… ein paar Worte vom Organisations-team des 98. KSK! 

DAS ERSTE MAL, 1. bis 4. Oktober 2020 #goesdigital

Was ist der Kunsthistorische Studierendenkongress, kurz KSK?

Beim KSK handelt es sich um einen studentisch organisierten Kongress sowie die Vollversammlung aller Studierenden der Kunstgeschichte und Kunstwissenschaften, der jedes Semester in einer anderen Stadt in Deutschland, Österreich oder der Schweiz stattfindet. Im Rahmen dieses wissenschaftlichen Kongresses wird Studierenden die Möglichkeit geboten, sich auszutauschen und zu vernetzen, hochschulpolitische Themen zu diskutieren und zu wechselnden Schwerpunkten erste wissenschaftliche Vorträge zu halten. Dabei ist der KSK einerseits ein wichtiges politisches Forum für Studierende der Kunstgeschichte und verwandter Disziplinen, bietet andererseits aber auch ein abwechslungsreiches Vortrags-, Rahmen- sowie Abendprogramm. Obwohl der KSK sich seiner 100. Austragung nähert, hatte der Kongress zuvor noch nicht in Stuttgart stattgefunden. Und genau genommen hat er dies nun immer noch nicht! Denn auf Grund der aktuellen Situation – in Zeiten der COVID-19-Pandemie – wurde der Kongress zum Ersten Mal digital abgehalten.

Was hat es nun aber mit unserem Kongressthema auf sich?

Das erste Mal ist DER Superlativ. Wir verbinden damit einen positiv konnotierten Neuanfang. Aber wann erinnert man sich wirklich daran, dass jemand etwas zum ersten Mal getan hat? In der Kunstgeschichte und -wissenschaft bestimmt der gemeinsame Diskurs, wann ein erstes Mal relevant wird. Doch bleibt es dann auch relevant? Damit haben sich über 300 Kongressteilnehmer:innen – Bachelor- und Masterstudierende, Promovierende und Volontär:innen – während der vier Kongresstage im Rahmen von Vorträgen, Workshops, Führungen und Abendveranstaltungen aus verschiedenen Perspektiven beschäftigt.

Und welche Schlüsse haben wir für uns aus den gemeinsamen Gesprächen und Diskussionen gezogen?

Angefangen hat unsere Beschäftigung mit dem Thema mit einer ersten bewussten Erfahrung, dass wir z. B. eine Ausstellung besucht haben und das Museum sich damit gerühmt hat, dass es nun die erste Retrospektive eines Künstlers zeigt, den größten Bestand an Werken einer Künstlerin besitzt oder sich als erstes Museum einem Thema widmet. Aber warum wird dies immer als Herausstellungsmerkmal genutzt? Es scheint, als sei das erste Mal das ausschlaggebende Kriterium für die Kanonbildung innerhalb der Geisteswissenschaften. Aber: Geschichte wird geschrieben! Die Konstruktion einer ideengeschichtlichen, entwicklungshistorischen Kunstgeschichtsschreibung formt institutionalisierte Narrative, die aus heutiger Perspektive einer parallelen Dynamik entgegenstehen. Im gemeinsamen Diskurs sind wir zu dem Punkt gelangt, stringente Entwicklungslinien zu relativieren und berechtigt Kritik daran zu üben. Es gibt nicht nur die eine Geschichte, sondern mehrere Geschichten. So sind wir am letzten Tag des 98. KSK in dem Konsens auseinandergegangen, dass ein (selbst-)kritischer Dialog – dessen notwendige Multiperspektivität selbstredend weiter angestrebt werden muss – unsere Disziplin um unterschiedliche Stimmen erweitert.

Umso mehr freuen wir uns, dass die Redakteur:innen von frame[less] dieses bei weitem nicht abgeschlossene Thema für ihre zweite Ausgabe gewählt haben. Konsequenterweise haben sie dabei das Erste Mal zu die Ersten Male erweitert. Nun wünschen wir allen Leser:innen eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre.

Tobias Bednarz, Luisa Danaylov, Liesel Dinkelmann, Lisa Hinderer, Julia Horvat, und Franziska Klenk

Das 98. KSK-Organisationsteam 

Du möchtest mehr über den KSK erfahren?

99. KSK zum Thema Bildproteste
Digital vom 20. bis 23. Mai 2021 
https://derksk.org
@derksk.offiziell 

#2 Editorial

Issue #2, Erste Male, 2020

Liebe Leser:innen,

die Erfahrung, wenn wir etwas zum ersten Mal erleben, brennt sich in unvergesslicher Weise in unser Gedächtnis ein. Wiederholt man etwas zum zweiten oder dritten Mal, hat es oft schon den prickelnden Reiz des ersten Males verloren.

Als 1969 der erste Mensch den Mond betrat, erweiterte er damit den menschlichen Wirkkreis auf den Weltraum. Erste Male wie diese – sei es in Verbindung mit technischen Innovationen oder auch gesellschaftlichen Umbrüchen – werden in Kunst und Medien oft zum Superlativ heroisiert und glorifiziert.

Zum ersten Mal unbekannte Landschaften erblicken, zum ersten Mal mit den Füßen auf dem Mond stehen, die Zehen ins Meer tauchen oder zum ersten Mal den Duft eines Lavendelfeldes wahrnehmen … All diese ersten Male verursachen Aufregung, das Gefühl freudiger Erwartung oder auch latenter Angst in Auseinandersetzung mit dem Unbekannten: Unser Herz fängt an zu rasen, der Atem wird schneller, wir haben das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und werden uns selbst fremd – so etwas kann geschehen, wenn wir gleichzeitig vieles zum ersten Mal wahrnehmen. Das sogenannte Stendhal-Syndrom beschreibt eine psychosomatische Störung, die von einer kulturellen Reizüberflutung hervorgerufen wird, wie beispielsweise auf Reisen.

Grundlegend stellt sich die Frage nach der Geltung des Neuen und ihrer Aktualität in der Kunst. Dieser Thematik wird sich in der aktuellen Ausgabe basierend auf der Ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos und der kulturökonomischen Interpretation der Kunst von Boris Groys genähert. Muss etwas denn immer neu sein, damit wir denken, wir sehen etwas zum ersten Mal? Durch Bildmanipulationen können kleine Irritationen entstehen. Und wiederum mit jeder neuen Perspektive und infolge auch Wahrnehmung wird ein Bild oder Ort neu erfahrbar.

Unter dem Aspekt des ersten Males müssen auch die Kunstgeschichtsschreibung und der Kunstmarkt seine Wahrnehmung reflektieren. Denn wer entscheidet, welches erste Mal für die Kunstgeschichtsschreibung relevant wird? Die Kanonbildung kann auch zur Marginalisierung und Ausgrenzung verschiedener Akteur:innen führen. Ein sprechendes Beispiel hierfür: das Werk der Künstlerin Yayoi Kusama. Manche Zustände existieren schon lange im Unsichtbaren und sind erst ab dem OUTING für andere das erste Mal sichtbar, wie zum Beispiel im Falle der invisible disabilities. Durch das Outing wird eine Aufmerksamkeit geschaffen und eine Plattform zur Diskussion eröffnet. So auch bei dem Thema sexualisierter Gewalt in Gedichtform. Denn: Nicht jedes erste Mal ist schön. Nicht jedes erste Mal ist gut. Manche erste Male sind alles andere als das. 

Bei der Enthüllung des Denkmals zu Ehren Friedrich Schillers im Jahr 1839 in Stuttgart waren die Reaktionen eher ablehnend, während die Stuttgarter:innen sich heute wohl weniger an der Form des Denkmals stoßen. So sollten Denkmäler samt ihrer Entstehungsgeschichte aus unserer Gegenwart mit einem revidierenden Blick kritisch betrachtet werden. 

Seit der erste Mensch 1969 den Trabanten der Erde betrat, ist einiges passiert: Mittlerweile wandern Künstler:innen via Google Maps auf dem Mars, um als erste den höchsten Vulkan unseres Sonnensystems zu erklimmen. Was haben nun ein Schuhabdruck auf dem Mond und eine mit der Maus gezogenen Linie auf einem Vulkan gemeinsam? Sie markieren die Erstmaligkeit des Betretens, eine Aneignung des (digitalen) Raums und Erweiterung des Wirkkreises der Menschheit.

Spreng den Rahmen! Spreng die Superlative! 

(Mach doch einmal was zum zweiten Mal)

Euer frame[less]-Redaktionsteam

Zustimmung – Julia Scheuermann

Inhaltswarnung: Der folgende Text enthält sexualisierte Gewalt.

Nicht jedes erste Mal ist schön. Nicht jedes erste Mal ist gut. Manche erste Male sind alles andere als das. Spätestens seit #MeToo wird es nicht mehr tabuisiert über sexualisierte Gewalt und sexualisierten Missbrauch zu sprechen. Doch ist es unheimlich schwer. Schwer die richtigen Worte zu finden und schwer diese zu verdauen. Julia Scheuermann thematisiert sexualisierte Gewalt in Form von Lyrik, was zunächst sehr ungewohnt erscheint, doch sie schafft einen Spagat zwischen Subtilem und wortgewaltigen Bildern, die tief unter die Haut gehen.

Große Hände, lange Finger
Bohren sich in schmale Hüften.
Deine raue pinke Zunge
Wird im dunklen immer länger
Bewegt sich schwer in meinem Mund,
Taipan, Kobra, Natter?
Infamie erfüllt die Lunge
Er trieft vor Gift, dein Höllenschlund
von dunklem Rauch und kaltem Gin
Wend‘ mich an verlorne‘ Götter
Wimmere leise: ,,Du tust mir weh.“
Suche nach nicht vorhandnem Sinn
Die Realität ertränkt,
gesprungen vom Schiff dieser Odyssee.
Hatte ich das laut gesagt?
Laut genug
LAUT GENUG
Dein Stöhnen,
das passt nicht zu meinem
Eine irrsinnige Kombination,
Melodien sind nicht zu erschließen,
Klangvolle Lust an klagendem Weinen,
keine Sinfonie.
Doch für dich
klingt sie ideal
du scheinst sie zu genießen
Eine Koryphäe zu sein
Das ist nicht dein erstes Mal.

Du fragst nicht.
Du nimmst dir.

So tut man das im Leben nun mal.
Zumindest hat man dir das gesagt,
nicht wahr?
Für dich ist es nicht radikal,
nicht wahr?
Also nimmst du ihn dir
meinen Körper
und steckst deine Flagge in meine Haut.
Dir ist das brennen egal
Hörst nicht meine Wörter
Hast mich bis jetzt nicht mal angeschaut.
Die Tränen sind Teil des verdrehten Fetischs
Das hast du auch so in Pornos gesehen,
da heulen die Schlampen doch immer.
Das ist für dich nichts Falsches.
Also heule ich auch.
Das Gewicht deines Beckens unermesslich brutal,
erdrückt den Widerspruch im Keim
Ich schließe die Augen.
Das ist nicht dein erstes Mal.

Du fragst nicht.
Du nimmst dir.

Dann gebe ich auf, schließe sie ab.
Die Tür meiner Wahrnehmung ist zugenagelt.
Ich schweife im Nichts und lasse es zu.

Bedecke in Gedanken mit Blumen mein Grab.
Lege mich auf kalter Erde zur Ruh.
Ich habe einfach beschlossen, tot zu sein.
Nur noch ein paar Minuten
Bis du auf mir zusammenbrichst
und ich überlege
Wie ich es schaffe
Nicht zu brechen.
Du siehst nicht mich,
nur mein Material
Das hier ist nicht dein erstes Mal.
Aber meines.


Biografie

Julia Scheuermann

Julia Scheuermann studiert Politikwissenschaften und Philosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Momentan setzt die selbsterklärte Feministin sich mit der gesellschaftlich geprägten Binarität der Geschlechter auseinander. Lyrik bildet ihren Zufluchtsort, wenn die Härte der Realität sie mal wieder mit aller Wucht trifft.

Yayoi Kusama. Überlegungen zur Anerkennung einer Künstlerin im Kunstbetrieb – Alexa Dobelmann

In der Kunstgeschichtsschreibung lässt sich die Tendenz ausmachen, Initialmomente für neue künstlerische Entwicklungen festmachen zu wollen. Das damit ebenfalls teilweise eine Marginalisierung und Ausgrenzung verschiedener Akteur:innen einhergeht zeigt sich am Werk der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama, die Plagiatsvorwürfe gegenüber männlichen Künstlerkollegen aufkommen lässt.

Ausgehend von der filmischen Dokumentation Yayoi Kusama – Infinity, die unter der Regie und dem Drehbuch von Heather Lenz entstand und 2018 Premiere feierte, wurden Plagiatvorwürfe gegen Yayoi Kusamas Künstlerkollegen, Claes Oldenburg, Andy Warhol und Lucas Samaras, laut. Man konnte von den Pop Art Ripoffs lesen.[1] Dieser umgangssprachliche Begriff kann mit Schwindel, Beschiss, aber auch Plagiat und Diebstahl übersetzt werden und ist ganz klar negativ konnotiert.

Die Informationen des Ideendiebstahls sind jedoch nicht als neu, sondern vielmehr als Popularisierung derselben aufzufassen. Durch die weltweite Veröffentlichung in Kinos konnte ein breiteres, weniger fachgebundenes Publikum erreicht werden, als es beispielsweise ein Artikel in einer Kunstzeitschrift vermocht hätte. Bereits 1998 sprach Kusama anlässlich einer Ausstellung neuer Arbeiten in der Robert Miller Gallery mit Damien Hirst und warf Warhol und Samaras vor, sie kopiert zu haben.[2] Auch in der kunsthistorischen Betrachtung wurde die visuelle Gemeinsamkeit und die damit verbundenen Fragen des Vorbildes und der Anerkennung bereits vorher erkannt und am Rande behandelt.[3] Eine detaillierte Aufarbeitung hat es bisher jedoch nicht gegeben.

Die Dokumentation fand einen erheblichen Widerhall in der internationalen Presse. In diesen Kritiken wurde hauptsächlich auf Details aus dem Film eingegangen. Die Autor:innen stellten interessante Interpretationen an, teils gaben sie aber auch Fehlinformationen weiter.[4] Auffallend ist, dass die ohnehin schon knappe Zahl von drei Beispielen in den Artikeln oft gekürzt wird. Hierfür können beispielsweise Robert Abele, Ben Kenigsberg und Chloe Schama erwähnt werden, die lediglich Warhol und Oldenburg anführen.[5] Der Leser:innenschaft der L.A. Times, New York Times und Vogue wurde möglicherweise die Kenntnis Samaras nicht zugetraut. Durch die verkürzte Darstellung werden ohnehin schon bekannte Namen noch bekannter gemacht. Dies macht auf ein Problem aufmerksam, das den Ursprung der Artikel bildet und schon bei Kusama ansetzt. Es handelt sich um eine Marginalisierung aus verschiedenen Gründen. Shoemaker fasst die Vorwürfe knapp zusammen:

„It’s a pattern that repeats, and each time, there’s a just-the-facts- approach that suits the telling. It’s not about accusations, or stolen glory. It is what happened to this woman, over and over again. We see her work, we’re told about their connection, we see his work, and we get the timeline. They become legends. She toils endlessly for a foothold.“[6]

Der Kenntnisstand rund um Kusamas Leben kann als außerordentlich detailreich bezeichnet werden. Bedingt wird das vor allem durch den gegenseitigen Input bzw. das Interesse der Künstlerin und ihrer Umwelt an ihr. Kusama verfasste eine Autobiografie, die 2002 veröffentlicht wurde.[7] Seit ihrer sogenannten Wiederentdeckung 1989 sind zahlreiche Publikationen erschienen.[8] Auffallend oft wird Kusamas psychische Erkrankung erwähnt. Die Künstlerin lebt mittlerweile in einer psychiatrischen Klinik in Tokio. Die stetige Aneignung der Rolle der psychisch Kranken und die Verknüpfung derer mit ihrem Werk spielt in der Betrachtung ihrer Kunst eine große Rolle.[9] Zwischen 1958 und 1973 war ihr Lebensmittelpunkt die Metropole New York. Dort agierte sie als aktive, durchaus bekannte Akteurin innerhalb der Kunstszene. Die Kuratorin Laura Hoptman, die sich mehrfach mit Kusama beschäftigte, meint dazu: „[S]he knew virtually all the major figures of the time.“[10] Zu diesen Hauptfiguren zählen auch Oldenburg, Warhol und Samaras.

Die Verbindung zwischen Kusama und Oldenburg wurde in der Gruppenausstellung 1962 in der Green Gallery auf die Spitze getrieben, an der auch Warhol mitwirkte. Kusama steuerte vier Collagen und zwei Soft Sculptures bei. Bei der Arbeit Accumulation No. 1 (Abb. 1), die heute den Weg in die ruhmhafte Sammlung des Museum of Modern Art in New York gefunden hat, handelt es sich um einen mit weißen Stoffauswüchsen überzogenen Sessel. Kusama nähte die von ihr befüllten Webwarenstücke in mühevoller Handarbeit auf dem ebenfalls textilen Untergrund fest. Accumulation No. 1 und eine ebenso ergänzte Couch bewegten den als Kritiker und Künstler tätigen Brian O’Doherty dazu in der New York Times seine Ehrfurcht über die beiden Arbeiten Kusamas auszudrücken.[11] Dieser Beginn der neuen Werkgruppe, der Accumulations, stellt den Ursprung des ersten Konflikts dar. Schon ein Vierteljahr später hatte Oldenburg eine Einzelschau wieder in der Green Gallery. Dort stellte er diverse Skulpturen aus; die meisten waren aus erstarrten mit Lack übermaltem Gips gefertigt. Doch es gab auch weiche, nicht ausgehärtete Arbeiten, wie Floor Cone, eine riesige Eiswaffel, und Soft Calendar for the Month August (Abb. 2), ein dreidimensionaler, weißer Wandkalender.

Abb. 1: Yayoi Kusama, Accumulation No. 1, 1962, genähter und gefüllter Stoff, Farbe, Fransen, Sessel, 94 x 99,1 x 109,2 cm, Museum of Modern Art, New York. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Love Forever. Yayoi Kusama 1958-1968, Los Angeles (County Museum of Art) 1998, Kat.-Nr. 42.
Abb. 2: Fotograf:in unbekannt, Claes Oldenburg mit Soft Calendar for the Month August in der Green Gallery, New York, 1962. Abbildungsnachweis: Achim Hochdörfer; Barbara Schröder (Hrsg.): Claes Oldenburg. The Sixties, München 2012, S. 53.

