehlende Anlaufstellen und gesetzte Maßnahmen, die in Institutionen umgesetzt werden müssen, wenn es zu Vorfällen kommt.9 Übergriffiges Verhalten setzt häufig bereits in den Kunstakademien ein und wird in späteren Umfeldern, wie Galerien oft fortgeführt.10 Denn trotz medialer Aufmerksamkeit und öffentlicher Diskussionen bleibt eine systematische Auseinandersetzung mit Missbrauchsfällen häufig aus wodurch die strukturellen Bedingungen nicht ausreichend untersuchen werden können, um sie zu dekonstruieren. Netzwerke, die den Kunstbetrieb prägen, sind nicht nur ausschlaggebend für beruflichen Erfolg, sondern werden häufig in hohem Maße diskret und privat behandelt, weshalb eine Sichtbarmachung bereits auf dieser Ebene oft nicht zustande kommt.11 Diese Verflechtungen schaffen ein „kollektives Wegsehen“12, das durch Abhängigkeiten und die Angst, eigene Positionen zu verlieren, verstärkt wird.13 Dem als zentrale Rolle hinzugerechnet werden müssen auch Institutionelle Geflechte. Letztlich bieten fehlende Strukturen für Betroffene und das daraus resultierende „Einzelkämpfer:innentum“14 eine Grundlage für eine nicht entsprechende beziehungsweise fehlende Umgangsweise. Die Debatte kritisiert eine individualisierte Herangehensweise, die kollektiven Widerstand erschwert. Auch in der Veranstaltung Talking Back 1 – #MeToo in der bildenden Kunst?!“ wurde das Phänomen des „Einzelkämpfer:innentums“ als zentrale Problematik thematisiert.15 Es mangelt ebenso an unabhängigen Ansprech- und Unterstützungsstellen, die nicht von den Machtverhältnissen des Kunstbetriebs durchdrungen sind.16
Die in der Debatte formulierte Kritik bildet eine Grundlage, um sowohl strukturelle als auch künstlerische Aspekte sexualisierter Gewalt weiter aufzuarbeiten. Um beispielsweise die strukturelle Ungleichheit im Kunstbetrieb zu verstehen, müssen die spezifischen Bedingungen des Kunstfeldes – einschließlich des Mythos des Genies und der strukturellen Ausgrenzung von Frauen und marginalisierten Personen – kritisch beleuchtet werden.17 Dabei müsste die historische Marginalisierung dieser Gruppen in Kunstinstitutionen in dieser Auseinandersetzung berücksichtigt werden. Für die Überwindungen von Machtmissbräuchen bedarf es Strukturen, die eine Überwindung oder zumindest eine systematische Umgangsweise mit beispielsweise sexualisierter Gewalt hervorbringen, um den dadurch stattfindenden Vorgang der Marginalisierung zu überwinden. Letztlich sollte eine „Kultur des Hinsehens“18 geschaffen werden, heißt es in der Debatte. Diese Schaffung einer „Kultur des Hinsehens“ ist als essenziell zu betrachten, um vorherrschende Strukturen zu überwinden. Sie erfordert nicht nur den strukturellen Wandel, sondern auch ein kollektives Bewusstsein für die Verantwortung Machtmissbrauch zu thematisieren, denn wir treten diesem nicht durch Wegsehen entgegen.
Die TEXTE ZUR KUNST-Debatte bietet für die folgende Auseinandersetzung eine erste theoretische Grundlage, um die fortwährenden Machtstrukturen im Kunstfeld nicht nur zu analysieren, sondern auch nach Wegen der Transformation zu suchen. Die Diskussion schließt mit der Forderung, nicht länger bei diskursiven Demontagen zu verweilen, sondern an den Stellschrauben struktureller Macht zu drehen.
