In ihrem Text Tentakel, Samt und Mikrochips. Von Sexrobotern und gefährlichen Möglichkeiten nutzt Georgia Palmer die von Donna Haraway entwickelte Cyborg Theorie, um ein kritisch-utopisches Essay über neue Formen technisch vermittelter Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen zu verfassen. Sie setzt sich jedoch nicht allein mit den möglichen Gefahren der neuen Technologien auseinander, sondern erörtert an der Figur des Sexroboters vor allem auch die in ihnen versteckten politischen (Handlungs-)Möglichkeiten.
„Das ist Harmony, einer der ersten Sexroboter auf dem Markt. Harmony will dich kennenlernen. Du kannst mit Harmony sprechen, wann immer du willst. Harmony hört dir zu, lächelt und nickt und stellt an den richtigen Stellen die richtigen Fragen. Ihre Stimme hört sich immer sanft und verlockend an; nie stellt sie Forderungen an dich, und wütend wird sie auch nicht. Du darfst Harmony auch anfassen. Ihre Haut ist weich und glatt und warm. Ihr Körper hat die perfekte Form: das konntest du dir vorher aussuchen. Harmony möchte deine Bedürfnisse kennenlernen. Du hast immer ihre volle Aufmerksamkeit und nie vergisst sie etwas. Ihr Körper kann sich noch nicht so viel bewegen, aber du kannst mit ihm machen, was du willst. Und im Rahmen ihrer eingeschränkten Möglichkeiten wird sie für dich machen, was du willst — vielleicht schon bald, bevor du überhaupt wusstest, dass du es willst. Dadurch lernst du dich selbst und deine Sexualität besser kennen, wirst selbstbewusster, und kannst auch andere, zwischenmenschliche Beziehungen optimieren. Harmony macht dich zu einer besseren Version deiner selbst. Wer weiß: vielleicht kann sie in Zukunft auch gleich noch deine Hausarbeit erledigen und auf deine Kinder aufpassen.“
So oder so ähnlich werden Sexroboter dargestellt: in Werbespots, Filmen, oder Ethik-Aufsätzen zum Beispiel. Und diese Darstellungen lassen allerlei feministische Alarmglocken schrillen. Sexroboter, so scheint es, sollen wie „echte“ Frauen wirken, die als unterwürfiges „Werkzeug“ für sexuelle Zwecke programmiert sind und stets zur Verfügung stehen. Insofern, so zum Beispiel Sinziana Gutiu, bestätigen Sexroboter Vergewaltigungsmythen und führen zu einer „Entmenschlichung von Sex und Intimität“.1 Und tatsächlich orientiert sich das derzeitige Design der großen Mehrheit aller Sexroboter an den Wünschen eines konstruierten heterosexuellen, weißen, cis-männlichen Nutzers. Unter anderem sexistische, rassistische und ableistische Vorstellungen „weiblichen“ Aussehens und Verhaltens werden so fast buchstäblich in die Körper von Sexrobotern eingeschrieben. Dabei werden zeitgenössische Ideale von Attraktivität und „Fickbarkeit“ in verschiedenen Diskursen ganz selbstverständlich mit dem schon länger bekannten Rollenbild „der Frau“ als Haushaltskraft, Pflegekraft, Kinderbetreuung, und emotionale Rundumversorgung verknüpft. In der Science-Fiction-Serie Humans etwa gibt es „Hausroboter“, die putzen, kochen, auf Kinder aufpassen – und gelegentlich auch für sexuelle Zwecke verwendet werden. Und der Rechtsphilosoph John Danaher vermutet, dass die Sexroboter der Zukunft sich dieser Fiktion annähern werden:2 gerade so, als wären die für Care-Arbeit nötigen Fähigkeiten eine natürliche Folgeerscheinung sexueller Verfügbarkeit. Solche Sexroboter wirken wie die Fantasie der perfekten Hausfrau aus europäischen und US Amerikanischen Werbungen der 50er Jahre, nur „besser“: denn sie haben tatsächlich keinen eigenen Willen, keinen rebellischen Funken, keinen Makel. Pures, perfektes, formbares Silikon.
