„Sie, schlafend auf der Brust der zarten Gefährtin“- Von patriarchaler Projektionsfläche zur lesbischen Ikone, 2023 – Annika Lisa Richter

Zur Widerständigkeit der Sappho in Simeon Solomons Aquarell „Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene“ (1864)1.

Die antike Dichterin Sappho, auf Lesbos geboren, schreibt in ihrer fragmentarisch erhaltenen Lyrik über ihr romantisches Verlangen zu Frauen, wodurch sie später zum Bezugspunkt der lesbischen Bewegung wird. Doch im 19. Jahrhundert dominiert eine patriarchale Rezeption Sapphos und ein damit einhergehender Bildtypus, in dem sie sich aufgrund der unerwiderten Liebe zu einem Mann von einer Klippe in den Tod stürzt. Simeon Solomons Aquarell Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene aus dem Jahr 1864 bricht auf mehreren Ebenen mit dieser Darstellungskonvention. In ihrem Beitrag zeigt Annika Lisa Richter mithilfe repräsentationskritischer und ikonographischer Methoden auf, mit welchen Mitteln Solomon ein Bild romantisch konnotierter Intimität zwischen zwei Frauen entwirft. Sie stellt die These auf, dass es sich bei Solomons Aquarell von Sappho und Erinna um eine emanzipatorische Darstellung der Dichterin Sappho handelt – von patriarchaler Projektionsfläche hin zur lesbischen Ikone.

Abb.1
Simeon Solomon, Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene, 1864,
Wasserfarbe auf Papier, 33 × 38,1 cm, London, Tate Gallery.

In zärtlicher Umarmung sitzen zwei Frauen in antik anmutenden Gewändern auf einer steinernen Bank, umgeben von Grün und ungestört in einem Moment der gemeinsamen Intimität. Ihre Gesichter sind sich so nah, dass sie einander beinahe berühren, während die eine sich wie im Kusse begriffen der anderen im Profil zuwendet. Zwei Vögel turteln über ihren Köpfen auf einem Mauervorsprung. Auf dem Boden liegen verstreute Rosenblätter zu ihren Füßen, die barfuß aus den langen Gewändern hervorblitzen.

So ist es auf einem Aquarell mit dem Titel Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene zu sehen, das der britisch-jüdische Künstler Simeon Solomon (1840-1905) im Jahr 1864 anfertigte (Abb.1). Das Aquarell zeigt die beiden antiken Dichterinnen Sappho (630/20 v. u. Z. – ca. 550 v. u. Z) 2 und Erinna (genaue Lebensdaten unbekannt) und greift damit historisch bekannte Persönlichkeiten des antiken Griechenlands auf. Im Gegensatz zu Solomons Gemälde, das die beiden Frauen als innig vertraute Zeitgenossinnen darstellt, geht die heutige Forschung jedoch davon aus, dass die beiden Dichterinnen nicht nur an verschiedenen Orten, sondern auch zu verschiedenen Zeiten gelebt und gewirkt haben und somit nicht miteinander bekannt gewesen sein dürften.3 

In Solomons Interpretation der beiden antiken Persönlichkeiten jedoch, sitzen beide Frauen gemeinsam unter freiem Himmel auf einer steinernen, vielleicht marmornen Bank und nehmen, im Zentrum der Komposition platziert, den Großteil des Bildes ein. 

Die Sitzposition beider Figuren ist frontal zu den Betrachter:innen hin ausgerichtet. Während Erinna ihren Blick, nur knapp an den Betrachtenden vorbei, in die imaginierte Ferne richtet, ist Sapphos Kopf im Profil dargestellt. Sie wendet sich Erinna mit vornüber gebeugtem Oberkörper zu und nähert sich mit ihren Lippen und mit geschlossenen Augen sanft dem Gesicht Erinnas, als wolle sie sie küssen. Dabei hält sie Erinna zärtlich in den Armen: Ihre rechte Hand hat sie auf deren Taille gelegt, während ihre linke Hand auf Erinnas rechter Schulter liegt und von dieser in inniger Pose mit der rechten Hand ergriffen wird. Ihre linke Hand lässt Erinna locker in ihren Schoß fallen, während ihre rechte Schulter sowie ein Teil ihres Dekolletés entblößt sind, als sei ihr Gewand soeben von der Schulter gerutscht. Sapphos linker Arm, den sie um ihre Gefährtin legt, bildet eine Art Sichtschutz, indem er genau so positioniert ist, dass die Betrachter:innen keinen freien Blick auf Erinnas linke Brust erhalten, deren Nacktheit durch den heruntergerutschten Stoff als voyeuristische Erwartungshaltung impliziert wird. 

Während Sappho deutlich als aktive Figur inszeniert wird, die sich Erinna zuwendet und sich ihr mit Bestimmtheit und zärtlicher Inbrunst nähert, erscheint Erinna durch die frontale, Richtung Betrachter:innen ausgerichtete Haltung ihres Oberkörpers sowie durch ihren in die Ferne – also aus dem Geschehen heraus – gerichteten Blick zunächst eher passiv. Im Gegensatz zu Sappho lässt sie sich alternativ auch als Figur denken, die auf die gleiche Weise alleine sitzend dargestellt sein könnte, während Sapphos ausdrückliche Hinwendung eine:n Adressat:in braucht und nicht unabhängig von Erinnas Figur denkbar ist.

