Zum Höhepunkt geschaukelt?, 2024 – Hannah Rathschlag

Die Schaukel avancierte spätestens im 18. Jahrhundert zur versteckten Metapher für Lust und Sex. Die vermeintlich unschuldige Darstellung schaukelnder Paare in üppig bewachsener Natur ist gespickt von erotischen Anspielungen und offenbart geschlechtsspezifische Dynamiken. Hannah Rathschlag nutzt die Analyse dieser zweideutigen Darstellungen als Ausgangspunkt für die Betrachtung später entstandener Werke von Kiki Kogelnik, Carolee Schneemann und Monica Bonvicini, die das Motiv der Schaukel in ihren Arbeiten wieder aufgreifen. Der kunsttheoretische Artikel hebt ebendiese drei Pionierinnen in ihrer jeweiligen Interpretation des „Zum-Höhepunkt-Schaukelns“ hervor und ordnet die Arbeiten Kogelniks und Schneemanns in den Kontext der Feminismus-Debatten der 1960er Jahren ein, um so das damit verbundene neue Verständnis von Sexualität zu beleuchten. Zugleich sollen Bonvicinis Liebesschaukeln einen Bezug zur Enttabuisierung von sexuellen Themen im 21. Jahrhundert herstellen und die Verlagerung der Sexschaukeln aus dem Privatraum in den öffentlichen Ausstellungsraum veranschaulichen.

Die innerhalb der Kunstgeschichte wohl bekannteste Szenerie mit einer Schaukel präsentiert sich in Jean-Honoré Fragonards (1732–1806) Les hasards heureux de l’escarpolette, besser bekannt als The Swing (ca. 1767–1768) (Abb. 1). Dank des Anschwungs durch einen älteren Mann, der oftmals als ihr Ehemann interpretiert wird, gerät die Dame auf der Schaukel dynamisch in eine vor- und zurückschwingende Bewegung, wodurch ihr Schuh ihrem Fuß in hohem Bogen entgleitet und ihre Gewänder sich durch den Luftzug aufbauschen. Die Aufmerksamkeit der Schaukelnden gilt jedoch dem erwartungsvoll vor ihr im Gebüsch liegenden Liebhaber, der seinen Blick unter den hochfliegenden Rock zwischen ihre gespreizten Beine richtet. In der französischen Malerei des 18. Jahrhunderts stand das Schaukeln im Freien oft im Zusammenhang mit romantischen und erotischen Gefühlen und galt besonders in der vermeintlichen Abgeschiedenheit einer üppig bewachsenen Natur als ein beliebter Zeitvertreib zweier Liebenden.1 

Abb. 1: Jean-Honoré Fragonard, Les hasards heureux de l’escarpolette (The Swing), ca. 1767–1768, Öl auf Leinwand, 81,0 x 64,2 cm, London, The Wallace Collection. Abbildungsnachweis: Yuriko Jackall: „The Swing“ by Jean-Honoré Fragonard: New Hypotheses, in: The Burlington Magazine 166 (Mai 2024), Abb. 2.

Bei Fragonard ist die Rolle der dargestellten Frau von Passivität geprägt, da diese sich trotz ihrer kraftvollen, Anschwung holenden Haltung in einer Abhängigkeit befindet, in der sie dem Rückzug des hinter ihr befindlichen Mannes ausgeliefert ist. Dieser kann sie mit zwei an der Schaukel befestigten Seilen zurückziehen und ihre Bewegung auf diese Weise bewusst lenken. Zudem bestimmt er aktiv Höhe, Geschwindigkeit und die zeitliche Dauer des Schaukelns und übt so Kontrolle über die Schaukelnde aus. Die im Gemälde zur Schau gestellte Rollenverteilung aus passiver Frau und aktivem Mann kann ebenfalls metaphorisch als Verweis auf bestehende Machtverhältnisse und als Hinweis auf die Rollenverteilung, gesellschaftliche Normen und Restriktionen der weiblichen Sexualität innerhalb der damaligen häuslichen Sphäre gelesen werden.2 Dagegen weisen der losgelöste Schuh und der sich aufbauschende Rock, der auf ‚unanständige‘ Manier die Beine der Frau entblößt, auf ein aufbrausendes, sinnliches und spontanes Verhalten in der Liebe und damit auf eine vermeintlich sexuelle Freiheit und Lust der Schaukelnden hin. Die Skulptur des Amors im Bildhintergrund mit einem an die Lippe haltenden Finger, in Anspielung auf Étienne-Maurice Falconets L’Amour menaçant, verdeutlicht jedoch, dass sich diese Szenerie nur im Heimlichen zwischen den zwei Liebenden abspielt.3 Für beide Männer im Bild, Ehemann und Liebhaber, ist die Schaukelnde bei Fragonard Objekt der Begierde und wird sowohl von diesen als auch von den Betrachtenden mit voyeuristischen Blicken beobachtet. 

