Die digitale Zeichnung Bahnhof-Balkon ist unmittelbar während des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie entstanden. Diese Isolation forderte uns auf, den Alltag in den eigenen vier Wänden zu bestreiten, völlig abgeschottet und allein, während die Welt draußen im Stillstand verharrte – oder doch nicht? Der Blick vom Bahnhof-Balkon zeigt, dass mit dem Blickwechsel auch eine völlig neue Sicht auf die Dinge zum Vorschein kommen kann. Wir sehen Züge, wie sie ein und aus fahren, folgen ihnen gedanklich und bemerken, wie sich dieses Schienennetz immer weiter zieht und erkennen, wie weitreichend diese Welt eigentlich vernetzt ist. Die Ruhe und hoffnungsvolle Stimmung in Bahnhof-Balkon vermitteln uns, dass wir letztendlich durch die vielen technischen und digitalen Errungenschaften unserer Zeit gar nicht so isoliert sind, wie wir vielleicht im ersten Moment denken.
Franziska Holbach, Bahnhof-Balkon, 2020.
Franziska Holbach
Franziska Holbach studiert Mathematik und Philosophie im Master of Education an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz sowie Kunst in der Zeichenklasse bei Megan Francis Sullivan an der Kunsthochschule Mainz. Sie interessiert sich besonders für die vielfältigen Erscheinungsformen der Linie und versucht in ihren Arbeiten vor allem zeichnerische Ausdrucksformen für non-hierarchische Strukturen und Vernetzungen zu finden.
Die Arbeit Buchantwort geht auf eine langjährige Auseinandersetzung mit Deniz Yücel zurück. Der Journalist war wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda fast ein Jahr lang in Untersuchungshaft in der Türkei. Seine Erfahrungen publizierte er 2018 in dem Buch Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Pirmin Wollensak baute bereits für seine Masterarbeit die Zelle Yücels im Maßstab 1:1 nach. Bei einer Lesung begegneten die beiden sich persönlich. Yücel hinterließ eine Widmung in Pirmin Wollensaks Ausgabe. Buchantwort ist die daraus resultierende E-Mail an den Autor und Aufarbeitung des Künstlers. Die Arbeit zeigt die mehr oder weniger lose beziehungsweise intensive Verbundenheit der beiden Personen und ihrer Werke auf sprachlicher wie visueller Ebene. Eine Antwort gab es nicht.
Hallo Deniz,
ich schreibe dir, weil du deine Emailadresse auf meinem Buch hinterlassen hast. Ich bin der junge Herr aus Stuttgart, der sich die komische Signatur „Für Pirmin und seine Zelle“ gewünscht hatte. Du hast sie mit dem Zusatz „(welche eigentlich meine wahr[sic])“ unterschrieben.
Ich schreibe dir so spät, weil ich zuerst dein Buch lesen wollte, um noch mehr über deine Haft und deine Geschichten zu wissen, bevor ich dich mit meiner Geschichte überrumple. Außerdem bin ich durch meinen Beruf während des Corona-Lockdown nicht weiter dazu gekommen diesen Text zu komplettieren – ich wünsche dir ein schönes 47. Lebensjahr:
Mein Name ist Pirmin Wollensak und ich habe Architektur in Weimar, Tokyo und Stuttgart studiert. Während meines Masters beschäftigte ich mich immer mehr mit Kunst am Institut für Darstellen und Gestalten (idg) an der Fakultät für Architektur an der Uni Stuttgart. Nach einer intensiven Beschäftigung mit dem 1:1 und einem Praktikum in einem Atelier in Rotterdam (S. 1), beschloss ich meine Masterarbeit als einen Abschlussstein meiner Universitätslaufbahn unter dem Titel o.T. (Epitaph) anzumelden. Schon diese Handlung war im Zeichen meiner Masterarbeit und zu Arbeitsbeginn hatte ich einen Ofen (S. 2) gebaut für die Architekturmodelle meines gesamten Studiums. Ich verbrannte die Modelle; es war wahrhaftig ein Abschluss und zugleich ein Neubeginn.
In diesem Ofen fing ich dann an die ersten Überlegungen für meine Masterarbeit zu konkretisieren. Ich baute eine Plastik für den heiligen Sebastian (S. 3) um zu veranschaulichen, dass sich die Axiome des Modellbaus schon an der Dicke einer Tischplatte – oder eben einem Stahlrohr und einem Stahlblech – verstehen lassen.