Betrachtet man aber noch einmal genauer Erinnas Sitzposition, fällt auf, dass sich in der Fülle ihres Gewandstoffes ihr linkes Bein verbirgt, dessen Knie sie in vertraulicher Hinwendung auf Sapphos rechten Oberschenkel gelegt hat. Es scheint ganz so, als sei Erinna körperliche Nähe mit Sappho gewöhnt und als wäre ihr auch Sapphos Schoß (und damit eventuell auch eine intim-genitale Nähe?) nicht allzu unvertraut. Durch die subtile Geste des angeschmiegten Knies trägt also auch Erinna zu einer intimen Bezugnahme und Verschränkung der beiden Figuren bei. Die Interpretation der US-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Thaïs Morgan, Sappho umarme Erinna auf aggressive Weise und würde die offensichtlich widerwillige Erinna bedrängen, „who tries to delay the dominant woman’s impulse by putting her right knee up between them“4, teile ich indes nicht. Morgans interpretativer Fokus liegt in dem Versuch, Solomons Aquarell als eine Art Illustration des Gedichtes Anactoria zu deuten, das der viktorianische Schriftsteller – und Freund Solomons – Algernon Charles Swinburne (1837 – 1909) 1866 veröffentlichte.5 Swinburne imaginiert in Anactoria eine sado-masochistische und lesbische6 Sappho, die ihrer jüngeren Geliebten Anactoria in einem Monolog detailliert darlegt, welche Praktiken sie gerne mit ihr ausführen würde.7 Dieses Gedicht Swinburnes als gedankliche Grundlage zur Interpretation von Solomons Aquarell heranzuziehen, wird dem Werk jedoch weder bei der Betrachtung als eigenständiges visuelles Erzeugnis gerecht noch trifft es meines Erachtens die konkrete visuelle Inszenierung Sapphos durch Solomon. Auf mich wirkt Erinna in Solomons Interpretation nicht abwehrend – unabhängig von Erinnas leicht entrücktem und damit passiv konnotiertem Blick scheinen mir die körperliche Nähe und die Interaktion konsensual zu sein und gerade Erinnas Geste, ihr Knie auf Sapphos Oberschenkel zu legen, lese ich als vertraute Hinwendung. Beachtet man in diesem Zusammenhang überdies jene bildliche Darstellungstradition der abendländischen Kunstgeschichte, überkreuzte Beine eines (gegengeschlechtlichen) Liebespaares als Metapher für Geschlechtsverkehr zu verwenden8, verstärkt sich die im Bild suggerierte Intimität zwischen Sappho und Erinna für mich noch weiter. 

Abb.2
Fragmente von Sapphos Gedicht “Ein hohes Alter” (Zeilen 9-20), 
Papyrus aus dem 3. Jahrhundert v.u.Z, 
11,5 x 17 cm, Köln, Kölner Papyrussammlung (Universität Köln).

Mit dem auf das antike Griechenland verweisenden Bildthema seines Aquarells bezieht Solomon sich auf die historische Person der Sappho, die als bedeutendste und bekannteste Dichterin der Antike gilt.9 Zwar ist nur ein Bruchteil ihrer Dichtung überliefert10 und die meisten bekannten Verse sind nur fragmentarisch erhalten (Abb.2), es finden sich aber zahlreiche Verweise, Zitate und Bezugnahmen anderer Autor:innen auf die antike Lyrikerin.11 Diese bezeugen eindrücklich Sapphos Bedeutung und ihre überlieferte Dichtung in äolisch-griechischem Dialekt gewährt einen Einblick in ihre metrische wie sprachliche Versiertheit und Vielseitigkeit. Als einzige Frau wurde Sappho bereits im Hellenismus mit acht anderen Dichtern kanonisiert und unter anderem von Platon als zehnte Muse gepriesen.12 

Ikonografie

In Solomons Aquarell finden sich mehrere symbolische Bildelemente, die auf Sappho als Figur verweisen und die Szene in ein griechisch-mythologisches Bezugssystem einbetten: Die Leier, die rechts unten an einem Sockel lehnt, steht ebenso wie die halb ausgerollte, oben auf dem Sockel abgelegte Schriftrolle für Sappho als Lyrikerin. Die Leier als Musikinstrument verweist dabei auf den Umstand, dass Sapphos antike Dichtung zur Gattung der sogenannten Melik (von altgriech. melos, „Lied, Gesang“) gehörte und somit nicht rezitiert, sondern zu begleitender Musik gesungen wurde und oft auch zum Tanzen gedacht war.13 Sprache und Musik waren in Sapphos Lyrik also aufs Engste verbunden.

