Macht und Ohnmacht in der Kunstpädagogik: Weiße Räume beleuchten, 2023 – Sarah John

Sarah Johns Essay Macht und Ohnmacht in der Kunstpädagogik: Weiße Räume beleuchten, behandelt das Feld der Kunstpädagogik und -Vermittlung aus der Perspektive der Critical Whiteness Theorie Toni Morrisons. Noch heute sind die Räume, in denen kulturelles Wissen vermittelt wird, geprägt von rassistischen und kolonialen Denkmustern. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, als Weiße Kunstvermittlerin die eigene Rolle im Arbeitsumfeld zu hinterfragen. Durch den Fokus auf dem Gegenstand des Weiß-Seins und seinen Ausschlussmechanismen in der Kunstpädagogik sollen Machtstrukturen und damit verbundene Privilegien und Einschränkungen erkannt werden.

Kunstvermittler:innen haben Macht. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass Kunstvermittlung und kulturelle Vermittlungsarbeit Schlüsselfaktoren in der Gestaltung kultureller Machtverhältnisse sind. Sie tragen dazu bei, welche Kunstwerke und Künstler:innen in den Fokus geraten, steuern, wie Kunst interpretiert wird, und gestalten somit kulturelle Narrative. Dies kann politische und soziale Machtstrukturen stärken oder hinterfragen, indem sie vor allen Dingen den Zugang zu kultureller Bildung beeinflussen. Kunstvermittlung hat somit die Macht, sowohl Katalysator für Veränderungen als auch Instrument der Stagnation zu sein.

Um eben diese Machtstrukturen zu hinterfragen, gibt es in der Kunstpädagogik zunehmend ein Bewusstsein dafür, diskriminierungs- und diversitätssensibel zu arbeiten. Jedoch erfolgt der Großteil vor allem rassistischer Diskriminierung eben nicht explizit und ist somit auch schwieriger zu erkennen, vor allem im eigenen Verhalten. So findet Alltagsrassismus selbstverständlich auch Einzug in die kulturelle Vermittlungsarbeit.

In diesem Text möchte ich mir selbst und anderen die Frage stellen: Wie erkenne und reflektiere ich als Weiße Kunstvermittlerin und Lehrende meine Weißen Privilegien und die Macht, die ich durch diese habe?

Einen Ansatz stellt die Forschung der „Critical Whiteness Studies“ dar. Critical Whiteness, zu Deutsch: kritisches Weißsein, bezeichnet eine Unterkategorie der Rassismusforschung, in der der Fokus, im Gegensatz zur gängigen Forschung umgedreht wird und so „Weiße Menschen“ und „Weißsein“ als Hauptgegenstand der Forschung betrachtet wird. Die Theorie hat ihre Ursprünge in den 1960er Jahren in den in den USA und in der Bewegung gegen die „Rassentrennung“. Die afroamerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison legte mit ihrer Essaysammlung die Grundlage für die „Critical Whiteness Studies“ und forderte dazu auf, die Menschen in den Blick zu nehmen, die rassistische Hierarchien erzeugen und Nicht-Weiße ausgrenzen. Zuvor beschäftigte sich bereits die Erziehungswissenschaftlerin Peggy McIntosh mit eben diesen Privilegien, die Weiße Menschen alltäglich begleiten, wie eine Art „unsichtbarer Rucksack“. Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen versuchen diesen neueren Ansatz seit circa zehn Jahren in Deutschland zu etablieren, doch bislang nimmt die kritische „Weißseinsforschung“ eine akademische Außenseiterrolle ein. Ein Grund hierfür könnte sein, dass es einfacher ist, sich mit anderen zu beschäftigen als mit sich selbst. Eigene Privilegien in Frage zu stellen ist unbequem und löst schnell Wut und Frustration aus. Es ist einfacher darüber zu sprechen, welche konkreten rassistischen Erfahrungen People of Color machen müssen, ohne einen Zusammenhang zum eigenen Verhalten als Weiße Person mit den entsprechenden Privilegien zu ziehen. Um das eigene Selbstbild zu schützen, wird vermieden darüber nachzudenken, was man selbst zu diesen Erfahrungen beiträgt. Die Whiteness-Kritik untersucht Rassismus so nicht nur als Unterdrückungsmechanismus, sondern betont eben den Mechanismus der Privilegierung, wodurch eine erweiterte Perspektive auf Rassismus als gesellschaftliches Machtverhältnis entsteht. Grundsätzlich sollten sich Weiße damit auseinandersetzen, dass auch ihre Hautfarbe nicht unsichtbar ist, auch sie eine „Race“ haben und dass diese ebenso Auswirkungen auf ihre Lebenssituation hat wie bei People of Color. Mit einigen grundlegenden Unterschieden: Die einen werden wegen ihres Aussehens oder ihrer vermeintlichen ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, während die anderen Privilegien erfahren.1 Für die Betrachtung der Critical Whiteness in der kulturellen Vermittlungsarbeit ist es wichtig kulturelle Räume und Institutionen auch als „Weiße Räume“ zu sehen. Es handelt sich um Räume zu denen Nicht-Weiße Personen einen schwierigeren oder gar keinen Zugang haben und auch in den Institutionen selbst Diskriminierung erfahren. Es kann sich dabei um Schulen und Behörden, aber eben auch um (Kunst-)Museen und Galerien handeln. Diese Weißen Räume sind in Anlehnung an eine Metapher von Sarah Ahmed als eine Art altes Möbelstück beschreibbar, das sich an den Weißen Körper anschmiegt.2