It’s not porn. Andrea Fraser
In ihrer Arbeit Untitled (2003) kritisiert Andrea Fraser die Mechanismen des Kunstsystems und versinnbildlicht die dort vorherrschenden Machtstrukturen.19 Das Werk kann dabei als Performance von Fraser mit einem anonymen Sammler verstanden werden, die in einem New Yorker Hotelzimmer miteinander Sex haben. Den Akt hat Fraser in einem 60-minütigen, tonlosen Video für Ausstellungen greifbar macht (Abb. 1).20

Die Aufnahme wurde von einer stationären Kamera gefilmt, die in einer der oberen Zimmerecken angebracht wurde. Die Überwachungskameraästhetik schafft es, eine möglichst neutrale Perspektive auf den körperlich-intimen Moment der beiden Personen zu werfen, ohne die Körper sexualisierend darzustellen, indem hier zusätzlich auch nur das vorhandene Licht des Zimmers genutzt wird. Auch durch die fehlende Kameraführung distanziert sich Frasers Video explizit von pornografischen Produktionen.21 Ihre Vorgehensweise bei der konzeptionellen Entwicklung wie auch dem Umgang mit dem entstandenen Video ist dabei von einem starken Selbstermächtigungsmoment geprägt, wie sie es auch selbst festhält.22 Fraser hat die Friedrich Petzen Gallery für die Suche eines Sammlers angefragt, der mit Fraser Sex vor laufender Kamera haben würde. Dieser erhielt im Anschluss das Vorrecht auf den Kauf der ersten Auflage des Videos und zahlte dafür einen festen Betrag. Wohlbemerkt handelt es sich bei dem Kauf, um den Erwerb eines Videos als Kunstwerk und wichtigerweise nicht um die Bezahlung für den Akt. In der Rezeption kam es vielfach zur Annahme von Sexarbeit beziehungsweise fiel in diesen (oft) misogynen Rezeptionen das Wort „Prostitution“23.24 Die Auflagenhöhe war auf eine Anzahl von fünf stark begrenzt und sowohl die Erstellung von Bildmaterial als auch die Ausstellung des Videos kann nur in Rückmeldung mit Andrea Fraser erfolgen und ist so von ihr abhängig.
Während ihre Arbeit primär die Machtstrukturen im Kunstbetrieb beleuchtet, welche nicht direkt mit sexualisierter Gewalt verbunden sind, schafft die Rezeption um das Werk, sich selbst als misogynes System zu entlarven; und damit auch den Kunstbetrieb, in dem Fraser agiert. Das ist nicht nur über die „Prostitutions“-Thematik greifbar geworden. Ihr vielfach rezipiertes Werk Untitled hat auch anderweitig einige misogyne Rezeptionen erfahren. Etwa durch Jerry Saltz der im Artnet Magazine nicht nur ihren Körper in Bezug auf ihr Alter sexistisch kommentierte, sondern auch ihre sexuellen Fähigkeiten.25 Fraser musste daher des Öfteren ihre Arbeit verteidigen und daran erinnern, dass es sich nicht um Pornografie oder „Prostitution“ handelt, sondern um ein Kunstwerk, das den Akt zweier Personen zeigt, die in diesem Fall beide ein Teil des Kunstbetriebs sind.
Es bleibt festzuhalten, dass Fraser diese dem Kunstbetrieb zugrundeliegenden Machtstrukturen sichtbar macht, indem sie sich bewusst, mit sexuellen Mitteln und dabei im Kunstbetrieb agierend, aus dem Geschlechtsverkehr ein Video schafft und es sowohl – in stark begrenzter Stückzahl – auf den Kunstmarkt bringt und ebenso in die Ausstellungsräume. Sie konfrontiert damit alle (aktiven) Teilnehmer:innen des Kunstbetriebs und schafft über den Aspekt, dass es sich nicht nur um ein Video, sondern um eine Performance handelt eine Auseinandersetzung hiermit.26 Indem Fraser die entscheidungstragende Rolle in Bezug auf das Kunstwerk einnimmt, schafft sie einen selbstermächtigenden Moment: Sie distanziert sich nicht direkt von machthabenden Räumen aber arbeitet kritisch mit diesen. Die Diskrepanz zwischen den feministischen Kunstwerken und den realen Bedingungen innerhalb der Kunstbetriebe liegt, wie hier beispielhaft nachvollzogen, in der Diskrepanz zwischen Werk und der Rezeption. Während das Werk selbst Aufmerksamkeit für Machtstrukturen schafft, wird in der Rezeption der selbstermächtigende Moment der Arbeit(sbedingungen) fortgesetzt.
„We are not surprised.“27 Jenny Holzer
Abuse of Power Comes as No Surprise (1983) ist Teil von Jenny Holzers Truism-Reihe, die sie bereits 1977 im öffentlichen Raum – in leicht abgewandelter Form – plakatierte (Abb. 2).

