Das Musée du quai Branly (MQB) legt durch die Inszenierung außereuropäischer Kulturgüter zu Kunstwerken, den präsentierten Artefakten einen eurozentrischen Kunstbegriff auf. In Form der gewählten Displays sollte der außereuropäischen Kulturgutproduktion und -tradition eine entsprechende Anerkennung entgegengebracht werden. Stattdessen findet sich in dieser Geste – nicht zuletzt wegen der dunkel-mystifizierend erscheinenden Displaywahl, welche hier vollzogen wurde – ein besonderer Verweis auf die Machtstrukturen wieder, die die erlernte Hierarchie zwischen Kulturgut und Kunstwerk verdeutlichen und so mehr über die Sprechenden aussagen als über das Gesprochene. Gina Marie Schwenzfeier setzt sich in ihrem Aufsatz mit dem Display des MQB auseinander, um daran die erlernten Strukturen hervorzuheben, die sich nach den Gründern des MQB von einem kolonialgeprägten Verständnis distanzieren sollten, diese allerdings (neo-)kolonial aufladen und daher kritisch zu hinterfragen sind.
Ein neutraler Name sollte gepaart mit einem neutralen Ort den Kulturgütern aus ethnologischen Sammlungen die Möglichkeit bieten, ungestört zu Kunstwerken inszeniert zu werden – mit dieser Idee wurde das Musée du quai Branly (MQB) im Juni 2006 eröffnet (Abb. 1).1 Durch den Rückgriff des MQB auf ethnologische Bestände mehrerer musealer Sammlungen, die sich im MQB in einem Museum wiederfinden, das sich ausdrücklich nicht als ethnologisches Museum bezeichnen möchte, kommt es dazu, dass die Geschichten der Ausstellungstücke sowohl in den Hintergrund als auch – ihrer musealen Inszenierung im MQB adäquat – wortwörtlich ins Dunkle treten. Gemäß dem Selbstverständnis des Museums wird dabei ein ‚Dialog zwischen den Kulturen‘ ins Zentrum gerückt, der einer kritischen Betrachtung bedarf, die James Clifford bereits 2007 angeregt hat.2
Der Versuch, außereuropäischen Kulturgütern eine neue Betrachtungsweise entgegenzubringen, wie es im MQB vollzogen wurde, verdeutlicht, dass der westliche Blick geprägt von Machtstrukturen ist, die auf ein Wissen zurückgreifen, das nicht wie es in diesen Strukturen vielfach angenommen wird, universelle Gültigkeit besitzt, sondern einer einseitigen Perspektive entstammt, die nach wie vor keine Rücksicht auf parallel existierendes Wissen nimmt, besonders nicht das Wissen kolonialisierter Gruppen. All das ist erlernt doch bleibt weitestgehend unhinterfragt. Dies wird auch im ‚Dialogischen‘ deutlich, das hier einen eurozentrisch geprägten Blick auf und ein Reden über ‚die Anderen‘ wiedergibt. Dabei verfällt das Dialogische, da in der Folge von (De)Platzierungen in einem Ausstellungsraum westlich geprägter Museen gerade diejenigen Kontinente zusammengebracht werden, die von diesen pseudo-dialogischen, kolonialen Strukturen unterdrückt wurden und in denen sich ihre Kulturgüter auch heute noch wiederfinden. Mit diesem (neo-)kolonialen, gleichwie generalisierenden Blick auf die außereuropäischen Kontinente und Kulturgüter wird eine westlich-eurozentrische Deutungshoheit weitergeführt. Ebendiese manifestiert sich im Display eines der meistbesuchten Museen in Frankreich, ohne dass die dabei entstehende Mystifizierung von Kulturgütern im regulären Ausstellungsbereich hinterfragt wird.3 An dieser Stelle ist es daher lohnend mit dem Konzept des Unlearnings an diese Displaysituation heranzutreten und den nonverbalen Aussagen, die damit getroffen werden.4 Neben dem Display kommt es zusätzlich über vielfältige Werbemittel zu der damit kommunizierten Aufforderung im MQB auf ‚Entdeckungstour‘ zu gehen.5 Diese Aufforderung stützt die Annahme der Weiterführung eines (neo-)kolonialen Deutungsregimes, das ebenso unter Berücksichtigung von Unlearning näher beleuchtet werden soll (Abb. 2).