            Besonders im Rokoko entwickelte sich das Schaukeln zu einer Metapher für Lust und Sex.4 So steht auch bei Fragonard die Schaukel sinnbildlich für das erotische Flirten der Liebenden.5 Wenn auch die bildlichen Darstellungen von Schaukeln nach dem Schaukel-Boom im Rokoko in den folgenden Jahrhunderten etwas nachließen, so ist in künstlerischen Positionen des 20. und 21. Jahrhunderts wieder ein verstärktes Interesse an der Motivik des ‚erotisierten Schaukelns‘ festzustellen. Im Folgenden werden neben Arbeiten von Kiki Kogelnik6 (1935–1997) und Carolee Schneemann7 (1939–2019), die als künstlerische Auseinandersetzung mit der Women’s liberation movement zu verstehen sind, auch Werke von Monica Bonvicini8 (*1965) betrachtet, die jüngst das Schaukelmotiv neuartig in Ausstellungsräumen erlebbar und haptisch erfahrbar machte. 

Angekettetes Schwingen

Abb. 2: Kiki Kogelnik, Untitled (Swing), 1969–1970. Abbildungsnachweis: Antonia Wagner: Feminismus und Konsum, Dissertation, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, Heidelberg 2020, S. 138.

Die österreichische Künstlerin Kiki Kogelnik griff das Schaukelthema in der Grafik Untitled (Swing) von 1969­–1970 (Abb. 2) auf. Die Grafik zeigt einen mit Ketten an einem Schaukelgestell befestigten Unterkörper, dessen gespreizte Beine nur fragmentarisch dargestellt sind und unterhalb der Oberschenkel in zur Befestigung dienenden Ösen enden. Diese Anbringung lenkt den Blick unverblümt auf Genital und After. Feine Linienschraffuren deuten Schamhaare an. Den Betrachtenden wird ein stern- bzw. blumenförmiger After entgegengestreckt, dessen Gestaltung stark den im unteren Bilddrittel auf der Wiese wild wachsenden Pusteblumen ähnelt. Solch eine Motivik zeigt sich auch in Kogelniks Grafik Swing in Central Park von 1970 (Abb. 3).9

Abb. 3: Kiki Kogelnik, Swing in Central Park, 1970, Acryl und Tinte auf Papier, 65,1 x 49,9 cm, Kiki Kogelnik Foundation. A-KHZH-2. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Wien 2023, S. 178; Kat. 104.

Hier hängen anstelle der üblichen, brettartigen Schaukelflächen vier fragmentierte menschliche Gesäße – in gleicher Gestalt wie bei Untitled (Swing) – an Ketten von einem Schaukelgestell herab und strecken den Betrachtenden After und Vulven entgegen. Scheinbar in ihrem Schwung erstarrt, sind die Gesäße in unterschiedlichen Höhen hängend dargestellt. Die verspielte Pusteblumenwiese ist verschwunden, wodurch die Szenerie durch die fehlende Bodenbepflanzung Kälte, Tristesse und eine unterschwellige Aggressivität ausstrahlt. Im Hintergrund befindet sich ein Gitter als Begrenzung und wiederum dahinter lassen sich dünne, geschwungene Umrisslinien von Hecken oder Bäumen erkennen. Der Gitterzaun im Hintergrund gibt dem erotischen Spielplatz seine räumliche Grenze. 