Etwa ein Jahr später, am 17. Dezember 1963, öffnete Kusamas Ausstellung Aggregation: One Thousand Boats Show, in der die gleichnamige Installation (Abb. 3) zu sehen war. Die Künstlerin stellte ein akkumuliertes Ruderboot in die Mitte des Raumes und verkleidete die Raumbegrenzungen mit 999 fotografischen Replikationen in Posterform. Das Ausgangsobjekt war also in exakt tausendfacher Ausführung zu sehen. Etwas später, im April 1966, kam dann das Pendant von Warhol. Er ließ einen Raum in der renommierten Castelli Gallery mit Cow Wallpaper (Abb. 4) tapezieren. Die zweifarbigen Poster, die einen Kuhkopf zeigen, wurden im All-over-Duktus aufgehängt und dominieren den Raum.

Abb. 3: Rudolph Burckhardt, Yayoi Kusama in der Installation Aggregation: One Thousand Boats Show, Gertrude Stein Gallery, 1963. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Love Forever. Yayoi Kusama 1958-1968, Los Angeles (County Museum of Art) 1998, S. 20.
Abb. 4: Andy Warhol, Cow Wallpaper, 1966, Siebdruck auf Papier, jeweils 112 × 76 cm, Neue Galerie – Sammlung Ludwig, Aachen. Abbildungsnachweis: Klaus Honnef: Andy Warhol 1928 – 1987. Kunst als Kommerz, Köln 1989, S. 75.

Mitte der 1960er Jahre entwickelte Kusama die Werkgruppe Infinity Mirror Rooms, die bis heute fortgeführt wird. Das Environment Infinity Mirror Room – Phallis Field (Abb. 5) kann als erstes Objekt dieser Reihe gewertet werden und wurde der Öffentlichkeit Ende des Jahres 1965 in der Richard Castellane Gallery präsentiert. Der Boden ist – bis auf einen Steg, der die Arbeit begehbar macht – mit den markanten Stoffauswüchsen überzogen, die das charakteristische Polkadot-Motiv der Künstlerin tragen. Die Wände sind verspiegelt. Kurz nach der Ausstellung, im März 1966, präsentierte sie ebenfalls dort die vergleichbare Arbeit Peep Show (Abb. 6). Der vollverspiegelte Raum erschließt sich durch zwei gegenüberliegende Gucklöcher. An der Decke blinken bunte Glühbirnen. Noch im selben Jahr entstand die Arbeit Mirrored Room (Abb. 7) von Lucas Samaras. Zugänglich gemacht wurde sie erstmals von der etablierten Pace Gallery, die den Künstler noch heute vertritt. Der sowohl von außen als auch innen verspiegelte Raum ist nur über eine Überecktür begehbar.

Abb. 5: Fotograf:in unbekannt, Yayoi Kusama in der Installation Infinity Mirror Room – Phalli’s Field, Castellane Gallery, 1965. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Yayoi Kusama. Arbeiten aus den Jahren 1949 bis 2003, Braunschweig (Kunstverein Braunschweig), S. 12.
Abb. 6: Yayoi Kusama, Peep Show, 1966, Rostfreier Stahl, Spiegel und Glühbirnen, 200 x 107 x 101,9 cm, New York, Courtesy Robert Miller Gallery. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Summer of Love. Psychedelische Kunst der 60er Jahre, Liverpool (Tate) 2005, S. 24.
Abb. 7: Lucas Samaras, Mirrored Room, 1966, Spiegel auf Holz, 243,84 x 243,84 x 304,8 cm, Albright-Knox Art Gallery, Buffalo. Abbildungsnachweis: Kim Levin, Lucas Samaras, New York 1975, Abb. 157.

Eine gewisse Ähnlichkeit der Arbeiten kann nicht geleugnet werden und die Chronologie der aufgelisteten Werke zeigt, dass Kusamas Arbeiten scheinbar zuerst entstanden. Künstler:innen, die sich durch vorausgegangene Kunstwerke oder sonstige visuelle Objekte inspirieren lassen, sind nichts Ungewöhnliches. Die Wiederholung in der Kunst ist eine gängige Praxis und fand in der Postmoderne ihren Höhepunkt.[12] Doch was genau eigneten sich die Künstler an, inwieweit gibt es Vorläufer in ihren eigenen Werken, was unterscheidet sie von den Arbeiten Kusamas und welche Einflüsse sind in ihrem Œuvre zu finden?

Eine eindeutige Gemeinsamkeit zwischen Accumulation No. 1 und Soft Calendar for the Month August ist die haptische Wirkung – das Weiche – was auch zum Begriff Soft Sculptures führte. Der Ausgangspunkt der Soft Sculptures für die Einzelausstellung 1962 war, laut Achim Hochdörfer, das Happening Ray Gun Theater von Oldenburg, bei dem der Künstler bereits im März die Figuren von Sailboat and Freighter (Abb. 8) verwendet haben soll, das aus mit Schaumgummi gefülltem Musselin besteht.[13] Diese weiche Arbeit entstand folglich bereits früher im Jahr 1962. Alle sonstigen früheren Skulpturen Oldenburgs wurden mit Gips ausgehärtet. Auffallend ist, dass Hochdörfer mit keinem Wort die Soft Sculptures Kusamas erwähnt. Auch die weiße Farbgebung von Soft Calendar for the Month August scheint aus Kusamas Arbeit entlehnt zu sein. Später führte Oldenburg dies in den Ghost Versions – nicht eingefärbte, sprich weiße, Soft Sculptures – fort. Gelegentlich wurden sie als unfertig oder modellhaft gelesen. Kusamas Accumulation blieben farblos, auch wenn sie hier und da um Punkte oder Streifen ergänzt werden. Eine der gängigen Interpretationen der Stoffauswüchse ist es, sie als Phalli zu lesen. Im Ausstellungskatalog zur großen Retrospektive unter anderem im Los Angeles County Museum of Art wird der Phallus als eines der Hauptmotive Kusamas bezeichnet.[14] Dies bezieht sich ganz klar auf die Accumulations. Wenn also im Jahr 2012 Gregor Stemmrich über die Wirkung der Oldenburgschen Soft Sculptures zu dem Schluss kommt, das Objekt „erweckt zugleich die Vorstellung von etwas Phallischem“[15], so fragt man sich, warum anschließend nicht der naheliegende Verweis zu eben jener Künstlerin folgt. Auch Kusama greift eindeutig in die Debatte ein, wenn sie in ihrer Autobiografie von einer Entschuldigung ausgehend von Patty Mucha, der Ex-Frau Oldenburgs, an sie spricht.[16] Oldenburgs frühere Frau half bei der Ausarbeitung seiner Arbeiten, was zahlreiche Aufnahmen belegen. Auch in der Dokumentation von Heather Lenz sind Ausschnitte zu sehen, wie Mucha an der Nähmaschine sitzt. Die Rollenzuweisung der Frau als Nähkraft soll hier betont werden, wobei der (Ehe-)Mann die Anerkennung für die Kunstwerke erhält. In einer Mail an Midori Yamamura dementiert Mucha diese Entschuldigung. Sie könne sich an nichts Derartiges erinnern. Die Kunsthistorikerin Yamamura legt schlüssig dar, dass es Kusama in ihrer Autobiografie darum gegangen sei, einen Mythos zu generieren und dass sie damit den Einfluss ihrer Werke auf die Oldenburgs demonstrieren wollte.[17]

Abb. 8: Claes Oldenburg, Sailboat and Freighter, 1962, Musselin, gefüllt mit Schaumgummistücken, bemalt mit Spritzlack, Segelboot: 114,5 x 73,5 x 13,5 cm Frachter: 50 x 179,5 x 15 cm, Solomon R. Guggenheim Museum, New York. Abbildungsnachweis: Achim Hochdörfer; Barbara Schröder (Hrsg.): Claes Oldenburg. The Sixties, München 2012, S. 162.

Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre ist eine interessante Veränderung in der Kunst – die Grenzüberschreitung zwischen verschiedener Medien – zu beobachten, die unter anderem von Donald Judd theoretisch festgehalten wird. Der oft zitierte Anfangssatz von Specific Objects – „[h]alf or more of the best new work in the last few years has been neither painting nor sculpture“[18] – verdeutlicht diese Wandlung. Judd und Kusama waren enge Vertraute. Der Theoretiker und selbst praktizierende Künstler war einer der ersten Käufer von Kusamas Werken. Bei ihrer ersten Einzelausstellung in der Brata Gallery kaufte er zwei Gemälde und attestierte ihr: „Yayoi Kusama is an original painter.“[19] Beide waren von 1961 bis 1964 zudem unmittelbare Nachbar:innen und er half ihr beim Ausstopfen der Accumulations.[20] Panhans-Bühler vermutet, dass Kusama durch den theoretischen Hintergrund Judds beeinflusst war.[21] Dies lässt sich anhand der starken Verknüpfung beider Biografien nachvollziehen. In ihrer Autobiografie würdigt Kusama ihren langjährigen Freund als Karriereleiter: „Es ist sein Verdienst, dass ich ein Star wurde.“[22] Augenfällig ist erneut, dass in Judds Text Specific Objects die Entwicklung nur anhand von Künstlern beschrieben wird, nicht – wie man bei dieser Verbundenheit annehmen könnte – unter Erwähnung von Kusamas medialen Grenzaufhebungen.

In Warhols Œuvre geht es stärker um andere Aspekte, wie Wiederholung, Mechanisierung und Selbstdarstellung. An seinem Beispiel zeigt sich noch deutlicher: Ein genauer Blick in das Gesamtwerk des Künstlers lohnt sich für diese Problemstellung. Zwei Wochen nach der Eröffnung der Ausstellung Aggregation: One Thousand Boats Show, am 2. Januar 1964 begann Warhol mit seinen Boxskulpturen. Am 21. April zeigte er ca. 350 Boxen in der Stable Gallery. In den Brillo Boxes (Abb. 9) steigerte er seine Formvermehrung skulptural mit alltäglichen Gegenständen.[23] Yamamura geht davon aus, dass Warhol von Kusamas Ausstellung beeinflusst war.[24] Sein Konzept weist ähnliche repetitive Züge auf, doch mittels des Catalog raisonnés von Warhols Arbeiten wird deutlich, dass Wiederholung ein stetiges Element seiner Praxis ist. Beispielsweise entstanden im August und September 1962 die Serial Marilyns.[25] Neu bei Warhol ist jedoch die Präsentationsform – das Poster. Auf der inhaltlichen Ebene zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen den Arbeiten der Künstlerin und des Künstlers. Mit der Deutung von Kusamas Installation haben sich Briony Fer und – darauf aufbauend – Mignon Nixon beschäftigt und arbeiten heraus, wie wichtig die physische Präsenz des Objektes – des Ruderboots – ist. Fer sieht das Gezeigte in seiner Darstellung aufgehoben. Die Fotografie setze die Installation in Szene und erhöhe es durch die Vervielfältigung zum Bild. In Aggregation: One Thousand Boat Show gebe es also einen starken Bezug zwischen Bild und Objekt, ein stetiges Hin und Her.[26] Nixon konkretisiert dies: „Kusama would now expand the Accumulations from objects into tableaux, her ultimate aim being to produce a fully spatial mise en abyme, a new infinity effect.“[27] Der Raumwirkung der Installation Cow Wallpaper wird keine so bedeutende Rolle zugeschrieben. Warhol geht es vielmehr darum, den Kunstbegriff zu erweitern.[28]

Abb. 9: Andy Warhol, Brillo Boxes, 1969, (Version des Originals von 1964), Siebdruck auf Holz, je 50,8 x 50,8 x 43,2 cm, Norton Simon Museum of Art, Pasadena, CA. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Andy Warhol. Retrospektive, Berlin (Neue Nationalgalerie) 2002, S. 221.

Kusamas Auseinandersetzung mit dem Raum wird in den Infinity Mirror Rooms offensichtlicher. Der Spiegel fungiert als Weiterführung der Collage.[29] Kusama spricht abfällig über ihren Konkurrenten:

„Lucas Samaras is always copying other artists’ work. His work lacks originality, I think. He made the mirrored room series inspired by my work. Therefore, my infinity room has nothing to do with his version.“[30]

Es wird nicht klar von welchem Infinity Mirror Room sie spricht. Anzunehmen ist, dass Samaras sich sowohl an Infinity Mirror Room – Phallis Field als auch an Peep Show orientiert hat, da Samaras Arbeit sowohl die räumliche Schließung als auch die Begehbarkeit vereint. Kim Levin deutet Mirrored Room als abstrakte Entwicklung von Room aus dem Jahr 1964. Auch wenn scheinbar in Samaras‘ Œuvre eine Art Vorläufer zu finden ist, ist die Spiegelkomponente neu. Levin betont die Unendlichkeitswirkung von Samaras Werk, die jedoch auch Kusamas Arbeiten immanent sind. Beachtlich ist ihr Vergleich von Mirrored Room zu Kusamas Spiegelräumen, den man bisher vergeblich gesucht hat.[31] Jo Applin bringt den Kern von Infinity Mirror Room – Phallis Field in ihrem Essay auf den Punkt:

Infinity Mirror Room – Phallis Field, incorporates Kusama’s key formal motives, from the stuffed fabric phallic tubers to the polka dots spotting every available surface and object, and her striking use of mirrors to produce the unsettling interior mise en abyme that would become her trademark.“[32]

Während das Innere von Samaras’ Arbeit wie eine futuristisch-technische Welt aus einem Science-Fiction-Film wirkt, geht es Kusama neben dem Bild im Bild-Effekt auch um eine Kombination ihrer eigenen bereits entwickelten Motive. Das Medium des Spiegels und die damit verbundene Steigerung ins Unendliche wird in der Literatur zur Künstlerin häufig als bereits in den Net Paintings angelegt und als durch die Beziehungen zu europäischen Künster:innengruppen, wie Azimuth, Nul und Zero, verstärkt verstanden. Die Verbindung zu den Neuen Tendenzen lässt sich in Kusamas Ausstellungstätigkeit in Europa ausmachen.[33] Der Einfluss des Spiegels stammt wahrscheinlich vom Künstler Christian Megert. Er steuerte für die Ausstellung Nul 1962 im Stedelijk Museum in Amsterdam einen Spiegelraum bei, der von ihm als Spiegel-Environment bezeichnet wurde.[34] Applin setzt den Anfang von Kusamas Interesse an Spiegeln mit dem Studio Besuch von Megert in der Schweiz 1965.[35] Blickt man in die andere Richtung des Zeitstrahls und befasst sich mit den neueren Ausführungen der Infinity Mirror Rooms, so fällt ins Auge, dass in den 1990ern – als Kusama diese Werkreihe wieder aufgreift – die Arbeiten deutlich mehr an den Typus Samaras’ erinnern. Bezeichnend hierfür ist Mirror Room (Pumpkin) (Abb. 10).[36] Der Raum ist ebenfalls von außen verspiegelt. Bei diesen anderen Environments wird hinter den Besucher:innen die Türe kurzzeitig geschlossen, um eine totale Spiegelung zu erreichen. Bei Catherine Taft klingt dies so: „These are introspective spaces for perceiving, listening and feeling.“[37] Herausgestellt wird die heutige Popularität der Infinity Mirror Rooms von Gloria Sutton. Das neue Konzept der Interaktivität habe seinen Teil dazu beigetragen.[38]

Abb. 10: Yayoi Kusama, Mirror Room (Pumpkin), 1991, Spiegel, Eisen, Holz, Gips, Polystyrol, Acrylfarbe, 200 x 200 x 200 cm, Hara Museum of Contemporary Art, Tokyo. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Yayoi Kusama, Venedig (Padiglione Giapponese Biennale di Venezia) 1993, o. S.

Dies verdeutlicht, dass die Problematik sich nicht aus der möglicherweise einseitigen Inspiration ergibt. Entweder reflektiert Kusama ihr eigenes Vorgehen nicht, oder es geht ihr bei diesem Aspekt nicht um die reine Wiederholung von Formen, Motiven und Elementen. Vielmehr legt sie einen Fokus auf ihre Selbstpositionierung und den Fakt, dass es einige Jahre dauerte bis sie ähnlich, gleich oder noch bekannter wurde als ihre Künstlerkollegen. Die sich durch alle Beispiele ziehende Komponente ist, das mangelnde Anerkannt-Werden von Kusama im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen. Yamamuras Argumentation legt schlüssig dar, dass weiße Männer in der Kunstwelt privilegiert waren und dass die Kunstszene der späten 1960er Jahre keinen Raum für die Anerkennung von Künstlerinnen bot.[39] Verena Krieger prägt in ihrer Habilitationsschrift die Ideengeschichte von Künstler:innen und liefert dezidiert keine sozialgeschichtliche Untersuchung. Neben der Herausbildung des Motivs der Geisteskrankheit in Künstler:innenbiografien, die auch auf Kusama anwendbar wäre, geht sie auf die Rolle der Künstlerin ein. Die Aufwertung des Künstlers führte, so Krieger, zur Abwertung der Künstlerin. Kreativität und Genialität wären stets an den männlichen Kunstschaffenden gekoppelt. Weibliche Kreativität sei in vermeintlich feminin konnotierte Bereiche, wie textile Medien, verbannt und aus der Kunst ausgegrenzt worden.[40] Die Soft Sculptures wurden zwar nicht ausschließlich als Handwerk angesehen, dennoch lässt sich auch an diesem Beispiel eine männliche Dominanz feststellen. Das Inkorporieren und damit Erfolg haben mit etwas dem Weiblichen zugeschriebenen stellt letztlich die männliche Übermacht dar. Diesen Fakt bestätigt Mona Jensen in ihrem Artikel zur Pop Art, bei dem sie von den Thesen der feministischen Theoretikerin Lucy Lippard ausgeht. Diese Kunstrichtung sei ein stark maskulin geprägtes Phänomen mit wenig weiblichen Ausnahmen, wie beispielsweise Kusama.[41] Yamamura erkennt in diesem Zusammenhang:

„Her desire for transformation in the mid-1960s seems to have grown out of her own shifting circumstances. Once people began seeing Pop art as increasingly unique to America soil, critics started to view Kusama’s art differently. […] Once Kusama saw herself being inexorably marginalized or typecast, she decided defiantly to emphasize the fact that she was both Japanese and a woman.“[42]