Zum (Kunst)Objekt gemacht
Die sich im MQB manifestierenden (neo-)kolonialen Ansätze außereuropäische Kulturgüter unter besonderer Berücksichtigung ihres künstlerischen Werts zu präsentieren, ist in Bezug auf die Institution des MQB kritisch zu hinterfragen.6 Nadine Pippel hebt Chiracs Rede zur Eröffnung des Pavillon des Sessions7 hervor, in der er formuliert, dass eine neue Beziehung von Ästhetik und Ethnologie, im Unterschied zu anderen ethnologischen Museen, innerhalb des MQB über das museale Display stattfinden soll.8 So sollen die für die Kulturgüter relevanten Kontexte im MQB eher in den digitalen Raum verschoben werden, um ‚die Atmosphäre der wertvollen Objekte‘ als Kunst nicht zu stören.9 Auch James Clifford geht auf diese inszenierte Situation ein, wenn er die Displaysituation als einen ‚magischen Ort‘ kritisiert.10
Hervorzuheben ist in der Argumentation Chiracs, dass die im MQB ausgestellten Kulturgüter als Kunstwerke zu behandeln seien, was einen eurozentrischen Kunstbegriff betont. Dieser dominiert die Ausstellung, gleichwohl man sich bewusst vom westlichen White Cube als modus operandi des Ausstellungsraumes distanziert. Einhergehend damit wird über die Grundsätze des MQB suggeriert, dass sich diese Ausstellungsweise von einer nicht-westlichen Perspektive abgrenzt. Nora Sternfeld formuliert dies wie folgt: „Die Präsentation der Sammlungen beschränkt sich auf den Kunstwert der Objekte, die als ‚arts premiers‘ gekennzeichnet sind und hält bewusst den Tausch- und Gebrauchswert weitgehend aus dem Wahrnehmungszusammenhang heraus.“11 Betont werden muss, dass vermittels dieses kuratorischen Umgangs mit den Kulturgütern ihre ursprünglichen Bedeutungen verkannt, transformiert oder ignoriert werden können. Mit Blick auf die Displaysituation: Die Besuchenden des MQB tappen hinsichtlich der Semantiken der ausgestellten Kulturgüter im Dunkeln.
Das eurozentrische Verständnis von ‚Spiritualität‘, das über das kuratorische Konzept auf die Ausstellungsstücke damit zusätzlich projiziert wird, darf angesichts der Entscheidung für das dort zu sehende Display nicht unerwähnt bleiben. Es reflektiert sich ferner in Jean Nouvels – der Architekt des MQB – kritisch zu beleuchtender Idee architektonisch evozierter Assoziationen zum Spirituellen:
„Everything is done to stimulate the blossoming of emotions aroused by the primary object, […] everything is done to protect it from light and to capture that rare ray of sun needed to set vibration in motion, to speak of a feeling of spirituality. It is a place marked by symbols.“12
Insbesondere auf den szenografischen Aspekt bezogen, kritisieren zahlreiche Ethnolog:innen, die durch eine betonte Ästhetisierung der Objekte resultierende Marginalisierung des (historischen) Kontexts der Kulturgüter im MQB (Abb. 3). Um dieser Kritik entgegenzuwirken, lassen sich die zentralen Konzepte des MQB, die Chirac und Nouvel verbanden, in einem Satz zusammenfassen, den der französische Präsident bei der Eröffnung des Museums am 20. Juni 2006 äußerte: „[F]ar removed from the stereotypes of the savage or primitive the museum sees to communicate the eminent value of these different cultures“.13
Zwischen Display und Storytelling