            Sowohl in Untitled (Swing) als auch in Swing in Central Park fehlen den Körperteilen Gliedmaßen. Auch fällt die Absenz anderer Menschen auf, die die Schaukeln anstoßen können. Die fragmentierten Körperteile sind in beiden Grafiken lediglich umrissene Silhouetten und erinnern in ihrer Darstellungsweise an Ausschneidefiguren oder Schablonen aus Modezeitschriften. Solche schablonenartigen Körper zum Ausschneiden können in Zusammenhang mit Kogelniks Arbeiten der 1960er Jahre gebracht werden, in denen das Motiv der Schere als Symbol des Haushaltes, aber auch als Waffe der Frau aufgegriffen wird. Der Körper wird dabei oft als formal-reduzierter Cut-Out gezeigt, so beispielsweise bei Kogelniks Hangings, bei denen es sich um Ausschneidefiguren aus bunter Plastikfolie handelt, die auf Garderobenständern hängen.10 Kogelniks Schaukeln hängen in Form von Körperteilen, losgelöst von den restlichen Gliedmaßen, an dem Schaukelgestell und werden somit ‚zweckentfremdet‘, indem sie als Schaukelbrett eingesetzt werden. Dadurch werden sie zu Objekten und wirken entmenschlicht. Kogelnik entscheidet sich zudem bewusst für die Präsentation von Unterkörpern, nämlich Gesäße und Hüften, die, anders als andere Körperteile wie Hände und Füße, geschlechtsspezifisch sind. Kogelnik offenbart Vulven und besonders den Anus deutlich und hebt damit die (weiblichen) Lustorgane hervor.11 Der Fokus auf die Repräsentation des Anus überrascht zudem. Während der Hintern in der Kunstgeschichte auf eine Tradition als erotisch-schönes Körperteil (wie bei der Aphrodite Kallipygos) zurückblicken kann, stellt die Repräsentation des Anus doch eine Seltenheit, beinahe ein Tabu-Motiv, in bildlichen Darstellungen dar.  

            Gleichwohl wirken die Gesäßschaukeln durch ihre Fragmenthaftigkeit, ihre harten Konturen und das ‚Angekettet-Sein‘ leblos, starr und objektifiziert.12 Die angeketteten, zerlegten und mit den Schenkeln nach oben zeigenden Gesäßschaukeln erwecken zudem Assoziationen zu Tierkadavern in einem Schlachthaus. Nebeneinander aufgereiht lenken sie den Blick direkt, beinahe aggressiv und brutal auf die sich öffnenden und zur Schau gestellten Körper. Der Mensch, ähnlich wie ein geschlachtetes Tier, wird auf den Körper und das Fleisch reduziert und zur (Massen-)Ware objektifiziert. In den 1960er Jahren wurden Frauenkörper in Medien und Werbung als Objekt zur Schau gestellt. Die Reduktion auf geschlechtsspezifische Körperteile in Swing in Central Park betont diese Kommerzialisierung und Objektifizierung von Frauen.13 Die weiblichen Körper, die hier wortwörtlich angekettet sind, können als Kritik an den starren Rollenbildern der Frau als Ehefrau und Mutter verstanden werden. Besonders die Referenz zum Spielplatz, auf welchem sich primär Mütter um ihre Kinder kümmerten, macht die Rollenreduktion der Frau in den 1960er Jahren besonders deutlich. Kogelniks Grafiken spielen mit ebendieser reduzierten Repräsentation und Rollenzuteilung von Frauen in der Gesellschaft. Die unverblümte Präsenz der gespreizten Vulven kann somit als Bildhaftigkeit weiblicher Lust gedeutet und als aktive, konsumierende Teilhabe von Frauen verstanden werden. Damit reiht sich Kogelnik in die beginnende Zweite Frauenbewegung der 60er Jahre ein.14

            Wer bewegt nun eigentlich die schaukelnden Gesäße? Obwohl die Schaukel bei Fragonard fremdgesteuert wird, könnte bei ihm die Schaukelnde theoretisch jederzeit abspringen. Kogelniks Körperfragmente hingegen sind angekettet und bereits mit den Ketten verwachsen. Ihnen fehlt jede Möglichkeit, sich selbst in Bewegung zu setzen. Sie werden von ihrer Umwelt bewegt und sind jeglichem Werkzeug zur Befreiung aus dieser Passivität beraubt. Möchte sich eine Person zum Schaukeln hinsetzen, so würde sie auf dem nackten, entblößten Schoß der Frau Platz nehmen. Auch wenn fraglich bleibt, ob diese Schaukeln zur Benutzung verfügbar sind, wird bei Kogelniks Grafiken ersichtlich, dass jeder potenzielle Schaukelakt ein Übergriff auf den festgebundenen, sich präsentierenden Körper wäre. Die zur Bloßstellung verdammten Gesäße legen daher Machtstrukturen und die Passivität der weiblichen Lust offen. Vulven und After werden zum frei konsumierbaren Objekt männlicher Lust. Womöglich will Kiki Kogelnik den Betrachtenden aber auch wortwörtlich einen Anstoß verpassen und aufzeigen, dass die weibliche Lust spielerisch – daher das Motiv und Medium der Schaukel – erlebbar ist und an die Frauen appellieren, ihre Körper selbstständig in Schwingungen und zum Höhepunkt zu versetzen.

