Left in the dark, 2024 – Anina Göpel

Anina Göpels Projekt LEFT IN THE DARK setzt sich mit Karikaturen und Fotografien zur Kolonialgeschichte in deutschen Schulbüchern auseinander, die teilweise rassistische, diskriminierende und stereotype Vorstellungen vermitteln. Die Arbeit unternimmt den Versuch einer Auseinandersetzung mit den Darstellungen, ohne diese dabei abzubilden. Ausgangspunkt für die Arbeit ist das theoretisch-künstlerische Forschungsprojekt BLACK NOISE / WHITE NOISE von Dieter Daniels, Angelika Waniek und Frederike Moormann an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, bei dem sich die Studierenden mit Aspekten der Kolonialgeschichte beschäftigten.

Anina Göpels Projekt LEFT IN THE DARK setzt sich mit Karikaturen und Fotografien zur Kolonialgeschichte in deutschen Schulbüchern auseinander, die teilweise rassistische, diskriminierende und stereotype Vorstellungen vermitteln. Die Arbeit unternimmt den Versuch einer Auseinandersetzung mit den Darstellungen, ohne diese dabei abzubilden. Ausgangspunkt für die Arbeit ist das theoretisch-künstlerische Forschungsprojekt BLACK NOISE / WHITE NOISE von Dieter Daniels, Angelika Waniek und Frederike Moormann an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, bei dem sich die Studierenden mit Aspekten der Kolonialgeschichte beschäftigten.

Bei der Recherche zu den Geschehnissen in Südwest – und Ostafrika zum Ende des 19. Jahrhundert, wird deutlich, dass die Dokumentation seitens der Kriegsverbrecher zum Teil unter einer Decke von Euphemismen und Umschreibungen liegt. Christoph Kamissek zeigt in seiner 2014 erschienen Biografie von Lothar von Trotha, das verzerrte Selbstverständnis des Generalleutnants (1848-1920). Trotha beschreibt die deutsche Kriegsführung, die 1904 zum grausamen Tod von ca. 65.0000 Hereros und Namas führte als „rücksichtslose Tapferkeit“. Dies argumentierte er mit seiner bekannten und genauso unfassbaren Aussage: „Ich kenne genug Stämme in Afrika. Sie gleichen sich alle in dem Gedankengang, daß sie nur der Gewalt weichen.“ Die deutschen Kriegsverbechen auf diesem Gebiet seien nach Throtha als „Erschließung und Erforschung des Landes“ zu verstehen – alles unter dem Begriff der „Expansions- und Abenteuerpolitik“.1

Derartige geschichtliche Verzerrungen scheinen bis heute nicht abgeschlossen zu sein. Dies zeigt sich auch bei einem Blick in die Schulbücher. Kessete Awet beschäftigt sich in seiner Publikation von 2018 mit der Darstellung der Subsahara Afrikas im deutschen Schulbuch. Nach seinen Angaben werden hier Kolonialherren zum Teil als Siedler:innen bezeichnet. Ebenso wie in den Aussagen von Generalleutnant Lothar von Trotha ist auch in den Schulbüchern von dem gesamten Kontinent „Afrika“ die Rede, sodass Stereotype und eine monoperspektivische Sichtweise eher verstärkt statt abgebaut werden.2

Da sich der Artikel von Kessete Awet nur auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen bezieht, wurden für das Projekt LEFT IN THE DARK noch sechs weitere Schulbücher aus unterschiedlichen Bundesländern und Schularten betrachtet und selbst analysiert (siehe Liste am Ende). In einem Geschichtsbuch für Brandenburger Gymnasien von 2017 wird die „Unterjochung“ der Völker der Verbreitung der europäischen Zivilisation gegenübergestellt und die Bilanz des Kolonialismus widersprüchlich erklärt. Den Gymnasiast:innen werden die hegemonialen, rassistischen und verbrecherischen (post-)kolonialen Strukturen hier als historisches Phänomen mit Vor- und Nachteilen vermittelt. Inhaltsabschnitte im bayerischen Geschichtsbuch für Realschulen von 2003 lauten „Der ‚Wettlauf‘ um Kolonien.“, „Grundlagen und Motive imperialistischer Politik.“ oder „Afrika- Ein Kontinent wird verteilt.“. Die im Geschichtsbuch für bayrische Gymnasien von 2020 zu findende Definition des Imperialismus betrachtet diesen sehr neutral mit ausschließlich dem negativen Aspekt des Rassismus: „Grundlegender Begriff Imperialismus: Streben von Staaten nach weltweiter politischer Machtausdehnung und wirtschaftlichem Einfluss im ausgehenden 19. und beginnenden 20.Jh., z.B. durch die Gründung von Kolonien, dabei spielten auch religiöses und kulturelles Sendungsbewusstsein sowie rassistische Einstellungen eine Rolle.“ 