Dass Machtmissbrauch keine Überraschung ist, ergibt sich auch aus diversen Artikeln, die sich mit sexualisierter Gewalt im Kunstbetrieb auseinandersetzen und betonen dabei die Problematik, die ganz nach dem Prinzip läuft: Alle haben es gewusst, keine Person hat sich getraut etwas anzumerken.28 Woran das liegt, ist klar: Wenn Macht zugunsten des eigenen Vorteils missbraucht wird, wird sie sicherlich auch dazu missbraucht, um sich vor ‚Anschuldigungen‘ zu schützen. Damit wird auch verständlich, was in der TEXTE ZUR KUNST-Debatte als kollektives Wegsehen beschrieben wurde.29 Jenny Holzers Arbeit war dabei schlagwortgebend für den offenen Brief „We are not surprised.“ Von diversen Positionen aus dem Kunstbetrieb, die Erfahrung mit sexualisierter Gewalt in unterschiedlichster Form in der Kunstwelt gesammelt haben als auch für den #NotSurprised.30 Holzer arbeitet mit den Mitteln der Werbebranche. So plakatiert sie eingängige, sloganartige Aussagen im öffentlichen Raum in Form von Plakaten, Bänken, T-Shirts und weiteren öffentlichkeitswirksamen Formen und macht auf gesellschaftlich relevante Gegebenheiten aufmerksam. Als künstlerische Arbeit schafft sie so Sichtbarkeiten, die eine erweiterte Öffentlichkeit ansprechen.31 Sie sind dabei ausstellungstechnisch nicht von machthabenden Institutionen und Personen abhängig, die sich in der Regel für oder gegen eine Ausstellung entscheiden32 und bieten darüber hinaus auch einen neuen Anstoß für Ermächtigungsräume. Dies wird besonders dann sichtbar, wenn ihre Arbeiten im öffentlichen Raum in Interaktion mit Personen treten, wie 1977 in New York (Abb. 2), aber auch, wenn sie in Form eines Aufdrucks auf T-Shirts gesetzt werden, wo sonst häufig plakativ Marken genannt werden (Abb. 3).

; https://www.tate.org.uk/art/artists/jenny-holzer-1307/5-ways-jenny-holzer-brought-art-streets; letzter Aufruf 08.03.2025.
Über das Bedrucken von Kleidungsstücken mit ihren Truism schafft Holzer damit eine optische Nähe zu der in den 1980er-Jahren gängige Praxis, Marken auf den Brustteil von Kleidungsstücken zu drucken. Wie eben auch für den offenen Brief gilt, prangern Holzers Arbeiten auf eingängliche Weise Missstände und Unverhältnisse im Kontext von Machtstrukturen an und können so auch auf Kunstbetriebe übertragen werden, auch wenn die Anprangerungen, nicht nur für Kunstbetriebe, als repräsentative Kritik parat stehen. Ebenso wie das Werk Holzers verdeutlich auch der offene Brief wie die Diskrepanz zwischen feministischen als auch institutionskritischen Kunstwerken und der Institution selbst besteht. Nicht überrascht zu sein, wie es bei Holzer und darüber auch im Brief betont wird, verdeutlicht in diesem Kontext besonders gut, dass Strukturen wahrgenommen werden, aber nicht die Mittel existieren, um diese Strukturen tiefgreifend zu durchbrechen. Zum Schutz der eigenen Person und Karriere werden Taten des Unrechts, wie in Form von Machtmissbrauch, ignoriert. Dass dies keine Kritik an Einzelpersonen sein soll, wurde sicherlich schon deutlich. Stattdessen ist es eine Kritik am System der Macht und damit einhergehend am System sexualisierter Gewalt im Kunstbetrieb.
Handle with care. Guerrilla Girls
Auch aktivistisch angelegt, aber doch mit einem anderen Ansatz tritt die Arbeit 3 Ways to Write a Museum Wall Label when the Artist Is a Sex Predator der Guerrilla Girls von 2018 in Erscheinung (Abb. 4).