Mit Schwung über die Leinwand

Abb. 4: Carolee Schneemann, Up to and Including Her Limits, 13–14. Februar 1976, New York, The Kitchen. Abbildungsnachweis: Performanceausschnitt, Foto: Sheiley Farkas Davis, in: Ausst.-Kat. Carolee Schneemann: Up To And Including Her Limits, New York (The New Museum of Contemporary Art) 1996, S. 1.

Kiki Kogelnik und ihre amerikanische Künstlerkollegin Carolee Schneemann verband neben der Ateliernachbarschaft in New York während der 1960er Jahre das Aufgreifen des Schaukelmotivs in ihrer Kunst.15 In Up to and Including Her Limits (1973–1976) (Abb. 4) bewegte sich Schneemann nackt, nur an einem Harness befestigt, über ausgelegtes Papier. Mit farbiger Kreide in der Hand zeichnete sie ihre Bewegungen unter und um sich nach, wobei ihre eigenen Schaukelbewegungen sie lenken und die Richtung für die Malbewegung bestimmen. So erschuf Schneemann ihre ‚kinetic paintings‘. Sie führte Up to and Including Her Limits neun Mal als Performance auf und beließ anschließend den hängenden Harness und die mit bunten Farbspuren versehene Wand- und Bodenfläche als Installation.16 Auch wenn das nackte Schaukeln an einen erotischen, pornografischen Akt erinnert, ist es doch eine spezifische Antwort auf den male gaze.17 Die Künstlerin sah die Absicht ihrer Performance nicht in der Befriedigung des männlichen Blickes, sondern als ein bewusstes Sich-Entgegenstellen. Mit Up to and Including Her Limits ist ihr Körper mehr als bloßes Objekt und entzieht sich der kunsthistorischen Tradition des passiven weiblichen Aktes als Objekt der Begierde von Männern.18 In ihren ‚kinethic paintings‘ wurde sie durch das schwingende Bewegen in ihrem schaukelnden Harness zur aktiven Produzentin von Kunst. Der Harness – ein Fetischaccessoire der BDSM-Szene („Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“) – ermöglicht, ähnlich einer klassischen Schaukel, ebendiese schwingenden Bewegungen. Die Befestigung an einem Seil machte es Schneemann zudem möglich, sich abseits der Vor- und Zurückbewegung in einem 360° Radius im Kreis zu bewegen. Sie musste sich nicht mit den Händen festhalten, sondern hatte diese frei zur Verfügung. Schneemann nutzte jeden Winkel, den sie innerhalb ihres Radius erreichen konnte, und streckte sich bei ihrer Perfomance, um auch an weit entfernte Maloberflächen zu gelangen. Diese dynamische Streckbewegung erinnert an den ausgestreckten Fuß der Schauklerin bei Fragonard und steht in ihrer freien Beweglichkeit in einem klaren Gegensatz zu den angeketteten Gesäßen Kogelniks.

            Schneemanns ‚kinethic paintings‘ sind vor allem als Antwort auf die hypermaskuline Szene der Action Painters zu verstehen – besonders als Gegenposition zu Jackson Pollocks (1912–1956) Drip Paintings, die von Kunstkritikern als Ausdruck männlicher Ejakulation gelesen wurden.19 Schneemann griff auf die Schaukel zurück, um das Kunstverständnis vom männlichen Künstler als Produzenten von Kunst durch ihr eigenes Kunstschaffen aus den Angeln zu heben, oder besser gesagt, in ihre eigene Angel zu hängen. Auch hier wird anhand des Schaukel-Motivs das Verhältnis von Aktivität und Passivität, wie auch bei Fragonard, eindeutig thematisiert. Anstatt bloß passives Objekt zu sein, bemächtigt sie sich selbst ihrer Schaffenskraft.20 Ihr Körper wird zum produzierenden Medium und sie dadurch, von diesem untrennbar, zur aktiven Produzentin.21

In Lack und Leder schaukeln

Wie auch Carolee Schneemann bedient sich Monica Bonvicini (*1965) in ihren Installationen einer Formsprache und Ästhetik aus der BDSM-Szene. Ihre ortsspezifischen Installationen wie The Fetishism of Commodity (2002) oder Never Again (2005) bestehen aus metallenen und ledernen Sexschaukeln und Hängematten, die die Besuchenden durch den eigenen Körpereinsatz in Bewegung setzen. 