Bei der Skulptur auf dem Sockel, die mit einem Arm auf die beiden Frauen zu deuten scheint, handelt es sich vermutlich um eine Darstellung der griechischen Göttin Aphrodite. Sie wird von Sappho häufig in ihrer Dichtung adressiert14: So wird Aphrodite beispielsweise in einem, als Ode an Aphrodite (Fragment 1 Voigt)15 bekannt gewordenen Text von Sappho angerufen, die Liebeskummer wegen einer Frau hat und die Liebesgöttin in diesem Zusammenhang um Hilfe bittet16 – womit nicht nur Sapphos Bezug zu Aphrodite, sondern zugleich auch eine homoerotische Komponente in Teilen von Sapphos Lyrik deutlich wird.17 Auch gibt es in der Forschung vereinzelt die These, dass Sappho als Priesterin Aphrodites gewirkt oder einen Kultverein für Aphrodite geleitet haben könnte.18 So könnte auch das Gefäß neben der Schriftrolle und zu Füßen der Göttin in einem kultischen Zusammenhang stehen. Die Kunsthistorikerin Elizabeth Prettejohn identifiziert den Zweig, der in dem aufgerollten Teil der Schriftrolle steckt, als Myrte und verweist darauf, dass diese als Pflanze der Aphrodite geweiht sei und auffallend häufig auch in anderen Werken Solomons vorkomme.19 In ihrer Bedeutungsgeschichte eng mit der Göttin Aphrodite verbunden, steht die Pflanze der Myrte für Liebe, Versöhnung und Fruchtbarkeit, fand in diesem Zusammenhang schon in der Antike rituell bei Hochzeiten Verwendung und kann überdies eine erotische Konnotation aufweisen. Auch im Judentum ist die Myrte traditionell Teil von Hochzeitsriten und Totenkult20 und findet bei gängigen Ritualen wie der Hawdala – der Verabschiedung des Schabbats – oder dem Laubhüttenfest (Sukkot) – als Erinnerung an den Auszug der Israelit:innen aus Ägypten und zugleich Erntedankfest 21– Verwendung, sodass Solomon als jüdischer Künstler eventuell auch einen eigenen Bezug zur Myrte gehabt haben könnte und die Pflanze in seinen Arbeiten deshalb wiederholt aufgreift. 

In seinem Aquarell Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene agiert die Myrte wohl vor allem als Attribut der Göttin Aphrodite und trägt damit – ebenso wie die auf dem Boden verstreuten Rosenblüten22 und die beiden Tauben, die über den Köpfen von Sappho und Erinna auf einer Mauer sitzen – zu einer narrativen Rahmung des Zu-sehen-Gegebenen23 als Liebesszene bei. Die Tauben, die ebenfalls Symbole der Aphrodite sind24, wenden einander die Schnäbel zu und spiegeln dadurch die Hinwendung Sapphos zu Erinna und ihren angedeuteten Kuss wider.25

Ein ungewöhnliches Bildelement ist das kleine Reh, das links neben Erinna auf der steinernen Lehne der Bank balanciert und seinen Kopf in Richtung Blattwerk streckt. Es könnte auf den griechischen Gott Apollon verweisen, dem das Reh heilig ist26 und der in der griechischen Mythologie als Führer der Musen gilt.27 Noch ein weiteres Attribut könnte sich auf den Gott Apollon und damit auf das Narrativ Sapphos als zehnte Muse beziehen: Der Lorbeerkranz in Sapphos Haar. Die Erzählung von der Nymphe Daphne, die vor dem ihr nachstellenden Apollon flieht und sich mithilfe ihres Vaters in einen Lorbeerbaum verwandelt, um sich Apollon entziehen zu können, begründet die Bedeutung des Lorbeers für Apollon. Die Pflanze ist ihm fortan heilig und der junge Gott wird in der bildenden Kunst zumeist mit Lorbeerkranz im Haar dargestellt. In der römischen Antike galt der Lorbeerkranz als Zeichen des Sieges und wurde schließlich auch zu einem Bestandteil des Kaiserkultes. Zudem allgemeiner Ausdruck der Ehre und des Ruhmes, etablierte sich eine spezifische Verknüpfung von Lorbeer und Dichtkunst: Schon der antike griechische Dichter Hesiod (* vor 700 v.u.Z.) berichtet davon, dass die Musen ihm als Ausdruck seiner dichterischen Berufung einen Lorbeerzweig überreicht hätten. Der Lorbeer wirkt in dieser Erzählung als Metapher für dichterische Kraft und eine ‚gottgegebene Sprache‘, die dem Dichter durch die Musen selbst eingehaucht worden sei.28 

In der Neuzeit etablierte sich insbesondere in Großbritannien die Tradition des sogenannten poeta laureatus (dt. lorbeergekrönter Dichter). Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind Preisträger des poet laureate aktenkundlich und das Amt wird noch bis heute vom britischen König:innenhaus verliehen.29 Auch zu Solomons Lebzeiten und zur Entstehungszeit von Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene gab es einen poet laureate.30 Solomon dürften der Ehrenposten und die damit zusammenhängende Symbolik des Lorbeerkranzes als auszeichnende Dichter:innenkrone somit bekannt gewesen sein – zumal er mit mehreren Schriftstellern befreundet war. 