Sie kreiden dabei nicht nur eine konkrete Person – Chuck Close33 – an, der sexualisierte Gewalt als Form der Machtausübung beziehungsweise des -missbrauchs ausübte, sondern adressieren darüber hinaus auch direkt die Kunstinstitutionen kritisch und fordern sie auf, sich ihrer Macht bewusst zu sein. Die Guerrilla Girls schaffen mit ihrem Werk eine Anleitung mit drei aufeinander abgestuften Kategorien, entlang derer sie Museen aufzeigen, wie ein kritisches Label für Künstler:innen zu schaffen ist, um deren Macht im Kunstbetrieb transparent werden zu lassen. Zusätzlich schaffen sie mit diesen drei Beispielen auch eine Sichtbarkeit darüber, dass Institutionen in der Schuld stehen die eigenen Strukturen öffentlich und damit sichtbar zu hinterfragen und so auch zu fragen, wie und wieso gewisse Künstler:innen zu den „wichtigen Künstler:innen“ der Kunstbranche gehören. So machen die Guerrilla Girls die Machtstrukturen auf mehreren Ebenen sichtbar. Zusätzlich distanzieren sie sich, wie im Werk nachvollziehbar wird, von Institutionen, die unkritisch und unreflektiert Positionen ausstellen und letztlich ihre Erfolge betonen, ohne zu reflektieren aus welcher Position es zu diesem Erfolg kam. In diesem Werk betonen sie außerdem explizit den Genie-Mythos, der besonders bei cis-männlich gelesenen Künstlern angeführt wird und über diesen versucht wird offensichtliches Fehlverhalten (der unterschiedlichsten Formen) zu legitimieren. Wie lange dieser Genie-Mythos zurückreicht und wie viele machtbezogene Ungleichgewichte vorherrschen, verdeutlichen einmal mehr wie lange dieses strukturelle Problem existiert und wie langwierig sich damit auch ein Prozess der Veränderung entziehen kann.34 Die Guerilla Girls schaffen Aufmerksamkeit für die Macht, in denen Kunstinstitutionen zum einen als ausstellungsproduzierende Instanz erscheinen, die damit auch Wissen produzieren und weitergeben, dieser Macht der Wissensproduktion aber nicht selbstreflektiert gegenübertreten und sich dabei beispielsweise nicht fragen, welche Macht sie an Personen verteilen.
Diese Arbeit der Guerrilla Girls reiht sich dabei in ihr institutions-, sexismus- und rassismuskritisches Gesamtwerk ein, dass sie seit 1985 über aktivistische Kunst mit einem häufig sarkastischen Unterton formen, der sich dabei stets auf Forschung und Statistiken beruft.35 Sie gehören damit zu einer Bewegung von Künstler:innen, die sich mit der Politik der Kunstbranche auseinandergesetzt hat. Fragen nach der Institutionalisierung von Kunst, dem Umgang mit dieser sowie den vorherrschenden Mechanismen waren und sind dabei zentral.36
Es bleibt damit festzuhalten, dass 3 Ways to Write a Museum Wall Label when the Artist Is a Sex Predator verdeutlicht, dass wir im Museum nicht nur die Kunstwerke selbst, sondern auch die Künstler:innen mit Vorsicht behandeln müssen. Vorsicht meint dabei nicht, über eine Vorsicht mit ihnen umzugehen, die sie heroisieren würde, sondern eine Vorsicht die Aufmerksamkeit im Umgang bedarf und sich fragt, was es bedeutet eine Person auszustellen und dieser damit Raum zuzusprechen. So sind Museen und ausstellungsschaffende Institutionen nicht neutrale Orte, die nur Kunstwerke ausstellen, sondern sie sind machtinnehabende Kunstbetriebe. Es darf hier also hervorgehoben werden, das ausgestellte Kunstwerke nicht nur losgelöst auszustellen sind,37 sondern es ebenso wichtig ist, sich mit den Personen, die über ihre Werke Ausstellungsraum übergeben bekommen, auseinanderzusetzen. Das heißt nicht, die Autonomie des Kunstwerks anzugreifen, sondern Kunst auszustellen und sich als Institution der eigenen machttragenden Rolle bewusst zu sein, und daher Kontexte zu schaffen.