„In other words, whiteness may function as a form of public comfort by allowing bodies to extend into spaces that have already taken their shape. Those spaces are lived as comfortable as they allow bodies to fitin; the surfaces of social space are already impressed upon by the shapeof such bodies. We can think of the chair beside the table. It mightacquire its shape by the repetition of some bodies inhabiting it: we canalmost see the shape of bodies as ‘impressions’ on the surface.“3

Die Analogie der „auf den Weißen Körper abgestimmten Passform“ verdeutlicht, wie Weiße Räume und Institutionen gestaltet sind, dass sie Weißen Menschen eine Art automatischen Komfort bieten, indem sie in Räume eintreten können, die bereits ihre Form angenommen haben. Diese Räume erscheinen bequem, da sie sich den Körpern anpassen und die sozialen Oberflächen bereits von der Form solcher Körper geprägt sind.

So stellen beispielsweise Kunstmuseen und Galerien eines der (meist) Weißen Systeme dar, in denen Kunst und Kultur vermittelt werden. Mit diesen Lehrstätten verbindet man Aufklärung – und nicht Diskriminierung. Ein Blick hinter die Fassaden offenbart aber ein anderes Bild, wie Susanne Pfeffer, Direktorin des Museum für Moderne Kunst, Frankfurt, beschreibt:

„Ich denke, dass für ein Museum der Gegenwart auch wichtig ist, dass man ein Bewusstsein darüber hat, das ist natürlich das Museum, ein Ort des Zeigens, aber auch ein Ort des Nichtzeigens ist. Und dieses Bewusstsein ist, glaube ich, sehr wichtig, um sich letztendlich der blinden Flecke, die natürlich eine Gesellschaft, auch ein Museum und natürlich ein Direktor, eine Kuratorin auch haben, bewusst zu sein.“4