Hier wird beschrieben, wie Kusama die Rolle der ins Abseits Geschobenen annimmt und sich diese aneignet. Außerdem wird eine weitere Eigenschaft angemerkt: ihre japanische Herkunft und die damit einhergehenden Herausforderungen. Ergänzt werden kann dies durch ihre psychische Erkrankung. Welchen praktischen Einfluss dieser Faktor auf ihre Arbeit ausübte, soll hier nicht im Detail verhandelt werden und wird ansatzweise in der Monografie von Yamamura beleuchtet. Hervorzuheben ist die Stigmatisierung, was sich in der Fixierung der Kritik auf Kusamas Geisteskrankheit äußert, wie Griselda Pollock anprangert.[43] Auch Kusamas Suizidversuch, der in einen kurzzeitigen Aufenthalt in einer Klinik gipfelte, soll nicht unerwähnt bleiben. Yamamura verbindet diesen Vorfall mit dem Schock und der Paranoia über den vermeintlichen Ideendiebstahl durch Oldenburg.[44]

Dass dies nicht nur ein Nachteil sein kann, beweist die Ausarbeitung von Anja Zimmermann. Sie untersucht die Beziehung zwischen dem Kunstmarkt und der kunsthistorischen Vermittlung in Bezug auf Erfolg bzw. Misserfolg am Beispiel der zensierten Karriere Kusamas. Charakteristisch dafür ist eine Unterbrechung in der Karriere, was sie an den Kriterien der Bekanntheit und Ausstellungspräsenz festmacht. Der Aufenthalt Kusamas in einer psychiatrischen Klink biete die Notwenigkeit für Kreativität und gleichzeitig eine Möglichkeit der Neuerzählung und Wiederentdeckung.[45] Anfang der 1970er Jahre wurde es ruhig um Kusama, was ungefähr zeitgleich mit der Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes zurück nach Japan und dem anschließenden permanenten stationären Aufenthalt in einer Tokioter Klinik fällt. Bereits Anfang der 1980er Jahre versuchte Kusama erfolglos wieder in New York Fuß zu fassen, was durch Briefe ans Whitney Museum of American Art, belegt werden kann. Die Bestrebung gelang in Form der bereits erwähnten Retrospektive von Munroe am Ende des Jahrzehnts.[46] Reuben Keehan macht neue Interessen in der kunstgeschichtlichen Forschung für den darauffolgenden Kusama-Ausstellungs-Boom verantwortlich.[47] Was machte sie also davor weniger interessant für die kunstwissenschaftliche Forschung und die theoretische Auseinandersetzung, wie bereits am Beispiel Judds durchexerziert wurde? Man kann festhalten, dass Kusama sich in keine der klassischen, bisherigen Kategorien einordnen ließ.[48] Zusammengefasst klingt das bei Franck Gautherot und Seungduk Kim so:

„Like a chameleon, she had shifted from one scene to another until she found her own scene – the happenings and nude paintings performances – that brought her very high visibility in the underground press, but left her lonely in the art world that counts after the negative reception of her provocative free orgy sessions.“

Auch Michael Glasmeier greift diesen Aspekt auf und sieht die marginale Repräsentation in einem Zuviel in Kusamas Œuvre begründet. Für die Anerkennung in der feministischen Theorie habe sie die Nacktheit zu stark betont. Der Kunstwissenschaflter bindet Kusama und ihre Unbehaustheit in die Rhizomtheorie von Gilles Deleuze und Felix Guattari ein, um schließlich doch zu konstatieren, dass sie trotzendem aus der davor liegenden Kunsttheorie herausgefallen sei.[49] Dies lässt sich mit der Aussage Keehans zusammen führen.

Die Rolle der Kunstgeschichtsschreibung kann nicht ohne den Markt gedacht werden. Es gilt Allgemeinhin als anerkannt, dass die Vertretung durch eine große, einflussreiche Galerie eine positive Auswirkung haben kann. Doch diese fehlte Kusama.[50] Heute wird sie von mehreren namhaften Galerien, wie Victoria Miro, Ota Fine Arts und David Zwirner, vertreten. Diesen Rückhalt suchte sie bis in die 1990er Jahre vergeblich. Kunsthistorische Fürsprecher:innen fehlten ihr ebenfalls und es bleibt fraglich, warum Kusama immer noch selten in der Forschung zu Oldenburg, Warhol und Samaras auftaucht. Zwei Effekte in der Wissenschaft sollen als mögliche Erklärung hierfür herangezogen werden: Der Publikationsbias beschreibt eine Verzerrung der wissenschaftlichen Datenlage. Dadurch, dass negative oder weniger signifikante Forschungsergebnisse seltener verbreitet werden, rezipiert man sie auch seltener. Da in Kusamas Fall die Ergebnisse bekannt sind, hieße dies, dass die anderen Autor:innen diese Schlussfolgerungen für nicht oder weniger signifikant hielten. Der Woozle Effekt besagt, dass falsche oder irreführenden Schlussfolgerungen getroffen werden können aufgrund einer stetigen Fokussierung auf dieselbe Quelle, die bestimmte Faktoren auslässt und vernachlässigt. Übertragen auf die Problematik mit Kusamas Konkurrenten bedeutet es: Die fortwährende Bezugnahme auf die immergleichen Publikationen führt dazu, dass diese Theorien ständig reproduziert werden. Auf dem Weg hin zu einer inklusiveren und vielfältigeren Geschichte der Kunst sollte dies berücksichtigt werden. Der von Lenz in ihrer Dokumentation angestoßene und hier ausdifferenzierte Ansatz der Parallelität sollte künftig für die Betrachtung der drei angeführten männlichen Beispiele herangezogen werden. Auch wenn Kusama teilweise nicht eindeutig die Erste war, so sollte man die Entwicklung doch in einer möglichst genauen Gesamtheit betrachten.


Biografie

Alexa Dobelmann

Alexa Dobelmann studierte Kunstgeschichte und Geschichte in Stuttgart und Siena. Ihr besonderes Interesse gilt Mechanismen von Künstlerinnen wie beispielsweise der Selbstpositionierung, der Kanonisierung und dem Marktbezug. Neben ihrem Studium arbeitete sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Kunstgeschichte, als Assistentin im Kunstbüro BW und als freie Mitarbeiterin unter anderem für die Villa Merkel und die Kunststiftung Baden-Württemberg. Derzeit promoviert sie zum Thema Markenzeichen von Künstlerinnen an der Staatsgalerie Stuttgart.


[1] Loney Abrams: Pop Art Ripoffs. The 3 Yayoi Kusama Artworks That Warhol, Oldenburg, and Samaras Copied in the ‚60s, in: Artspace, 30.08.2018, URL: https://www.artspace.com/magazine/art_101/close_look/pop-art-ripoffs-the-3-yayoi-kusama-artworks-that-warhol-oldenburg-and-samaras-copied-in-the-60s-55636 (06.01.2021).

[2] Das Interview ist unter anderem im Katalog der besagten Ausstellung veröffentlicht (vgl. Yayoi Kusama; Damien Hirst: Yayoi Kusama now, New York 1998, o.S.).

[3] Beispielhaft hierfür kann der Artikel von Ursula Panhans-Bühler im bilingualen Schweizer Kunstmagazin Parkett herangezogen werden. Dieser wurde bereits 2000 veröffentlicht. (vgl. Ursula Panhans-Bühler:: «Between Heaven and Earth. This Languid Weight of Life», in: Parkett, Nr. 59, 2000, S. 77-82, hier: S. 78.

[4] Auf der einen Seite ist der Artikel von Claire Selvin zu erwähnen: Die Autorin sieht im Film die Andeutung, dass Kusamas experimentelle Arbeiten Grund für die schwierige Verkaufssituation gewesen seien. Außerdem werde in der Dokumentation die mittlerweile bedeutende Marktposition Kusamas vernachlässigt (vgl. Claire Selvin: ‘I Just Kept Trying to Make My Own World’. ‘Kusama: Infinity’ Traces the Fraught Life of a Monumental Figure, in: Artnews, 30.08.2018, URL: https://www.artnews.com/art-news/news/just-kept-trying-make-world-kusama-infinity-traces-fraught-life-monumental-figure-10858/ (29.12.2020)). Auf der anderen Seite schreibt Chloe Schama in der Vogue, Kusama habe damals keine Galerie gefunden. Dies ist übertrieben und wird durch Beispiele im Folgenden widerlegt (vgl. Chloe Schama: Kusama. Infinity Makes the Case for the Japanese Artist as a Feminist Force, in: Vogue, 07.09.2018, URL: https://www.vogue.com/article/kusama-infinity-documentary-movie-review (06.01.2021)).

[5] Vgl. Robert Abele: Review: Doc ‘Kusama — Infinity’ splashes an inspiring portrait of colorful Japanese artist, in: L.A. Times, 05.09.2018, URL: https://www.latimes.com/entertainment/movies/la-et-mn-kusama-infinity-review-20180905-story.html (06.01.2021), Ben Kenigsberg: Review: ‘Kusama – Infinity’ Gives an Artist Her Due, in: New York Times, 06.09.2018, URL: https://www.nytimes.com/2018/09/06/movies/kusama-infinity-review-yayoi-kusama.html (06.01.2021) und Schama 2018, o.S. (wie in Anm. 4). Dass es auch anders geht, beweist Loney Abrams, die näher auf alle drei Künstler eingeht (Abrams 2018, o.S. (wie in Anm. 1).

[6] Allison Shoemaker: Kusama – Infinity, in: Rober Ebert, 11.09.2018, URL: https://www.rogerebert.com/reviews/kusama-infinity-2018 (06.01.2021).

[7] Eine deutsche Übersetzung erschien 2017 (Yayoi Kusama: Infinity Net. Meine Autobiografie, Bern; Wien 2017).

[8] Eine ernstzunehmende kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung außerhalb von Ausstellungen gab es vor Kusamas erster Retrospektive nicht. Alexandra Munroe kuratierte die Werkschau im Center for International Contemporary Arts in New York.

[9] Die Kuratorin Lynn Zelevansky schreibt: „Kusama challenges the stereotype of the crazy artist, a romanticized figure whose aesthetic contribution may be simultaneously elevated through immersion in the crucible of pain and denigrated through association with the art of children and other so-called primitives.“ (Lynn Zelevansky: Driving Image. Yayoi Kusama in New York, in: Los Angeles County Museum of Art (Hrsg.): Love forever. Yayoi Kusama, 1958–1968, New York 1998, S. 11–41, hier: S. 14).

[10] Laura Hoptman: Yayoi Kusama. A Reckoning, in: Akira Tatehata; Laura Hoptman u.a.: Yayoi Kusama, London 2000, S. 34–82, hier: S.42.

[11] Vgl. Brian O’Doherty: Seasons End. Abstractions and Distractions, in: New York Times, 17.06.1962, S. 103.

[12] Die Appropriation Art ist wie die meisten Kunstströmungen temporär und lokal klar definiert. Anna Blume-Huttenlauch schreibt in ihrer Dissertation zu dieser Kunstform: „Als kunstwissenschaftlich fixierter Begriff ist Appropriatin Art […] eine spezifisch postmoderne künstlerische Praxis, die ihren Ausgang in den späten 1970er Jahren in New York nahm und die „Aneignung“ selbst zum zentralen Inhalt machte.“ (Anna Blume-Huttenlauch: Appropriation Art. Kunst an den Grenzen des Urheberrechts. Baden-Baden 2010, S. 22).

[13] Vgl. Achim Hochdörfer: Von der Street zum Store. Claes Oldenburgs Pop Expressionismus, in: Achim Hochdörfer; Barbara Schröder (Hrsg.): Claes Oldenburg. The Sixties, München 2012, S. 12–63, hier S. 58.

[14] Vgl. Laura Hoptman: Down to Zero. Yayoi Kusama and the European New Tendency, in: Los Angeles County Museum of Art (Hrsg.): Love forever. Yayoi Kusama, 1958–1968, New York 1998, S. 43–59, hier: S.42, S. 55).

[15] Gregor Stemmrich: Hypertrophie, Tropfen, Tropen des Alltäglichen. Claes Oldenburgs Neudefinitionen von Skulptur, in: Achim Hochdörfer; Barbara Schröder (Hrsg.): Claes Oldenburg. The Sixties, München 2012, S. 156–206, hier S. 164.

[16] Vgl. Kusama 2017, S. 63 (wie in Anm. 7).

[17] Vgl. Midori Yamamura: Review: Infinity Net. The Autobiography of Yayoi Kusama by Yayoi Kusama, University of Chicago Press, 2011, in: Woman’s Art Journal, Vol. 33, No. 2, 2012, S. 44–46, hier: S. 45.

[18] Donald Judd: Specific Objects, in: Flavin Judd; Caitlin Murray (Hrsg.): Donald Judd Writings, New York 2016, S. 134–145, hier: S. 134. Yamamura versteht dies als ein Echo auf die Äußerung Enrico Castellanis, Skulptur und Malerei seinen nicht weiter die beiden maßgeblichen Kunstgattungen. Dies weise jedoch auch auf die Kenntnis der Entwicklungen in Europa hin, was unter dem Begriff Neue Tendenzen gefasst werden kann (vgl. Midori Yamamura: Yayoi Kusama. Inventing the Singular, Cambridge 2015, S. 100).

[19] Donald Judd: Reviews and Previews. New Names This Month, in: Artnews, Vol. 58, No. 6, 1959, S. 17. Auch andere Stimmen waren sehr wohlwollend. Eine Sammlung der Kritiker:innen und deren Hauptaussagen ist zu finden bei Yamamura (vgl. Yamamura 2015, S. 61) (wie in Anm. 18).

[20] Sie lebten im selben Gebäude (vgl. Yamamura 2015, S. 99) (wie in Anm. 18). Zur Hilfe durch Judd äußerte sich Kusama beispielsweise in einem Interview mit Akira Tatehata, dem Kurator ihrer Inszenierung im japanischen Pavillon auf der Biennale di Venezia im Jahr 1993 (vgl. Yayoi Kusama im Interview mit Akira Tatehata, in: Akira Tatehata; Laura Hoptman u.a.: Yayoi Kusama, London 2000, S. 8–28, hier: S. 13).

[21] Vgl. Panhans-Bühler 2000, S. 78 (wie in Anm. 3).

[22] Kusama 2017, S. 257 (wie in Anm. 7).

[23] Vgl. Heiner Bastian: Rituale unerfüllbarer Individualität. Der Verbleib der Emotionen, in: ders. (Hrsg.): Andy Warhol Retrospektive, Köln 2001, S. 12–39, hier: S. 32.

[24] Vgl. Yamamura 2015, S. 115.

[25] Vgl. Georg Frei; Neil Printz (Hrsg.): The Andy Warhol Catalogue Raisonné, 5 Bd., hier Bd. 1: Paintings and Sculptures 1961–1963, London 2002, Kat.Nr.; 262–282.

[26] Vgl. Briony Fer: The Somnambulists Story. Installation and the Tableau, in: Oxford Art Journal, Vol. 24, No. 2, 2001, S. 77–92, hier: S. 83ff.

[27] Mignon Nixon: Infinity Politics, in: Frances Morris (Hrsg.): Yayoi Kusama, London 2012, S. 177-185, hier: S. 182.

[28] Jan von Brevern geht in seinem Artikel anlässlich der großen Warhol-Werkschau im Kölner Museum Ludwig auf die Frage ein, die bereits Arthur C. Danto beschäftigte: Was ist Kunst und wo verläuft ihre Grenze? (Vgl. Jan von Brevern: Besser, man kauft ein T-Shirt, in: Die Zeit, 23.12.2020, S. 49).

[29] Vgl. Fer 2001, S. 86 (wie in Anm. 26).

[30] Kusama 1998, o.S. (wie in Anm. 2).

[31] Vgl. Kim Levin: Lucas Samaras, New York 1975, S. 67ff.

[32] Jo Applin: Yayoi Kusama. Infinity Mirror Room Phalli’s Field, London; Cambridge 2012, S. 20 und 29.

[33] Besonders zu erwähnen ist hier die erste Ausstellung Kusamas in Europa. Udo Kultermann kuratierte 1960 Monochrome Malerei im Museum Morsbroich in Leverkusen. Laut Hoptman führte dies zu einer Allianz der Künstlerin mit den europäischen Kolleg:innen (vgl. Hoptman 1998, S. 44) (wie in Anm. 14).

[34] Vgl. Yamamura 2015 S. 78 (wie in Anm. 18).

[35] Vgl. Applin 2012, S. 19 (wie in Anm. 32). Der Studiobesuch blieb zwar unbelegt und wird auch nirgendwo sonst angeführt, die beiden dürften sich jedoch gekannt haben.

[36] Die Arbeit entstand 1991 für die Ausstellung in der Fuji Television Gallery und dem Haar Museum in Tokio. Zwei Jahre später wurde sie im japanischen Pavillon auf der Biennale di Venezia international berühmt.

[37] Catherine Taft: Dashing into the Future. Kusamas Twenty-First Century, in: Akira Tatehata; Laura Hoptman u.a.: Yayoi Kusama, London 2017, S. 171–209, hier: S. 201).

[38] Vgl. Gloria Sutton: Between Enactment and Depiction. Yayoi Kusamas Spatialized Image Structures, in: Mika Yoshitake (Hrsg.): Yayoi Kusama. Infinity Mirrors, München; London u.a. 2017, S. 138–155, hier: S. 140.

[39] Vgl. Yamamura 2015, S. 106 und 143ff (wie in Anm. 18). Diesen allgemeinen gesellschaftlichen Missstand kann man heute noch so festhalten und ihn auch auf alle Personen jenseits der Cis-Binarität ausdehnen.

[40] Vgl. Verena Krieger: Was ist ein Künstler? Genie – Heilsbringer – Antikünstler. Eine Ideen- und Kunstgeschichte des Schöpferischen, Köln 2007, S. 129 und 131.

[41] Vgl. Mona Jensen: The Subject Matter Isnt Popular Images, It Isnt that at All, in: Mona Jensen (Hrsg.): Pop Classics. Allan D’Arcangelo, Jim Dine, Robert Indiana, Jasper Johns, Allan Kaprow, Edward Kienholz, Yayol Kusama, Roy Lichtenstein, Marisol, Claes Oldenburg, Robert Rauschenberg, James Rosenquist, Ed Ruscha, Wayne Thiebaud, Andy Warhol, Tom Wesselmann, Aarhus 2004, S. 12–27, hier: S. 27.

[42] Yamamura 2015, S. 127 (wie in Anm. 18).

[43] Vgl. Griselda Pollock: Three Thoughts on Femininity, Creativity and Elapsed Time, in: Parkett, No. 59, 2000, S. 107–113, hier: S. 109.

[44] Vgl. Yamamura 2015, S. 113f (wie in Anm. 18).