Vor diesem Hintergrund gehe ich davon aus, dass Sapphos Lorbeerkranz im Aquarell mehrere Funktionen erfüllt: Bildgeschichtlich und allgemein verknüpft mit Ehre und Ruhm, zeichnet der Lorbeer Sappho als bedeutende Person aus. In seiner Funktion als heilige Pflanze und Attribut des Apollon ruft der Kranz zudem die Konnotation von Sappho als zehnter Muse auf und hebt sie damit in den Stand überirdischen Kunstschaffens. Darüber hinaus steht der Lorbeerkranz in Bezug zu dem in Großbritannien traditionsreichen Ehrentitel des poet laureate, der auch zu Lebzeiten Solomons als Auszeichnung besonders verdienter Dichter bekannt war und daher auch bei zeitgenössischen Betrachter:innen als Assoziation aufgerufen worden sein könnte. 

Simeon Solomon markiert Sappho in seinem Aquarell also auf mehreren Bedeutungsebenen als herausragende Dichterin.

Rezeption Sapphos

Mit seiner Wahl Sapphos als Bildthema reiht Solomon sich in eine lange Rezeptionsgeschichte der antiken Lyrikerin ein. Neben einer werkbezogenen Rezeption von Sapphos Gedichten, die zahlreiche neuzeitliche und moderne Adaptionen, Interpretationen und Übersetzungen erfuhren, wurde auch Sappho selbst als Person immer wieder aufgegriffen und dabei zum Gegenstand zahlreicher Legendenbildungen: Schon im fünften Jahrhundert v.u.Z. finden sich Spuren biografischer Legenden31, die sich im Laufe der Jahrhunderte tradierten, veränderten und neu entstanden und so zu einer Fülle an vermeintlichen biografischen Informationen, sowie zahlreichen variierenden Interpretationen zu Sapphos Leben und Wirken führten. 

Insbesondere ihrer Sexualität und ihrem Liebesleben wurde dabei wiederholtermaßen erhöhte Aufmerksamkeit zuteil:32 So galt Sappho wahlweise als mit einem Mann verheiratet und Mutter einer Tochter, als Hetäre (also als eine Art gebildete und sozial anerkannte Sexarbeiterin der griechischen Antike), als ‚gefallene Frau‘, als lesbische Ikone33 (der Begriff „Lesbe“ leitet sich nicht zufällig von der Insel Lesbos ab, auf der Sappho lebte) oder auch als keusche (heterosexuelle) Jungfrau.34

Besonders prägend wirkte sich in der Rezeptionsgeschichte Sapphos der fiktive Brief Sappho an Phaon des antiken römischen Dichters Ovid (43 v.u.Z. – ca. 17 n.u.Z.) aus35: In seinen Epistulae Heroidum (dt. Briefe von Heldinnen) lässt Ovid Sappho einen Brief an den Fährmann Phaon verfassen, der Ovids Erzählung nach Sappho verlassen habe, woraufhin diese sich schließlich aus Verzweiflung über ihre unerwiderte Liebe vom Leukadischen Felsen ins Meer gestürzt und Selbstmord begangen habe.36 Die Vermischung von Phaon als mythologischer und Sappho als historischer Person führte zu einer wirkmächtigen Legendenbildung, auf die sich in den die folgenden Jahrhunderten immer wieder bezogen wurde.      

Abb.3
Charles Mengin, Sappho, 1877,
Öl auf Leinwand, 230,7 x 151,1 cm, Manchester, Manchester Art Gallery.

Im Europa des 19. Jahrhunderts finden sich zahlreiche Interpretationen Sapphos als verzweifelt Liebende und von Phaon Verlassene in Musik, Literatur und Bildender Kunst: Sappho erlangte Berühmtheit als tragische Opernheldin37 und wurde in Franz Grillparzers Drama Sappho als eifersüchtige, gekränkte und verzweifelte Protagonistin inszeniert.38 In zahlreichen Gemälden des 19. Jahrhunderts erscheint Sappho auf einem Felsen, vom zumeist stürmischen Meer umgeben und wird in fatalistischer Stimmung vor ihrem imaginierten Sprung in die Tiefe (Abb.3), im Begriff des Absprungs (Abb.4) oder auch als (lasziv und sinnlich konstruierte) Ertrinkende zu sehen gegeben (Abb.5). Die in der Regel beigefügte Leier dient hierbei lediglich als Attribut und Erkennungszeichen der Figur, während der Fokus der Inszenierung nicht auf Sapphos Wirken als Lyrikerin, sondern ausschließlich auf ihrem imaginierten Selbstmord liegt und sie als Figur in unterschiedlichem Maße erotisiert und als hysterisch, schicksalergeben oder paralysiert zu sehen gegeben wird. Das beliebte Bildthema des selbstgewählten Sprungs in den Tod machte Sappho in der Kunst des 19. Jahrhunderts zum Prototyp einer ‚gefallenen Frau‘.39 

Abb.4
Miguel Carbonell Selva, Safo, 1881,
Öl auf Leinwand, 250 x 170 cm, Madrid, Museo del Prado.

Auch im viktorianischen England erfreute sich das Narrativ der von Phaon verlassenen Sappho großer Beliebtheit, wobei die Dichterin in diesem Kontext bemerkenswerterweise zugleich zu einer wichtigen Bezugsperson im Kampf um Frauenrechte wurde.40

Abb.5
Charles Amable Lenoir, La mort de Sapho (Der Tod der Sappho), 1896.
Öl auf Leinwand, 210 x 115 cm, Wiesbaden, Museum Wiesbaden.