Gemeinsam mit dem Grundkurs Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig wurden die sechs Schulbücher analysiert und problematische Inhalte gekennzeichnet. Dabei stieß einem Kommilitonen vor allem ein Bild ins Auge, das er als verletzend und unangemessen empfand. Im Geschichtsbuch (2020) für bayerische Gymnasien wurde im Inhaltsverzeichnis neben dem Kapitel „Imperialismus und Erster Weltkrieg“ eine Karikatur ohne kontextuelle Beschriftung eingesetzt, die rassistische und zynische Aussagen enthält. Sie zeigt weiße Männer, die auf ihrem Rücken Menschen mit landestypischer Kopfbedeckung oder schwarzer Haut auf einen Berg mit der Aufschrift „Zivilisation“ tragen. Darunter steht in englischer Sprache der Titel: „Die Bürde des weißen Mannes“. 

Aufgrund dieser Eindrücke legte sich der Fokus der eigenen Projektarbeit auf den Einsatz kolonialer Bilder in Schulbüchern. Die Geschichtsbücher zeigen alle mehrfach Fotos gefesselter Hereros neben weißen Kolonialherren oder entwürdigende Illustrationen von diskriminierten Bevölkerungsgruppen. Aber auch aktuelle Abbildungen zeigen schwarze Personengruppen oft in ärmlichen Verhältnissen neben weißen Menschen in einer helfenden oder lehrenden und erhabenen Position. Man sieht schwarze Kinder halb bekleidet oder in stereotypierter Bekleidung und Bemalung. Eine Bildüberschrift lautet: „Ungewollt schwanger?- Aufklärungsbemühungen in Afrika.“ Die Abbildung eurozentristischer und rassistischer Inhalte führt zur Reproduktion hegemonialer Strukturen und zu Stigmatisierung. Deshalb wird in dieser Arbeit untersucht, woher diese Bilder kommen und wer darüber verfügen darf. Die Recherche ergab, dass unterschiedliche Archive als Quelle dienten, die alle eine Gemeinsamkeit teilen: ihr europäischer und meist kommerzieller Hintergrund. Genutzte Bildagenturen wie gettyimages -„Storytelling, das bewegt“3 oder mauritius images -„pictures your vision“4 werben mit ihren bis zu 180 Millionen „frischen, kreativen und aktuellen Motiven aus den Bereichen Travel, Nature, Lifestyle und People“5 und darunter befindlichem „historische[n] Bildmaterial mit dokumentarischem Charakter“. Eine Quelle wurde in den Schulbüchern besonders häufig verwendet. Dabei handelt es sich um das europäische Unternehmen ullstein bild -“Leuchtturm für Zeitgeschehen & Zeitgeschichte“6 , welches unter dem Dach der Axel Springer Syndication GmbH steht.

Mit der Umsetzung der Recherche in ein künstlerisches Projekt, stellte sich die Frage, wie der unreflektierte und zum Teil kontextlose Einsatz kolonialer Bilder kritisiert werden kann, ohne das Material selbst zu reproduzieren. Dafür werden die sechs Schulbücher in einem schwarzem Umschlag ausgestellt und von innen verklebt, sodass man sie nicht öffnen kann. Dahinter ist eine Karte installiert, die die Bildbeschriftungen und Quellen des kolonialen Bildmaterials aufzeigt. 

An der Hochschule für Grafik und Buchkunst wurden die Ausstellung präsentiert, welche sich mit Bildern aus unserer Vergangenheit und unserem Alltag im Allgemeinen beschäftigt. Dabei werden die Betrachter:innen dazu aufgerufen, sich mit erlernten Bildern und ihrer persönlichen, visuellen Prägung auseinanderzusetzen. 

An der Hochschule für Grafik und Buchkunst wurden die Austellung präsentiert, welche sich mit Bildern aus unserer Vergangenheit und unserem Alltag
im Allgemeinen beschäftigt. Dabei werden die Betrachter:innen dazu aufgerufen, sich mit erlernten Bildern und ihrer persönlichen, visuellen Prägung aus-
einanderzusetzen.  © Anna Göpel
 © Anina Göpel

AUSBLICK: Methodisches Verfahren zur Auswertung eines Kolonialbildes von Kokou Azamede