Um die Vermittlungsarbeit in Kunstmuseen und Galerien als Weißen Raum genauer zu betrachten, ist es sinnvoll, zunächst Kunstinstitutionen als Ganzes als Weiße Räume zu sehen. Trotz des Anspruchs, Orte der kulturellen Vielfalt und des kritischen Diskurses zu sein, sind rassistische Machtstrukturen auch hier tief verankert, und die Umsetzung dieser Ansprüche bleibt oft mangelhaft. Es handelt sich dabei nicht nur um die Neugestaltung der Kunstgeschichte im Sinne der Rassismuskritik oder um die Repräsentation von Schwarzen Künstler:innen in Ausstellungen und Sammlungen. Die Missstände im Kunstbetrieb reichen viel tiefer. Ein Grund, weshalb Museen trotz steigender Sensibilität Weiße Räume bleiben, ist, dass der allergrößte Teil der Entscheidungsträger:innen in Museen Weiße sind und durch sowohl impliziten und expliziten Rassismus Nicht-Weiße Menschen seltener in diesen Positionen angestellt werden. Dies zeigt sich beispielsweise in den veröffentlichten „Diversity Profiles“ der Tate Galleries, bei denen in den oberen drei Beschäftigungsgruppen weniger als zehn Prozent BAME-Vertretung (Black, Asian, and minority ethnic) zu finden sind. Ebenfalls zeigen Statistiken, dass insgesamt wesentlich weniger Ausstellungen von BIPoC-Künstler:innen präsentiert werden und deren Werke weniger häufig erworben werden. Sowohl auf lokaler als auch auf bundesweiter Ebene gibt es allerdings Bemühungen, die darauf abzielen, Nicht-Weiße Perspektiven in die Praxis von Museen zu integrieren und bislang übersehene Aspekte sichtbar zu machen. Ein Beispiel hierfür ist das Historische Museum in Berlin, welches im Jahr 2016 eine Ausstellung zum deutschen Kolonialismus präsentierte. In dieser Ausstellung arbeitete erstmals die „Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland“ aktiv mit. Ebenso präsentierte das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main im Jahr 2018 in der Ausstellung „Weil ich nun mal hier lebe“ künstlerisch-dokumentarische Werke von Migrant:innen.5 Jedoch kann diese selektive Sichtbarmachung kultureller Diversität auch dazu führen, dass die Ausgrenzung von People of Colour gegenwärtig nicht nur nicht abgebaut wird, sondern durch Begriffe wie ‚Offenheit‘, ‚Inklusion‘ und ‚Diversität‘ übertüncht wird. Diese Floskeln hören sich zwar progressiv an, hinter ihnen stehen jedoch kaum bis keine echten Veränderungen und Selbstreflexionen, womit sie ein wirkungsvolles Instrument für das Nicht-Hinterfragen eigener Weißer Privilegien darstellen. Zusätzlich wird Rassismus innerhalb von Institutionen verharmlost, indem er als Resultat individueller Gefühle definiert wird, und nicht als strukturelle Problematik. Daraus erfolgt eine Loslösung von den Weißen Privilegien, aus denen heraus Rassismus ja erst entsteht. So wird es für Institutionen unmöglich, eine rassistische Situation als solche anzuerkennen, da diese ja nicht etwas bekämpfen können, dessen Existenz sie verleugnen. Durch diese Ignoranz sind alle Voraussetzungen dafür erfüllt, systematischen Rassismus an Institutionen zu schüren und aufrechtzuerhalten.6