Abb. 5: Monica Bonvicini, Never Again, 2005, verzinkte Stahlrohre, schwarzes Leder, schwarze Ledergürtel, verzinkte Ketten, Klemmen, 350 x 1600 x 1100 cm. Abbildungsnachweis: Foto: Rikke Luna; URL:  https://monicabonvicini.net/never-again-2/ (05.01.2024).

Bei Never Again (Abb. 5) wurden zwölf schwarze, lederne Liegen mit Stahlketten an einem aus Metallrohren bestehenden Gerüst nebeneinander hängend installiert. Einzelne Metallketten hingen dabei zudem von dem Gestell zum Boden herab. Der Mensch fehlt hier zunächst. Diese Leerstelle wird jedoch in der Interaktion mit den Besuchenden gefüllt. Bei Never Again, welches 2005 im Hamburger Bahnhof ausgestellt war und auch 2023 auf der Art Basel präsentiert wurde, konnten sich die Besuchenden in die Schaukelkonstruktionen legen.22 Auf diese Weise war es ihnen möglich, das glatte Leder während des Liegens am Rücken zu spüren und dem metallenen Klirren der Ketten zu lauschen. Während bei einer Schaukel zunächst an eine hölzerne oder an eine rote Plastikversion, befestigt an einfachen Seilen, gedacht werden mag, orientiert sich Bonvicini mit ihrer Materialienauswahl von glattem Leder und kaltem Metall bewusst an Sexschaukeln aus der BDSM-Szene.23 Zugleich wirken Bonvicinis Schaukeln aufgrund der hochwertigen Materialien sowie ihrer Präsentation im musealen Raum wie Möbelstücke oder Designobjekte und werden dabei ästhetisch aufgewertet. Bonvicinis Sexschaukeln erlauben durch die doppelte Verkettung nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Zugleich erinnert das wortwörtliche „Sich-in-Ketten-Legen“ an BDSM-Praktiken.24 Diese Assoziationen von inszenierter Bestrafung in sexuelle Praktiken wird bewusst hergestellt. Die Sexschaukel – als Hilfsmittel für das Lustspiel der Befriedigung – wird durch die Präsentation im Ausstellungsraum und durch das In-Aktion-Treten der Besucher*innen aus ihrem ursprünglichen Kontext genommen und zu einer Spiel- und Ruheoase umfunktioniert. 

            Die Schaukel erscheint daher als ein Medium, das Grenzen überschreitet und mit sozialen Konventionen bricht. Dies zeigt sich bei Fragonard an der Schaukelnden, die sich auf den Liebhaber hinbewegt und trotzdem von ihrem Mann immer wieder zurückgehalten wird. Bonvicini jedoch durchbricht Grenzen, indem sie die Sexschaukeln – sexualisierte Objekte des privaten Gebrauchs und Hilfsmittel intimer Sexfantasien – in die Öffentlichkeit verlagert und die Ausstellung zu einem Wohnzimmer und einer Spielwiese des Begehrens macht. Dadurch vermag Bonvicini einen sozialen, gemeinschaftlich erlebbaren und interaktiven Raum zu erschaffen, in dem das Vor-und-zurück-Schwingen zu einem massentauglichen Ausstellungsevent wird. Mit der expliziten Zurschaustellung von Sexualpräferenzen und den damit verbundenen Fetischobjekten provoziert sie Sehgewohnheiten eines konservativen und bürgerlichen Museumspublikums und bricht mit veralteten, starren Konventionen.25