Kurz darauf bohrte ich heimlich eine Serie von Löchern durch den gesamten Brandschutzabschnitt meines Ateliers, ich verband 6 Räume mit 5 Löchern und fasste diese mit Aluminiumrohren. Damit sie nicht weiter auffielen, verdeckte ich sie mit Steckdosenabdeckungen. Es war in gewisser Weise der Gegenpol zum Sebastian am anderen Ende der Maßstäblichkeit, denn das optische Wahrnehmen so einer Arbeit ist schlichtweg nur im 1:1 möglich.
Als sich die Frage stellte, was ich darüber hinaus analysieren würde, begann ich zu hadern… ich wusste, dass es eine raumgroße Arbeit sein musste, aber wusste nicht welcher Formulierung ich diesen Rang zusprechen sollte. Nur eine künstlerische Form hätte nicht genügt. Ich hatte bei Porsche angefragt, ob ich das lehrstehende Gebäude der ZEG (S. 4) in Stuttgart(-Zuffenhausen) mit einer Gordon-Matta-Clark-ähnlichen ‚Hausverschnitt‘-Arbeit bespielen dürfte, aber bekam auf Grund der begrenzten personalen Kapazität eine Absage.
Es war eines Abends, als mir mein Vater – der mir sonst auch oft Artikel aus dem Feuilleton der Welt zum Thema Architektur gibt – den Artikel zum 300. Tag deiner Verhaftung in die Hand drückte.
Ich war sofort angerührt und riss mir den Grundriss deiner Zelle von der Titelseite ab. Ich entnahm nur die Zeichnung und den Artikel, denn ich wollte ihm nicht die ganze Zeitung abknüpfen. Nach einiger Recherche und Überlegung zeichnete ich deinen Grundriss nach, um die Zelle in 1:1 nachzubauen. Ich war fasziniert von der Vorstellung, dass du in deiner äußerst prekären Situation dazu kamst, den Grundriss deiner Zelle per Hand zu zeichnen. Ich wollte wissen, wie es wohl sei, die Dimension der Zelle physisch nachzuvollziehen.
Ich stellte eine Anfrage an die Universität, ob ich die Zelle auf dem Campus an dem Jahrestag deiner Verhaftung ausstellen dürfe. Ich schrieb der Welt und gab ihnen über mein Vorhaben Bescheid, fragte nach redaktioneller und ggf. finanzieller Hilfe.
Für mich war die Zelle eine Studie im Rahmen meiner Masterarbeit, aber darüber hinaus auch eine grunddemokratische Geste, von welcher Aussage ich mir sicher war: Die Pressefreiheit ist eines der höchsten Güter unserer Demokratie. Die Meinungsfreiheit ist auch dafür da, um Leuten genau das zu sagen, was sie nicht hören wollen.
Während ich auf die Antwort von der Welt wartete, meldete sich die Uni. Ein Mitarbeiter des Hörsaalmanagements sagte zu und stellte die Bedingung zum Einhalten der Landesbauordnung, allgemeiner Formalitäten und Zustimmung der Nachbarn. Ja, das war die offizielle Position der Universität für 43 Minuten, aber dann meldete sich der Leiter des Hörsaalmanagements per Email und selbst nach späteren Telefonaten mit dem Rektor war klar: „Die Universität Stuttgart als Ort der Wissenschaft und Forschung ist zur politischen Neutralität verpflichtet. Diese Vorgabe steht im Gegensatz zu Ihrem [meinem] Wunsch, die Zelle öffentlichkeitswirksam auf den Flächen der Universität Stuttgart zu positionieren.“
Ich berichtete der Welt über die veränderten Gegenheiten, doch bekam keine Rückmeldung.
Frustriert über die Absage der Universität und das Auslassen einer Antwort der Redaktion, führte ich den Bau meiner Zelle weiter. Eigentlich hatte sich ja nichts für mich und meine Arbeit geändert. Vielleicht geriet mein Glaube an Institutionen ins Wanken, aber das war eben nicht von Relevanz. Ich bin Bildhauer/Student/Architekt einer freien demokratischen Ordnung und hatte mich dafür entschieden ein Manifest zu präsentieren, dies konnte mir keiner verwehren.