Um konkrete Überlegungen zur Vermittlung eines kritischen Weißseins in der kunstpädagogischen Praxis anzustellen, ist es notwendig zunächst eben diese Weißen Privilegien zu benennen. Als Ausdruck von Rassismus lassen sich Weiße Privilegien in allen gesellschaftlichen Bereichen finden.      
Davon ist auch die Institution Schule nicht ausgenommen, die neben Kunstmuseen und ähnlichen Institutionen einen großen Teil der kulturellen Bildung liefert. Zahllose Berichte, Studien und Beiträge geben Beispiele dafür, wie die Rassismusrealität an Schulen aussieht und in welchen Bereichen Schwarze Menschen und People of Color in der Schule tagtäglich benachteiligt werden. Dies gilt für alle schulischen Personengruppen gleichermaßen, für Schüler:innen, Lehrkräfte, Schulleitungen, anderes pädagogisches Personal, sowie Eltern. Die Weißen Privilegien existieren nur, weil Schüler:innen bzw. Lehrkräfte mit Rassismuserfahrung in diesen Zusammenhängen Benachteiligung erleben. Demnach lassen sich aus allen aufgeführten Weißen Privilegien Diskriminierungen von Schwarzen Menschen und People of Color ableiten. Die genannten Beispiele für schulische Strukturen lassen sich jedoch auch ohne größere Änderungen auch auf ähnliche Vermittlungskontexte übernehmen. Ein Privileg, das Weiße Schüler:innen erfahren, ist, dass sie mit Bildungsmaterialien lernen, die Weiße Menschen adressieren, die von und für Weiße erstellt werden. Es herrschen Wissensbestände vor, die von und für Menschen, die selbst Weiß sind, (re)produziert werden und die Weiße Menschen als Norm darstellen, zentrieren und aufwerten. Weiße Schüler:innen können so beispielsweise in Schulbüchern, Postern, Bibliotheken und Geschichten eine Auswahl an positiven, nicht-stereotypen Vorbildern und Identifikationsfiguren finden, die, wie sie, Weiß sind. Sie finden Menschen, die, wie sie, Weiß sind, nicht in der Rolle des Opfers oder Außenseiters, sondern als selbstbestimmte Akteur:innen. Durch diese Darstellungen lernen Weiße Schüler:innen in der Schule, dass sie ihr Weiß-Sein und weiße Privilegien als selbstverständlich und normal betrachten können. Außerdem können Weiße Schüler:innen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ihre Mitschüler:innen, Lehrkräfte und anderes pädagogisches Personal, wie sie, Weiß sind. Sie können also damit rechnen, dass sie nicht automatisch als fremd betrachtet werden und erfahren im Schulalltag ein gewisses unhinterfragtes Zugehörigkeitsgefühl von Vertrautheit und Sicherheit. Sie können so ebenfalls darauf vertrauen nicht mit rassistischen Fremdbezeichnungen angesprochen zu werden und sie können sicher sein, aufgrund ihres Weiß-Seins anderen nicht erklären zu müssen, wo sie herkommen bzw. sie müssen sich nicht rechtfertigen, weshalb sie in ihrem eigenen Land leben. Wenn ihre Leistungen bewertet werden oder sie niedrige Leistungsbeurteilung erfahren, müssen Weiße Schüler:innen sich bei schlechten Noten nicht fragen, ob für die Benotung ihr Weiß-Sein eine Rolle spielt. Generell ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Leistungen von Weißen Schüler:innen im Vergleich zu Nicht-Weißen, als besser eingeschätzt werden. Weiße Schüler:innen können sich insgesamt sicher sein, dass ihre schulischen Leistungen nicht aufgrund von Rassismus in der Schule beeinträchtigt werden. Darüber hinaus arbeitet ihr Weiß-Sein dafür, dass sie als Individuen betrachtet werden und nicht als Repräsentant:innen aller Weißen. Sie werden nicht dazu aufgefordert, für alle Weißen zu sprechen, beispielsweise mit der Bitte, etwas dazu zu erzählen, was Weiße Menschen zu einem Thema sagen. Sie müssen auch keine Angst haben, dass andere, falls ihre Leistungen schwach ausfallen sollten, ihre rassistischen Stereotype darin bestätigt sehen. Und nicht zuletzt: Weiße Schüler:innen können sich entscheiden, Rassismus in der Schule zu ignorieren. Weiße Schüler:innen können sich gegen Rassismus einsetzen, wenn sie Lust dazu haben, und es wieder sein lassen, wenn es sie nicht mehr interessiert. Die genannten Punkte sind selbstverständlich nicht die einzigen Privilegien die Weiße im pädagogischen Vermittlungskontext erfahren und dienen lediglich als Grundlage für ein tieferes Verständnis der Problematik in der praktischen Anwendung.7