#MeToo
Das Hashtag ist ambig zu betrachten. Manches zeigt er aber bestimmt und direkt. Sexualisierte Gewalt existiert, wird lange und häufig zum Schweigen gebracht und es braucht Gemeinschaft, um vorherrschende Machtstrukturen zu destabilisieren. Denn es sind keine Einzelfälle, sondern ein System in dem sexualisierte Gewalt passieren kann, weil es nicht entsprechend gehandhabt wird. Dass das Hashtag darüber hinaus zum dritten Platz der Power 100 Liste derArtReview gekürt wurde und nach monopol magazin zu „den Mächtigsten der Kunst“38 gehört, ist spannend. So handelt es sich bei der Bewegung doch um eine, die aufgrund von verübtem Machtmissbrauch durch die Betroffenen damit erst einmal durch die nicht machtinnehabende Instanz entstanden ist. Zum einen verdeutlicht dies einmal mehr, dass das Auflehnen gegen Machtstrukturen Gemeinschaft braucht, um Macht zu gewinnen, aber zum anderen zeigt es auch etwas anderes: machtkritische Themen, werden in Institutionen akzeptiert, gedisplayed und dabei auch instrumentalisiert. Das Ankreiden von Personen aus den eigenen Reihen findet aber nicht statt, Personen werden geschützt, die anderen keinen Schutz bieten, sondern im Gegenteil: Sie werden zum Grund, wieso Personen mehr Schutz(räume) brauchen. Wie die herangeführten Artikel zum Thema sexualisierter Gewalt im Kunstbetrieb und Machtmissbrauch im Allgemeinen dargelegt haben: Mit fehlenden Methoden werden bestehende Systeme nicht umgedacht. Dennoch schließe ich meinen Aufsatz mit der gleichen Antwort auf die Frage: Do women have to be sexually harassed to get into the art industry?, mit der er beginnt – bei einem einzigen Wort, das rechtlich ausreicht, um die Grenze gegen sexuellen Missbrauch zu ziehen, in der Realität jedoch oft ignoriert, übergangen oder aus Angst nicht ausgesprochen wird: Nein.39

Zwischen Kunstbetrieb und sexualisierter Gewalt – Begriffsklärung
Kunstbetriebe: Der Begriff „Kunstbetrieb“ bezeichnet das Geflecht aus sozialen, ökonomischen und kulturellen Interaktionen das die Produktion, Distribution und Rezeption von Kunst organisiert.40 Er fungiert als „Resonanzraum“ und „Anerkennungszone“, ist jedoch stark von kapitalistischen und patriarchalen Machtstrukturen geprägt, die geschlechtsspezifische Hierarchien und Ausschlüsse reproduzieren.41
Diese Strukturen sind zu kritisieren, da sie Relevanz und Bedeutung über Macht beispielsweise in Form von Kapital produzieren und aus historischer Perspektive so nicht neutral arbeiten.42 Eine radikale Neuausrichtung, die marginalisierte Stimmen sichtbar macht und alternative Formen der Teilhabe ermöglicht, kann hier eine Gegenstimme eröffnen und den Blick auf die Kriterien richten, die darüber entscheiden, wer Zugang zur Anerkennung erhält. Der Kunstbetrieb wird so nicht nur als Ort der Reproduktion gesellschaftlicher Machtverhältnisse, sondern auch als potenzieller Raum für Widerstand und Transformation sichtbar. Praktiken, die hegemoniale Narrative infrage stellen und neue Formen des Zusammenwirkens schaffen, tragen dazu bei, bestehende Hierarchien aufzubrechen und progressive, kulturelle Veränderungen zu fördern.43
Macht und Machtstrukturen im Kunstbetrieb: Die Verbindung von Macht und Bedeutung ist zentral für das Verständnis des Kunstbetriebs. Wie bei Whitney Chadwick nach Lisa Tickner argumentiert wurde, sind die Produktion von Bedeutung und die Ausübung von Macht untrennbar miteinander verwoben.44 Macht kann also nicht als einseitig ausgeübte Dominanz verstanden werden, sondern als ein komplexes Netz von Beziehungen und Dynamiken, das innerhalb von Institutionen, Diskursen und gesellschaftlichen Strukturen wirkt. Michel Foucaults Konzept der Macht als eine diffuse Struktur, die nicht primär durch physischen Zwang, sondern durch Wissen, Diskurse und institutionelle Praktiken ausgeübt wird, bietet dabei eine Perspektive in die visuelle Kultur als regulierende Praxis.45 Diese ermöglicht es, den Kunstbetrieb