In Solomons direktem Umfeld griff der schon erwähnte Schriftsteller Algernon Charles Swinburne die Figur der Sappho wiederholt auf und war damit in der zeitgenössischen Literatur kein Einzelfall.41

Gegen die Norm

Das künstlerische Aufgreifen von Sappho als Figur war also in der Kunst und Kultur des 19. Jahrhunderts, sowie auch in Solomons Umfeld, keine Seltenheit und die Interpretation ihrer Person im Sinne einer Projektionsfläche verschiedenster Moralvorstellungen, Sexualitätsdiskurse, politischer Ideale und sexueller Fantasien weit verbreitet.

Im Unterschied zu den vorherrschenden Darstellungsnormen seines Jahrhunderts gibt Solomon 1864 jedoch eine Sappho zu sehen, die weder mit einer unerwiderten (heterosexuellen) Liebe hadert, noch im Begriff ist, sich ins Meer zu stürzen und ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Stattdessen zeigt Solomon Sappho in zärtlicher Hinwendung zu einer anderen Frau und markiert sie durch mehrere Attribute und Bildelemente als erfolgreiche Lyrikerin. Meine These ist, dass Solomons Sappho damit nicht nur geltenden Darstellungstraditionen ihrer Figur eine Absage erteilt, sondern sich narrativ auch einer patriarchalisch geprägten Deutungshoheit entzieht und sich einer heterosexuell imaginierten Verfügbarkeit widersetzt. Solomons Sappho ist weder verzweifelt, noch verlassen, sondern – im provokanten Verhältnis zu üblichen Repräsentationen des 19. Jahrhunderts – zufrieden und in ungestörter (Liebes-)Gesellschaft, die ganz ohne Mann auskommt. Darüber hinaus wird Sappho von Solomon als Figur nicht einzig und allein auf ihr imaginiertes Liebesleben reduziert. Sie ist weder besessen von Phaon, noch in besinnungsloser Erregung durch eine imaginierte Liebhaberin wie in Swinburnes Anactoria. Zwar stellen das Figurenpaar von Sappho und Erinna und deren Bezug zueinander das zentrale Bildthema von Solomons Aquarell dar. Aber Sappho wird dabei gleichzeitig in einem Setting zu sehen gegeben, das auch auf ihre Tätigkeit als Lyrikerin aufmerksam macht und diese – durch die Verweise auf Apollon und Aphrodite – noch hervorhebt. 

Solomon als schwuler Künstler

In der Forschung steht häufig Solomons eigene schwule Sexualität im Fokus der Aufmerksamkeit: Als gleichgeschlechtlich begehrende Person stand er mit den viktorianischen Normen und Gesetzen in Konflikt und wurde nach gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakten in öffentlichen Toiletten 1873 und 1874 zwei Mal verhaftet und der „versuchten Sodomie“ (attempted buggery) sowie der „anstößigen Berührung“ (indecent touching) beschuldigt. Sicherlich waren die Erfahrung einer Kriminalisierung der eigenen Begehrensformen, die Verhaftungen und die Skandalisierung der eigenen Person sowie der daraus resultierende Verlust der Reputation und die Distanzierung ehemaliger Freunde wie Swinburne für Solomon biografisch von großer Bedeutung und Tragweite. Unabhängig davon erachte ich jedoch die Tendenz als problematisch, Solomons Werke vor diesem Hintergrund psychologisierend zu interpretieren und vor allem als Repräsentationen eines „inner state of longing and alienation“, als „allegories of forbidden feelings“42 oder „subjects that suggested his sexual orientation“43 zu rezipieren. Auch die auf meinen Untersuchungsgegenstand Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene bezogene These, dass „[…] for Solomon vindicatorily, a female-female couple could stand in for a male-male couple”44 erscheint mir kausal verkürzend – wird darin doch ebenfalls Solomons eigene Sexualität zum scheinbar alleinigen Antrieb seines künstlerischen Schaffens und seiner Themenwahl erklärt.  

Abb.6
Simeon Solomon, Erinna Taken from Sappho, 1865.
Tinte auf Papier (Federzeichnung), 23,2 x 32,3 cm, Privatbesitz (Dr. Dennis T. Lanigan collection).

Sicherlich kann Solomons künstlerisches Interesse für bestimmte Figuren und Themen unter anderem auch im Zusammenhang mit seiner eigenen Homosexualität gesehen werden.45 Und es erscheint mir nicht unwahrscheinlich, dass Solomon als gleichgeschlechtlich begehrende Person im stark patriarchal und heteronormativ geprägten viktorianischen England auch als Künstler einen queeren – im Sinne von die Norm herausfordernden – Blick auf Begehrensformen und Darstellungsnormen hatte und so seine eigene sexuelle Orientierung auch seine künstlerischen Artikulationen mit beeinflusst haben könnte. Statt jedoch vor allem Hypothesen über mögliche Interdependenzen von Solomons Sexualität und seiner Interpretation Sapphos in Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene aufzustellen und damit der Frage eines (oder mehrerer) möglichen Warums? nachzugehen, erscheint es mir konstruktiver, einen Fokus auf das Wie? im Sinne einer repräsentationskritischen visuellen Analyse des konkreten Werks zu legen. Dabei wird deutlich, dass Solomons lesbische Sappho stark von den üblichen Repräsentationen Sapphos im 19. Jahrhundert abweicht: Ihre Zuneigung bezieht sich nicht auf einen Mann, sondern auf eine Frau, ihr gleichgeschlechtliches Begehren wird von Solomon nicht abgewertet wird, sie wird als voll im Leben stehend dargestellt und neben ihrer intimen Bezugnahme auf Erinna auch als bedeutende Lyrikerin markiert. In diesem Sinne betrachte ich Solomons Repräsentation Sapphos – als weiblich gleichgeschlechtlich begehrende und lyrisch wirkende Frau gleichermaßen – als widerständig. 