In der kulturellen Bildung gibt es ein zunehmendes Interesse an Fragestellungen von Diversität. Diese zeigen jedoch häufig kein echtes Interesse daran, marginalisierte Personen und vor allem deren Perspektiven in die eigene Institution aufzunehmen. So befinden sich viele Institutionen in einer Art sich selbst befeuernden Teufelskreis, bestehend aus dem Verleugnen von Rassismus und Diskriminierung und dem daraus folgenden „Nicht-Erkennen“ von rassistischen Strukturen. Als ersten Schritt um diesen Teufelskreis aufzubrechen, bedarf es also an Selbstreflexion und dem Hinterfragen der eigenen Weißen Privilegien. Dies ist jedoch nicht nur in diesen großen, strukturellen Zusammenhängen sinnvoll und wichtig, sondern ebenso in der konkreten pädagogischen Vermittlungsarbeit, etwa im Unterricht, Workshops oder anderen kulturellen Angeboten. Doch welche Möglichkeiten hat eine solche Weiß-normative Vermittlungsarbeit, auf Grundlage der Critical-Whiteness-Studies?

Um eine rassismuskritische Grundlage für die Vermittlung zu schaffen ist es sinnvoll, die eigene pädagogischen Praxis zu hinterfragen:

  • Ermögliche ich im Bildungssetting und mir selbst Prozesse der Selbstreflexion? 
  • Inwiefern bin ich in Bezug auf koloniale und rassistische Machtverhältnisse und den Verschränkungen mit anderen Machtverhältnissen sensibilisiert? 
  • Verwende ich rassismuskritische Sprache und kolonial- und rassismuskritische Materialien? 
  • Wen mache ich in meiner Vermittlung wie sichtbar?
  • Habe ich mit den Teilnehmer:innen Umgangsvereinbarungen ausgehandelt?
  • Können Emotionen und eigene Erfahrungen in meiner kulturellen Bildungsarbeit Raum haben, wie binde ich diese ein?
  • Welche Personen können unter welchen Bedingungen anwesend sein?

Der Ausgangspunkt ist hier stets, Weiße Selbstreflexion anzustoßen. Wer die bisherigen Tendenzen analysieren und verändern möchte, muss auch die eigene Position klären, und so ist ein erster Schritt, Weiße Privilegien zu benennen, auszusprechen und zu erklären und sich konkret vor Augen zu führen, was diese für sich und andere, vor allem für Nicht-Weiße bedeuten. Hierzu ist es wichtig von Anfang an rassismuskritische Sprache zu verwenden und diese auch von Teilnehmer:innen im gemeinsamen Umgang einzufordern. Ebenso ist es bedeutsam die pädagogische Praxis auf kolonialkritischen Materialien zu basieren und diese auf rassistische Strukturen zu hinterfragen, um nicht unbewusst koloniale Bilder weiterzugeben und zu verbreiten. Der koloniale Diskurs bleibt von den Lehrenden jedoch oft unerkannt. Über die verwendeten Materialien können Lehrende auch kontrollieren und hinterfragen, wen sie in ihrer Arbeit sichtbar machen. So können Schüler:innen nicht-stereotype Vorbilder und Identifikationsfiguren vorgestellt werden, die eben nicht Weiß sind, etwa People of Colour, die nicht in der Rolle des Opfers oder Außenseiters, sondern als selbstbestimmte Akteur:innen funktionieren. Im Sinne der Critical Whiteness ist es jedoch ebenso wichtig, auch koloniale Perspektiven zu präsentieren und entsprechend kritisch einzuordnen und zu hinterfragen, anstatt sie schlicht zu verleugnen. Grundsätzlich sollten machtkritische Perspektiven vermittelt werden, anstatt kolonialer Voyeurismus.  Konkret Rassismus, Kolonialismus und rassistische Diskriminierung als Thema in die kulturelle Vermittlungspraxis einfließen zu lassen ist besonders wichtig, sodass sich  alle, nicht nur POCs, unweigerlich damit auseinandersetzen müssen. Dies kann etwa durch Neukontextualiserungen von künstlerischen Sammlungen erfolgen. So untersucht das Vermittlungsprojekt „The Slave at the Louvre: An Invisible Humanity (2012)“ im Musée du Louvre, Paris, Teile der musealen Sammlung auf die Auswirkungen von Sklaverei und Kolonialismus in Frankreich. Das Führungskonzept verlagert den Blick von den ehemaligen Kolonien auf die europäische Kolonial-Metropole selbst und zeigt, dass europäische Kunst zur Konstruktion einer unsichtbaren Menschheit beitrug und immer noch beiträgt. Die geführten Besichtigungen sollen die Präsenz von durch Kolonialstrukturen versklavter Personen wiederherstellen und das lebendige Vermächtnis der Versklavten bewahren. Die geführten Besichtigungen konzentrierten sich jedoch nicht auf das Leben der Versklavten (die nur in wenigen Gemälden vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dargestellt wurden), sondern zeigen auf, wie das kulturelle und soziale Leben der überwiegend Weißen Gesellschaft von den Waren und Produkten der kolonialen Sklaverei durchdrungen war. In den Worten der Initiatorin des Projektes Françoise Vergès:

“The Slave at the Louvre” was designed to show visitors that the centuries of slave trade and slavery were not about “something over there,” but were also about their own society, about how their daily lives had been deeply transformed by sugar, tobacco, coffee, and cotton and about the birth of antiblack racism.”8

Allgemein wird deutlich, dass ein Perspektivwechsel nötig ist und es unbedingt notwendig ist Schwarze Menschen und andere POCs zu Wort kommen zu lassen. Betroffene von rassistischer Diskriminierung sollten so von Anfang an als Expert:innen in die Konzeption von Bildungsangeboten eingebunden sein und nicht nur als interessante Zusatzgäste. Dies können selbstverständlich auch Teilnehmer:innen oder Schüler:innen sein, die Rassismuserfahrungen gemacht haben. Auf die Weise ist es auch möglich diesen Emotionen und Erfahrungen einen Raum und Platz zu geben und sie in die Vermittlung einzubinden. Durch diese Darstellungen lernen Weiße Schüler:innen in der Schule ihr Weiß-Sein und Weiße Privilegien nicht als selbstverständlich zu betrachten und auch, dass  ihre Hautfarbe und „Race“ eine Rolle in ihrem Leben spielen.9

Um auf meine Anfangsfrage zur Bedeutung der eigenen Reflektion als Weiße Kunstvermittlerin zurückzukommen: Die Auseinandersetzung mit den eigenen Weißen Privilegien und der damit verbundenen Macht ist von entscheidender Bedeutung für Weiße Kunstvermittler:innen und Lehrende. Die Critical-Whiteness Forschung fokussiert sich auf eben diese Privilegien und deren Einfluss auf unser (Er-)Leben. Ein notwendiger Schritt besteht darin, Weiße Räume zu identifizieren – Institutionen oder Systeme, die auf die Bedürfnisse und Vorstellungen von Weißen ausgerichtet sind – dies betrifft nicht selten kulturelle und pädagogische Einrichtungen.

Eine Grundvoraussetzung für eine auf kritischem Weißsein basierende Vermittlung ist die kritische Prüfung unserer Materialien, Sprachwahl und Prägungen kolonialkritisch zu hinterfragen, um so auch Alltagsrassismus in der eigenen Arbeit zu vermindern. Dabei ist das Ziel Weiße Selbstreflexion anzustoßen und Menschen mit rassistischen Diskriminierungserfahrungen als Expert:innen zu Wort kommen zu lassen, Vorbilder zu schaffen und aktiv zu versuchen, Weiße Privilegierungen abzubauen. 