[45] Vgl. Anja Zimmermann: Skandalöse Bilder – skandalöse Körper. Abject Art vom Surrealismus bis zu den Culture Wars, Berlin 2001, S. 191f.

[46] Diese Briefe hat Zimmermann teilweise ausgewertet (Vgl. Zimmermann 2001, S. 199) (wie in Anm. 45).

[47] Vgl. Reuben Keehan: Disalignment and Restructuring. The Late Work of Yayoi Kusama, in: Russell Storer (Hrsg.): Yayoi Kusama. Life Is the Heart of a Rainbow, Singapur 2017, S. 44–51, hier: S. 45. Zu den Themen äußert er sich folgendermaßen: „But why Kusama, and why now? Certainly the centrality of installation in recent museum practice has played a role—audience have shifted from viewers to physical participants in the work of art and variants of the problematic buzzword ”immersion“ [Eintauchen] have become a fixture of the marketing lexicon. The pronounced picturesque quality of Kusama’s work is equally noteworthy in a social media age.“ (Ebd., S. 50f).

[48] Yamamura kommt nach einer Analyse des Forschungsstands zu Kusama zu dem Schluss: „As these works illustrate, Kusama was clearly making art based on her experience that cannot easily fit existing categories of modern art.“ (Yamamura 2015, S. 5) (wie in Anm. 18). Auch Hoptman spricht davon, dass Kusama sich in keine Bewegung und keinen Kanon einordnen lassen will (Vgl. Hoptman 2000, S. 79) (wie in Anm. 10).

[49] Vgl. Michael Glasmeier: Das Ganze in Bewegung. Essays zu einer Kunstgeschichte des Gegenwärtigen, Hamburg 2008, S. 163ff.

[50] Vgl. Zelevansky 1998, S. 28f (wie in Anm. 9).

Kunsttheoretische Überlegungen über das Neue in der Kunst bei Boris Groys und Theodor W. Adorno. – Luis Gruhler & Olga Syngaivska

Der Aufsatz stellt die Fortsetzung der Beschäftigung mit dem Konzept des Ersten Males des 98. Kunsthistorischen Studierendenkongresses dar und entstand aus der weiteren Zusammenarbeit der beiden Vortragenden. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die grundlegende Frage nach der Geltung des Neuen und ihrer Aktualität in der Kunst. Basierend auf der Ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos und der kulturökonomischen Interpretation der Kunst von Boris Groys, nähern sich die Beitragenden der Frage interdisziplinär aus der kunsttheoretischen und der philosophischen Perspektive.

Im Folgenden werden zwei kunsttheoretische Auffassungen des Neuen vorgestellt, wie sie von Boris Groys und Theodor W. Adorno ausgeführt wurden. Der Abschnitt über Boris Groys erörtert dessen Auffassung des Neuen als Produkt eines kulturökonomischen Prinzips. Bestimmte profane Objekte können valorisiert werden, erfahren demnach eine innovative Umwertung. Das Neue bleibt indessen an die Tradition negativ gebunden und so mit der Abwertung des Alten verknüpft. Nach Groys lässt sich dieses kulturökonomische Prinzip anhand von Marcel Duchamps Ready mades aufzeigen.

Der Abschnitt über Adorno geht dessen Begriff des Neuen als Negation nach, so wie er sich in Adornos künstlerischen Utopie der musique informelle darstellt. Ausgehend von der aus der hegelschen Logik stammenden Kategorie der bestimmten Negation wird diese anhand von Adornos Ausführungen zur Tendenz des musikalischen Materials erörtert. Diese materialistische Wendung der Dialektik des Neuen verweist auf den Doppelcharakter von Kunst als ein Autonomes und doch zugleich Gesellschaftliches. Das Neue in der Musik wird möglich, weil in ihr das Alte bewusst negierend überwunden werden kann. Dies zeigt sich konkret an dem künstlerischen Verfahren der Komposition selbst, das ein Element vorgeformter technischer Planung enthält, aus dem das unbekannte Neue entspringt.

Boris Groys: Das Neue in der Kunst und die Umwertung als Quelle des Neuen

„Suchen – das ist Ausgehen von alten Beständen und ein Finden-Wollen von bereits Bekanntem im Neuen. Finden – das ist das völlig Neue! Das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt. […]Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis im Außen und Innen: Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.“

– Pablo Picasso

Mit der den Künstlern der Moderne eigenen Ausrichtung auf die Zukunft sieht Picasso die Möglichkeit für Neues im Unbekannten verborgen, welches noch zu erschließen ist. Die Moderne war wesentlich vom Paradigma geprägt, dass das Neue als eine Offenbarung, als eine Entdeckung erscheint, deren Findung in der Zukunft liegt.

Boris Groys entwickelt ein anderes, jenseits sowohl der modernen als auch postmodernen Diskurse befindliches Modell der Entstehung des Neuen, das von einem bestimmten Universalismus geprägt ist und sich als kulturökonomisches Prinzip offenbart. Diesem Modell liegt die dichotomische Vorstellung über die Kultur und die Beschaffenheit ihrer Erzeugnisse zugrunde. Laut dieser gelten ausgewählte Objekte als wertvoll und relevant, deren materielle Existenz institutionell gerechtfertigt und gewährleistet wird. Diese valorisierten Objekte prägen das ideelle Gedächtnis und repräsentieren zugleich kulturelle Tradition. Der Rest der materiellen Welt gehört dem Bereich des Alltäglichen, des Üblichen, des Wertlosen an und wird unter dem Begriff profaner Raum zusammengefasst. Das Potenzial für eine Entstehung des Neuen ergibt sich aus der Veränderung bzw. Aufhebung der bestehenden kulturellen Werthierarchien, die sich infolge des Vergleichs zwischen der valorisierten Kultur und profanen Objekten ergibt. Mit anderen Worten: Der Ursprung einer Innovation1 liegt in der Bewegung auf der vorhandenen Wertskala und der darauffolgenden Veränderung dieser.

Anschaulich wird die Strategie des Neuen in Duchamps Ready mades durchgesetzt. In André Bretons Definition vom Ready made – laut welcher dieses als „ein manufakturiertes Objekt, das durch die bloße Wahl des Künstlers in den Rang eines Kunstwerkes erhoben wird“2  gilt – erfasst er zunächst intuitiv den für Groys entscheidenden Mechanismus der Überwindung der Werthierarchien, indem ein alltägliches Objekt durch das Agieren des Künstlers3 dem profanen Raum entnommen, aufgewertet und anschließend dem Bereich des Wertvollen zugeordnet wird.4 Während die in der Materialität erhaltene und von der Form her ablesbare Funktionalität des Objektes auf seine ursprüngliche Herkunft aus dem profanen Raum hinweist, werden ihm grundsätzlich neue ästhetische Qualität sowie kultureller Wert zugeteilt, die es in den Bereich der valorisierten Kultur erheben.

In diesem Sinne besteht die Vorbildlichkeit der Ready mades nicht nur in der Verdeutlichung von modus operandi des Umwertungsprinzips, sondern auch in der Demonstration der dichotomischen Spaltung eines Kunstwerkes an sich: „Jedes Kunstwerk und jedes theoretisches Werk sind in sich selbst gespalten. Immer bleiben in ihnen zwei Wertschichten erhalten, die nicht vollständig miteinander verschmelzen.“5

Da die innere, für die Innovation essenzielle Spannung des Werkes aus der Gleitung dessen zwischen den Wertebenen entsteht, ist es demnach notwendig, dass beide Schichten – die profane und die wertvolle – im Werk präsent sind. Die Veränderung des Wertes führt jedoch nicht zur Verschmelzung der Schichten. Als autonome Teile behalten diese weitgehend ihre Selbstständigkeit, ohne eine Monosubstanz/struktur zu bilden, da jeder Überschreitung der Grenzen das Vorhandensein dieser vorausgeht.

Die erforderliche Präsenz im Kunstwerk der valorisierten Kategorie, die mit Groys‘ Modell der fixierten kulturellen Tradition gleichgesetzt wird, weist darauf hin, dass “das Neue immer aus Altem besteht, aus Zitaten, Verweisen auf die Tradition, Modifikationen und Interpretationen des bereits Vorhandenen.“6 Dennoch kann das der ökonomischen Logik der Umwertung untergeordnete Alte im neuen Kunstwerk nicht unveränderlich bleiben und seinen status quo auf der Wertskala bewahren, da die Abwertung der Tradition der Entstehung des Neuen notwendigerweise vorausgeht. Je vehementer die Unangemessenheit des wertlosen profanen Objekts im Bereich der valorisierten Kultur, desto stärker ist die innovative Ausstrahlung des Kunstwerks. Daher geschieht die Wahl des Objektes aus dem profanen Raum stets mit Rückblick auf den kulturellen Kanon. In diesem Sinne ist die Absetzung von der valorisierten Kultur „eine spezifische Form der Anpassung an die museale fixierte Tradition – die aber diese Tradition nicht positiv, sondern negativ, kontrastiv durchsetzt.“7 Geprägt von innerer Dialektik, stellt das Neue einerseits die Überwindung des Alten und den vorhandenen kulturellen Werten dar, andererseits aber ist es zugleich die Überlieferung der Tradition in negativer Form. „Die Innovation ist freilich […] immer in erster Linie eine Wiederholung der Tradition.“8

Da die Umwertung eine Aktion, eine Handlung ist, wird sie von gewisser Dynamik geprägt. Die Dynamik beim Übergang eines Objektes aus dem profanen Raum in die Sphäre der valorisierten Kultur ist bilateraler Natur und drückt sich in zwei Mechanismen aus, die verhältnismäßig zueinander verlaufen. Während das Alte im Zuge der Umwertung devalviert wird, ist die Annahme des Profanen mit dessen Aufwertung gekennzeichnet: „Die Abwertung der bestehenden kulturellen Werte ist ein notwendiger Aspekt des innovativen Gestus – genauso wie die Aufwertung des Profanen.“9 Infolge dieses zweifachen Prozesses wird die vorherige Wertehierarchie selbst modifiziert. Dennoch behält sie ihre Beständigkeit. Solange in der Kultur eine Ungleichwertigkeit vorhanden ist, wird die Möglichkeit des Neuen nicht ausgeschlossen.

Das Neue als Negation in Adornos musique informelle

“The musical sense is the New – something which cannot be traced back to and subsumed under the configuration of the known, but which springs out of it, if the listener comes to its aid.”

– Adorno: On Popular Music

“Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind.”10 Adornos Bestimmung der musique informelle enthält die künstlerische Utopie einer Musik als “Bild von Freiheit”11.  Freiheit indessen ist “einzig in bestimmter Negation zu fassen, gemäß der konkreten Gestalt von Unfreiheit. Positiv wird sie zum Als ob.”12 In der Kunst aber ist jene Prätention des Als Ob keine unwahre Unterstellung mehr, sondern der Schein der Freiheit ist hineingezogen in den Schein des Kunstwerks durch dessen Integrationsprozess. In der Musik “sterben Fiktionsmomente noch in ihrer sublimierten Gestalt”13 durch den mit Bewusstsein vollzogenen Prozess der Komposition ab. Bereits bei Marx findet sich die Bemerkung: “Wirklich freie Arbeiten, z. B. Komponieren, ist grade [sic] zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung.”14 Das Neue der Freiheit tritt beim Komponieren hervor durchs Abarbeiten der Unfreiheit am Alten. Wie die Freiheit durch die bestimmte Negation der Unfreiheit an diese gebunden bleibt, so das Neue ans Alte, aus dem es entspringt und mit dem es darum doch nicht identisch ist.

Dasjenige aber, worin sich der Kompositionsprozess von Neuem aus Altem vollzieht, ist das musikalische Material. Wie Instrumente, Töne, Klänge gesetzt und organisiert werden, ist aber kein ihnen äußerlicher Prozess, sondern durch diese vermittelt. Subjekt und Objekt der Komposition sind nicht zusammengeklebt, sondern im musikalischen Material selbst sind subjektive Momente verobjektiviert:

“Die Forderungen, die vom Material ans Subjekt ergehen, rühren vielmehr davon her, daß das ‘Material’ selbst sedimentierter Geist, ein gesellschaftlich, durch Bewußtsein von Menschen hindurch Präformiertes ist. Als ihrer selbst vergessene, vormalige Subjektivität hat solcher objektive Geist seine eigenen Bewegungsgesetze.”15

Im musikalischen Material steckt das Alte, ausgedrückt durch das Bild der Ablagerung im “sedimentierten Geist”. Aber weil in diesem Alten das “Bewußtsein von Menschen” sedimentiert ist, dieses Bewußtsein aber “die ganze Geschichte in sich trägt”16, ist das Alte zur Veränderung, zum Übergang ins Neue befähigt. Das scheinbar bloß Objektive des Materials erweist sich als ein durch “eigene Bewegungsgesetze” Veränderliches. Das Material ist nicht bloß an sich. Ein verminderter Septakkord kann falsch sein, wenn er als ein nur Objektiviertes ohne subjektive Notwendigkeit der Komposition “aufgeklatscht”17 wird. Gleiches gilt etwa für die Oktavverdopplungen, die in der Neuen Musik Arnold Schönbergs zum ersten Mal in der Musikgeschichte als fehlerhaft gelten konnten, wenn es ihrer nicht doch aus technischen Gründen bedurfte.18 Das Neue zeichnet sich gerade dadurch aus, dass das Alte nicht mehr unmittelbar möglich ist. Das Alte wird, etwa in der Verwendung von Volkslied und Choral in Richard Wagners Vorspiel zum dritten Aufzug der Meistersinger, zu einem “Zitat: durch das Wissen: dies ist Volkslied, dies Choral, und dies Wissen, die Reflexion auf die Naivetät, löst diese auf und macht sie manipuliert.”19 Im Zitat ist die Nichtidentität des Zitierten mit der Komposition, die zitiert, von Altem und Neuen ausgedrückt. Weil das Alte nicht mehr gültig ist, sondern nur noch als Zitat besteht, ist es das Neue. Adorno neigt auch zur Verallgemeinerung, dass schließlich “alle musikalischen Charaktere […] eigentlich Zitate”20 sind. Dadurch ist der notwendige Zusammenhang von Altem und Neuem im musikalischen Material ausgesprochen, zugleich aber deren Differenz. Das Neue ist die Negation des Alten: darum bestehen beide nicht indifferent nebeneinander. Adorno begreift dies in dem Begriff vom Kanon der Verbote: “In Korrespondenzen mit dem Vergangenen wird das Wiederauftretende ein qualitativ Anderes.”21 Das wiederauftretende Alte wird falsch, wenn im Kompositionsprozess nicht diese qualitative Veränderung bewahrt ist. Falsch nicht deshalb, weil von außen autoritär gesetzte, etwa akademische Regeln verletzt würden, sondern falsch, weil das Material selbst aus sich heraus eine Veränderung erfahren hat. Bachs harmonischer Kontrapunkt etwa ist darum ein ganz anderer als jener der Polyphonie vor der seconda pratica. Auch der Begriff der musique informelle enthält diese Einsicht, denn er meint

“[…] eine Musik, die alle ihr äußerlich, abstrakt, starr gegenüberstehenden Formen abgeworfen hat, die aber, vollkommen frei von heteronom Auferlegtem und ihr Fremden, doch objektiv zwingend im Phänomen, nicht in diesen auswendigen Gesetzmäßigkeiten sich konstituiert.”22

Dieses Ineinandergreifen von innerer Entwicklung, “eigenen Bewegungsgesetzen”, Freiheit von “auswendigen Gesetzmäßigkeiten” mit der äußeren von Geschichte und Gesellschaft bringt Adorno mit dem “Doppelcharakter der Kunst” auf den Begriff. Ästhetische Phänomene “sind beides, ästhetisch und faits sociaux”23, autonom und heteronom zugleich. Sie entspringen der individuellen Arbeit gesellschaftlicher Produktivkräfte, ohne doch als Ware neben anderen aufzugehen. Die Kunst nimmt eine autonome Sphäre ein, Kunstwerke haben den Fetischcharakter des An-sich-Seienden. Die Kunst kann dadurch autonome, innere Gesetzmäßigkeiten ausbilden. Aber sie ist zugleich gesellschaftlich, nicht nur dem Ursprung nach durch ihre Produktion, sondern durch ihren Fetischcharakter selbst, der sich als ein An-sich gegen das gesellschaftliche Prinzip allgemeiner Vermittlung konstituiert. Gerade weil die Kunst sich von Gesellschaft absondert, ist sie gesellschaftlich. “Reine Produktivkraft wie die ästhetische, einmal vom heteronomen Diktat befreit, ist objektiv das Gegenbild der gefesselten […]”24, nämlich der gesellschaftlichen Produktivkräfte allein. Im Gegensatz zu diesen ist durch die ästhetischen Produktivkräfte in der Kunst qualitativ Neues möglich. Das Neue ist also nicht die “Forderung der Zeit”25, auch wenn es wie die Mode26 durch den Doppelcharakter der Kunst mit ihr zusammenhängt. Sondern das Neue entsteht durch den bewussten Kontakt des künstlerischen Subjekts mit dem autonomen Objekt, den Eingesetzten des künstlerischen Materials. Eindrücklich formuliert hat das der Komponist Clemens Nachtmann, der in der Beschreibung seiner kompositorischen Arbeitsweise diese Vorgänge konkret reflektiert:

“Zuallererst geht es also [im Kompositionsprozess, lg] ganz egoistisch um das, was mich interessiert: nämlich um Sachen, die ich noch nicht oder nicht so gehört habe. […]  Technische Verfahren haben für mich […] zunächst und vor allem eine negative i.S. von ‘negierender’ Qualität; in einem spezifischen Sinne negiert, in Frage gestellt, überwunden werden soll das komponierende Subjekt selbst, genauer: die eigene unvermeidliche subjektive Beschränktheit, wie sie sich in eingeübten, vertrauten und von daher naheliegenden Präferenzen, Meinungen, Vorurteilen darstellt, die in aller Regel wiederum durch bereits angeeignete technische Fertigkeiten legitimiert und rationalisiert werden. […] Mit exakten und sogar rigiden Plänen Unplanbares und Unbekanntes zu erzeugen: das ist jedesmal aufs Neue meine kompositorische Utopie.”27


Biografie

Luis Gruhler

Luis Gruhler studiert Philosophie in München. Sein Hauptinteresse gilt der Kritischen Theorie in den Formulierungen von Marx, Horkheimer, Adorno und dem Deutschen Idealismus Kants und Hegels. Neben der Philosophie beschäftigt er sich mit Neuer Musik und erhielt selbst schon Nachwuchskompositionspreise.