Abbildungsnachweis

  1. Public Domain, via Wikimedia Commons, unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sappho_and_Erinna_in_a_Garden_at_Mytilene.jpg
  2. Institut für Altertumskunde an der Universität zu Köln (Creative Commons Attribution 4.0 International), unter: https://papyri.uni-koeln.de/stueck/tm68983 (letzter Zugriff: 12.03.2023)
  3. Public Domain, via Wikimedia Commons, unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1877_Charles_Mengin_-_Sappho.jpg
  4. Public Domain, via Wikimedia Commons, unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Death_of_Sappho_by_Miguel_Carbonell_Selva.jpg
  5. Public Domain, via Wikimedia Commons, unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Charles_Amable_Lenoir_-_The_Death_of_Sappho_(1896).jpg
  6. Public Domain, via Wikimedia Commons, unter: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File:Simeon_Solomon_(1840-1905)_-_%22Erinna_Taken_from_Sappho%22_(1865).jpg&oldid=337378663

Literaturverzeichnis

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Biografie

ANNIKA LISA RICHTER (sie/ihr) ist Kunstwissenschaftlerin und Doktorandin im DFG-Graduiertenkolleg Ästhetische Praxis an der Stiftung Universität Hildesheim. Aktuell beschäftigt sie sich in ihrem Dissertationsprojekt mit der ästhetischen Praxis von Künstlerinnen in der Weimarer Republik und deren emanzipatorischem Potenzial. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich kunstwissenschaftlicher Gender- und Queer Studies sowie feministischer Kunstgeschichte. Annika Lisa Richter ist Initiatorin des künstlerisch-wissenschaftlichen und queer- feministischen Festivals Frauen:sache! Kunst. Macht. Raum. (https://kunst-macht-raum.de/).