Um die Hauptausstellungsfläche des MQB zu erreichen, werden Besuchende eine spiralförmige Rampe hinauf geleitet, die sich um ein alle Etagen umfassendes Glas-Silo windet und sich die Videoinstallation The River den Weg bahnt. Das Silo, bestückt mit rund 9.500 außereuropäischen Instrumenten, wird dabei mit stark gedimmtem Licht inszeniert. Diese konservatorische Entscheidung führt dabei zu einem Ausbleiben eines ethnologischen Mehrwerts, der sich im MQB vielfach dem ‚ästhetischen Anspruch‘ der Ausstellungssituation beugt. The River ist eine 160 Meter lange Lichtprojektion, die Text auf den begehbaren Museumsboden projiziert. Durch die unumgängliche Situation dieses lichtprojizierten Text-Flusses, wird diesem eine zentrale Bedeutung zugesprochen: „The aim of the work is to prepare the viewer to enter the collection, to create a state of reverie consistent with the architecture and the dream-like experience of the Permanent Collection space“,14 so wird das Verständnis der Arbeit durch den Künstler, Charles Sandison, und das Museum benannt. The River ist eine selbstreflexive Arbeit und damit inhaltlich im starken Kontrast zur restlichen Ausstellungsfläche zu verstehen, die durch ihre Situierung unmittelbar vor der Hauptausstellungsfläche als unumgängliches Element in Erscheinung tritt.15 Ferner verdeutlicht die Arbeit implizit die kritische Displaysituation im Hauptausstellungsbereich, wenn hierüber besonders der starke Kontrast in der Lichtregie wahrnehmbar wird (Abb. 4). So beschreibt Herman Lebovics sie im Rahmen eines Besuchs wie folgt:
„Tunnels usually end in blessed light. On emerging from this one, we were plunged into the yet darker world of the exhibition plateau. Music with a strong drum beat was playing faintly. I heard it almost subliminally. I did not recognize it, but was the kind I associate with Tarzan movies. The music and ‚primitive’ objects vaguely visible from the distance in the obscurity of the hall made me think – and, as I read in the reviews afterward, made others think – of Joseph Conrad’s story of African savagery.“16
Die einstige, zumeist hell ausgeleuchtete Situation findet ihren abrupten Abbruch beim Betreten des durch und durch dunklen Hauptausstellungsraumes. Um es mit den Worten des New York Times Autoren Michael Kimmelmans zu benennen: „[D]evised as a spooky jungle, red and black and murky, the objects in it chosen and arranged with hardly any discernible logic.“17 Beim Verlassen der Lichtinstallation wird die zuvor einsetzende Schlängelung des Weges über eine niedrige Mauer im Hauptausstellungsraum fortgesetzt, die mit Braille-Schrift sowie Bildschirmen ausgestattet ist. Farbgebend ist dabei besonders das hellbraune Formleder, die Mauerverkleidung. Diese Mauer stieß auf besonders viel Kritik. So wurde sie nicht nur aufgrund ihrer Freizeit- und Themenpark-Assoziationen weckenden Ästhetik diskutiert, worüber ihr jeder wissenschaftliche Charakter abgesprochen wurde. Darüber hinaus erinnere sie, so Emmanuel de Roux, an eine der zentralsten Sammelexpeditionen des Musée de l’Homme.18 Die vielfältige Kritik bezog sich überdies auf die Distanz zwischen Informationen, die sich auf der Mauer wiederfinden, und den Gegenständen, die damit kontextualisiert werden sollten.19 Jene Argumentationen, die diese Präsentationsform präferieren, verfahren auf einer rein visuell-ästhetischen Ebene, die nicht weniger relevant wird, wenn sie an einem Ort auftritt, der sich gerade als ein solcher mit hohen ästhetischen Ansprüchen definiert.