Olga Syngaivska

Olga Syngaivska absolvierte den Master-Abschluss in Kulturwissenschaften an der Kyjiw-Mogyla-Akademie in der Ukraine. Mit Hilfe der DAAD-Förderung begann sie ein Studium der Kunstgeschichte an der Universität zu Köln mit Fokus auf Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit und Mechanismen des Kunstmarktes.

-schaft – Barbara Posch

Seit 2018 entsteht die Fotoserie -schaft von Barbara Posch, in der sie Übergangsorte fotografiert. Das Bild wird kopiert, anschließend gedehnt, gestaucht oder gedreht und mit dem Ursprungsbild wieder zusammen gefügt. Diese sichtbare Manipulation erzeugt Gegenräume, verändert die ursprüngliche Funktion einzelner Elemente oder rückt Unscheinbares in den Vordergrund. Die Wahrnehmung und Erfahrung eines Ortes sind immer von der Perspektive und der Erinnerung geprägt: ein Flackern – Blickwechsel. Mit jeder Umformung und jeder Irritation wird ein Ort im Bild oder ein Bild im Ort neu erfahrbar.

Abbildungen: Barbara Posch, aus der Serie -schaft, Fotografie, digital nachbearbeitet, seit 2018.


Biografie

Barbara Posch

Barbara Posch studierte Visuelle Kommunikation an der Universität für Künstlerische und Industrielle Gestaltung in Linz und verfolgt nun ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München mit dem Schwerpunkt Skulptur und amorphe Materialien in der Klasse von Prof. Nicole Wermers. Sie beschäftigt sich im zwei- und dreidimensionalen sowie sprachlichen Bereich mit Skulptur-immanenten Fragen zum Konsturiert-Sein. Dabei steht die wechselseitige Bedingtheit zwischen dem Objekt, es umgebenden Raum und der Zeit im Fokus ihrer Arbeiten.

FIRST ASCENT – Schwäbischer Online Alb Verein

Das Ziel der Performance FIRST ASCENT war die erstmalige Erklimmung des Olympus Mons – dem höchsten Vulkan des Sonnensystems, der sich auf dem Mars befindet. Die Besteigung fand in Echtzeit im Keller der Stuttgarter Galerie Kernweine via Google Earth statt und dauerte insgesamt 99 Stunden, was vier Marstagen entspricht. Mit einem Mausklick legte das Kollektiv virtuell 1,5 Meter zurück, wobei sie digital eine magentafarbene Linie hinterließen. Die Verschränkung von realer und virtueller Welt steht bei der Aktion im Fokus und soll zur Reflektion über die Bedeutung und Funktion des Naturbegriffs anregen.

FIRST ASCENT
CLIMBING OLYMPUS MONS
21 KM HIGHT IN FOUR SOL
ON THE RED PLANET OF MARS 2019
PERFORMING/RECORDING AT
GALERIE KERNWEINE STUTTGART
FROM 22ND TO 26TH JANUARY

Das Ziel der Performance war die Erstbesteigung des Olympus Mons. Dieser ist der größte Vulkan und Berg des Sonnensystems und befindet sich auf dem Mars.

Mit einer Höhe von 21 Kilometern ist er fast zweieinhalb mal höher als der Mount Everest. Der Durchmesser des Schildvulkans beträgt 600 Kilometer, was ungefähr der Distanz Berlin-München entspricht.
Wir erklommen den Berg in Echtzeit via Google Earth.

Die Besteigung dauerte vier Sol. Sol ist ein Marstag.
Dessen Länge beträgt 24,39 Stunden. Vier Sol sind 99 Stunden. Die Aktion fand abgeschottet in Stuttgart im Keller der Galerie Kernweine statt.
Die Wegstrecke wurde live vor Ort programmiert. Zwischen Start und Gipfel hinterließen wir eine magentafarbene Linie.

Die Länge der Route zum Gipfel betrug 200 km. Dort ist die Caldera; ein
kesselartiger Gipfelkrater.
Via Mausklick wurden 2,20 m pro Sekunde zurückgelegt. Die durchschnittliche Laufgeschwindigkeit betrug 8 km/h. Wir liefen pro Sol circa sieben Stunden und 50 km. An Sol 1 erreichten wir das Basiscamp, an Sol 2 das zweite Camp, an Sol 3 das dritte Camp und an Sol 4 den Gipfel.

Der Aufstieg erfolgte von Ostnordost. Dort befindet sich ein flach verlaufender Zugang hinauf zum Gipfel. Die restlichen Flanken sind begrenzt von bis zu 8 km hohen Steilhängen.
Die Aktion wurde via Twitch gestreamt.
Been there, done that!
mit:
Roland Batroff
Kai Fischer


Biografie

Schwäbischer Online-Albverein

Der Schwäbischen Online-Albverein geht performativ wandern – online und offline. So hinterlässt das Stuttgarter Künstler*innenkollektiv nicht nur Trampelpfade als ephemere Skulpturen, sondern erklärt ebenfalls Google Maps zu seiner digitalen Wanderkarte. Dabei verschränken sich analoge und virtuelle Welten und es entsteht ein Spiel aus Land Art und Cyber-Land Art, bei der die Realität nicht am Bildschirm endet.

Voyage Pathologique – Lisa Marie Schmitt

In der Videoarbeit Voyage Pathologique werden sechs Fälle der Psychologin Graziella Magherini auf poetische und teils humorvolle Weise charakterisiert. In ihrem Buch Le syndrome de Stendhal. Du voyage dans les villes d´art von 1979 beschreibt Magherini das Stendhal-Syndrom. Charakterisiert wird dieses durch Symptome wie Atemnot, Herzrasen und Hyperventilieren sowie Gefühle der Depersonalisierung, die allesamt von einer kulturellen Reizüberflutung hervorgerufen werden. Der Begriff dieser psychosomatische Störung bezieht sich auf den französischen Schriftsteller Stendhal und dessen Notiz zu seiner Reise durch Italien.

FRANZ
Il reste debout pendant de longues heures à admirer tableaux et dessins, « avec la tête et le cœur en flammes » Ses yeux voient « des couleurs jamais vues » et, dès le premier jour, il se sent bouleversé, déconcerté, désorienté par le flot des impressions chromatiques […].1

Stunden verbringt er dort, um Malereien und Zeichnungen zu bewundern, „den Kopf und das Herz in Flammen“. Seine Augen erblicken „nie zuvor gesehene Farben“ und vom ersten Tag an fühlt er sich durch den Überfluss an Farbeindrücken niedergeschlagen, verwirrt, desorientiert […].2

KAMIL
« Lorsque nous sommes ressortis, sur les marches, nous étions vidés, complètement privés d ́énergie, comme si en sortant de cette église nous étions aussi sortis des nous-même. […] et je crois qu’à ce que ce moment-là je pouvais avoir bien quarante de fièvre. […] Je me suis étendu par terre, et l’impression de sortir hors de moi, de me perdre, de me dissoudre, a persisté. […] »3

„Als wir hinaus auf die Treppen gingen, fühlten wir uns leer, vollkommen jeglicher Energie entzogen. Als ob wir mit dem Herausschreiten aus der Kirche, aus unseren eigenen Körpern herausgetreten seien und ich glaube in diesem Moment hatte ich ungefähr 40° Fieber. […] Ich habe mich auf den Boden gelegt und das Gefühl, meinen Körper zu verlassen, mich zu verlieren, mich aufzulösen, setze ich fort.“

RUTH
[…] Ruth s’est longuement arrêtée devant les œuvres du Bronzino, de Pontormo et de Raphaël. La jeune fille a d’abord ressenti des douleurs à la tête et à l’abdomen, on a cru à une appendicite […]. […] Elle répète sans cesse: « Please! Help me! Help me! »4

[…] Ruth blieb lange Zeit vor den Arbeiten von Bronzino, Pontormo und Raphael stehen. Die junge Frau hatte erst Schmerzen im Kopf, dann im Abdomen, wir dachten an eine Blinddarmentzündung […]. […] Sie wiederholte ohne Unterlass: „Please! Help me! Help me!“

ARIEL
« […] Ces couleurs, avec des touches de rose, ces personnages, sont typiques de Chagall. L’émotion continuait à monter et je ne pouvais plus la contrôler; j’étais là, face au tableau, et je sentais que je commençais à pénétrer à l ́intérieur. […] j’ai eu l’impression que les animaux de l’arche étaient un peu des compagnons d’adventure et de sauvetage. Noé aussi, je le connaisais bien. Alors j’ai eu un peu l’impression de m’envoler, moi aussi, en même temps que ces personnages qui se détachent de la terre en une légère lévitation. Je voyais la lune plus proche et j’avais l’impression de pouvoir l’atteindre. […] »5

„[…] Diese Farben mit leichten Rosatönen, diese Figuren sind typisch für Chagall. Das Gefühl wurde stärker und ich konnte es nicht mehr kontrollieren; Ich stand dort vor dem Gemälde und ich fühlte, dass ich begann, in das Bild einzudringen. […] die Tiere der Arche waren wie Begleiter des Abenteuers und der Rettung. Auch Noah, ich kannte ihn gut. Ich fühlte mich, als schwebte ich zusammen mit den Figuren, die sich leicht vom Boden abhebten. Ich sah den Mond so nah, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte ihn erreichen. […]“

LUCY
[…] aux Offices, elle a surtout été attirée par les salles qui – avec cette accumulation d’art religieux, scènes de la vie des saints, crucifixions du Christ, Vierges à l’enfant, anges dorés de l’Olympe chrétien – lui ont semblé autant de lieux sacrés. […] Elle dit être le fruit d’une réincarnation, elle affirme qu’une religieuse s’est incarnée en elle et que celle-ci est enterrée en Italie, dans un petit village d’Ombrie dont elle a oublié le nom; elle est sûre, dit-elle, de pouvoir arriver là-bas si nous la laissons enfin seule, en paix.6

[…] in den Uffizien fühlte sie sich besonders angezogen von den Sälen, die mit ihrer Ansammlung religiöser Kunst, Szenen der Leben der Heiligen, Kreuzigungen Christi, Jungfrauen mit dem Kinde, goldenen Engeln des christlichen Olymps, als solch heilige Orte erschienen. […] Sie sagt, sie sei die Frucht der Reinkarnation einer Nonne, die in Italien in einem kleinen umbrischen Dorf, dessen Namen sie vergessen hat, begraben liegt; sie ist sicher, sagt sie, dorthin zu gelangen, wenn wir sie in Ruhe und Frieden lassen.

MARTHA
Elle est hospitalisée en proie à une bouffée délirante, après une visite au Musée de San Marco où elle s ́est longuement arrêtée devant les fresques du Beato Angelico. Après cette visite, elle a commencé à exprimer une grande inquiétude: elle dit avoir appris à la radio que le diable devait apparaître ce jour-là à Florence. Et c’est ce même jour que les anges et les diables du Beato Angelico l’ont fait pénétrer dans un monde de conflit entre le bien et le mal. Entre la lumière et les ténèbres.7

Nach einem Besuch im San Marco Museum, wo sie sich lange Zeit vor Fresken Beato Angelicos aufgehalten hatte, wurde sie in einem Zustand des Wahnsinns in ein Krankenhaus eingeliefert. Danach äußerte sie sich mit großen Sorgen: Sie sagte, sie habe im Radio gehört, dass an jenem Tag der Teufel in Florenz erscheine und am selben Tag brächten die Engel und Teufel Beato Angelicos sie in eine Welt des Konflikts zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Dunkelheit.

Abb. 1-8: Lisa Marie Schmitt, Voyage Pathologique, 2018, Videostills, 14:24 Min.


Biografie

Lisa Marie Schmitt

Lisa Marie Schmitt schloss 2017 ihr Studium der Freien Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar als Meisterschülerin von Prof. Georg Winter ab. 2018 erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium an der Cité Internationale des Arts Paris. Dieses Jahr wird sie mit dem Stipendium für Kulturaustausch Berlin Global ein Projekt in Cluj-Napoca in Rumänien realisieren. Sie arbeitet medienübergreifend mit Film, Fotografie, Skulptur und Sprache. Ihre recherchebasierten Arbeiten verbinden häufig aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen mit dem Poetischen.

100% PURE LOVE – Emilija Tolj

100% PURE LOVE bedeutet absolute Authentizität, die im Falle nicht-sichtbarer Behinderungen besonders wirkungsvoll durch eine Umkehrung von innen nach außen erreicht werden kann. Wenn die Skulptur aus Tablettenblister auf dem Körper getragen wird, dann gleicht dies für Emilija Tolj einem Outing, das performativ stellvertretend für viele andere vorgenommen wird. Das geplante Filmprojekt soll intersektional betroffene Menschen sichtbar machen.

“Taking up space as a disabled person is always revolutionary.”
– Sandy Ho1

“If you are already an unconventional person, then do whatever you want because as much as people will try to hold you to certain standards, you already are not the standard, so just be yourself” – Julian Gavino2

“There is so much that able-bodied people could learn from the wisdom that often comes with disability. But space needs to be made. Hands need to be reached out. People need to be lifted up.” – A. H. Reaume3

Abbildungen: Auszüge Screenshots aus dem Video 100% PURE LOVE.

Weiterführende links: @rebirthgarments
https://vimeo.com/382025972

Blog von Talila A. Lewis:
https://www.talilalewis.com/about.html cripcamp the documentary trailer (ganze dokumentation auf netflix erhältlich)
https://www.youtube.com/watch?v=XRrIs22plz0


Biografie

Emilija Tolj

Emilija Tolj studiert Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart und erhielt dort das DAAD PROMOS-Stipendium. Eine wichtige Station war die School of 2020 im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart, aus der sich das Kollektiv Bond_ASAP begründete. Im Rahmen der Arbeitsgruppe und darüber hinaus setzt sich Emilija Tolj mit den Arbeitsbedingungen und der Inklusion marginalisierter Menschen in der darstellenden Kunst und Architektur auseinander.

„Ein trübes Dunkelmanns-Gesicht?!“ Bertel Thorvaldsens Schiller-Denkmal in Stuttgart – Lisa-Marie Hinderer

Das erste Denkmal zu Ehren des Dichters Friedrich Schillers steht in Stuttgart. 1839 wurde es auf Initiative des Stuttgarter Liederkranzes von dem Bildhauer Bertel Thorvaldsen ausgeführt. Doch bei der Enthüllung des Denkmals war die öffentliche Reaktion – besonders die des Dichters Franz Dingelstedt – ablehnend: “Nein! […] Schiller der Denker ist das nicht!” Aber welche soziohistorischen Voraussetzungen für die Errichtung des Denkmals bedingen diese Kritik?

Der Schriftsteller Friedrich Wilhelm Hackländer hielt 1878 in seinem Werk Der Roman meines Lebens folgende Erinnerung an seinen Besuch in Stuttgart, bei dem er durch die Straßen der Stadt zum Schiller-Denkmal spazierte, fest:

„Hier war vor Kurzem das Standbild Schiller’s, von Thorwaldsen modellirt, enthüllt worden und man bewunderte damals noch ungetheilt die lebensvollen Formen des vortrefflichen Monuments, fand es auch nicht unpassend, daß der Dichter und Philosoph nachdenklich mit gesenktem Kopf dasteht, statt sich aus dem Anblick des Himmels Begeisterung zu holen; während es später Mode wurde, den berühmten Bildhauer darob in Wort und Lied zu verunglimpfen und die Statue des großen Dichters als verunglückt darzustellen.“1

Entgegen der Äußerung in diesem Auszug wurde dem Denkmal für Friedrich Schiller (1759–1805) von Bertel Thorvaldsen (1768–1844), das 1839 in Stuttgart enthüllt worden war2 (Abb. 1), bereits zu diesem Zeitpunkt kritisiert.

Abb. 1: Bertel Thorvaldsen (Ausführung von Wilhelm Matthiae), Schiller-Denkmal (Frontansicht – Blick vom Alten Schloss), 1839, Bronze, H. 386 cm, Schillerplatz, Stuttgart. Abbildungsnachweis: Fotografie von Autorin Lisa-Marie Hinderer.

Aber wie kam es überhaupt dazu, dass zu Ehren Friedrich Schillers – einem Dichter – ein Denkmal errichtet wurde, wenn zuvor nur Fürsten und Feldherren (!) in dieser Form gewürdigt wurden? Im 18. Jahrhundert wurde die Denkmalwürdigkeit einer Person nicht mehr an diese selbst, sondern an deren Verdienste für den Staat geknüpft. Daher konnten sich auch Individuen außerhalb des Herrschaftsbereichs durch den Verdienst auf anderen Gebieten, wie beim Beispiel Schillers der Dichtung, als denkmalwürdig erweisen.3 Dies hängt mit dem Genie-Gedanken4, der ebenfalls im 18. Jahrhundert aufkam, zusammen.

So errichteten Stuttgarter:innen zu Ehren des „unangefochtenen deutschen Lieblingsdichter[s]“5 Schiller ein Denkmal in dessen württembergischen Heimat. Die Initiative ging vom Stuttgarter Liederkranz aus, während die Ausführung der Schillerverein übernahm, der sich als Denkmalkomitee innerhalb des Stuttgarter Gesangvereins gebildet hatte und später davon löste. Den Bemühungen dieser Vereine ist es zu verdanken, dass das Denkmal Schillers in Stuttgart auf einem öffentlich zugänglichen Platz – dem Alten Schlossplatz, heute Schillerplatz – aufgestellt worden ist.6 Die Aufstellung eines Denkmals für einen Dichter war jedoch kein Einzelfall: Ernst Förster stellt bereits im ersten Satz seines Artikels Ueber die Errichtung neuer Denkmale in Deutschland im Kunstblatt vom 9. Mai 1839, dem Datum der Enthüllung des Schiller-Denkmals in Stuttgart, fest:

„[Dass] in unsern Tagen der Fall sich wiederholt, daß man sich vereinigt, verdienten Männern der Vorzeit oder ausgezeichneten Zeitgenossen ein öffentliches Denkmal zu setzen.“7

Nichtsdestotrotz handelt es sich beim Stuttgarter Schiller-Denkmal sowohl um das erste Dichterdenkmal in dieser Größe in Deutschland8 als auch um das erste deutsche Denkmal zu Ehren Schillers9, das zudem noch das erste öffentlich aufgestellte Denkmal in Form eines Standbilds auf hohem Podest in Stuttgart ist. Dies soll jedoch nicht zu der Annahme führen, dass das Denkmal durch seine Vorwegstellung auch dementsprechend nachsichtig in der öffentlichen Meinung akzeptiert wurde. Folgt man Hans-Ernst Mittig in seinem Aufsatz Über Denkmalkritik, so werden die Ansatzpunkte der Kritik, die die zeitgenössischen Rezipient:innen für das Denkmal fanden, diesem
lange entgegengehalten.10 Im folgenden Aufsatz steht deshalb nicht der Bildhauer Bertel Thorvaldsen im Vordergrund, sondern das Denkmal sowie dessen Auftragsgeschichte verbunden mit seinem Aufstellungsort Stuttgart. Denn gerade die soziohistorischen Voraussetzungen für die Errichtung des Denkmals bedingen dessen spätere Kritik im Kontext der Schiller-Rezeption Stuttgarts.