Da koloniale Bildinhalte fest integrierter Bestandteil unserer Gesellschaft sind und uns immer wieder begegnen werden, ist es sinnvoll sich mit ihrer Betrachtung auseinander zusetzen. Dafür gibt der Germanist und Historiker Kokou Azamede eine wichtige Orientierung. Er doziert an der Universität Lomé in Toto und forscht im Bezug auf die Dekonstruktion des imperialen Blickes und die defizitäre Kontextualisierung von Kolonialbildern. Werden zum Beispiel ein „Kolonialherr“ und ein afrikanischer Arbeiter zusammen gezeigt, wird zumeist nur die erste Person namentlich genannt und die zweite in generellen Stereotypen präsentiert. Bilder von Afrikaner:innen, die von Europäer:innen gemacht wurden, erzählen zumeist verzerrte Stereotype einer kolonialen Exotik. Zu einer sensiblen Präsentation des Materials gehören nach Azamede nicht nur historische, sondern auch soziale und kulturelle Hintergrundinformationen. Zudem entwickelte er ein methodisches Verfahren, um Kolonialbilder sinnvoll und diskursiv zu reflektieren. In dem Schema liest man zunächst die schon bestehenden Informationen zu dem Kolonialbild, dann beschreibt man die Person(en), Objekte und deren Umgebung auf dem Bild. Erst danach wird der Inhalt auf Basis der vorherigen Schritte interpretiert oder kommentiert. Die Interpretation erfolgt auf Grundlage der Lebensgeschichte der Personen, der dort lebenden Tiere, der benutzten Dinge, der Landschaft, der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, religiösen und/oder politischen Umgebung, in denen das Bild aufgenommen wurde. Dabei soll der Kommentar wie eine Antwort auf Fragen formuliert sein, die sich durch die Bildbeschreibung stellen lassen. Außerdem kann er sich mit persönlichen Vorurteilen und dem postkolonialen Einflüssen auf die eigene Wahrnehmung auseinandersetzen.7

SCHULBÜCHER BEISPIELE

  • Entdecken und verstehen – Geschichtsbuch – Realschule Bayern – 9. Jahrgangsstufe – 2003
  • Menschen-Zeiten-Räume – Arbeitsbuch für Gesellschaftslehre – Differenzierende Ausgabe NordrheinWestfalen – Band 2: 7./8. Schuljahr – 2013
  • Menschen-Zeiten-Räume – Arbeitsbuch für Gesellschaftslehre – Differenzierende Ausgabe NordrheinWestfalen – Band 3: 9./10. Schuljahr – 2013
  • Forum Geschichte – Neue Ausgabe – Gymnasium Bayern – 8. Jahrgangsstufe – 2020
  • Horizonte – Geschichte für Gymnasium in Berlin und Brandenburg – Schülerband 9 – 2018
  • Geschichte und Geschehen 7/8. Ausgabe Gymnasium in Berlin und Brandenburg – 2017

Biografie

ANINA GÖPEL ist ausgebildete Lehrerin für die Fächer Pädagogik, Psychologie und Kunst. Derzeit ist sie als Kunstlehrkraft am Gymnasium tätig. An der Hochschule für Grafik und Buchkunst ist sie im Zweitstudium Medienkunst eingeschrieben. Ihre Forschungsinteressen liegen im Verlernen hegemonialer Strukturen und der Entwicklungspsychologie. Dabei nutzt sie für ihre künstlerische Praxis neben dem artistic research und der konzeptuellen Installation auch digitale Medien wie 3D-Drucke und Videoarbeiten.

Fußnoten

  1. Christoph Kamissek: „Ich kenne genug Stämme in Afrika“: Lothar von Trotha – eine imperiale Biographie im Offizierkorps des deutschen Kaiserreiches. In: Geschichte und Gesellschaft, 40. Jahrg., H. 1, Imperiale Biographien (Januar – März 2014), S. 67-93.
  2. Kessete Awet: Die Darstellung Subsahara-Afrikas im deutschen Schulbuch. Gesellschaftslehre, Erdkunde, Geschichte und Politik der Sekundarstufe I(Gesamtschule) in Nordrhein-Westfalen, Berlin 2018.
  3. getty images: Über uns, URL: http: https://www.gettyimages.de/ueber-uns (11.04.2024).
  4. mauritius images: About us, URL: https://www.mauritius-images.com/de/aboutus (11.04.2024).
  5. Ebd.
  6. ullstein bild: Über uns, URL: https://www.ullsteinbild.de/ueber-uns–portfolio (11.04.2024).
  7. Kokou Azamede: How to use Colonial Photography in Sub-Saharan Africa for Educational and Academic Purposes.The case of Togo. In: Helff S. & Michels, S. (Hrsg.): Global Photographies Memory – History – Archives, Bielefeld, 2018, S. 57-69.