Der Großteil der hier ausgestellten Kulturgüter oder Objekte wird in Vitrinen präsentiert, die einer reduzierten Formgebung folgen. Dabei werden sie zumeist mit Spot-Lights beleuchtet (Abb. 5).
Scheinwerfer und die generelle Lichtregie leuchten den Raum dabei dramatisch aus. Den roten Faden des Ausstellungsrundgangs bildet konsequent das diffuse Licht das die Ausstellungsstücke inszeniert. Noch intensiver als in der großen Halle findet sich diese Inszenierung in einzelnen, kammerartigen Seitenräumen wieder, die größtenteils nahezu vollkommen dunkel sind, da die dort befindlichen Spots mit einem noch niedrigeren Lichtwert eingestellt sind, als es in der Haupthalle der Fall ist. Christopher Dickey beschreibt diese Räume als „von innen verdunkelte Hütten“ (Abb. 6).20
Seitens des MQB wird hinsichtlich dieser Inszenierung kommuniziert, dass die Ausstellungsstücke als Kunstobjekte betrachtet werden sollen, weshalb es auch zu dieser über die Lichtregie evozierten Displaysituation kam, in der gleichsam die ethnologischen Informationen in den Hintergrund oder eben in den nicht mit Licht ausgeleuchteten Bereich rücken. Ein großes Problem, das die Displaysituation erzeugt, ist, dass sie einer primär passiven Betrachtungsweise Vorrang gibt, die sich einer Auseinandersetzung mit den einzelnen Kulturgütern entziehen kann. So werden außereuropäische Kulturgüter zum ‚Genussmittel‘ in diesem Fall, die Erwartungen eines eurozentrischen Blickes erfüllenden neuen Museums für eine ethnologische Sammlung. Besonders kritisch ist dies vor dem Hintergrund zu reflektieren, da hier – so in Chiracs Eröffnungsrede kommuniziert, aber auch bis heute von Seiten des Museums – ein ‚Dialog der Kulturen‘ stattfinden soll.21 Vor allem Chirac bezieht sich in seiner Rede mitunter auf die kulturelle Vielfalt, die über diese museale Inszenierung demonstriert werden soll – eine Idee, die jedoch von ihrer letztlichen Umsetzung und der entsprechenden Wirkung unabdingbar zu unterscheiden ist.
Vielfalt bezieht sich auf vielfältige Sichtweisen. Das MQB nimmt in seiner Dauerausstellung allerdings nur eine Sichtweise ein, und zwar eine eurozentrische. Es lässt sich damit ein gelenkter eurozentrischer Blick wahrnehmen. Clifford hinterfragt dieses von Chirac formulierte Anliegen: „‘Là ou dialoguent les cultures’: the motto begs all the important questions. Cultures don’t converse: people do, and their exchanges are conditioned by particular contact-histories, relations of power, individual reciprocities, modes of travel, access, and understanding.“22
Vom Glauben des eigenen Wissens
„Unlearning one’s privileges as one’s loss“.23 Gayatri Chakravorty Spivak, verdeutlicht über das Unlearning besonders, inwieweit von der Einflussnahme hierarchischer Strukturen in Bezug auf Wissenskonzepte gesprochen werden kann. Damit ist zu betonen, dass das Gesagte oft mehr über den:die Sprecher:in aussagt, also über die Person(engruppe) von der das Gesagte handelt.24 María do Mar Castro Varela verweist in (Un-)Wissen. Verlernen als komplexer Lernprozess dabei besonders auf die einerseits existierende Handlungsmacht der einen Partei sowie die andererseits sehr stark eingeschränkte Handlungsmacht der ihr entgegenstehenden Partei.25 Zusätzlich betont sie in ihrer Auseinandersetzung mit Spivak, dass die Gewalt von Lernprozessen sichtbar gemacht werden muss