Die Luft war natürlich trotzdem ein bisschen raus, denn ich hatte ja keinen Ausstellungsort mehr, also noch nicht einmal für meine gesamte Masterarbeit (den Ofen und alles was folgen würde). Ich haderte mit mir selbst und wusste nicht, ob die Redaktion mein Schaffen als zu opportun gesehen hatte und ich deshalb keine Antwort auf meine Schreiben bekam.
Am Valentinstag saß ich in der fast fertigen Zelle in meinem Atelier, las dein Buch Wir sind ja nicht zum Spaß hier und fragte mich, wie lang’ du noch in Haft sein würdest. Ich wollte wissen, wie es ist im Nachbau deiner Zelle zu sein und zu denken, dass du in einem gleich großen Raum zur selben Zeit sein würdest.
Als du am 16. Februar freikamst, fragte ich mich, wie sich die Arbeit nun verändert hatte. Ich stellte fest, dass die Zelle ein essentieller Teil meiner Masterarbeit geworden war. Nicht nur physisch, sondern auch in dem, wie sich meine Situation entwickelt hatte und ich wusste, dass ich sie fortentwickeln müsste.
Ich suchte nach einem geeigneten Ausstellungsort, betätigte Anfragen an die Stadt Stuttgart, Galerien und andere Orte für die Präsentation meiner Masterarbeit.
Nach der Absage für die Ausstellung der Zelle im öffentlichen Raum der Stadt Stuttgart (S. 6), war ich doch sehr enttäuscht. Ich empfand es als eine Absage der Bildhauerei gegenüber, denn ich kannte ja eigentlich die Einnahme des öffentlichen Raums durch die wöchentlichen Proteste der Kurden und der Stuttgart21-Gegner. Der Meinungsfreiheit gegenüber ein ‚Ja‘, der Kunst gegenüber ein ‚Nein‘ (so fühlte sich das an). Die Masterarbeit lehrte mich viel über öffentliches Recht und Demokratieverständnis.
Als letzten Teil meiner Masterarbeit widmete ich Josef Süß Oppenheimer ein Monument. Oppenheimer war ein erstes Opfer des Antisemitismus, man ließ ihn 1738 in Stuttgart vom Volk erhängen, als der katholische Herzog Karl Alexander an einem Lungenödem verstarb. Sein Fall wurde unter den Nationalsozialisten im 1940 Film Jud Süß als Vorbild für den typischen, geizigen und volksverräterischen Juden. Ich stelle keine Anfrage für die Ausstellung dieses Käfigs an die Stadt, denn obwohl die Stadt schon seit Jahren nach einer Verschönerung des Josef-Süß-Oppenheimer-Platzes suchte, wusste ich nun, warum es der Stadt noch nicht gelungen war.
Für die Abschlusspräsentation brachte ich meine Werke als räumliche Aphorismensammlung auf das Werksgelände der Baufirma Gustav-Epple in (Stuttgart-)Degerloch. Es war ein Zufall, dass die Firma ihr Hauptgebäude abreißen wollte und dieses leer stand. Es war ein Zufall, dass ich jemanden kannte, der das wusste und mir die Möglichkeit geboten wurde allen Werken überdacht genügend Raum geben zu können. Ein Loch im Dach ließ es auf die Zelle herabregnen, bei der Präsentation hatte sie schon Flugrost gefangen.
Am Abend vor meiner Abgabe fertigte ich die letzten Züge der beiliegenden Dokumentation an, welche ich auch in dem Gebäude in einem Nebenraum präsentierte. Der Rundgang meiner Präsentation sollte dort enden und, um einfach in den Raum zu gelangen, nahm ich mit einem Freund ein Stück aus der Wand: eine Hommage an Gordon Matta Clark (S. 7), das letzte Stück Bildhauerei der Masterarbeit.
Für die Absolvent:innenfeier schlug meine Professorin vor, dass man meine Arbeit nicht in dem Uni-Hauptgebäude (Keplerstraße 11) zeigen sollte, sondern vor den Ateliers, wo ich eingangs auch die Verbrennung meiner Architekturmodelle vorgenommen hatte.
Ich transportierte die einzelnen Arbeiten zurück an die Uni und der Flugrost deiner Zelle breitete sich aus. Ich entnahm Scheiben aus dem Hauptgebäude der Firma Gustav-Epple, um die Dokumentation auch draußen zu präsentieren. Ich war immer noch ein Außenseiter, aber wenigstens hatte ich es auf den Campus zurück geschafft. Um ehrlich zu sein, bin ich mir gar nicht sicher, wie viele Leute wirklich die Arbeit gesehen haben und große Werbung konnte und wollte ich wirklich nicht machen.