Fußnoten

  1. Zitat aus dem Haupttitel: Sappho, Fragment 126 (Sappho 2009, S. 218; mit Erläuterungen von Andreas Bagordo ebd., S.219). – Beim
    vorliegenden Text handelt es sich um einen gekürzten und leicht überarbeiteten Auszug meiner Masterarbeit
    über visuelle Repräsentationen weiblicher Homoerotik in künstlerischen Arbeiten aus dem viktorianischen
    England und dem edozeitlichen Japan, die ich 2021 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für
    Kunst und visuelle Kultur, verfasst habe.
  2. Die Lebensdaten Sapphos werden aufgrund widersprüchlicher und fragmentarischer antiker Überlieferungen unterschiedlich eingeschätzt und angegeben. In meiner Angabe folge ich der Einschätzung von Linda-Marie Günther (Günther 1999, S. 391). Für detaillierte Überlegungen zum möglichen Geburtsjahr Sapphos siehe Andreas Bagordo in Sappho 2009, S. 8–9.
  3. Zimmermann und Rengakos 2014, S. 47; Fowle 2000.
  4. Morgan 1996, S. 67.
  5. Morgan bezieht sich auf Einschätzungen, nach denen Swinburne das Gedicht bereits Anfang der 1860er Jahre geschrieben habe, sodass Solomon es zum Zeitpunkt der Entstehung von Sappho and Erinna in a Garden at Mytilene gekannt haben könnte (Morgan 1996, S. 66).
  6. Ich verwende den Begriff lesbisch, um gleichgeschlechtliches Begehren und sexuelle Handlungen zwischen Frauen zu beschreiben. Obwohl der Begriff in seiner heutigen Konnotation und Sinnschicht untrennbar mit modernen Sexualitätsdiskursen verbunden ist, sehe ich in einer situativ reflektierten Verwendung das Potenzial, einer heterosexistischen Geschichtsschreibung und damit verbundenen blinden Flecken gegenüber weiblicher Intimität entgegenwirken zu können. Mein Gebrauch des Begriffs lesbisch bezieht sich dabei auf Verhalten und Handlungen, nicht auf eine zugeschriebene Identität. Um gleichzeitig die Grenzen der Anwendbarkeit moderner (Sexualitäts-)Begriffe auf historische Zusammenhänge präsent zu halten, verwende ich die kursive Schreibweise
  7. So heißt es in Swinburnes Anactoria etwa: „[…]For my sake when I hurt thee; O that I/Durst crush thee out of life with love, and die,/Die of thy pain and my delight, and be/Mixed with thy blood and molten into thee!/ Would I not plague thee dying overmuch?/Would I not hurt thee perfectly? not touch/Thy pores of sense with torture, and make bright/Thine eyes with bloodlike tears and grievous light?/[…]” Zitiert nach The Algernon Charles Swinburne Project 1997-2012.
  8.  In der italienischen Renaissance wurde Geschlechtsverkehr oft durch überkreuzte Beine eines Liebespaares symbolisiert (Hammer-Tugendhat 2000, S. 7). Siehe auch Hammer-Tugendhat 1997.
  9.  Andreas Bagordo in Sappho 2009, S. 7.
  10. Sappho soll neun Bücher mit einer Sammlung ihrer lyrischen Gedichte, sowie Elegien (Klagelieder) und weitere Texte verfasst haben (Andreas Bagordo in Sappho 2009, S. 8).
  11. Zu Sappho als literarischer Referenz durch die Jahrhunderte hindurch siehe Schlesier 2013.
  12.  Schlesier 2013, Sp. 835ff.
  13.  Andreas Bagordo in Sappho 2009, S. 18.
  14. Schlesier 2013, Sp. 835.
  15. Die Benennung von Sapphos Dichtung folgt üblicherweise der durch Eva-Maria Voigt vorgenommenen Nummerierung der erhaltenen Fragmente in der Edition der griechischen Texte Sapphos und ihres Zeitgenossen Alkaios von 1971.
  16. Fragment 1 Voigt in Sappho 2009, S. 49–51. Das Fragment 1 ist eines der wenigen weitgehend erhaltenen Fragmente Sapphos (Fowle 2000).
  17. Auf Sapphos Klagen antwortet Aphrodite: „Wer, o Sappho, tut dir Unrecht? Denn wenn sie flieht, bald wird sie dich verfolgen, und wenn sie keine Geschenke annimmt, dann wird sie doch welche geben, und wenn sie nicht liebt, bald wird sie lieben, auch gegen ihren Willen“ (Sappho 2009, S. 50–51). Sapphos Liebeskummer scheint sich demnach auf eine Frau zu beziehen.
  18. Günther 1999, S. 394. Insbesondere ein immer wieder angeführter „Mädchenkreis“, den Sappho geleitet haben soll, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen und Interpretationen. Während Renate Schlesier die vorherrschende Forschungsmeinung, dass sich die zahlreichen weiblich vergeschlechtlichten Vornamen in Sapphos Dichtung auf reale Personen in Sapphos Umfeld – wie etwa Schülerinnen oder Freundinnen – bezögen, als „methodologisch fragwürdig“ und nicht beweisbar erachtet (Schlesier 2013, Sp. 835), erachten zahlreiche andere Autor:innen die Annahme als erwiesen, dass Sappho von einer Gruppe junger Mädchen umgeben gewesen sei (Günther 1999, S. 394; Sappho 2009, S. 11ff). Die Funktion der Gruppe wird dabei zumeist in einer Art Erziehung (bspw. in aristokratischer Etikette und in Musik) und in einer Vorbereitung auf das Eheleben gesehen, da die jungen Frauen den sapphischen Kreis meist anlässlich ihrer Hochzeit wieder verlassen hätten (Günther 1999, S. 394f). Inwiefern ein solcher homosozialer Raum auch homoerotische Beziehungen enthalten haben könnte bzw. inwiefern Sappho mögliche Schülerinnen in sexuellen Praktiken unterwiesen haben könnte, wird unterschiedlich bewertet.
  19. Prettejohn 2008, S. 116.
  20. Siede 2013, Sp. 381ff.
  21. Zentralrat der Juden 2017.
