Omnipotenz, 2023 – India Marie Adams

Die größte Macht, der jeder Mensch einmal ausgeliefert sein wird, ist die des Todes. Unabhängig von allen weltlichen Zuschreibungen macht er vor niemandem Halt. Und dennoch, obwohl er unausweichlich auf uns wartet, nehmen vor allem in der westlichen Welt die Versuche zu, ihn so lange wie möglich fernzuhalten. Verjüngungskuren und allerlei kosmetische Eingriffe versuchen den fortschreitenden Alterungsprozess aufzuhalten, um länger der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit aus dem Weg zu gehen. India Marie Adams beschäftigt sich in ihrer Arbeit Omnipotenz mit diesem Versuch der Ohnmacht des Todes zu entgehen. Der von ihr programmierte künstliche Organismus basiert auf den Fähigkeiten der Qualle Turritopsis dohrnii, die sich selbstständig immer wieder verjüngen kann. Adams Arbeit ruft zur Reflexion über die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist auf und versucht sich der Frage zu widmen, welche Konsequenzen sich durch diese Art der Verjüngung für den Menschen ergeben würden. 

India Marie Adams: Omnipotenz, 2023.

Wenn ich an das Gefühl der Ohnmacht denke, muss ich unweigerlich an den Umgang mit dem Tod denken. Beim Versuch sich das Unvorstellbare vorzustellen, schnürt es uns die Eingeweide zusammen. Verzweiflung kommt auf, wenn wir es wagen, etwas so Unbegreifliches wie die Nichtexistenz in das alltägliche Leben eindringen zu lassen. Denn ist es nicht so, dass wir stets am seidenen Faden des Lebens hängen? Der mit viel Glück hält, aber jeden Augenblick durch eine Krankheit oder einen Unfall reißen kann und uns wieder zurück in die dunklen Tiefen unseres Ursprungs stürzen lässt? Eins ist sicher: Wir haben bei unserer Entstehung bereits das Rückfahrtticket eingelöst.

Um diese Ohnmacht zu bekämpfen, wird vor allem in der westlichen Kultur das Schicksal, das uns alle ereilen wird, verdrängt. Dennoch scheint es omnipräsent zu sein. Wir achten auf Ernährung und Bewegung, um jung zu bleiben und somit den Tod auf möglichst große Entfernung zu halten. Das Leben soll so wenig Spuren wie möglich auf unserem Körper hinterlassen, damit wir uns und vor allem dem Tod vorgaukeln können für immer jung zu sein. Mit einer Reihe von Beauty Produkten und kosmetischen Eingriffen kann unsere Seele in vollen Zügen leben und Erfahrungen sammeln, während die Zeit kaum einen Einfluss auf unseren Körper hat.

Keine Entscheidung im Leben soll endgültig sein, denn damit müssten wir uns eingestehen, dass das Leben endlich ist. Wir wollen nach dem Vorbild der jüngsten Form des Lebens omnipotent bleiben – alles soll immer möglich sein. Können wir so die Ohnmacht des Todes überwinden? Welche Auswirkungen hätte eine biologische Verjüngungskur – das Rückversetzen in die Kindheit – wie sie die Qualle Turritopsis dohrnii beliebig oft durchführen kann und somit biologisch unsterblich ist? Manifestieren sich die Erfahrungen der Seele nicht auch im Körper? Und bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass mit einer Veränderung auf biologischer Ebene eine Veränderung unserer Erfahrungen und Persönlichkeit mit einhergehen muss?

Auf der Suche nach Antworten zu diesen Fragen programmiere ich einen künstlichen Organismus, der sich ähnlich wie die Qualle Turritopsis dohrnii immer wieder verjüngen kann. Die interaktive Simulation soll zum Betrachten und Interagieren mit dem Organismus einladen, um über den Umgang mit der Ohnmacht, die der Tod auslöst und der Überwindung dieser zu reflektieren: Was lässt uns in die Ohnmacht stürzen? Ist der Tod die Auflösung der Grenzen des individuellen Bewusstseins in ein grenzenloses kollektives Bewusstsein? Ist unser gegenwärtiges Ich nicht die Konsolidierung unserer vergangenen Ichs? Besteht unser Leben nicht aus vielen kleinen Toden, die uns ein Stück weit auf das große Finale vorbereiten? Welche Erfahrungen nehmen wir mit in den nächsten Lebenszyklus? Welche möchten wir vergessen? Was macht uns zu uns? Was muss aufgegeben werden um Macht über den Tod zu besitzen? Das Leben?


Biografie

INDIA MARIE ADAMS studiert Medienkunst an der HfG Karlsruhe. Ihre künstlerische Tätigkeit umfasst Mixed-Media-Arbeiten, sowie interaktive Animationen und Kunstspiele. Ausgangspunkt für ihre Werke sind dabei immer die Beobachtung und Erforschung vermeintlich banaler Alltagssituationen, die sie unter kritischem Einbezug dekonstruiert und reorganisiert. Ihre feinfühlige Analyse hebt dabei die Nuancen hervor, die schlussendlich die Komplexität des Gewöhnlichen sichtbar machen. Ihr Interesse gilt vor allem den Zwischenräumen und Überschneidungen, die unvermeidlich beim Einbezug historischer Ereignisse, gesellschaftspolitischer Entscheidungen und der Hinterfragung tradierter Vorstellungen zum Vorschein kommen. Ihr genaues Hinsehen enthüllt dabei absurde, groteske und teilweise grausam erscheinende Szenen. Adams schreckt jedoch nicht davor zurück, sich diesen unangenehmen Grauzonen zu widmen, vielmehr sucht sie nach ihnen. Die Loslösung von einem zweidimensionalen Schwarz-Weiß-Denken stürzt die unhinterfragte Ordnung in ein Chaos, durch das jedoch neue Potenziale freigelegt werden können

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