Ich denke, sie haben das eigentlich nur wegen der Zelle gemacht, ich bin gespannt, was du darüber denkst.
Ich wünsche noch einen angenehmen Abend, feierliche Grüße,
Pirmin *
* Der Text wurde von der Redaktion in Absprache mit dem Künstler angepasst; sowohl die Seitenzahlen, als auch die Rechtschreibung wurden korrigiert; außerdem wurde gegendert.
Biografie
Pirmin Wollensak
Pirmin Wollensak studierte Architektur an der Bauhaus-Universität Weimar, der Waseda-Universität in Tokyo und der Universität Stuttgart. In seinem Masterstudium in Stuttgart spezialisierte er sich auf das Themenfeld Kunst und Architektur. Dort unterrichtet er mittlerweile Bildhauerei und arbeitet nebenbei als Schreiner und Architekt. Schwerpunkte seiner künstlerischen Praxis sind Selbstreflexion und -entlarvung. Die Conditio Humana spannt einen Bogen zwischen wissenschaftlicher Tätigkeit und künstlerischer Narrenfreiheit. Seine Arbeitshaltung bezeichnet er gerne als Scharlatanerie (ital. ciarlare, reden) und sieht sein Œuvre als eine moderne Kabale.
In der jetzigen Zeit erfahren wir Isolation als einen von außen auferlegten und notwendigen Zustand. Dieser Zustand bringt für jede:n von uns neue Erfahrungen, sowohl positiv als auch negativ, zwingt unweigerlich zu einer Beschäftigung mit uns selbst. Doch wie steht es um Menschen, denen Isolation nicht fremd und neuartig, sondern ein selbst erwählter Zustand ist?
Lena Keller führt uns in ihrer vierteiligen Arbeit sehr eindrücklich und intim vor Augen, wie sich die bewusste Selbstisolation auf den psychischen Zustand und das soziale Verhalten eines Menschen auswirken kann.
Lena Keller, you are your own prison, my dear, 2020Lena Keller, you are your own prison, my dear, 2020Lena Keller, you are your own prison, my dear, 2020Lena Keller, you are your own prison, my dear, 2020
Biografie
Lena Keller
Lena Keller studiert Kunst und Kunstvermittlung an der Universität Paderborn und ist Mitglied im Naturtrüb Kollektiv, einer feministischen Vereinigung von Illustratorinnen und Wissenschaftlerinnen in Bielefeld. Als Künstlerin legt Lena sich auf kein bestimmtes Medium fest und arbeitet sehr frei in der Mixed-media art. Sie interessiert sich vor allem für die Abgründe des menschlichen Innenlebens, welche psychischen Zustände oder emotionalen Vorgänge sie verursachen und wie diese zu Abweisungen der Menschen untereinander und in der Gesellschaft führen können.
Ein geometrischer Tisch, eckig und gläsern, gibt den Blick auf einen organisch geformten Baum im Inneren frei. Die stählernen Streben des Tisches stehen im Widerspruch zu den amorphen, aus Kupfer geformten Ästen des Baumes, bilden jedoch in ihrer Gesamtheit eine Einheit.
So wie der Spross durch den Zementboden scheinen die Äste des im Glaskasten wurzelnden Baumes ebenfalls die gläserne Hülle zu durchbrechen und an der Oberfläche ihre goldenen Früchte zu entwickeln. Die sprachliche Wendung findet hier ihre künstlerische Bildhaftigkeit. Isoliert und von seiner Außenwelt abgeschlossen entwickelt der Baum Kräfte, die ihn seine umgebende gläserne Hülle sprengen lassen und ihn nach der Bitterkeit der Isolation die Süße der Freiheit kosten lassen.
Die Stärke des Baumes, der es schafft, sich aus seiner Abgeschiedenheit zu befreien, soll Menschen ermutigen, die selbst die Erfahrung des Alleinseins und der Isolation gemacht haben. Gerade zu Zeiten der Pandemie, die viele Menschen gezwungen hat, sich zu isolieren und sich mit Gefühlen der Einsamkeit zu konfrontieren, soll der Baum vor Augen führen, dass es nicht aussichtslos ist nach einem Weg aus der Abgeschiedenheit zu suchen.