  22. Über ihre Liebessymbolik hinaus könnten die Blumen laut Prettejohn auch sinnbildlich für Sapphos Gedichte stehen, die in einem antiken Epigramm des Schriftstellers Meleagros von Gadara mit Rosen assoziiert worden seien (Prettejohn 2008, S. 116f). In Meleagros’ Text Die Girlande (Griech. Στέφανος) werden verschiedene griechische Dichter:innen jeweils mit einer spezifischen Blume in Verbindung gebracht. Der Text ist Teil der Griechischen Anthologie – einer umfangreichen Sammlung griechischer Gedichte mehrerer Jahrhunderte – die laut Prettejohn im Viktorianischen England recht bekannt gewesen sei (ebd.), sodass Solomon die Symbolik der Rosen für Sapphos Gedichte gekannt haben könnte.
  23. Den Begriff des „Zu-sehen-Gebens“ verwende ich in Anlehnung an Sigrid Schade und Silke Wenk, die damit auf die soziale, vergesellschaftende Funktion des Visuellen sowie die darin enthaltenen Machtverhältnisse hinweisen (Silke Wenk: Praktiken des Zu-sehen-Gebens aus der Perspektive der Studien zur visuellen Kultur, in: Thomas Alkemeyer/Gunilla Budde/Dagmar Freist (Hrsg.): Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung. Bielefeld 2013, S. 275–290; Sigrid Schade/Silke Wenk: Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld. Bielefeld 2011). „Da jedes Sichtbar-Machen als ein Markieren oder Exponieren immer auch heißt, etwas anderes aus dem Blickfeld zu nehmen“ (Wenk 2013, S. 277), soll der Begriff die Ein- und Ausschlüsse präsent halten und das Konstruierte des visuell Dargestellten vergegenwärtigen.
  24. Prettejohn 2008, S. 116.
  25. Etwas unklar bleibt hingegen die Funktion des schwarzen Vogels, der links von den beiden Tauben auf der Mauer positioniert ist und die beiden turtelnden Vögel mit offenem Schnabel ‚anzukrähen‘ scheint. Elizabeth Prettejohn vermutet in den drei Vögeln eine angedeutete Dreiecks-Konstellation (Prettejohn 2008, S. 116), wonach der schwarze Vogel eine potenzielle Bedrohung der Zweisamkeit der beiden Tauben oder ein protestierendes ‚Außen‘ implizieren könnte. 
  26.  Fowle 2000.
  27.  Söffner 2008, Sp. 441.
  28.  Braun 2010, Sp. 454ff.
  29. Oxford Dictionary of National Biography 2004-. Seit 1790 ist der Premierminister für den Vorschlag eines poet laureate verantwortlich, der dann im Auftrag der/des regierenden Monarch:in ernannt wird (ebd.). 
  30. Zwischen 1850 und 1892 war Alfred Tennyson der poet laureate der britischen Königin Viktoria (Oxford Dictionary of National Biography 2004-).
  31. Schlesier 2013, Sp. 836.
  32. Zur Rezeptionsgeschichte Sapphos und insbesondere der Deutung ihrer Sexualität siehe vertiefend Reynolds 2001.
  33. Britische, queer-lesbische Schriftstellerinnen wie Amy Levy (1861-1889) oder Katharine Bradley (1846-1914) und Edith Cooper (1862-1913), die ihre Werke als Paar unter dem Pseudonym Michael Field veröffentlichten, bezogen sich im 19. Jahrhundert in ihren Texten und ihrem Selbstverständnis auf Sappho (Reynolds 2001, S. 261f) . Anfang der 2000er Jahre erschien unter dem Namen Sapphosguide ein lesbischer Reiseführer für Europa (Kiesheyer 2004) und auch heute noch findet Sappho im lesbischen Kontext als Bezugsperson Verwendung, wie bspw. bei der „SAPPhO-Frauenwohnstiftung“, einer Wohnstiftung von Lesben für Lesben (siehe https://www.sappho-stiftung.de; letzter Zugriff: 07.04.202318.05.2021).
  34. 1816 veröffentlichte Friedrich Gottlieb Welcker die Schrift Sappho von einem herrschenden Vorurtheil befreyt. Darin argumentiert Welcker, dass die Vorstellung von Sappho als Hetäre eine antike Komödien-„Erfindung“ sei und Sapphos Beziehung zu ihren Freundinnen keinesfalls „gemein sinnlich“ gewesen sei (Schlesier 2013, Sp. 849f). Welcker geht es in seinem Text also darum, Sappho sowohl von ‚Vorwürfen‘ der Sexarbeit als auch der Homosexualität zu ‚befreien‘.
  35.  Schlesier 2013, Sp. 836.
  36.  Schlesier 2013, Sp. 836; Günther 1999, S. 392.
  37. Schlesier 2013, Sp. 857f.
  38. Grillparzer 1998.
  39. Schlesier 2013, Sp. 855.
  40. Schlesier 2013, Sp. 851. Laut Renate Schlesier habe sich die Phaon-Sappho als Identifikationsmodell für „von Männern malträtierte Frauen“ angeboten (ebd). Die britische Sozialreformerin und Schriftstellerin Caroline Norton (1808-1877), die sich für die Rechte von (geschiedenen) Ehefrauen und eine Reform der Ehe- und Scheidungsgesetze einsetzte (BBC History 2006), verfasste im Jahr 1840 ein Gedicht mit dem Titel The Picture of Sappho (Schlesier 2013, Sp. 851).
  41. Zur Inszenierung von Sappho und sapphischen/lesbischen Erzählungen in Gedichten von Algernon Charles Swinburne (1837-1909) und dem französischen Schriftsteller Charles Baudelaire (1821-1867) siehe Prettejohn 2008.
  42. Cruise 2017, S. 30.
  43. Cruise 2019.
  44. Morgan 1996, S. 67.
  45. Solomon greift die Figur der Sappho wiederholt auf: Zwei Jahre vor dem Aquarell fertigt er bereits eine Skizze zu Sapphos Profil an. Ein Jahr nach dem Aquarell entsteht die Zeichnung Erinna taken from Sappho, die Sappho als von Erinna verlassene Figur zeigt (Abb.6). Sappho blickt hier traurig und eifersüchtig über ihre Schulter zu Erinna herüber, die mit entblößter rechter Brust ein Stück weiter auf der gleichen Bank in den Armen eines Mannes sitzt. Im Werk Solomons fallen außerdem viele Szenen mit häufig androgynen Jünglingen in intimer Bezugnahme auf. In der Zeichnung The Bride, Bridegroom, and Sad Love von 1865 wird ein Bräutigam zu seiner jungen Braut hinübergezogen, während er halb versteckt hinter seinem Rücken die Hand eines nackten und beflügelten Jünglings in auffälliger Nähe zu dessen Genital hält.

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