Gleichzeitig fügen sie sich nahtlos in das neoliberale Paradigma der Rationalisierung und (Selbst-)Optimierung. Nicht nur, dass solche zukünftigen Sexroboter die reproduktiven Bedürfnisse ihrer Nutzer:innen sehr viel effizienter und zuverlässiger befriedigen würden, als Menschen das je könnten, ohne je selbst Nahrung, Zuwendung, Schlaf, oder gar einen Lohn dafür zu wollen. Sie produzieren außerdem, wie nebenbei, auch jetzt schon einen wahren Goldschatz an intimen Daten. Jede Bewegung, jeder Gesichtsausdruck, jedes Wort, jede Stimmfärbung, jede sexuelle Vorliebe wird in Information verarbeitet, gesammelt, analysiert, und aufbereitet. Das sei technologisch notwendig, so ein Argument, um immer bessere „realistischere“ Sexroboter zu entwickeln: Sexroboter, die wirklich mit uns interagieren, die irgendwann nicht nur die menschliche Stimme, sondern auch menschliche Bewegungen nachahmen können. Außerdem würden wir durch unsere Interaktion mit Sexrobotern und anderen „geselligen Technologien“3 auch sehr viel über uns selbst lernen. Und wir könnten das mithilfe dieser Technologien generierte Wissen nutzen, um uns selbst und unsere Beziehungen zu optimieren – zu „besseren Versionen unserer selbst“ zu werden.4
Dabei ist es natürlich zum einen äußerst fragwürdig, ob die von Sexrobotern gesammelten Daten nur, oder auch nur in erster Linie dazu genutzt werden, „bessere“ Sexroboter zu entwickeln. Wie Shoshana Zuboff schon 2015 bemerkt, sind Daten die Grundlage einer neuen Akkumulationslogik, die sie Überwachungskapitalismus nennt.5 Immer weitere Bereiche unseres Lebens werden zur Mine für unermüdlichen Datenabbau; diese Daten werden aggregiert und weiterverarbeitet zu neuen Anwendungen und personalisierten Werbe-Methoden. In Zuboffs düsteren Worten wird so nach und nach die Realität selbst kommodifiziert.6 Die ausgesprochen intimen Daten, die Sexroboter sammeln (könnten), wären dabei sicher besonders profitabel.
Zum anderen läuft die „Verbesserung“ von Sexrobotern und den sie nutzenden Menschen in diesem Kontext mehr oder weniger explizit auf eine Steigerung ihrer „Funktionalität“ hinaus. Beziehungen, Sex, Erholung, Intimität, Befriedigung, Zufriedenheit: Das alles wird übersetzt in messbare Produkte, die es in einem möglichst reibungslosen und fehlerfreien Prozess effizient herzustellen gilt. Diese Art der Optimierung reproduktiver Beziehungen ist eine Verbesserung vor allem aus der Perspektive des Kapitals. Denn neben den an sich schon wertvollen Daten, die dabei entstehen, sollen hier vor allem auch voll funktionale, einsatzfähige Arbeitskräfte mit möglichst wenig Privatleben (wieder-)hergestellt werden.
Wie Zuboff beschreibt auch Haraway diese Art der „Aufwertung“ immer weiterer Bereiche menschlichen Lebens gleichzeitig zudem als neue Herrschaftsform, als eine netzwerkartige „Informatik der Herrschaft“.7 Diese neue Herrschaft basiert, so Haraway, auf der „Übersetzung der Welt in ein Problem der Programmierung“, die jeden Widerstand gegen „instrumentelle Kontrolle“ zum Verschwinden bringt und alle Heterogenität in diskrete, endlos rekombinierbare und austauschbare Datenpäckchen verwandelt.8
So weit, so dystopisch. Und es ließen sich natürlich noch sehr viel mehr Gruselgeschichten über die eben angedeuteten Visionen menschlicher „Optimierung“ durch Technologie erzählen. Tatsächlich machen Sexroboter mir Angst; aber gleichzeitig, und darum soll es hier eigentlich gehen, machen sie mir auch Lust und Hoffnung auf eine andere Welt. Ich will allerdings der Versuchung widerstehen, diese Ambivalenz in die utopische Richtung aufzulösen. Dabei hilft mir die von Donna Haraway genau zu diesem Zweck entwickelte Figur des Cyborg. Cyborgs sind keine klar umgrenzten Entitäten, sondern fluide, ambivalente, sich ständig verändernde Zusammensetzungen verschiedenster (menschlicher, tierischer, symbolischer, semantischer, mechanischer) Elemente: ein „Überfluss partieller Verbindungen, die weder beliebig sind, noch notwendig, weder dauerhaft, noch ohne Konsequenzen“. 9 Wenn ich versuche, Sexroboter als „Kreaturen im Cyborg-Wurf“10 zu verstehen, dann löst sich das Bild der perfekten, datenhungrigen Silikon-Puppe an den Rändern auf. Ohne die neuen Formen technisch vermittelter
Herrschaft und Ausbeutung aus den Augen zu verlieren, kann ich dann in Sexrobotern auch neue „Formen von Macht und Lust in technisch vermittelten Gesellschaften“11 erkennen. Und vor allem tun sich aus dieser verwirrenden Perspektive neue „gefährliche Möglichkeiten“12 auf: neue Formen politischen Handelns und politischer Vorstellungskraft.
