Gräuel, 2024 – Susanne Franz

HINWEIS: In diesem Beitrag geht es um sexualisierte Gewalt. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist.

Die Installaton Gräuel stellt die drängende Frage nach dem Wegsehen, Weghören und Wegwischen als Schutzmechanismus vor dem Abgrund menschlichen Verhaltens. Sie verwendet eine vielschichtige künstlerische Codierung, um das Unfassbare greifbar zu machen, um ein Hinsehen zu ermöglichen, ein Zusammenzucken, ein möglicherweise flüchtiges Verstehen – jedoch ohne Trost zu bieten. Sie setzt sich mit der Flut von Nachrichten, Artikeln, Tweets, Videos und Bildern auseinander, die die Gräueltaten der Hamas-Terroristen dokumentieren und unsere alltägliche Routine durchbrechen. Nachts, in der Dunkelheit unserer Gedanken, kehren sie zurück: die unfassbaren Worte, die unerträglichen Satzfragmente, die trotz ihrer Unbegreiflichkeit in unser Gedächtnis eindringen.

Beim Betreten des abgedunkelten Ausstellungsraums zieht zu allererst ein weißes, schmuckloses Leinenkleid die Aufmerksamkeit auf sich. In der Mitte des Raumes an transparenten Schnüren angebracht, scheint es fast geisterhaft kurz über dem Boden zu schweben.

An der Wand dahinter ist ein kleinformatiges Ölgemälde zu sehen, das ein schwarz weiß Portrait einer jungen Frau zeigt. Mit der Erwartungshaltung der Betrachtenden brechend ist es kopfüber angebracht. Das Bild ist einem Zeitungsartikel entnommen, der über die Gräueltaten der Hamas berichtet.

Das Ölportrait zeigt die junge Frau noch vor den brutalen Übergriffen – sie ist nicht als Opfer dieser Brutalität abgebildet, allerdings ist ihr Abbild durch die Umkehrung desorientiert und entrückt.

Auf dem Boden angebracht – als Stolperfalle, Irritation – eine Metallplatte, auf der ein Zeitungsartikel aufgezogen ist, der das Schweigen über die Sexualverbrechen der Hamas thematisiert.

Im Flüsterton legt sich über die Szenerie ein Klagteppich aus Wort- und Satzfragmenten von Augenzeugen, welche die schroffe, kaum zu ertragende Realität ihrer Erfahrung im vertraulichen Flüsterton vortragen.

es sind die nachrichten, artikel und tweets, videos und bilder, immer wieder  bilder, die von den gräueltaten der hamas-terroristen berichten und die  alltäglichkeit und routine durchbrechen. gelesen, schockiert den kopf  geschütteln, dann versucht zu vergessen

doch nachts,  

in der dunkelheit der gedanken, 

kommen sie wieder die nicht-fassbaren wörter, die nicht zu ertragenden  satzfragmente, die sich ob ihrer u-n-b-e-g-r-e-i-f-l-i-c-h-k-e-i-t einen weg in das  gedächtnis verschaffen 

massaker an frauen und kindern, blutige unterwäsche,  

enthauptung von säuglingen, das böse, kein entkommen,  

verstümmelungen, mit nägeln und anderen gegenständen in  den genitalien, geschundene körper, hunderte, sexualisierte  gewalt, akribisch geplant, noch während der terrorist sie  

vergewaltigte, schoss er ihr in den kopf, abgeschnittene brüste,  abgetrennte genitalien 

verbrechen gegen die menschlichkeit  

menschen 

gegen menschen. menschen? 

das wegsehen, weghören, wegwischen als schutz vor diesem abgrund  menschlichen verhaltens?  

eine künstlerische codierung, um auszuhalten, um ein hinsehen zu  ermöglichen, ein zusammenzucken, ein glauben, vielleicht. kein trost.

karina 19., öl auf leinwand, 40 x 30 cm, 2024 
Kleid, Leinen, 2024.

Biografie

Geboren 1980 in Altenburg, studierte SUSANNE FRANZ Bildende Kunst und Geschichte an der Universität Leipzig (2000–2006). Sie arbeitete als Museumspädagogin für die Tübke-Stiftung Leipzig und als Galeristin in der Galerie Koenitz, Leipzig. Seit 2017 ist sie freischaffende Künstlerin und Kuratorin in Freiburg im Breisgau. Auszeichnungen und Stipendien umfassen ein Artist-in-Residence-Stipendium im Künstleratelier Nr. 5, Magdeburg (2023), sowie ein Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung für einen Aufenthalt in Warschau und Krakau, Polen (2004). Sie war Preisträgerin der Biennale für junge Kunst in Thüringen (2005). Zu ihren jüngsten Ausstellungen zählen „Im Osten zunehmend bewölkt“ (2023, Kunststiftung Siebeneichler, Altenburg), „Warten auf den Valentinstag“ (2022, dieHO-Galerie, Magdeburg), und das digitale Performance-Projekt „Missverstehen Sie mich richtig“ (2021–2020).