Schaukel, Lust und Ekstase

Die Schaukel bzw. das Schaukeln lässt sich also als tradiertes Motiv in der Kunstgeschichte feststellen. Kiki Kogelnik griff die Schaukel im Medium der Grafik auf, Carolee Schneemann verwendete sie als Hilfsmittel in ihren Performances und Monica Bonvicini machte sie zu eigenständigen Designobjekten ihrer Installationen. Während die Schaukelnde bei Fragonard dem male gaze ausgesetzt ist, wenden sich die Arbeiten der drei Künstlerinnen gegen diese Betrachtungsweise des Schaukelns und verarbeiten das Motiv auf unterschiedliche Weise in feministischen Arbeiten. Bei Kogelnik scheinen die Gesäßschaukeln trotz fehlender Beine und damit ohne eigentlichen Anschwung zu schaukeln. Schneemann schwingt selbst nackt über die Leinwand, führt dabei Malbewegungen aus und bewirkt so ihr aktives Kunstschaffen. Bonvicini lässt schließlich die Ausstellungsbesuchenden auf den Sexschaukeln vor- und zurückschaukeln und diese können, um dem Schaukelvokabular treu zu bleiben, selbst zum Höhepunkt schaukeln. 

            All diese Arbeiten eint, dass sie stark mit Körperlichkeit, vor allem mit dem weiblichen Körper und dessen Objektifizierung, verbunden sind. Auch Bonvicinis zunächst menschenleere Installationen erwecken bei den Besuchenden das Bedürfnis, diese Leerstelle durch den eigenen Körper zu füllen und die Schaukeln in Bewegung zu setzen. Mit einem neuen Verständnis gegenüber der Auslebung von Sexualität und der Enttabuisierung sexueller Themen im Zuge der Feminismusdebatten seit den 1960er Jahren wird die Schaukel zur Projektionsfläche der sexuellen Emanzipation und Befreiung. Die Schaukel dient bei Bonvicini, Schneemann und Kogelnik, wie auch einige Jahrhunderte zuvor bei Fragonard, als Schauplatz, Austragungsort und symbolisch aufgeladenes Objekt, an dem das jeweils zeitgenössische Verständnis von Lust, Sexualität, Rollenbildern und sexueller Auslebung reflektiert wird. 


Biografie

HANNAH RATHSCHLAG hat Kunst- und Bildgeschichte und Klassische Archäologie in Berlin (Humboldt-Universität zu Berlin), Rom (Università Roma Tre) und München (Ludwig-Maximilians-Universität München) studiert. In ihrer Masterarbeit in Klassischer Archäologie widmete sie sich diversen Kopfbedeckungen in der antiken Bilderwelt. Ihre Kunstgeschichtsmasterarbeit mit dem Titel „Lively Mitchell im LIFE-Magazin. Abstrakte Expressionistinnen und ihre (Re-)Präsentation am Beispiel von Joan Mitchell“ untersuchte die zeitgenössische Rezeption Abstrakter Expressionistinnen unter Berücksichtigung genderperspektivischer und feministischer Methoden. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Antikenrezeption in der Kunst, sowie Fotografie und Malerei des 20. und 21. Jahrhunderts. Sie war unter anderem in der Photothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München tätig. Seit Mai 2024 arbeitet sie als wissenschaftliche Volontärin am Historischen Museum der Pfalz in Speyer.