oder zumindest ein Bewusstsein über diese Gewalt zu existieren hat.26 Besonders der Glaube Chiracs, die Kulturgüter durch ihre Benennung als Kunstwerke ‚aufzuwerten‘, verdeutlicht inwieweit das Bewusstsein darüber fehlt. Ein großer Widerspruch, der sich in einer solchen Annäherung an Kulturgüter als Kunstobjekte herausbildet, liegt in der eurozentrischen Betrachtung nicht-europäischer Kulturgüter. Die aus einer westlichen Perspektive entwickelte Idee hatte vielleicht zum Ziel koloniale Verständnisse zu überwinden, die Umsetzung jedoch zur Folge, dass die Auseinandersetzung mit diesen Ausstellungsstücken auf einer anderen, diesen nicht gerecht werdenden Ebene vollzogen wird und eine Loslösung vom kolonialen Blick nur schwerfällig vonstatten geht. Dabei wird einem außereuropäischen Kulturgut nicht nur sein eigentlicher Wert abgesprochen beziehungsweise als zweitrangig degradiert, sondern auch der eurozentrische Blick erneut als überlegen erhoben, indem der Kunstwerkcharakter als etwas für das Kulturgut Positives benannt wird. Damit wird sich jedoch nicht von einem kolonialen Blick distanziert, sondern dieser (neo-)kolonial aufgelegt. Während das MQB seine Besuchenden dementsprechend zum ästhetischen Konsum von Kulturgütern verpflichtet, indem das visuell Erfahrbare in dieser Ausstellung in Form des stark aufgeladenen Displays unumgänglich wird, ermöglicht dieses so vielfach besuchte Museum ihnen wiederum kaum, sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen, da die Displaysituation die Informationsbeschaffung als zweitrangig inszeniert und diese dabei nur schwerfällig zugänglich macht. Vielfach wurde auch aufgrund des räumlichen Nicht-Vertreten-Seins Europas, dieses als museal präsentierte ‚Ordnungsmacht der Welt‘ verstanden. Wiederholt wird dadurch hervorgehoben, inwieweit das räumliche Fehlen Europas auf den eurozentrischen Blick des MQB hindeutet. Die Dichotomie vom ‚Eigenen‘ und ‚Fremden‘ verdeutlicht sich.27
Ausblick
Es konnte festgehalten werden, dass das MQB durch die Displaysituation, die bereits im Außenraum beginnt, koloniale Blickstrukturen reproduziert. Daran anknüpfend werden auch Visualisierungsformen aufgegriffen, die als (neo-)kolonial verhandelt werden können. Kritisch zu hinterfragen ist dabei das vorzufindende Äquivalent, dass „Ästhetisierung auch Entkontextualiserung [bedeutet]“.28 Das MQB verdeutlicht die Strukturen der französischen kolonialen Gewaltgeschichte nicht, sondern verschleiert diese hinter der Kulisse des Displays. Damit geht das MQB nicht das von Chirac angestrebte Ziel der repräsentierten Vielfalt der Kulturen in ihrer Komplexität nach, dass einem respektvollen Blick auf ebendiese entspringen sollte. Es zeigt sich damit auch, dass ein Bewusstsein über diese vorherrschenden Machtstrukturen fehlt. Die Umsetzung weist dabei Fehlschlüsse auf, die sich zwar einer anderen Herangehensweise sich Kulturgütern zu widmen öffnen, diese jedoch zu ähnlichen Ergebnissen führt, wie zu kolonialen und kolonial geprägten Zeiten, auch wenn man diese doch eigentlich überwinden wollte. Die erlernte Qualitätsbestimmung eines Kunstobjekts aus einem eurozentrischen Blickpunkt, welche hier zum Tragen kommt, verdeutlicht, das nicht-Wissen über diese erlernten Strukturen, und der Glaube, ein Kulturgut bedarf das Siegel des Kunstwerks, um einer Ausstellung würdig zu werden.