Vorgeschichte: Danneckers kolossale Marmorbüste Schillers und erste Denkmalgedanken

Die Entstehungsgeschichte des Schiller-Denkmals beginnt bereits im Jahr 1805, dem Todesjahr des Dichters. Nach dessen Tod fasste Johann Heinrich Dannecker (1758–1841), Stuttgarter Hofbildhauer und seit den gemeinsamen Tagen an der Hohen Karlsschule Freund Schillers, den Gedanken, seine lebensgroße Gewandbüste des Dichters aus den Jahren 1793/94 als kolossale Neufassung wieder aufzugreifen (Abb. 2). Diese erste Fassung der Büste entstand noch zu Lebzeiten Schillers und auf Anlass dessen ersten und letzten Besuchs nach seiner Flucht in Württemberg.11 Nach der Fertigstellung der Büste formulierte Dannecker, der die Büste 1794 an Schiller schickte, in einem Brief an diesen:

„Ich muß Dir aber auch sagen, daß Dein Bild einen unbegreiflichen Eindruk in die Menschen macht: die Dich gesehen, finden es vollkommen ähnlich, die Dich nur aus Deinen Schriften kennen, finden in diesem Bild mehr als ihr Ideal sich schaffen konnte.“12

Abb. 2: Johann Heinrich Dannecker, Friedrich Schiller, Kolossalbüste, 1805–1810, Carrara-Marmor, H. 87 cm, B. 44 cm, T. 31 cm, Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart, Inv.-Nr. P 693. Abbildungsnachweis: Staatsgalerie Stuttgart (Hrsg.): Staatsgalerie Stuttgart. Die Sammlung. Meisterwerke vom 14. bis zum 21. Jahrhundert, München/Stuttgart 2008, S. 147, Abb. 87.

Diese Äußerung über die fertiggestellte Büste, die den Dichter wahrheitsgetreu ganz nach dem Leben zeigen soll, steht dabei jedoch im Kontrast zur Idealisierung Schillers äußerer Erscheinung. So schreibt Veronika Mertens, dass zwar die Ähnlichkeit der Büste mit dem Aussehen des Dichters bewundert wurde, Dannecker mit seiner Skulptur aber „zugleich […] zutiefst dem klassizistischen Ziel, […] Wirklichkeit ideell zu überhöhen“13 entsprach – Dies bestätigt die Nachfrage. Denn Rolf Selbmann stellt darüber hinaus fest, dass schon mit der Fertigstellung der Büste zu Lebzeiten Schillers der Wunsch nach Vervielfältigung einsetzte.14 Durch Dannecker und dessen Nachfolge wurden zahllose Reproduktionen hergestellt, so dass die Büste nach Selbmann „die Vorstellung vom Aussehen Schillers unauslöschlich prägte“15. Nachdem Dannecker nun im Mai 1805 vom weimarischen Oberhofmeister Wilhelm von Wolzogen die Nachricht über den Tod Schillers erhalten hatte, verfasste er folgende Antwort, auf die in der Forschung häufig zurückgegriffen wurde:

„Schillers Tod hat mich sehr niedergedrückt. Ich glaubte die Brust müßte mir zerspringen, und so plagte mich’s den ganzen Tag. Den andern Morgen bei’m Erwachen war der göttliche Mann vor meinen Augen, da kam mir’s in den Sinn, ich will Schiller lebig machen, aber der kann nicht anders lebig sein, als colossal. Schiller muß colossal in der Bildhauerei leben, ich will eine Apotheose.“16

So zeigt Dannecker in seinem Brief an Wolzogen, dass der Idealisierung Schillers, die sich bisher im Erscheinungsbild der Büste widergespiegelt hat, nun der Wunsch nach Monumentalisierung des Verstorbenen folgt. Seit der Idee zur Kolossalbüste, die Dannecker im Jahr 1806 fertigstellte (Abb. 2), hatte er zudem den Plan, diese in ein Denkmal zu integrieren oder genauer gesagt, diese als Mittelpunkt eines Denkmal-Ensembles zu platzieren.17 Dieser Gedanken lässt sich neben einer Zeichnung Danneckers aus dem Jahr 1805 (Abb. 3) auch in seiner folgenden Äußerung erkennen:

„Den andern Tag, als ich die höchst traurige Nachricht von seinem Todt erhalten hatte, find ich Schillers Büste Colossal an und dachte der Schwab muß dem Schwaben und Freund ein Monument machen.“18

Abb. 3: Johann Heinrich Dannecker, Entwurf zu einem Schiller-Monument, 1805, Feder in Braun über Bleistift auf roh-weißem Büttenpapier, 43,4 x 34,2 cm, Deutsches Literaturarchiv Marbach/Schiller-Nationalmuseum, Marbach am Neckar, Inv.-Nr. Gr. F. 93. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Schiller in Stuttgart, Stuttgart (Landesmuseum Württemberg) 2005, S. 39, Abb. 9.

Jedoch sollte es nicht zur Ausführung eines Denkmals durch die Initiative des Bildhauers in der gemeinsamen Heimat Württemberg kommen: Dannecker sagte keiner der Entwürfe für ein Denkmal Schillers, die in den folgenden Jahren vorgestellt wurden, zu und so fand die Büste keine Aufstellung.19 Das berühmte Werk blieb dem Publikum jedoch nicht ganz vorenthalten. Besonders beim ersten deutschen Schillerfest im Jahre 1825 in Stuttgart, veranstaltet durch den Stuttgarter Liederkranz, wurde der Präsentation der Büste als ephemeres Denkmal große Bedeutung zugesprochen (Abb. 4).

Abb. 4: J. A. Mayer, Aufstellung der Schiller-Büste von Johann Heinrich Dannecker am 1. Schillerfest des Stuttgarter Liederkranzes am 9. Mai 1825 zum 20. Todestag des Dichters als ephemeres Denkmal, 1825, Lithographie,
Deutsches Literaturarchiv Marbach/Schiller-Nationalmuseum, Marbach am Neckar. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Schiller in Stuttgart, Stuttgart (Landesmuseum Württemberg) 2005, S. 37, Abb. 11.

Schillerrezeption in Stuttgart: Der Stuttgarter Liederkranz und der Schillerverein

Der Stuttgarter Liederkranz, ein 1824 gegründeter Gesangverein, wurde laut Sylvia Heinje „schnell zum geistigen Mittelpunkt der Stadt“20. Seine Initiative war es, jährlich drei Feste zu veranstalten, unter anderem ein Fest zum „Andenken berühmter Geister“21 – Die Wahl fiel auf Friedrich Schiller. Das erste öffentliche Schillerfest feierte der Liederkranz dann im Jahr 1825 am 20. Todestag des Dichters. Hier wurde die Büste Danneckers als ephemeres Denkmal inszeniert (Abb. 4).22 Denn neben dem alljährlichen Fest zu Schillers Todestag hatte der Stuttgarter Liederkranz ebenfalls den Vorsatz in seine Statuten aufgenommen, „dem Dichter ein Denkmal in seinem Vaterland zu gewinnen“.23 Zu diesem Zweck wurde innerhalb des Liederkranzes ab dem 23. Mai 1825 eine Kommission formiert.24 Auf Grund von Differenzen und daraus resultierenden Streitigkeiten sollte sich diese Kommission später vom Liederkranz abspalten und den Schillerverein (oder auch Verein für Schiller’s Denkmal) bilden.25

Ausführung des Denkmals: Der Bildhauer Bertel Thorvaldsen

Es „sollte also etwas Großartiges errichtet werden, und in der That griff das Comité, um dieses ins Werk zu setzen, zu dem besten und vielleicht einzigen Mittel“26: Als erste Abordnung, die auf einem öffentlichen Platz ein Dichterdenkmal aufstellen wollte27, sandte der Liederkranz Mitglieder nach München, wo sich der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen 1830 auf seiner Reise von Rom nach Kopenhagen aufhielt.28 Am 30. Januar übermittelte diese Delegation dem Bildhauer ein Schreiben29 mit der Bitte, das Denkmal auszuführen (Abb. 5). Besonders interessant an diesem Dokument ist, dass Thorvaldsen eine genaue Vorstellung vom Aussehen des
Denkmals vermittelt wurde:

„In Rücksicht dessen, was von den Beiträgen Deutschlands zu diesem Zweck etwa zu erwarten sein möchte, hat der Verein beschlossen, daß der sprechend ähnliche, colossale Kopf des Unsterblichen von der Büste unseres Hofraths v. Dannecker dazu genommen und eine sitzende colossale Statue in Bronce oder aus Eisen, und im letzteren Falle bronciert, nach diesem Maßstabe gegossen werden soll.“30

Abb. 5: Brief vom Stuttgarter Liederkranz unter dem Vorstand Reinbeck an Thorvaldsen vom
30.01.1830. Abbildungsnachweis: The Thorvaldsens Museum Archives, m15 1830, nr. 12, URL:
https://arkivet.thorvaldsensmuseum.dk/documents/m151830,nr.12 (06.04.2021), CC BY-NC-ND 4.0 International.

Nachdem Dannecker als Bildhauer – wohl aus Altersgründen31 – nicht mehr in Frage kam, wandte der Verein sich an den „Phidias unserer Zeit“32, den in Rom lebenden Bildhauer Bertel Thorvaldsen, der zu den gefragtesten zeitgenössischen Bildhauer:innen in Europa zählte.33 Jedoch spielte die Schiller-Büste Danneckers bei den Auftraggebenden weiterhin eine wichtige Rolle und so wünschte man sich von Thorvaldsen, dass er eine Sitzfigur modellierte, die eine „Art Körpersockel“34 für die Büste darstellen sollte. Rolf Selbmann spricht hier von einem „lokalpatriotische[n] Rückgriff“35, der auf eine „monumentale Konservierung des gewohnten Schillerbilds“36 abzielt. Nach Katharina Bott war Thorvaldsen jedoch „ein zu eigenwilliger Künstler, als daß er Vorschläge von Auftraggebern berücksichtigt hätte“37. So überging der Bildhauer, der dem Verein am 20. Juni 1830 seine Zusage mitteilte, die Auflagen und vollendete 1835 einen 83,5 cm hohen Entwurf für das Denkmal (Abb. 6). Den Entwurf, der trotz der Abweichungen vom Vorschlag des Schillervereins38 ohne Änderungen akzeptiert wurde39, übergab Thorvaldsen seinem Schüler Wilhelm Matthiae (1807–1888), der seit 1828 in dessen Werkstatt in Rom mitarbeitete. Matthiae setzte den Entwurf in das Gipsmodell um, nach dem das Standbild gegossen werden sollte: Das originalgroße Gipsmodell wies nun eine Höhe von 3,91 m auf – doppelt lebensgroß.40

Abb. 6: Bertel Thorvaldsen, Friedrich Schiller, Entwurf für das Schiller-Denkmal, 1835, Gips, H. 83,5 cm, Thorvaldsens Museum, Kopenhagen, Inv.-Nr. A 138. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Künstlerleben in Rom. Bertel Thorvaldsen (1770–1844). Der dänische Bildhauer und seine deutschen Freunde, Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum), Schleswig (Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloss Gottorf) 1991, S. 686, Abb. 8.31.

Das überlebensgroße Standbild stellt Schiller idealisiert mit einem muskulösen Körper, der sich durch die Kleidung abzeichnet, sowie breiten Schultern dar (Abb. 7). In seiner linken Hand hält er ein Buch, in das der Zeigefinger eingeschlagen ist, und seine Rechte fasst einen Schreibgriffel – stereotype Attribute, die den Dargestellten als Dichter identifizieren. Während die Linke mit dem Buch ausgestreckt am Körper anliegt, ist die rechte Hand vor diesem angewinkelt. Der rechte Arm rafft dabei einen langen Umhang, der über die rechte Schulter gelegt worden ist. Der lange, antikische Umhang, den der Dichter über seinem zeitgenössischen Kostüm trägt, lässt nur die Partie oberhalb der Brust und den linken Arm frei, während er den Rest des Körpers, besonders dessen Rückenansicht, großzügig und faltenreich umhüllt.

Abb. 7: Bertel Thorvaldsen (Ausführung von Wilhelm Matthiae), Schiller-Denkmal (Nahaufnahme | Frontansicht – Blick vom Alten Schloss), 1839, Bronze, H. 386 cm, Schillerplatz, Stuttgart. Abbildungsnachweis: Appelbaum, Dirk (Hrsg.): Das Denkmal. Goethe und Schiller als Doppelstandbild in Weimar (Edition Haniel), Tübingen 1993, S. 58, Abb. 8.

Das mit einem Lorbeerkranz gekrönte Haupt senkt der Dichter (Abb. 8). Das schmale, längliche Gesicht mit hoher Stirn und ausgeprägten Wangenknochen ist durch diese Gesichtszüge stark idealisiert. So schreibt auch Katharina Bott zur Physiognomie, dass diese weitgehend ins Stereotype ausweicht.41 Jedoch wirkt das Denkmal Schillers durch die in Falten gelegte Stirn und die nach unten gezogenen Mundwinkel nachdenklich. Ernst Förster, der die prägnanteste zeitgenössische Beschreibung des Denkmals lieferte, schrieb im Kunstblatt vom 21. Mai 1839: „[S]o sehen wir den lorbeerbekränzten Dichter über dem Volk, auf hohen Postament, zu uns hernieder oder in die Tiefe der eigenen Gedanken sich verlieren.“42 was uns zum Punkt der Denkmalkritik bringt.

Abb. 8: Bertel Thorvaldsen (Ausführung von Wilhelm Matthiae), Schiller-Denkmal (Nahaufnahme des Kopfes | Seitenansicht – Blick von der Alten Kanzlei), 1839, Bronze, H. 386 cm, Schillerplatz,
Stuttgart. Abbildungsnachweis: Fotografie von Autor:in MSeses (Pseudonym) über Wikimedia Commons, URL: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Schillerdenkmal_Stuttgart_Detail.jpg (06.04.2021), CC BY-SA 3.0.

„Vor Schillers Standbild in Stuttgart. An Thorwaldsen“ Zur Denkmalkritik43

Nachdem fünfzehn Jahre seit der Gründung des Stuttgarter Liederkranzes und 34 Jahre seit dem Tod Schillers vergangen waren, wurde das Denkmal am Tag vor Schillers Todesdatum am 8. Mai 1839 unter der Abwesenheit Thorvaldsens44 feierlich im Zentrum Stuttgarts enthüllt (Abb. 9) – und kritisch begutachtet. Als Ausdruck der zeitgenössischen Kritik spiegelt das daraufhin an Thorvaldsen adressierte Gedicht Vor Schillers Standbild in Stuttgart von Franz von Dingelstedt die Rezeption des Denkmals besonders eindrücklich wider:

„Altmeister Steinmetz aus dem Norden,
Moderner Phidias ohn‘ Athen, […].
Sag‘ an, wer dir die Macht verliehen,
In deine Werkstatt, an dein Maß
Ein göttliches Geschlecht zu ziehen,
Das deinem Meißel niemals saß? […]

Die Menschen machst du zu Kolossen?
Nein, den Giganten nur zum Zwerg! […]

Der erste Dichter solch ein Mucker,
Ein trübes Dunkelmanns-Gesicht?!

Wie? dieser Kopf- und Nackenhänger,
Der wie ein Säulenheiliger steht,
Wär‘ meines Volkes Lieblingssänger,
Der deutschen Jugend Urpoet?

Fremd blieb, o Däne, dir sein Wesen,
Sein Geist, o Künstler, dir zu hoch; […].
Ha! Schlimm genug, daß wir Lebendigen
Krumm wie dein Schiller stehn und gehn,

Daß wir, nachgebend dem Nothwendigen,
Statt in die Welt zur Erde sehn;
Den Todten war’s nicht so beschieden,
Und, fremder Mann, du weißt es nicht,
Dass ach! mit ihrer Größ‘ hienieden
Auch uns’res Volkes Größe bricht!“45

Abb. 9: Wenzel Pobuda nach Friedrich Bernhard Elias, Der achte Mai 1839 in Stuttgart, 1839, Lithografie, 13,9 x 21 cm, Deutsches Literaturarchiv Marbach/Schiller-Nationalmuseum, Marbach am Neckar, Inv.-Nr. B 98.99. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Schwäbischer Klassizismus zwischen Ideal und Wirklichkeit. 1770–1830. Zeichnen, malen, bilden (Bd. 1), Stuttgart (Staatsgalerie Stuttgart) 1993, S. 320, Abb. 251.