Fußnoten

  1. Verena Fink: Komm auf die Schaukel… Eine Kulturgeschichte, Husum 2010, S. 28; Donald Posner: The swinging women of Watteau and Fragonard, in: Art Bulletin 64 (März 1982), S. 75–88, hier S. 78.
  2. Ashley Bruckbauer: Jean-Honoré Fragonard. The Swing, in: Smarthistory (26.02.2021), URL:  https://smarthistory.org/jean-honore-fragonard-the-swing/ (15.01.2025); Hans Wentzel: Jean-Honoré Fragonards „Schaukel“: Bemerkungen zur Ikonographie der Schaukel in der Bildenden Kunst, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 26 (1964), S. 187–218, hier S. 197.
  3. Wentzel 1964, S. 211.
  4. Zum Schaukelmotiv im Rokoko siehe: Fink 2010, bes. S. 31–39; Wentzel 1964, bes. S. 194–199.
  5. Fink 2010, S. 33.
  6. Kiki Kogelnik, Untitled (Swing), 1969–1970; Kiki Kogelnik, Swing in Central Park, 1970, Acryl und Tinte auf Papier, 65,1 x 49,9 cm, Kiki Kogelnik Foundation. A-KHZH-2.
  7. Carolee Schneemann, Up to and Including Her Limits, 13.–14. Februar 1976, New York, The Kitchen.
  8. Monica Bonvicini, Never Again, 2005, verzinkte Stahlrohre, schwarzes Leder, schwarze Ledergürtel, verzinkte Ketten, Klemmen, 350 x 1600 x 1100 cm.
  9. Ausst.-Kat. Kiki Kogelnik. Now Is the Time, Wien (Kunstforum Wien) 2023, S. 178; Kat. 104.
  10. Alexandra Matzner: Kiki Kogelnik. Weibliche Pop Art mit der Schere, in: Art in Words (15.07.2013), URL: https://artinwords.de/kiki-kogelnik/(15.01.2025).
  11. Antonia Wagner: Feminismus und Konsum, Dissertation, Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, Heidelberg 2020, S. 121.
  12. Mai-Thu Perret, The Day the World Turned Dayglo. Der Tag, als die Welt in Neon getaucht wurde, in: Ausst.-Kat. Kiki Kogelnik. Now Is the Time, Wien (Kunstforum Wien) 2023, S. 185–187, hier S. 185.
  13. Mai-Thu Perret 2023, S. 185; Wagner 2020, S. 140.
  14. Wagner 2020, S. 109.
  15. Lisa Ortner-Kreil: Now Is the Time. Zum Begriff der Gegenwart bei Kiki Kogelnik, in: Ausst.-Kat. Kiki Kogelnik. Now Is the Time, Wien (Kunstforum Wien) 2023, S. 63–69, hier S. 65; Carolee Schneemann bezeichnete sich selbst und Kogelnik auch als als „cunt mascots“ der Pop Artists. Siehe dazu das Interview: Schneemann im Film „Kikis Kosmos – Die Kunst der Kiki Kogelnik“ von Ines Mitterer, ORF Wien 2010.
  16. Hannah Edgar: ‘Her Life Was Her Art’: Five Essential Works By Pioneering Feminist Artist Carolee Schneemann, in: ARTnews (14.10.2022), URL: https://www.ppowgallery.com/news/her-life-was-her-art-five-essential-works-by-pioneering-feminist-artist-carolee-schneemann (02.01.2025).
  17. Zum Körper in der Performance der 1960er/70er Jahre siehe Erin Striff: Bodies of Evidence. Feminist Performance Art, in: Critical Survey 9 (1997), S. 1–18, hier S. 1.
  18. Hovey Brock: Carolee Schneemann. Kinetic Painting, in: The Brooklyn Rail (17.–18.12.2017), URL: https://brooklynrail.org/2017/12/artseen/Carolee-Schneemann-Kinetic-Painting/ (03.01.2025); Gabrielle Schwarz: Catching up with Carolee Schneemann, in: Apollo (03.03.2019), URL: https://www.apollo-magazine.com/catching-up-with-carolee-schneemann/ (02.01.2025).
  19. Hier ist das generische Maskulinum ‚Kunstkritiker‘ bewusst gewählt. Zur Assoziation von Pollocks Farbauftrag als Körperflüssigkeit siehe Anna C. Chave: Pollock and Krasner: script and postscript, in: Res. Anthropology and Aesthetics 24 (Herbst 1993), S. 95–111, hier S. 106.
  20. Brock 2017.
  21. Schneemann habe selbst über sich ausgesagt: „I do not show my naked body. I am being my body“. Siehe Edgar 2022.
  22. Christina, Petridou: Monica Bonvicini’s ‚Never Again‘ Returns 20 Years Later Reflecting on Space, Sexuality & labor, in: Designboom (22.07.2023), URL: https://www.designboom.com/art/monica-bonvicini-never-again-space-sexuality-labor-art-basel-07-22-2023/ (13.12.2024); Hannah Rathschlag: Monica Bonvicinis pornographische Räume, in: Henry Kaap; Sabine Weingartner (Hrsg.): Porno. Colophon. Magazin für Kunst und Wissenschaft 6 (2024), S. 21–22, hier S. 21.
  23. Julia Bryan-Wilson: Räume des Zwangs, Räume des Begehrens. Monica Bonvicini im    Belvedere, in: Ausst.-Kat. Monica Bonvicini. I cannot hide my anger, Wien (Belvedere Wien) 2019, S. 162–167, hier S. 163; Rathschlag 2024, S. 21.
  24. Rathschlag 2024, S. 21.
  25. Ebd., S. 21.