Zum Beispiel diese fast karikaturhaften, hyperrealistischen, hyper-sexualisierten, kümmernden, lächelnden Silikonkörper. Diese fast aggressive „Weiblichkeit“ ist doch so offensichtlich, so buchstäblich ein Konstrukt, dass sie jeden Versuch einer biologisierenden Begründung der hier zur Schau gestellten Geschlechternormen automatisch lächerlich macht. Sexroboter führen mir damit einerseits überdeutlich die normativen und ökonomischen Verhältnisse vor Augen, die bestimmen, wie wir lieben, Sex haben, und füreinander sorgen. Andererseits – gleichzeitig – machen sie sichtbar, dass diese Verhältnisse auch ganz anders sein könnten. Denn natürlich können wir uns Sexroboter vorstellen, die völlig anders aussehen. Sexroboter könnten nicht nur jeden beliebigen menschlichen Körper nachbilden: Sie könnten sich auch völlig von der Beschränkung auf die menschliche Form lösen. Wieso nicht Sexroboter mit Tentakeln und Saugnäpfen, Sexroboter aus Samt und Seide? Flauschige Sexroboter zum kuscheln, Sexroboter mit allen möglichen Gliedmaßen und Öffnungen, die sich um, an, oder in unsere Körper schmiegen könnten? Oder Sexroboter mit zarten Federn, die uns streicheln und kitzeln könnten? Könnten unsere Beziehungen und unser Sex mit solchen Sexrobotern vielleicht nicht „optimaler“, dafür aber lustiger und zärtlicher werden?
Wenn ich mir solche Sexroboter ausmale, ist es, als würde eine Tür in meinem Kopf aufgestoßen werden, von der ich vorher nicht wusste (oder schon wieder vergessen hatte), dass sie da ist. Die Frage, welche Berührungen, welche Zärtlichkeiten ich mir wünsche, was sich gut anfühlt, wird offener. Sie löst sich ein Stückchen weiter aus den engen Grenzen der mir zugeschriebenen Rolle. Kategorien wie „pervers“ oder „unnatürlich“, die trotz aller Reflexion natürlich trotzdem in mir wirken, verlieren spürbar an Macht. Und so gesellen sich aufregende und verwirrende neue Möglichkeiten zu den Bildern von Sex und sexy Körpern, die Filme, Bücher, Werbung, Pornos und Co. in meinen Kopf gepflanzt haben.
Mit anderen Worten: Sexroboter machen mir Lust, mich zu fragen, worauf ich eigentlich wirklich Lust habe. Sie geben mir keine Blaupause einer „idealen“ utopischen Sexualität vor, sondern verschaffen mir fragmentarische, flüchtige Einblicke in mögliche zukünftige Verhältnisse, in denen unsere intimen und zärtlichen Beziehungen ein Stück weiter aus der engen Logik von Produktivität und Effizienz, von Macht und Abhängigkeit befreit wären. Meine Vorstellung bleibt dabei geprägt von Ambiguität, Ambivalenz, Unsicherheit, Ironie und Satire.13 Darin liegt für mich, mit Weeks, ein Teil des utopischen Potenzials von Sexrobotern.
In meiner utopischen Sexroboter Welt geht es dabei weder „nur“ um mich, noch „nur“ um Sex. Ich stelle mir zum Beispiel auch vor, wie es wäre, wenn Sexroboter tatsächlich in der Lage wären zu putzen, zu kochen, einzukaufen, Kinder zu betreuen, pflegebedürftige Menschen zu pflegen, oder emotionalen Beistand anzubieten. Wie viel Zeit ich dann plötzlich hätte! Wie viel Zeit vor allem auch Menschen, die diese Arbeiten derzeit unter noch viel schlechteren Bedingungen als ich verrichten müssen, theoretisch haben könnten! Zeit, um kollektiv herauszufinden, wie wir lieben, Sex haben und ganz allgemein zusammenleben wollen …
An dieser Stelle ist es wichtig, den zweiten zentralen Aspekt von utopischem Denken und utopischer Praxis nicht aus den Augen zu verlieren. Es reicht nicht, dass ich mir vorstelle, wie ich gerne leben würde, wenn ich die Bedingungen meines Lebens freier mitgestalten dürfte – auch wenn damit schon viel gewonnen ist. Ich muss auch ganz konkret überlegen, wie ich dahin komme: also wie und mit wem ich der Gegenwart Stück für Stück größere Spielräume für kollektive Entscheidungsmacht und damit auch für echte individuelle Freiheit abringen kann. Dazu kann ich mich zum Beispiel fragen, mit wem ich eigentlich in Berührung komme, wenn ich Sexroboter berühre (ob mit der Hand, mit dem Mund, oder mit der Vorstellungskraft). Sofort taucht ein loses Netz von Verbindungen mit einer unübersichtlichen Vielfalt