Garyung Kim studiert im Master Bildende Kunst an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter. Sie hat ihren Bachelor an der Sungshin Women’s University in Seoul gemacht und dort ihren Schwerpunkt auf Metallarbeiten und Kunsthandwerk gelegt. Ihr Interesse sowohl an der Arbeit mit Metall als auch am Design zeigt sich an der Ausführung verschiedenster Möbelstücke, die sie in einen künstlerischen Raum überführt. Bei ihrer aktuellen Arbeit setzt sie sich mit 3-D Prints auseinander.
Issue #4 Körper, 2022 Der menschliche Körper besteht aus bis zu 100 Billionen Zellen. Nichts ist individueller als unser Körper und dennoch kommen wir nicht als unbeschriebenes Blatt zur Welt,„#4 Editorial“ weiterlesen
In ihrer Arbeit EXTRA BOLD zeigt Carmen Westermeier, in der für sie typischen forschend-kritischen Weise, Ergebnisse einer langjährigen Auseinandersetzung mit der Hyper(un)sichtbarkeit dicker_fetter Körper. Für frame[less] führt sie mit Fotografie„EXTRA BOLD – Carmen Westermeier“ weiterlesen
Die Arbeit Virtual/Individual Identity beginnt mit der Entdeckung einer Plastiktüte in Istanbul, die Fotos, persönliche Dokumente und das Gebetbuch einer Frau aus Kamerun beinhaltet. Aus dem Fund entwickelten sich Überlegungen„Virtual/Individual Identity – Shokoufeh Eftekhar“ weiterlesen
Die Künstlerin Yuna-Lee Pfau nimmt für die Collagen-Serie Mycroscopic Portraits Proben wie Blut, Haut, Haare oder andere Substanzen von sich, ihren engen Bezugspersonen und der Familie. Anschließend werden diese mikroskopiert,„Mycroscopic Portraits – Yuna Lee Pfau“ weiterlesen
Vor dem Hintergrund des Gender Health Knowledge Gap und der Unsichtbarkeit von Frauenkörpern im Gesundheitswesen sowie persönlicher Erfahrung hat Monja Simon sich verstärkt mit dem Thema Menstruation auseinandergesetzt und einen„FLUID CIRCLE – Eine Co-healing Zeremonie – Monja Simon“ weiterlesen
Null zu Null ist ein Gedankenexperiment, das sich mit der Exklusivität von Körpern in Räumen beschäftigt. Zwei heteronormative Cis-Männer mimend präsentieren die Performarinnen ihre Vorstellung eines typischen Männerabends, der gekennzeichnet„NULL ZU NULL – Milena Bühring & Judith Florence Ehrhardt“ weiterlesen
Die digitale Arbeit zeigt menschliche Figuren, die in Embryonalstellung in einem Tablettenblister eingeengt sind. Damit verleiht sie gleichzeitig der medizinischen Notwendigkeit der Isolation, wie auch den damit einhergehenden Gefühlen der physischen Bedrängnis durch die soziale Distanz, Ausdruck. Sie arbeitet mit der Kombination gesättigter Komplementärfarben und verwendet Texturen, welche die Oberfläche ihres Bildes verzerren.
#1 isolation Adiella Bachshe
Adiella Bachshe
Adiella Bachshe studiert Kommunikationsdesign an der Hochschule München. Prägend für ihre Arbeit ist die Beschäftigung mit Einflüssen visueller Konzepte und der Popkultur auf den Alltag. Die daraus resultierenden Ideen setzt sie sowohl in analogen wie auch digitalen Medien um. Für ihre Bachelorarbeit verbindet Adiella ihr Interesse an der Mode mit den visuellen und technischen Möglichkeiten der 3D Modellierung, um sich mit der komplexen Beziehung zwischen Mensch und Maschine auseinanderzusetzen.