Im MQB findet sich keine Überwindung kolonialer Blickführungen und Machtstrukturen wieder, sondern eine Inszenierung die den eurozentrischen Blick als den ‚einzig wahren‘ und letztlich ‚alles bestimmenden‘ hervorbringt. Damit begibt man sich einmal mehr in (neo-)koloniale Verhältnisse hinein. Dies bleibt im MQB unkritisch hinterfragt. Bestimmte Displaysituationen treffen immer bestimmte Aussagen – Aussagen, die beeinflussen, wie etwas gesehen wird, beziehungsweise gesehen werden soll: Die Atmosphäre, die im MQB durch die beschriebene Displaysituation entsteht, wird dabei zu einer Form des Storytellings.
Die Inszenierung von Kulturgütern als Kunstwerke löst diese Problematik nicht und kann damit auch nicht den Anspruch erheben, den Kulturgütern einen entsprechenden Platz im MQB zu bieten. Die ästhetisierende Transformation von Kulturgütern zu Kunstwerken stellt sich, so scheint es, zumindest über das Display vielmehr in den Weg, als dass es eine Ablösung des kolonialen Blicks ermöglicht. Damit bleibt auch die Inszenierung und das Display des MQB eine klassische Form des Exotismus.29 So bezeichnet Clifford das MQB mit seiner Architektur als neoprimitiv.30
Morrisons Statement verdeutlicht, dass das MQB letztlich nur etwas über den eurozentrischen Blick auf die im Museum ausgestellten, nicht-europäischen Kulturen und Kulturgüter aussagt. Besonders in der Auseinandersetzung mit dem Musée du Quai Branly bleibt dementsprechend mit Morrisons Worten zu sagen: „The subject of the dream is the dreamer“.31
Biografie
Seit dem Wintersemester 2022/23 studiert GINA MARIE SCHWENZFEIER im Master Kunstgeschichte der Moderne und Gegenwart an der Ruhr-Universität Bochum, wo sie zuvor einen Zwei-Fach-Bachelor in Kunstgeschichte und Archäologische Wissenschaften absolvierte, den sie mit der Arbeit MOTHERHOOD | MOTHERING | MOOTHERR. Eine exemplarische Analyse heterogener Darstellungen von Mutterschaft in der westlichen Gegenwartskunst am Beispiel Laure Prouvosts Installation MOOTHERR (2021) abschloss. Ihr theoretisches wie praktisches Interessensfeld liegt besonders in der sich aufbrechenden Grenze von Kunstvermittlung und Ausstellungspraxis und die Möglichkeiten, die sich durch diese Entwicklung ergeben. Neben dem Studium ist sie als Wissenschaftliche Hilfskraft bei Situation Kunst (für Max Imdahl) und dem Museum unter Tage, wie auch dem SFB 1567 Virtuelle Lebenswelten angestellt. Darüber hinaus ist sie in der Organisation sowie der Vermittlung verschiedener Projekte beteiligt, die sich entlang des musealen Kontexts orientieren. Hierzu gehören das Projekt RuhrKunstUrban – Museum findet Stadt der RuhrKunstMuseen (2020-2022) und das seit 2024 laufende Nachfolgeprojekt RuhrKunstbewegt. Über studentische Initiativprojekte setzt sie sich immer wieder mit neuen Medien und Methoden der Kunstvermittlung auseinander; zuletzt im Rahmen des appbasierten Projektes KUNST TOUR RUB.
Fußnoten
- Pippel, Nadine: Museen kultureller Vielfalt. Diskussion und Repräsentation französischer Identität seit 1980, Bielefeld: 2013, S. 109. Hier bezieht sich Pippel auf die Eröffnungsrede der Dependance im Louvre, die Chirac 2000 hielt.
- Dies kritisierte auch James Clifford, indem er verdeutlichte, dass Kulturen nicht in einen Dialog treten. Hierzu: Clifford, James: Quai Branly in Process, in: OCTOBER, 120, (2007), S.3–23, hier: S. 16.