von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren auf: von den Unternehmen, die Sexroboter produzieren, über die Menschen, die für diese Unternehmen und deren Zulieferer arbeiten; die natürlichen Ressourcen, die für die Produktion von Sexrobotern abgebaut werden; die Algorithmen, welche die „Persönlichkeit“ von Sexrobotern strukturieren; bis hin zu den Daten, mit denen sie gefüttert werden. Auch die Menschen, die derzeit vor allem Care- und Sexarbeit leisten (müssen), und deren Arbeitsbedingungen durch den Konkurrenzdruck billiger Sexroboter unter gegenwärtigen Bedingungen sehr wahrscheinlich eher noch schlechter würden, gehören dazu. Im Vergleich zur Mehrheit dieser Menschen (wie auch überhaupt der Mehrheit der Menschen weltweit) habe ich als weiße, deutsche cis Frau jetzt schon unfassbar viel Freizeit und einen riesigen Handlungsspielraum. Freiheit kann auch für mich daraus aber erst werden, wenn wir alle frei sind. Utopisch wäre es also, zu überlegen, wie ich Verantwortung übernehmen kann für die komplexen und ungleichen Machtstrukturen, in die ich verwickelt bin – ob ich will oder nicht. Utopisch wäre es, nach möglichen Allianzen zu suchen in diesem verworrenen Netzwerk. Dazu brauchen wir zuerst unsere eigenen „Übersetzungsmethoden“: Mittel und Wege, um unser Wissen über Machtdifferenzen hinweg miteinander zu teilen.14 Wir brauchen Wissen darüber, wie Technologien wie Sexroboter funktionieren. Und wir brauchen Wissen darüber, welche Konsequenzen ihre Produktion, ihre Vermarktung und ihr Einsatz für unterschiedliche Menschen hat. Dann erst können wir gemeinsam herausfinden, welche Möglichkeiten und Ansatzpunkte für politische Strategien zwischen Silikon und Mikrochips lauern. In der Zwischenzeit träume ich schon mal weiter von weichen, flauschigen Sexrobotern, mit denen ich kuscheln und faul sein kann; und von mutigen, liebevollen Sexrobotern, die gemeinsam mit mir in den anti-patriarchalen Streik treten.
Biografie
Georgia Palmer studierte bis 2021 hauptsächlich Philosophie an der Freien und der Technischen Universität Berlin sowie an der Universitat de Barcelona. Ihr Interesse gilt intersektional feministischer, klassenkämpferischer Theorie und Praxis. Palmer engagiert sich politisch bei der Vorbereitung von feministischen Streikaktionen gegen unterschiedliche Formen der Ausbeutung. Ab Herbst 2022 beginnt sie eine Ausbildung zur Informatikerin.
Fußnoten
- Vgl. Sinziana Gutiu: Sex Robots and the Robotization of Consent, URL: https://robots.law.miami.edu/wp-content/uploads/2012/01/Gutiu-Roboticization_of_Consent.pdf (07.04.2022).
- Vgl. John Danaher: Should we be thinking about Robot Sex?, in: Danaher und McArthur (Hrsg.): Robot Sex. Social and Ethical Implications (2018) – S. 3-14.
- Dieser Begriff ist meine Übersetzung von „sociable technologies“, einer Bezeichnung, die zum Beispiel Turkle verwendet. Vgl. Sherry Turkle: Sociable Technologies. Enhancing Human Performance When the Computer is not a Tool but a Companion, in: Converging Technologies for Improving Human Performance. Nanotechnology, Biotechnology, Information Technology and Cognitive Science (2002), S. 150-158.
- Turkle spricht von „person-enhancing machines“ (Turkle 2002, S. 156).
- Vgl. Shoshana Zuboff: Big other. Surveillance capitalism and the prospects of an information civilization, in: Journal of Information Technology 30 (2015), S. 75-89.
- Vgl. Zuboff 2015, S. 85.
- Vgl. Donna Haraway: A Cyborg Manifesto. Science, Technology, and Socialist-Feminism in the late Twentieth Century, Minneapolis 2016, z. B. S. 28.
- Vgl. Haraway 2016a, S. 34.
- Vgl. Donna Haraway: Staying with the trouble. Making kin in the Chthulucene, London 2016, S. 104.
- 10 Vgl. Haraway 2016b, S. 105.
- Vgl. Haraway 2016a, S. 15.
- Vgl. Haraway 2016a, S. 14.
- Vgl. Kathi Weeks: The Problem with Work. Feminism, Marxism, Antiwar Politics, and Postwork Imaginaries, Durham 2011, S. 211.
- Vgl. Sarah A. Bell: The Informatics of Domination and the Necessity for Feminist Vigilance Toward Digital Technology, in: Sotirin, Bergvall und Shoos (Hrsg.): Feminist Vigilance (2020), S. 23-42; S. 30.