Insgesamt habe ich als Weiße Kunstvermittlerin also ganz klar die Verantwortung, mich selbständig weiterzubilden und mich mit meinen Privilegien und demnach auch mit den Diskriminierungen, die mit mir als Person einhergehen, auseinanderzusetzen. In diesem Kontext habe ich die Aufgabe Räume zu schaffen, die für alle zugänglich und einladend sind, was auch Anpassungen und das Hinterfragen von Programmen und Ressourcen beinhaltet. Vor allem muss es die Möglichkeit zum ständigen und offenen Dialog mit Kolleg:innen, Teilnehmer:innen und Expert:innen geben, um kontinuierliches Feedback zu erhalten und mich ständig selbst zu reflektieren. Dies ermöglicht eine fortlaufende Anpassung der eigenen Herangehensweise. Ich muss mich mit meinem Nicht-Wissen, meinem Nicht-Wahrnehmen konfrontieren und mir über die Macht, die mit meiner Position einhergeht, bewusst sein.


Biografie

Geboren und aufgewachsen im Landkreis Dachau, studiert SARAH JOHN seit 2018 in München zunächst Kunstgeschichte an der LMU und ab 2019 Kunstpädagogik an der Akademie der Bildenden Künste bei Stephan Dillemuth und Nils Norman. Sie arbeitet sowohl als freie Künstlerin als auch als Kunstvermittlerin und Museumspädagogin an verschiedenen Institutionen, wobei sie versucht, beide Bereiche auf interdisziplinäre Weise zu verknüpfen. In ihrer künstlerischen Praxis befasse sich John mit gesellschaftlichen und persönlichen Themen, vor allem in den Medien Performance, Video und Skulptur, wobei sie wissenschaftliche Recherchen und ihren Hintergrund als Kunstpädagogin in ihre Arbeit integriert. 

Fußnoten

  1. Teresa Garschagen: Was ist „Critical Whiteness“?, URL: https://mediendienst-integration.de/artikel/was-ist-critical-whiteness.html (24.02.2023).
  2. Constantin Wagner: Öffentliche Institutionen als weiße Räume?.Rassismusreproduktion durch ethnisierende Kategorisierungen in einem schweizerischen Sozialamt, Bielefeld, 2017.
  3. Sara Ahmed: A phenomenology of whiteness. (Feminist Theory, 8(2)), S. 158, 2007.
  4. Dörte Hinrichs: Rassismus in der Kunst. „Kritische Weißseinsforschung“ in Museen, URL:https://www.deutschlandfunk.de/rassismus-in-der-kunst-kritische-weissseinsforschung-in-100.html (30.10.2023).
  5. WEIL ICH NUN MAL HIER LEBE. Ausstellung, URL: https://www.mmk.art/de/whats-on/weil-ich-nun-mal-hier-lebe/ (06.12.2023).
  6. Encarnación Gutiérrez-Rodríguez, Kien Nghi Ha, Jan Hutta, Emily Ngubia Kessé, Mike Laufenberg, Lars Schmitt: Rassismus, Klassenverhältnisse und Geschlecht an deutschen Hochschulen: Ein runder Tisch, der aneckt, in: s u b \ u r b a n Zeitschrift für kritische Stadtforschung Bd. 4, Heft 2/3, 2016, S. 161–190.
    Julia Meyer-Brehm: DienstArt – Die Kunstkolumne: Über fehlende Diversität in der Kunstwelt.Ist die Kunstwelt rassistisch? Ja!, URL: https://beige.de/artikel/kultur-kunst-dienstart-kunstkolumne-diversitaet-rassismus (30.10.2023).
  7. Jule Bönkost: Weiße Privilegien in der Schule, in: IDB | Institut für diskriminierungsfreie Bildung (2018), S. 1–8.
  8. Françoise Vergès; The Slave at the Louvre: An Invisible Humanity. in: Nka: Journal of Contemporary African Art 38-39 (2016); S. 8–13.
  9. Anja Schütze, Jens Maedler: Weiße Flecken: Diskurse und Gedanken über Diskriminierung, Diversität und Inklusion in der Kulturellen Bildung, München, 2018.

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