Stellvertretend für weitere kritische Auseinandersetzungen mit dem Denkmal wird bei Franz Dingelstedt deutlich, woran sich die Rezipient:innen hauptsächlich störten: Der Körperhaltung des Standbilds, insbesondere der gesenkten Haltung des Kopfes. Diese Kritik erklärt sich besser vor dem Hintergrund der Vorgeschichte des Denkmals, vor allem im Vergleich zu Danneckers Schiller-Büste. Durch die zahlreiche Vervielfältigung der Büste und deren Präsenz bei den öffentlichen Schillerfeiern des Stuttgarter Liederkranzes prägte diese die Vorstellung vom Aussehen Schillers tief. Thorvaldsen wurde zwar in dem bereits erwähnten Brief des Denkmalkomitees gebeten, den „sprechend ähnlichen, colossalen Kopf des Unsterblichen von der Büste unseres Hofraths v. Dannecker“46 zu nehmen und ergänzend dazu eine „sitzende colossale Statue“47 zu formen, setzte sich jedoch darüber hinweg. Dies wurde zwar vom Komitee ohne Änderungswünsche akzeptiert48, aber in der Rezeption des Schillerdenkmals zeigt sich jedoch, dass die Vorstellungen von Schillers äußerer Erscheinung divergieren – und somit die Werke Thorvaldsens und Danneckers konkurrieren. Besonders auffällig wird dies bei der Medaille, die zur Enthüllung des Denkmals geprägt wurde (Abb. 10). Auf der Seite – von der ausgegangen werden kann, dass es sich hierbei um die Vorderseite (!) der Münze handelt – findet sich eine Profilansicht der Büste Danneckers. Erst auf der vermeintlichen Rückseite der Münze wird das Standbild Thorvaldsens in Frontalansicht abgebildet. Der nach Bentivoglio49 „grämliche Mann da, kränklich, brütend in sich, weinerlich, leidend, gedrückt“50 steht dabei im Kontrast zur Büste Schillers, die ihren Blick weit in die Ferne richtet und den Dichter ganz nach dem Leben zeigen soll. Klaus
Fahrner formuliert diesbezüglich zugespitzt:

„Auf ihr [der Gedächtnismedaille] kontrastiert die ungebrochen apollinische Strahlkraft der Dannecker-Herme mit der kehrseitig unverkennbar den Kopf hängenden Statue, deren tendenziell resignative Züge dadurch umso stärker hervortreten.“51

Abb. 10: Ferdinand Helfricht, Medaille zur Enthüllung des Denkmals, 1839, Bronze, Ø 4,5 cm, Münzkabinett, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart, Inv.-Nr. 721. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Schiller in Stuttgart, Stuttgart (Landesmuseum Württemberg) 2005, S. 51, Abb. 6.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Die Frage nach der Angemessenheit.
Die Übernahme des Typus des Feldherrenstandbilds – eines ganzfigurigen Stand- statt eines Büstendenkmals für einen Dichter – geht einher mit der Übertragung des Würdeanspruchs dieses Denkmaltypus. Diese mit Tradition behaftete Darstellungsform bedient sich an einem Repertoire an Haltungen, die Gerd Reichardt52 als „zu Pathosformeln gewordene Posen“ bezeichnet. Thorvaldsen orientierte sich bei seinem Denkmalentwurf nicht an diesen Darstellungskonventionen, sondern richtete sich formal gegen eine pathetische Haltung. Er versetzte „seinen“ Schiller in eine genrehafte Situation, die dem Werk und der Bedeutung des Dichters in den Augen der bisher innerhalb dieses Textes angeführten Kritik nicht angemessen schien. Thorvaldsen griff die Frage nach der Darstellungsweise Schillers später auf und äußerte sich folgendermaßen:

„Es ist weit schwerer, als man gewöhnlich glaubt, das Standbild eines Dichters, oder sonst eines Mannes, der blos durch seinen Geist wirkte, aufzufassen. Die Figur muss leben, und doch die Ruhe ausdrücken, der Körper muss scheinbar ruhen, und das, was nicht wiederzugeben ist, der Geist, muss hervortreten.“53

Wie aus dieser Formulierung hervorgeht, hatte Thorvaldsen seine eigene Vorstellung davon, wie ein Standbild für eine Persönlichkeit, die sich durch ihre geistigen Leistungen auszeichnet, auszusehen hat. Durch die ruhige Haltung des Körpers versuchte er die angestrebte Konzentration auf den Geist und somit den Kopf zu bewirken. Weiter wird Thorvaldsen nach Egon Weyer formulieren:

„Ich denke, diese Statue […] wird wohl 300, wohl 500 Jahre stehen, und dann werden die Leute nicht mehr tadeln, warum ich dem Dichter keine übermütige und herausfordernde Haltung gegeben habe.“54

Jenseits des Bruches mit den Konventionen innerhalb der Denkmalplastik gelangt man an dieser Stelle wiederum – aber um den Kreis zu schließen – erneut an den im 19. Jahrhundert in Stuttgart omnipräsenten Johann Heinrich Dannecker. Die bisher untersuchte Kritik macht deutlich, dass es sich bei den ausgeführten bildhauerischen Darstellungen Schillers um Projektionen auf seine Person handelt. Während Thorvaldsen ein ruhiges, in sich gekehrtes Bild Schillers entwirft, reduzierte der Dichter Franz Dingelstedt Schiller auf dessen Sturm und Drang-Dramen und vermisst an Thorvaldsens Denkmal einen dynamischen Gestus. Weiterführend wurde Dannecker in den Augen der Zeitgenossinnen als Freund Schillers wahrgenommen55, während Dingelstedt Thorvaldsen wiederum als „fremden Mann“56 bezeichnet. Diese Auffassungen sind relevant, wenn man der Argumentation folgen möchte, dass die persönliche Nähe Danneckers zu Schiller Auswirkungen auf die Porträtähnlichkeit des Dargestellten hatte und durch die Arbeit vor dem lebenden Modell – bei der ersten Fassung der Schiller-Büste – authentischer wurde. Aber „‚[v]ollkommen ähnlich‘ wollte die Büste nicht mit der Person Schillers, sondern mit Danneckers Vorstellung von dem Dichter schlechthin sein“57. Thorvaldsen hingegen formt mit seinem Schiller-Denkmal einen Typus, der bewusst nicht an das vorherrschende Bild Schillers, das besonders in Stuttgart durch die Präsenz der Büste Danneckers geprägt war, anknüpft. Die Diskrepanz der Sichtweisen, wie Schiller nun dargestellt gehört, lässt sich abschließend vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Zuschreibungen – in dem Fall der Auftraggebenden, des Bildhauers und seiner Werkstatt sowie der Rezipientinnen – auf die Person Schiller verstehen. An diesen wurden die Bildhauerarbeiten Danneckers und Thorvaldsens einander unvereinbar bemessen.

Die Kritik an dem Denkmal und die damit verbundene Unzufriedenheit führten schlussendlich dazu, dass Stuttgart am Anfang des 20. Jahrhunderts insgesamt fünf Standbilder des Dichters besaß. Von diesen hat sich jedoch lediglich das Standbild Schillers von Adolf von Donndorf (1835–1916) im Oberen Schlossgarten aus dem Jahr 1909 erhalten.

Ausblick: Thorvaldsens Entwurf für ein Goethe-Denkmal in Frankfurt am Main

Betrachtet man Thorvaldsens weitere Arbeit im Bereich der Denkmalplastik, werden schnell die Parallelen zu einem Denkmal-Vorhaben in Frankfurt am Main sichtbar: Hier plante man seit dem siebzigsten Geburtstag von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), diesem auf einer Main-Insel einen Tempel zu errichten. Im Rundtempel, auf den man sich geeinigt hatte, sollte eine Büste Goethes, angefertigt von Dannecker nach dem Vorbild seiner berühmten Schiller-Büste, platziert werden.58 Dieses Vorhaben lief jedoch ins Leere. Erst nach dem Tod Goethes wurden die Pläne erneut konkreter – und auch Thorvaldsen sendete 1840 einen Entwurf ein, der in seiner Form eindeutig an das Schiller-Denkmal erinnert (Abb. 11). Von der Disposition des Körpers, auch der gesenkten Haltung des Kopfes, bis zur Stellung der Beine gleichen sich die beiden Modelle auf den ersten Blick beinahe vollkommen. Es lässt sich festhalten, dass Thorvaldsen mit dem Schiller-Denkmal eine Form für sich gefunden hatte, an der er trotz der Kritik am Stuttgarter Werk festhielt. Allerdings wendeten sich die Frankfurter:innen von Thorvaldsen ab und schließlich modellierte der bayerische Bildhauer Ludwig Schwanthaler (1802–1848) das Denkmal Goethes (Abb. 12). Schwanthaler griff – im Gegensatz zu Thorvaldsen – wieder zu tradierten formalen Lösung der Denkmalplastik.

Abb. 11: Bertel Thorvaldsen, Johann Wolfgang von Goethe, Entwurf für ein Goethe-Denkmal in Frankfurt am Main, ca. 1840, Gips, H. 69,5 cm, Thorvaldsens Museum, Kopenhagen, Inv.-Nr. A 140. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. Künstlerleben in Rom. Bertel Thorvaldsen (1770–1844). Der dänische Bildhauer und seine deutschen Freunde, Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum), Schleswig (Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloss Gottorf) 1991, S. 694, Abb. 8.37.

Erste Male in der Denkmalplastik?

Gerade vor dem Kontrast des später errichteten Goethe-Denkmals durch Schwanthaler (Abb. 12) zeigt sich, dass nicht Thorvaldsens Vorbild weiterentwickelt wurde, sondern – besonders im Hinblick auf die Haltung – wieder auf die Tradition des Fürstendenkmals zurückgegriffen wurde. Thorvaldsen schafft durch die Ablehnung der Übernahme formaler Traditionen einen neuen Typus innerhalb der Denkmalplastik. Doch gerade die Komposition, die sich immer noch durch die Form des Standbildes an herrschaftlichen Standbildern orientiert, wurde von Teilen der Rezipientinnen nicht als angemessen für Schiller empfunden. Die Differenz zwischen den Erwartungen der Betrachterinnen und deren an ein Denkmal gerichteten formalen Kriterien auf der einen und dem ausgeführten Standbild auf der anderen Seite, führte zu enttäuschten Reaktionen. Und auch wenn sich die Passant:innen auf dem Stuttgarter Schillerplatz heute wohl weniger an der Kopfhaltung Schillers stören, so ist die Thematik des Denkmalsetzens weiterhin gesellschaftlich aktuell. Im späten 19. Jahrhundert sprach man in Anbetracht der zahlreichen Errichtung von Denkmälern zu Ehren Schillers sowie anderer Personen im öffentlichen Raum von Denkmalwut.59

Abb. 12: Ludwig Schwanthaler, Goethe-Denkmal, 1841–1844, Bronze, Gallus-Anlage (Standort von 1952–2007, heute: Goetheplatz), Frankfurt am Main. Abbildungsnachweis: Bernhard Maaz: Skulptur in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg (Bd. 1). (Jahresgabe des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, 2010), Berlin/München 2010, S. 108, Abb. 119.


Aus unserer gegenwärtigen Perspektive werden – zwar nicht im Speziellen an das Stuttgarter Schiller-Denkmal, sondern im globalen Kontext – zu Recht weitere Probleme der Denkmalplastik thematisiert. So lässt sich insbesondere bei einem revidierenden Blick aus unserer Gegenwart in die Vergangenheit die Frage stellen, wieso es neben Schiller und Goethe so wenige Frauen auf einen Sockel geschafft haben (Abb. 13)?

Abb. 13: Der Stuttgarter Schillerplatz am 9. März 2021, 8:30 Uhr. Die Protest-Stencils, die von Demonstrantinnen am 8. März – dem Internationalen Frauentag – am Podest des Schiller-Denkmals angebracht wurden, werden entfernt. Abbildungsnachweis: Fotografie von Autorin
Lisa-Marie Hinderer.

Biografie

Lisa-Marie Hinderer

Lisa-Marie Hinderer studiert Kunstgeschichte im Master an der Universität Stuttgart. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Skulptur und Plastik des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart mit besonderem Interesse für soziohistorische Kontexte. In ihrer Bachelorarbeit über Bertel Thorvaldsens Schiller-Denkmal in Stuttgart beschäftigte sie sich mit dessen Rezeption vor dem Hintergrund der Denkmalkritik im 19. Jahrhundert. Lisa-Marie Hinderer ist als freie Kunstvermittlerin für verschiedene Institutionen in und um Stuttgart tätig, arbeitet als Ausstellungsbetreuerin im Landesmuseum Württemberg sowie als Hilfskraft am Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart.

Raumfahrt in der Kunst – die künstlerische Rezeption der Mondlandung 1969 – Anne Volk

Als Neil Armstrong 1969 als erster Mensch den Mond betritt, beendet er nicht nur den Wettlauf ins All, sondern erweitert damit ebenfalls den menschlichen Wirkkreis auf den Weltraum. Die Gründung des NASA Art Program hat vordergründig die künstlerische Rezeption von Ereignissen wie diesem zum Ziel, lässt aber ebenfalls Strategien der Heroisierung und Glorifizierung der Institution erkennen.

„Important events can be interpreted by artists to give a unique insight into significant aspects of our historymaking advance into space. An artistic record of this nation‘s program of space exploration will have great value for future generations and may make a significant contribution to the history of American art“.1

Erste Male beschränken sich normalerweise auf Gefühle und Ereignisse, die innerhalb der Erdatmosphäre stattfinden, doch die Mondlandung im Jahr 1969 überschreitet diese lokale Eingrenzung und erweitert den Ort des Geschehens auf den Trabanten der Erde. Aufgegriffen wird dieses Erste Mal nicht nur in den Massenmedien der Zeit, sondern auch innerhalb der bildenden Kunst. So etabliert die NASA bereits 1962 das NASA Art Program, das sich der künstlerischen Dokumentation der Fortschritte innerhalb der Behörde widmet, wie James E. Webb, NASA-Administrator und Begründer des NASA Art Program, oben erläutert.2 Neben der Apollo 11-Mission und deren Astronauten stehen auch die vorangegangenen und sich anschließenden Missionen im Interesse des Kunstprogramms.3 Gegenstand dieses Textes soll jedoch die künstlerische Rezeption der Mondlandung 1969 innerhalb des NASA Art Program bilden. Gleichermaßen soll damit auf die interessante Verbindung von Kunst und Wissenschaft aufmerksam gemacht werden, da sich das Kunstprogramm – zumindest in Deutschland – als weitgehend unbekannt herausstellt.

Rückblickend ist die Mondlandung wohl eines der fortschrittlichsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Hervorgerufen durch den Wettlauf ins All zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA und durch John F. Kennedys nationalem Ziel, einen Menschen in den 1960er Jahren zum Mond und wieder zurück zu befördern, erlangt das Sujet im Kontext der sogenannten Apollo 11-Mission große mediale Aufmerksamkeit.4 Neben dem Interesse an der Forschung ist die Machtdemonstration der beiden Weltmächte, die den globalen Systemwettstreit während des Kalten Krieges auf die Eroberung des Weltraums ausdehnen, ein wichtiger Bestandteil des Wettlaufs.5

Vier Jahre nach der Gründung der NASA 1958 wird das zugehörige Art Program etabliert.6 Intendiert wird dabei, dass die Werke des Kunstprogramms neben der großen Menge an fotografischem Material der NASA eine andere Sichtweise auf die Ereignisse liefern, dadurch eine bildende Funktion einnehmen und auch den nachfolgenden Generationen dienen sollen.7 Teilnehmende Künstler:innen waren verpflichtet, vor Ort angefertigte Zeichnungen aufzubewahren und dem Archiv der NASA zu übergeben, wodurch die Institution über das Œuvre verfügen konnte.8 So erhielten ausgewählte Kunstwerke Einzug in Ausstellungen der National Gallery of Art in Washington, D.C. wie Eyewitness to Space (1965) und The Artist and Space (1969), wobei letztere nach der Mondlandung stattfand. In den 1980er und 1990er Jahren wurde das Programm durch Hunderte von Auftragswerken ergänzt und der Bestand im Jahr 2008 in das neu gegründete Smithsonian National Air and Space Museum überführt.9 Diese Sammlung zeichnet sich durch Facettenreichtum hinsichtlich der künstlerischen Techniken als auch der Sujets aus, wobei alle Werke generell der Space Art zugehörig sind.10 Hinsichtlich des Wettlaufs ins All scheint eine propagandistische Absicht der USA und der NASA im Kunstprogramm nahezuliegen. Tracee Haupt vermutet, die Gründung des Programms würde auf Image-Gründen der Institution fußen und die Kunst als Vermittlungsinstanz zwischen Raumfahrt und Bevölkerung dienen, um Zweifeln und Ängsten hinsichtlich der Technik und des finanziellen Aufwands entgegenzuwirken.11 Dafür spricht der Standort des Smithsonian National Air and Space Museums, das sich unmittelbar neben dem Kapitol in Washington, D.C. befindet. Die dort ausgestellten Artefakte und Kunstwerke nehmen einen repräsentativen und bildenden Charakter zugunsten der USA ein.  

Abb. 1: Norman Rockwell, Astronauts on The Moon, 1966, Öl auf Leinwand, 162,2 x 101,9 cm, Washington, D.C., Smithsonian National Air and Space Museum. Abbildungsnachweis: Ausst.-Kat. NASA/ Art. 50 Years of Exploration, Washington, D.C. (Smithsonian National Air and Space Museum) 2008, S. 54.

Unter diesem Gesichtspunkt fällt auf, dass die Heroisierung von Astronaut:innen und erfolgreichen Ereignissen oft eine Rolle in den Arbeiten des NASA Art Program spielt. Die Erstmaligkeit der Mondlandung manifestiert sich wiederholt in der Rezeption der amerikanischen Flagge, die stellvertretend für Neil Armstrongs und Edwin „Buzz“ Aldrins Platzierung der Flagge auf dem Mond stehen kann und damit die amerikanische Vorherrschaft in der Raumfahrt gegenüber der Sowjetunion bezeugt.12 Diese Annahme wird durch Norman Rockwells (1894–1978) Gemälde Astronauts on the Moon (1966, Abb. 1) und Behind the Apollo 11 (1969, Abb. 2) bestätigt. In Astronauts on the Moon ziert die Flagge gemeinsam mit der Aufschrift UNITED STATES die Mondlandefähre des Raumschiffs zentral im Bild. Hier muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Gemälde das tatsächliche Ereignis der Mondlandung vorwegnimmt – es entstand schon im Jahr 1966 – und daher einen werbenden Charakter für das nationale Ziel innehat. Zudem dient das Gemälde dazu, den Betrachtenden eine Vorstellung zu vermitteln, wie das technische Ereignis später aussehen könnte und steht damit in der Tradition der Space Art. So ist es nicht verwunderlich, dass Astronauts on the Moon starke visuelle Ähnlichkeiten mit der tatsächlichen Mondlandung aufweist, die drei Jahre später stattfindet. Die Flagge an Neil Armstrongs linker Schulter (1. Person links) in Behind the Apollo 11 erinnert eher an ein reales, im Wind wehendes Star-Sprangled Banner als an einen der Aufnäher, die Astronaut:innen auf ihren Raumanzügen tragen.13 Der Hintergrund des Gemäldes ist in zwei Sphären teilbar. So befinden sich die Astronauten, dem dunklen Sternenhimmel nach zu urteilen, schon im Weltall. Die nach links aufsteigende Staffelung der Männer unterstützt die Vorwärtsbewegung hin zum Mond, der sich durch den hellen Schein an ihren Helmen andeutet.14 Über den anderen Personen lichtet sich der Himmel und am rechten oberen Bildrand sind Gebäude des Kennedy Space Centers sichtbar.15

Abb. 2: Norman Rockwell: Behind the Apollo 11, 1969, Öl auf Leinwand, 71,1 x 167,6 cm, Washington, D.C., Smithsonian National Air and Space Museum. Abbildungsnachweis: Ausst. Kat. NASA/ Art. 50 Years of Exploration, Washington, D.C. (Smithsonian National Air and Space Museum) 2008, S. 64 – 65.