- Sternfeld, Nora: Erinnerung als Entledigung. Transformismus im Musée du quai Branly in Paris, in: Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien, hg. V. Belina Kazeem, Carlotte Martinz-Turek und Nora Sternfeld, Wien: 2009, S. 61– 75, hier: S. 61f. Hierbei hebt Sternfeld über ein Zitat von der Homepage des MQB hervor, wie sich dieses selbst über die Architektur des Gebäudes als mysteriös/geheimnissvoll beschreibt: „[…] Sans ce bâtiment juché sur pilotis tout est courbe, fluide, transparent, mystérieux, et, sourtout, charleureux. […]“. Das Musée du quai Branly ist durch meine persönlichen Seherfahrungen gekennzeichnet als ein Ort, der über seine über wenige Spots gesteuerte Beleuchtung eine dunklere Atmosphäre aufweist. Diese ist darüber hinaus gedämpft und lädt die Ausstellungssituation dabei auf, womit es sich von einer neutralen Betrachtungsmöglichkeit distanziert. Dies rückt damit zwar die Betrachtung des Kulturguts in den Vordergrund, die nähere Auseinandersetzung wird allerdings erschwert, da die Informationen zumeist an einem (räumlich betrachtet) entfernten Ort verlagert werden und so kein direkter Bezug zwischen Kulturgut und den dazugehörigen Daten entsteht. Auch über die starke szenographische Ausgestaltung der Ausstellungsfläche ist dieser Raum nicht immer als ein Musealer wahrnehmbar.
- Zum Konzept des Unlearnings ist an dieser Stelle auf Gayatri Chakravorty Spivak zu verweisen.
- Zur kritischen Betrachtung kann die Ausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Kolonialismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Jahrgang 62, Nr. 44–45, (2012) herangezogen werden. In diesem Zusammenhang ist der Begriff ‚Entdeckungstour‘ in den Kontext der kolonialen ‚Forschungsexpeditionen’ zu setzen, wovon sich in einer postkolonialen Auseinandersetzung zu distanzieren ist. Eine Auseinandersetzung mit der ‚Entdeckung der Welt in Miniatur‘ als koloniale Rhetorik findet sich darüber hinaus in: de L’Estoile, Benoît: Le Goût des Autres. De l’Exposition coloniale aux Arts premier, Paris: 2007.
- Zurückzuführen ist die Entstehung des MQB auf einen Brief, in dem Jacques Kerchache seine Idee der Betrachtung von außereuropäischen Kulturgütern an François Mitterrand im Jahr 1984 kommunizierte (Vgl. Pippel 2013 (wie Anm. 1), S. 118.) Über ein Jahrzehnt später nahm diese Idee langsam Form an und resultierte zu Beginn des 21. Jahrhunderts im MQB.
- Hierbei handelt es sich um einen Standort im Louvre, der im Rahmen der Entstehungsgeschichte des MQB mitgedacht wurde und bereits vor Eröffnung des MQB eröffnet werden konnte.
- Vgl. Pippel 2013 (wie Anm. 1), S. 111. Hier heißt es „Nachdem Chirac noch in seiner Rede zur Eröffnung des Pavillon des Sessions die Unterscheidung von ästhetischer und ethnologischer Herangehensweise als eine unsinnige ›querelle‹ abgetan hat, lässt er die ethnologische Herangehensweise an außereuropäische Kulturen und Künste in seiner zweiten Rede vollkommen unberücksichtigt“.
- Sternfeld 2009 (wie Anm. 3), S. 63.
- Clifford 2007 (wie Anm. 2), S. 4 und 12. Dabei bezieht sich Clifford besonders auf die Displaysituation über die Farbgebung die Kontinente entstehen lassen sollen. Auch Sternfeld 2009 (wie Anm. 3) hebt dies auf S. 63 hervor.
- Sternfeld 2009 (wie Anm. 3), S. 63.
- Nouvel, Jean: Presence-absence or selective dematerialization, in: Musée du Quai-Branly, Paris 2000. Zit. n. Fassil Demissie: Displaying colonial artifacts in Paris at the Musée Permanent des Colonies to Musée du Quai Branly, in: African and Black Diaspora. An International Journal, 2/2, (2009) S. 93–211, hier: S. 207.