nicht nur als Raum der künstlerischen Produktion, sondern auch als Arena der symbolischen und sozialen Aushandlungen zu verstehen. Feministische Theorien, wie jene von bell hooks, betonen, dass die Transformation repressiver Machtstrukturen eine zentrale Voraussetzung für progressive kulturelle Veränderungen ist.46 Machtkritische Ansätze stellen dabei die radikale Ablehnung von Herrschaft in den Fokus, wobei sie hegemoniale Normen von Geschlecht und Sexualität dekonstruieren.Im Kunstbetrieb zeigen sich Machtstrukturen besonders in geschlechtsspezifischen und intersektionalen Ungleichheiten. Geschlechterverhältnisse sind hier nach wie vor häufig asymmetrisch und spiegeln soziale Hierarchien sowie symbolische Gewalt wider, wie Pierre Bourdieu sie beschreibt.47 Seine Analysen verdeutlichen, dass diese symbolische Gewalt in kulturellen Praktiken und Normen verankert ist, die oft unbewusst reproduziert werden.48 So wird der Mythos des männlichen Genies weiterhin aufrechterhalten, was die Sichtbarkeit und Wertschätzung von Künstlerinnen und nicht-binären Kunstschaffenden erheblich beeinträchtigt.49 Der Kunstbetrieb fungiert somit als Ort, an dem Geschlechterordnungen sowohl reproduziert aber auch infrage gestellt werden können, dabei aber von Machtstrukturen geprägt ist, die zur Infragestellung zumeist aufgebrochen werden müssen.
Sexismus und Misogynie: Sexismus ist eine Art der Diskriminierung, die die patriarchale Ordnung aufrechterhält, indem Personen beispielsweise aufgrund ihres bei der Geburt zugeschrieben Geschlechts spezifische Eigenschaften und soziale Rollen zugeteilt werden.50 Diese Zuschreibungen versuchen die binäre und hierarchische Konstruktion von Geschlecht zu legitimieren. Diese statische Vorstellung von Geschlecht ist jedoch zu kritisieren, da dies eine soziale Konstruktion von Geschlecht darstellt, die sowohl diskriminierend als auch einschränkend in Erscheinung tritt. Misogynie bezeichnet die gezielte Feindseligkeit und Abwertung von Frauen*.51 Diese zeigt sich in individuellen Handlungen wie Belästigungen, aber auch in strukturellen Formen wie dem Gender Pay Gap oder der Unterrepräsentation von Frauen* und weiteren marginalisierten Personen in Führungspositionen.52 Während Sexismus nicht geschlechtlich eingegrenzt ist, so kann auch die Aufrechterhaltung von Männlichkeitsnormen unter Sexismus fallen, ist Misogynie spezifisch auf die Unterdrückung und Abwertung von Frauen* gerichtet.53 Dieses Verständnis kann erweitert werden, indem Sexismus mit anderen Kategorien wie Klassismus, Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung in den Blick genommen wird.
Sexualisierte Gewalt: Sexualisierte Gewalt überschreitet bewusst die Grenzen von Einvernehmlichkeit, um Machtstrukturen zu festigen und Hierarchien zu stabilisieren.54 Sexualisierte Gewalt ist nicht nur als individuelles Vergehen zu verstehen, sondern als strukturelles Problem, das tief in patriarchalen und heteronormativen Gesellschaftsordnungen verwurzelt ist und auf vielfältigen machtgeprägten Strukturen aufbaut. Im Kunstbetrieb manifestiert sich sexualisierte Gewalt sowohl auf individueller als auch auf institutioneller Ebene. Die Mechanismen reichen von der Instrumentalisierung von Abhängigkeiten – etwa durch prekäre Arbeitsverhältnisse – bis hin zur systematischen Marginalisierung von Betroffenen.
Biografie
GINA MARIE SCHWENZFEIER schließt ihr Masterstudium in Kunstgeschichte der Moderne und Gegenwart im Jahr 2025 ab. Ihr beruflicher und wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt auf gesellschaftlich ausgerichteten Kunstprojekten mit partizipativem Ansatz sowie auf Formen institutioneller und außerinstitutioneller Ausstellungspraxis. Zu ihren Forschungsinteressen zählen künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum, feministische und aktivistische Kunst sowie die kritische Auseinandersetzung mit Arbeit und sozialen Strukturen im Kontext der Kunst.