Die Personen in Behind the Apollo 11 sind im Profil dargestellt und können in verschiedene Gruppen unterteilt werden, die jeweils durch bestimmte Attribute gekennzeichnet sind. Laut dem Titel handelt es sich um Personen, die hinter der Apollo-11-Mission stehen und für deren Gelingen Verantwortung tragen. Gleichwohl stehen sie auch räumlich hinter den drei Astronauten Neil Armstrong, Edwin „Buzz“ Aldrin und Micheal Collins, die durch ihre Raumanzüge gekennzeichnet und am linken Bildrand positioniert sind.16 Durch ihre realistischen Gesichtszüge können sie zweifelsfrei identifiziert werden. Unter der Astronautengruppe reiht sich ihre Backup-Crew, die durch ihre unvollständige Bekleidung und ihre Positionierung im Gemälde ausgezeichnet ist. Durch die Einteilung in Gruppen und deren gestaffelte Positionierung hinter den Astronauten entsteht eine Hierarchie innerhalb des Gemäldes, die innerhalb mancher Gruppierungen fortgesetzt wird. So führt Armstrong als erster Mensch, der den Mond betritt, die Astronautengruppe als auch generell die Personen an. Ihm folgt Aldrin als zweiter Mensch auf dem Mond. Hinter den beiden steht Collins, der zwar der Mission zugehörig ist, jedoch im Kommandomodul des Raumschiffs auf die Rückkehr der beiden Astronauten wartet, statt selbst den Mond zu betreten.17

Im Zentrum ist eine Reihe von Männern dargestellt, deren Vorderster eine Kopfbedeckung trägt, die auf seine Tätigkeit als Wissenschaftler verweist. Die anderen Personen zeigen signifikante Gesichtszüge, die sie in manchen Fällen als spezifische Personen ausweisen. Inmitten dieser Gruppe und damit im Zentrum des Gemäldes lässt sich die Physiognomie des deutschen Raketenwissenschaftlers Wernher von Braun ausmachen. Der Mann rechts neben ihm kann als Kurt Debus, der ehemalige Direktor des Kennedy Space Centers, identifiziert werden. Die Gruppe setzt sich also aus administrativen Personen der NASA und wichtigen Wissenschaftlern des Raumfahrtprogramms zusammen. Vereinzelte Personen mit weißen Schutzhelmen zwischen den Gruppen repräsentieren, dem Logo der NASA nach zu urteilen, technische Mitarbeitende der Raumfahrtbehörde.

Die drei Frauen unten rechts deuten laut ihrer Physiognomie auf die Frauen der drei Astronauten der Apollo-11-Mission hin. Sie stehen hinter ihnen und blicken stolz zu ihnen hinauf, wodurch ihre Unterstützung visualisiert wird. Gleichwohl verweist ihre Darstellung auf ihren Status. Frauen sind hier als die rückenstärkende Instanz dargestellt, nicht aber als Partizipantinnen des Raumfahrtprogramms. So sind sie einerseits als Astronautinnen sowie als Künstlerinnen im NASA Art Program in der Minderheit und nehmen erst Jahre oder sogar Jahrzehnte später daran teil. Trotz der russischen Kosmonautin Walentina Tereschkowa, die schon 1963 und damit nur zwei Jahre nach Yuri Gargarin ins All fliegt, sind Astronautinnen in der Raumfahrt der 1960er Jahre unterrepräsentiert.18 So fliegt Sally Ride als erste amerikanische Frau 1983, also erst 21 Jahre nach dem ersten amerikanischen Mann, ins All.19

Neben Behind the Apollo 11 gehen aus Rockwells Teilnahme am NASA Art Program zwei weitere Gemälde hervor, die durch ihre Modernität des technischen Sujets im Kontrast zu seinen gewöhnlichen Illustrationen der alltäglichen amerikanischen Gesellschaft stehen.20 Dennoch schlägt sich vor allem der patriotisch anmutende Charakter, der viele seine Werke kennzeichnet, besonders in Behind the Apollo 11 nieder. Das Gemälde nimmt damit einen repräsentativen Charakter ein, der den Erfolg der Raumfahrtbehörde mit der Bevölkerung Amerikas verknüpft. Ebenso stützt das Logo der NASA, dessen Präsenz auf die Institution verweist, diese Annahme.

Neben Rockwells Werken existieren Darstellungen, die weniger inszeniert erscheinen und Einblicke in die Arbeit innerhalb der Raumfahrtbehörde liefern. Das Gemälde „The Eagle has Landed!“ von Franklin McMahon (1921–2012) thematisiert die Mondlandung aus einer anderen Perspektive (Abb. 3). Der Titel verweist auf den Moment, als Armstrong die bekannten Worte „the Eagle has landed“ ausspricht. Wie der Inschrift rechts zu entnehmen ist, wird gezeigt, wie der Astronaut die Mondlandefähre verlässt und als erster Mensch den Mond betritt. Links daneben ist ein komplexer Bildschirm dargestellt, der die Mondoberfläche zeigt.21 Im Vordergrund sind wissenschaftliche Mitarbeiter der NASA zu sehen, die gespannt das Geschehen beobachten. Ein Kameramann und eine Überwachungskamera dokumentieren die Situation. Das Gemälde eröffnet den Betrachtenden einen interessanten Einblick in das Geschehen und lässt uns den Moment aus der Perspektive der Mitarbeitenden erleben. Zwar liegt der Fokus auf dem Astronauten Neil Armstrong, dennoch ist seine Person kaum detailliert abgebildet. Ein kleines und dennoch wichtiges Detail befindet sich am rechten Bildrand: eine eingerollte amerikanische Flagge, die der Künstler in die Darstellung integriert. Sie kann, wie zuvor erläutert, auf Armstrongs Platzierung der Flagge auf dem Mond referieren –  eine Handlung, die auf den dargestellten Moment folgt. Aus einer dokumentarischen Fotografie wird zwar ersichtlich, dass die eingerollte Flagge während des Moments tatsächlich vor Ort war und nicht vom Künstler hinzugefügt wurde, dennoch handelt es sich um eine bewusste Entscheidung, das Detail in das Gemälde zu integrieren (Abb. 4). 22 Genauso hätte McMahon den Bildausschnitt weiter nach links verschieben können, um mit einem größeren Ausschnitt der Mondoberfläche mehr technische Informationen in sein Gemälde aufzunehmen. An dieser Stelle ist zu überlegen inwiefern die Werke des Kunstprogramms einen Mehrwert gegenüber Fotografie und Video erbringen, denn sowohl das Kunstwerk als auch die Fotografie fangen die Stimmung der Beteiligten ein und liefern einen Einblick hinter die Kulissen.

Abb. 3: Franklin McMahon: “The Eagle has Landed!”, 1969, Wasserfarben auf Papier, 55,9 x 76,2 cm, Washington, D.C., Smithsonian National Air and Space Museum. Abbildungsnachweis: Hereward Lester Cooke und James Dean: Eyewitness to Space. Paintings and Drawings related to the Apollo Mission to the Moon. Selected with a few Exceptions, from the Art Program of the Nation Aeronautics and Space Administration (1963 to 1970), New York 1971, S. 226.
Abb. 4: Das Kontrollzentrum während der Landung von Apollo 11, Fotografie, 1969.  Abbildungsnachweis: James Donovan: Apollo. Der Wettlauf zum Mond und der Erfolg einer fast unmöglichen Mission, München 2019, S. 72.

James Wyeths (*1946) Firing Room (1969) ruft einen ähnlichen Eindruck hervor. Das Kunstwerk gibt den Blick auf einen großen Raum frei, in dem viele Personen an diversen Computern und Bildschirmen arbeiten. Sie wenden den Betrachtenden den Rücken zu (Abb. 5). Die Details in der Darstellung nehmen zum Hintergrund hin immer weiter ab, bis die Köpfe der Personen nur noch durch dunkle Flecken zwischen ihren Bildschirmen angedeutet sind. Bunte Punkte verweisen auf diverse Lämpchen und Knöpfe, wie sie am Arbeitsplatz rechts im Vordergrund erkennbar sind. Der Raum verschwimmt nach hinten zu einer dunklen Masse, ein Exit-Schild leuchtet im Hintergrund und hebt sich davon ab. Generell wirkt das Gemälde um einiges beruhigter als die Atmosphäre, die McMahon in „The Eagle has Landed!“ einfängt. Der abgedunkelte Raum, der eigentlich nur aus Maschinen besteht, lenkt den Blick auf die Arbeitenden. Gegensätzlich zu Rockwells Behind the Apollo 11 entsteht durch die Perspektive auf die Personen eine gewisse Anonymität, wodurch sie, wie bei McMahon, nicht identifizierbar sind. Sie können in ihrer repräsentativen Funktion höchstens mit den anonymen Arbeiter:innen mit Helmen zwischen den bekannten Persönlichkeiten bei Rockwell gleichgesetzt werden. Durch ihre Arbeit, die nicht in der Öffentlichkeit steht, treten sie neben den oftmals heroisierten Astronaut:innen in den Hintergrund. Kunstwerke wie „The Eagle has Landed!“ und Firing Room zeigen die Arbeitsatmosphäre auf und offenbaren den Betrachtenden einen Bereich, der für die Ausführung der Raumfahrtmissionen elementar ist. Auch wird hier noch einmal mehr bewusst gemacht, dass hinter einigen repräsentativen Charakteren eine große Menge an Mitarbeitenden steckt, die die Raumfahrt erst ermöglichen. Anders als bei Rockwell oder McMahon werden in Firing Room weder bestimmte Personen noch Institutionen durch Symbolik aufgegriffen und es findet keine patriotische Werbung statt.

Abb. 5: James Wyeth: Firing Room, 1969, Wasserfarben auf Papier, 45,7 x 63,5 cm, Washington, D.C., Smithsonian National Air and Space Museum. Abbildungsnachweis: Hereward Lester Cooke und James Dean: Eyewitness to Space. Paintings and Drawings related to the Apollo Mission to the Moon. Selected with a few Exceptions, from the Art Program of the Nation Aeronautics and Space Administration (1963 to 1970), New York 1971, S. 195

Robert Rauschenberg (1925–2008) nutzt eine andere Form der Dokumentation, indem er mit Hilfe seiner für ihn typischen Technik mehrere Abbildungen collagenhaft in seinen Lithografien vereint. Aus seinen Beobachtungen vor Ort und dem Zugriff auf das Fotoarchiv der NASA entsteht zwischen 1969 und 1970 die Stoned Moon Series, deren Gegenstand die Mondlandung ist. Die Serie umfasst insgesamt dreiunddreißig Lithografien und wird im Gemini G. E. L. in Los Angeles hergestellt.23

Abb. 6: Robert Rauschenberg: Local Means (Stoned Moon), 1970, Lithografie, 82,2 x 110 cm, New York, Robert Rauschenberg Foundation. Abbildungsnachweis: Robert Rauschenberg Foundation New York, URL: https://www.rauschenbergfoundation.org/art/artwork/local-means-stoned-moon (20.09.2020).

Die Lithografie Local Means (Stoned Moon) von 1970 ist dieser Serie zugehörig und zeigt den Start der Rakete im Zentrum, umgeben von Ausschnitten der Landschaft um das Cape Canaveral (Abb. 6). Die Collage ist in verschiedene Ebenen gegliedert, die sich gegenseitig überlagern und durch bemalte Stellen ergänzt werden. Der weiße Grund ist mit organisch geformten blauen Flächen und dunkelgrauen bis schwarzen Elementen technischer Sujets, wie Details aus Fotografien der Rakete auf der Startrampe (links), des Starts selbst (mittig) und eines Reihers (rechts), bedeckt. Rauschenberg verbindet das technische Sujet mit der Natur, die den Raketenstart umgibt und erstellt damit eine fast poetisch anmutende Kompilation. Die Raketen stehen parallel zu der Darstellung des Reihers, der sie sogar in der Größe leicht überragt und in der Inszenierung besonders der Rakete neben ihm gleicht. Beide Objekte sind von Wasser und Pflanzen umgeben und recken sich senkrecht in die Höhe. Eine Assoziation der Rakete mit dem flugfähigen Tier liegt hier nahe.24 Auch zuvor nutzt Rauschenberg diesen Vergleich. In seinem Stoned Moon Book schreibt er über den Start der Rakete:25

„On a grassy hill seeing for the first time perched

Apollo projecting calm, quiet and upright.

[…]

The bird’s nest bloomed with fire and clouds.

Softly. Largely and slowly and silently

Apollo 11 started to move up.

Then it rose being lifted on light.

Standing mid-air it began to sing happily“26

Rauschenberg assoziiert die wolkenförmige Explosion während des Raketenstarts mit dem Nest eines Vogels und beschreibt die Rakete nach ihrem Start als fröhlich singend. Dieser Vergleich entspricht einem Euphemismus des Donnerns und Dröhnens eines Raketenstarts und übersetzt das technische Sujet in die Natur, wodurch die scheinbar in der Luft stehende Rakete durch die Ähnlichkeit mit dem Habitus eines Vogels poetisiert wird. 

Local Means taucht in derselben Anordnung auch in seinem früheren, oft rezipierten Werk Sky Gardens (Stoned Moon) von 1969 auf (Abb. 7).27 Der Fokus liegt hier auf einer Konstruktionszeichnung der Saturn 5-Rakete, die für die Mondlandung eingesetzt wurde. Sie erstreckt sich über das ganze Bild und mag für das lange horizontale Bildformat ausschlaggebend sein. Die rote Farbe, die die Rakete umgibt, lässt sich zusammen mit dem oberen blauen Bildteil mit den Farben der amerikanischen Flagge assoziieren. Unterstützt wird dieser Vergleich durch die rot-weiß gestreiften Elemente links im Bild, bei denen es sich wahrscheinlich um den wallenden Stoff von Fallschirmen handelt. Im Vergleich zu den oben betrachteten Beispielen wird die Flagge so auf eine indirekte Art und Weise in das Kunstwerk integriert.

https://www.rauschenbergfoundation.org/sites/default/files/styles/zoom/public/images_artwork/69.E009.jpg?itok=RgDubsVw&slideshow=true&slideshowAuto=false&slideshowSpeed=4000&speed=350&transition=fade

Abb. 7: Robert Rauschenberg: Sky Gardens (Stoned Moon), 1969, Lithografie, 226,7 x 106,7 cm, Washington, D.C., Smithsonian National Air and Space Museum. Abbildungsnachweis: Ausst. Kat. NASA/ Art. 50 Years of Exploration, Washington, D.C. (Smithsonian National Air and Space Museum) 2008, S. 75

Eine genaue Betrachtung von Sky Gardens hilft dabei ein Element von Local Means identifizieren zu können. In beiden Lithografien ist eine runde Plakette zu erkennen. Während das Motiv in der letzteren Darstellung nur leicht zu erahnen und an manchen Stellen übermalt ist, lässt die genauere Ausführung bei Sky Gardens Rückschlüsse auf die Identität des Objekts zu. Die runde Scheibe trägt oben die Inschrift FROM PLANET EARTH und unten das Datum JULY 1969 und stellt die Plakette der sogenannten Apollo-11-Goodwill-Botschaften dar. Dabei handelt es sich um eine Silikon-Scheibe von der Größe eines 50-Cent-Stücks, die auf dem Mond hinterlassen wurde und Aussagen von Führungspersönlichkeiten aus 73 Ländern der Welt enthält. Die Nachrichten wurden um das Zweihundertfache verkleinert und auf die Plakette geprägt, sodass sie auf der Scheibe lediglich kaum sichtbare Punkte bilden.28 Aufgrund dessen ist eher von einer symbolischen Intention auszugehen. Die beiden Lithografien bestehen aus vielen verschiedenen Komponenten der Apollo-11-Mission, der auch die Plakette zugehörig ist.

Betrachtet man Rauschenbergs Lithografien im Vergleich mit Werken wie Firing Room, wird deutlich, wie unterschiedlich vermeintlich dokumentarische Darstellungen über dasselbe Ereignis sein können. Während Wyeth das Raumfahrtprogramm aus der Perspektive der wissenschaftlichen Mitarbeiter präsentiert, ist Rauschenbergs Darstellung direkt auf die Bestandteile der Mondlandung fokussiert. So gehen die Lithografien der Stoned Moon Series über eine reine Momentaufnahme hinaus und liefern einen Eindruck des Ereignisses der Mondlandung in seiner ganzen Komplexität. Die künstlerische Inszenierung übersteigt dabei die dokumentierende Fotografie in ihrer ästhetischen Kraft.

Das NASA Art Program, das auch heute noch besteht, existiert nun in einer anderen Form und ist inaktiver als in den Jahren um die Mondlandung. Zwar haben sich seitdem die Techniken und Möglichkeiten der Dokumentation stets weiterentwickelt, dennoch ist auch heute noch der künstlerische Blick auf das Thema der Raumfahrt von Relevanz. Circa sechzig Jahre nach der Gründung des Programms ist es wünschenswert, dass im Kontext vorangeschrittener Forschung auch das Kunstprogramm neuen Zuwachs erhält und Künstler:innen Zeug:innen weiterer Erster Male werden können, wie beispielsweise von der möglichen Marslandung, die sich nach und nach abzeichnet. 

Der Astronaut Michael Collins verweist auf ein Problem der künstlerischen Rezeption in den astronautischen Wissenschaften, das auch beim Ersten Mal der Mondlandung 1969 besteht.

„So far, artists have remained stuck on the ground […]. I am looking forward to the day when the artists will be able to look out of the astronauts window, and share the breathtaking view […] the artist must join the astronaut in space […]”.29

Es bleibt zu hoffen, dass in der Zukunft Künstler:innen die Möglichkeit bekommen, ihren Arbeitsraum auf das Weltall auszudehnen und dadurch eine neue, noch interessantere Verbindung von Wissenschaft und Kunst resultieren kann.


Biografie

Anne Volk

Anne Volk studiert Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, wobei ihr besonderes Interesse sozialen Zusammenhängen und gendertheoretischen Aspekten innerhalb der Kunst gilt. In ihrer Bachelorarbeit mit dem Titel Das NASA Art Program. Raumfahrt in der Kunst zwischen Dokumentation und Heroisierung beschäftigte sie sich mit Glorifizierungsstrategien innerhalb der NASA.