- Demissie 2009 (wie Anm. 11) S. 201 zitiert hier aus Chiracs Eröffnungsrede des MQB am 20.06.2006.
- Vgl. Sandison, Charles: Vorwort, 22.11.2009, unter: https://www.quaibranly.fr/fileadmin/user_upload/1-Edito/6-Footer/5- Les-espaces/4-Rampe/A-foreword-by-Charles-Sandison-EN.pdf (Stand: 30.03.2023).
- Neben dieser unumgänglichen selbstreflexiven Arbeit gibt es weitere selbstreflexive Momente, wie die Wechselausstellungen, die in dem vorliegenden Aufsatz aber nicht näher beleuchtet werden.
- Lebovics, Herman: The Musée Du Quai Branly. Art? Artifact? Spectacle!, in: French Politics, Culture & Society, 24/3, (2006), S. 96–110, hier: S. 97.
- Kimmelman, Michael: A Heart of Darkness in the City of Light, in: The New York Times, 02.07.2006, unter: https://www.nytimes.com/2006/07/02/arts/design/02kimm.html (Stand: 30.03.2023).
- De Roux, Emmanuel: La sélection est sévère: 3 500 pièces sont exposées de manière permanente sur l’immense plateau du Musée du quai Branly, in: Le Monde, 19. Juni 2006, unter: https://www.lemonde.fr/culture/article/2006/06/19/300-000- objets-en-reserve-3-500-pieces-exposees_785262_3246.html (Stand: 30.03.2023) zit. n. Shelton, Anthony Alan: The Public Sphere as Wilderness: Le Musée du quai Branly, in: Museum Anthropology, 32/1, (2009), S. 1–16.
- Vgl. Clifford (wie Anm. 2), S. 12; Vgl. Price, Sally: Paris Primitive. Jacque Chirac’s Museum on the Quai Branly, Chicago: 2007, S. 146.
- Dickey, Christopher: Sex, Birth, Death and God. An Intriguing New Museum in Paris Helps Explain Picasso’s Life- Changing Fascination with Primal Art, in: Newsweek, 03.07.1986 zit. n. Shelton, Anthony Alan: The Public Sphere as Wilderness: Le Musée du quai Branly, in: Museum Anthropology, 32/1, (2009), S. 1–16. Dickey benennt sie hier als „darkened huts from the inside“.
- Vgl. Pippel 2013 (wie Anm. 1), S. 114. Sie bezieht sich hier auf Chiracs Rede. Über Publikationen aus dem MQB selbst aber auch über Werbemittel ist das Motto des ‚Dialogs der Kulturen‘ immer wieder zentral erwähnt worden.
- Clifford 2007 (wie Anm. 2), S.16.
- Landry, Donna: The Spivak reader. Selected works of Gayatri Chakravorty Spivak, New York 1996, S. 4.
- Vgl. Ebd.
- Vgl. Castro Varela, María do Mar: (Un-)Wissen. Verlernen als komplexer Lernprozess, in: MIGRAZINE. Online Magazin von Migrantinnen für alle, 2017/1, https://www.migrazine.at/artikel/un-wissen-verlernen-als-komplexer-lernprozess (05.05.2024).
- Vgl. Ebd.
- Vgl. Shelton 2009 (wie Anm. 20).
- Vgl. Sternfeld 2009 (wie Anm. 3), S. 70.
- Vgl. Sternfeld 2009 (wie Anm. 3), S. 66.
- Clifford 2007 (wie Anm. 2), S. 5 zit. n. Sternfeld 2009 (wie Anm. 3), S. 67.
- Morrison, Toni: Playing in the Dark. Whiteness and the Literary Imagination, Cambridge: 1992, S. 16 zit. n. Sternfeld 2009 (wie Anm. 3), S. 66.