Die Luftqualität ist schlechter als gestern zu dieser Zeit, 2024 – Katharina Sauermann

Die abstrakten Arbeiten von Katharina Sauermann erwecken auf den ersten Blick Assoziationen mit sich aufberstenden Wellen, unwirschen Wetterverhältnissen oder dunklen vereisten Schneegegenden. Die Entstehungsumstände offenbaren allerdings den kulturellen Ursprung der spannungsgeladenen Landschaften – Als Material dienen Sauermann Feinstaubpartikel, die sich im Stuttgarter Stadtraum abgelagert haben und die Sauermann sorgsam mit einem Pinsel sammelt, bevor sie sie auf Papier festhält. Sauermanns Arbeiten erscheinen wie eine zeitgenössische Version der sich zwischen Dampf und Rußschwaden stetig dahin bewegenden Dampflok William Turners, die ebenfalls auf den technischen Fortschritt der Menschheitsgeschichte verweist, zugleich aber auch auf die noch im Nebel verborgen liegenden Auswirkungen dieser. 

Abb. 1 – 3: Die Luftqualität ist schlechter als gestern zu dieser Zeit., Serie Nr.2, Bilder 1-3 aus 5, 2024, jeweils 70cm x 100cm, Staubpartikel gesammelt in der Wagenburgstraße, 70184 Stuttgart, Ethanol, Hydroxypropylcellulose © Katharina Sauermann

Ich bin umgezogen. In den Stuttgarter Osten, direkt nach den Wagenburgtunnel. Die Straße, in der ich wohne, geht bergauf und kurz vor meinem Wohnhaus ist eine Ampel. Viele Fahrzeuge müssen an der Ampel stehen bleiben und fahren dann erneut an. Das hinterlässt Spuren. 

Ich richte mein Zimmer ein und beschließe, die Fenster zu putzen. Die Fenster sind die Augen des Hauses, heißt es im Feng-Shui. Als das Haus wieder gut sehen kann, möchte ich gleich noch die Rollläden putzen. Ich lasse also die Rollläden hinunter und befinde mich in einem dunklen Zimmer. Ich mache das Licht an und dort, wo zuvor die Fenster waren, befinden sich nun zwei schwarze Platten. Sollten Rollläden nicht weiß sein?

Ich nähere mich mit meinem nassen Putzfetzen und stelle schnell fest, dass unter einer schmierigen Schicht Schwarz doch, wie ursprünglich erwartet, weiße Rollläden sind. Die schwarze Schicht ist wie Pigment, gemischt mit einem Hauch Öl. Mit meinem nassen Lappen schmiere ich es auf den Rollläden herum, wegputzen kann ich es kaum. Irritiert beende ich meine Putzaktion und beschließe, dass das Haus gut genug sehen kann, auch mit dreckigen Augenlidern. 

Wochen vergehen. Ich besuche die Ausstellung «The Beginning of Something Else» von Wolfgang Laib im Kunstmuseum Stuttgart. Kiloweise Blütenpollen von Kiefern sind auf den Boden aufgesiebt, in der Form eines Rechtecks. Die Leuchtkraft des Gelbs beeindruckt mich – ein richtig sattes Gelb. Ich gehe weiter, in einen Raum, in dem eine Dokumentation über das Leben und Arbeiten von Wolfgang Laib gezeigt wird. Der Raum ist so voll besetzt mit Besuchenden, sodass kein Sessel mehr frei ist. Also setze ich mich auf den Boden und schaue Wolfgang Laib zu, wie er aus Bäumen die Blütenpollen in ein kleines Gefäß schüttelt. Sehr meditativ. Sehr genügsam. Das Publikum wirkt zufrieden. Ich bin irritiert von dem ruhigen und meditativen Leben des Künstlers, den gelben Pollen – und dem grauen Stuttgart.

Der Kontrast seiner Arbeit zu der Realität von Stuttgart, wo ich die Warnung der Wetterapp meines iPhone «Die Luftqualität ist schlechter als gestern zu dieser Zeit» häufig lese, hat mich festgehalten. Sie kommt mir immer wieder in den Kopf, diese Realitätsferne. Ist es Realitätsferne? Ist es Wunschdenken? Ist es ein Zukunftswunsch? Ich führe Gespräche über die Ausstellung und nach einem gescheiterten Versuch, erneut die Dokumentation anzuschauen, möchte ich eine weitere Realität der Stadt aufzeigen. Ich sehe die Parallele zwischen den gelben Blütenpollen und dem schwarzen Staub meines Rollladens. Ist der abgesetzte Feinstaub der Pollen der Stadt?

Abb. 4 -6: Ernte des schwarzen Staubs an den Rollläden in Stuttgart Ost, Standbilder aus Videos, 2023 © Jule Schermann

Nachts, wenn die Rollläden hinuntergelassen sind, ziehe ich los, um mit einem Pinsel den abgesetzten Staub abzunehmen. Ich gehe behutsam vor, fast meditativ könnte man meinen. Ich reinige die Stadt, von dem feinen Staub, der sich an viel mehr Orten absetzt, als mir bewusst war. Nach einigen Sammelterminen habe ich genug schwarzen Staub, um im Atelier damit zu arbeiten. Ich finde eine Technik, mit der ich abstrakte Landschaftsmotive erzeugen kann, die wie die Freisetzung von Naturgewalten aussehen. Den Staub fixiere ich in meiner ersten Serie im Jänner 2024 mit Haarspray, in der zweiten Serie im Juli 2024 fixiere ich ihn mit einem selbstgemachten Fixativ und einem Kompressor, um mehr Kontrolle beim Auftrag zu haben. 

Die Spuren der Stadt. Die Spuren des Lebens in der Stadt. Die Spuren der Mobilität in der Stadt. Spuren, die die Verschmutzung unserer Umwelt bezeugen. Bis wir in dieser Stadt wieder Blütenpollen von Bäumen ernten können, werde ich den Staub der Rollläden sammeln.

Abb. 7 -9: Die Luftqualität ist schlechter als gestern zu dieser Zeit., Serie Nr.1, Bilder 1-3 aus 4, 2024, jeweils 50cm x 65cm, Staubpartikel gesammelt in der Wagenburgstraße, 70184 Stuttgart, Haarspray © Katharina Sauermann

Biografie

KATHARINA SAUERMANN (*2000, Klosterneuburg, Österreich) lebt und arbeitet derzeit in Stuttgart. Sie studiert seit 2022 Bildende Kunst an der Staatlichen Akademie der Bildende Künste Stuttgart und schloss 2024 einen Bachelor in Psychologie an der Universität Wien ab. Zentrales Thema ihrer Praxis ist die Frage, wie Umwelteinflüsse, soziale Räume und immaterielle Prozesse – etwa Luft, Staub oder Stille – unsere Wahrnehmung und unser Erleben prägen. Ihre Arbeiten entstehen in verschiedenen Medien – von Zeichnung, Skulptur und Installation bis hin zu olfaktorischen und partizipativen Formaten. Dabei verfolgt sie eine reduzierte und präzise Formensprache.