in einer Zeit, wie dieser, in der wir uns von einer Ungewissheit in die nächste stürzen und uns neuen Herausforderungen gegenüber sehen, gilt es die Potentiale, die Veränderungen mit sich bringen zu entdecken und auszuschöpfen. frame[less] ist aus dem Wunsch entstanden, genau dieses Reservoir an Möglichkeiten zu nutzen und dabei Verbindungen zu erschaffen, die oftmals durch starre Rahmen und Konzepte verborgen bleiben. Als digitales Magazin für Kunst in Theorie und Praxis ist es unser Anliegen einen fruchtbaren Nährboden zu kreieren, auf dem sich vermeintlich distinktive Konzepte gegenseitig beeinflussen können. Dabei ist es der digitale Raum, der uns zur Verfügung steht und den wir nutzen wollen, um diesen Austausch anzuregen. frame[less] möchte eine Plattform bieten, die im Gegensatz zum klassischen Bilderrahmen keine Abgrenzung erzeugt, sondern einen, der permeabel ist und immer wieder gesprengt und neu zusammengesetzt werden kann. Deshalb freuen wir uns euch unsere erste Ausgabe präsentieren zu können, die mittels verschiedener Positionen von Künstler:innen und Autor:innen einen offenen Rahmen entstehen lässt, den es aus unterschiedlichen Perspektiven zu durchblicken gilt.
Kein Thema erschien uns für diese Ausgabe naheliegender und passender als — die Isolation. Sie begegnet uns überall: Zuhause, am Telefon, im Supermarkt, vor geschlossenen Ausstellungshallen und wieder Zuhause. Aber sind daraus nicht auch innovative Formate entstanden? Hat die Kultur als Vorreiter für Neues und Mutiges etwa keine kreativen Formen gefunden den digitalen und analogen Raum zu bespielen? Der Rückwurf auf sich selbst als Individuum, aber auch der Wunsch nach Gemeinschaft sowie ein durch die Menge Raunen der Solidarität hat Beträchtliches entstehen lassen. Isolation hängt immer mit einer gewissen Spannung zusammen, außer man befindet sich in einem Zustand der vollkommenen Kontemplation. Isolation besteht nie alleine, ständig steht sie in Wechselwirkung mit dem Außen, sozialen Gefügen aber auch mit dem Selbst.
Das Heft nähert sich dem Thema interdisziplinär, mittels unterschiedlicher Medien und beleuchtet verschiedenste Aspekte der Isolation – sowohl Negative als auch Positive, wenn nicht gar Hoffnungsvolle.
Wir eröffnen diese Ausgabe mit einem Blick auf ein sich weit verzweigendes Netz aus Schienen, das trotz allem ein Gefühl der Verbundenheit hervorruft. Treffen dann innerhalb der Bildwelten Angelo Morbellis auf Szenarien in Pflegeheimen, die für die aktuelle Situation nicht sprechender sein könnten, jedoch aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts stammen. Tagebucheinträge aus dem Lockdown geben uns intime Einblicke und thematisieren Körperlichkeit und Identität. Aspekte sozialer Gefüge im öffentlichen Raum, mangelnde Inklusion – schon vor der Pandemie – und Erinnerungen an Schaumparties werden verhandelt. Nicht nur der Blick auf vergangene Aktionen hat sich verändert, auch die Rezeptionsästhetik bereits bestehender Kunstwerke, wie die Francis Bacons, hat einen Wandel erfahren. Auch die Betrachtung leerer, nächtlicher Straßenzüge bleibt für uns nicht ohne Bedeutung und wird zur Dokumentation unserer Zeit. Eine Stimme ist zeitlos, sie nimmt uns mit. Wir werden zu handlungsunfähigen Zuhörenden. Mit dem Zuhause-Sein rückt auch der Wohnraum in den Fokus: Die Architektur umschließt uns, digitale Geräte werden das Portal zur Außenwelt und ersetzten die Türen. Betrachten wir jedoch das Schlafzimmer von Adolf Loos‘ Ehefrau, wird in der Gestaltung des Raums explizit ein Gefühl der Isolation erzeugt. Wiederum so nah und intim kann die Sprache von Foto- und Videografie sein, wenn öffentliche und private Architektur gegenübergestellt und Bedürfnisse artikuliert werden, die durch die Einschränkungen unerfüllt bleiben. Gemälde von Patrick Angus zeigen die Ambivalenz sozialer Kühle in menschenbefüllten Veranstaltungsräumen. Kontakt ist jenes Element, das die Isolation auflöst. Manche solcher Kontaktanfragen bleiben aber unbeantwortet. Während Stahlkonstruktionen dazu gemacht sind Menschen oder Dinge einzusperren, ist es nur umso hoffnungsgebender, wenn etwas aus so einer Zelle herauswächst oder zumindest ein kleines Signal sendet. Und ist das dann überhaupt noch eine vollkommene Isolation? An einem Historiengemälde des 18. Jahrhunderts entdecken wir, dass die Isolation auch als Mittel zur Hierarchisierung genutzt werden kann.