#1 Editorial

Issue #1 Isolation, 2020

Liebe Leser:innen,

in einer Zeit, wie dieser, in der wir uns von einer Ungewissheit in die nächste stürzen und uns neuen Herausforderungen gegenüber sehen, gilt es die Potentiale, die Veränderungen mit sich bringen zu entdecken und auszuschöpfen. frame[less] ist aus dem Wunsch entstanden, genau dieses Reservoir an Möglichkeiten zu nutzen und dabei Verbindungen zu erschaffen, die oftmals durch starre Rahmen und Konzepte verborgen bleiben. Als digitales Magazin für Kunst in Theorie und Praxis ist es unser Anliegen einen fruchtbaren Nährboden zu kreieren, auf dem sich vermeintlich distinktive Konzepte gegenseitig beeinflussen können. Dabei ist es der digitale Raum, der uns zur Verfügung steht und den wir nutzen wollen, um diesen Austausch anzuregen. frame[less] möchte eine Plattform bieten, die im Gegensatz zum klassischen Bilderrahmen keine Abgrenzung erzeugt, sondern einen, der permeabel ist und immer wieder gesprengt und neu zusammengesetzt werden kann. Deshalb freuen wir uns euch unsere erste Ausgabe präsentieren zu können, die mittels verschiedener Positionen von Künstler:innen und Autor:innen einen offenen Rahmen entstehen lässt, den es aus unterschiedlichen Perspektiven zu durchblicken gilt. 

Kein Thema erschien uns für diese Ausgabe naheliegender und passender als — die Isolation. Sie begegnet uns überall: Zuhause, am Telefon, im Supermarkt, vor geschlossenen Ausstellungshallen und wieder Zuhause. Aber sind daraus nicht auch innovative Formate entstanden? Hat die Kultur als Vorreiter für Neues und Mutiges etwa keine kreativen Formen gefunden den digitalen und analogen Raum zu bespielen? Der Rückwurf auf sich selbst als Individuum, aber auch der Wunsch nach Gemeinschaft sowie ein durch die Menge Raunen der Solidarität hat Beträchtliches entstehen lassen. Isolation hängt immer mit einer gewissen Spannung zusammen, außer man befindet sich in einem Zustand der vollkommenen Kontemplation. Isolation besteht nie alleine, ständig steht sie in Wechselwirkung mit dem Außen, sozialen Gefügen aber auch mit dem Selbst.

Das Heft nähert sich dem Thema interdisziplinär, mittels unterschiedlicher Medien und beleuchtet verschiedenste Aspekte der Isolation – sowohl Negative als auch Positive, wenn nicht gar Hoffnungsvolle.

Wir eröffnen diese Ausgabe mit einem Blick auf ein sich weit verzweigendes Netz aus Schienen, das trotz allem ein Gefühl der Verbundenheit hervorruft. Treffen dann innerhalb der Bildwelten Angelo Morbellis auf Szenarien in Pflegeheimen, die für die aktuelle Situation nicht sprechender sein könnten, jedoch aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts stammen. Tagebucheinträge aus dem Lockdown geben uns intime Einblicke und thematisieren Körperlichkeit und Identität. Aspekte sozialer Gefüge im öffentlichen Raum, mangelnde Inklusion – schon vor der Pandemie – und Erinnerungen an Schaumparties werden verhandelt. Nicht nur der Blick auf vergangene Aktionen hat sich verändert, auch die Rezeptionsästhetik bereits bestehender Kunstwerke, wie die Francis Bacons, hat einen Wandel erfahren. Auch die Betrachtung leerer, nächtlicher Straßenzüge bleibt für uns nicht ohne Bedeutung und wird zur Dokumentation unserer Zeit. Eine Stimme ist zeitlos, sie nimmt uns mit. Wir werden zu handlungsunfähigen Zuhörenden. Mit dem Zuhause-Sein rückt auch der Wohnraum in den Fokus: Die Architektur umschließt uns, digitale Geräte werden das Portal zur Außenwelt und ersetzten die Türen. Betrachten wir jedoch das Schlafzimmer von Adolf Loos‘ Ehefrau, wird in der Gestaltung des Raums explizit ein Gefühl der Isolation erzeugt. Wiederum so nah und intim kann die Sprache von Foto- und Videografie sein, wenn öffentliche und private Architektur gegenübergestellt und Bedürfnisse artikuliert werden, die durch die Einschränkungen unerfüllt bleiben. Gemälde von Patrick Angus zeigen die Ambivalenz sozialer Kühle in menschenbefüllten Veranstaltungsräumen. Kontakt ist jenes Element, das die Isolation auflöst. Manche solcher Kontaktanfragen bleiben aber unbeantwortet. Während Stahlkonstruktionen dazu gemacht sind Menschen oder Dinge einzusperren, ist es nur umso hoffnungsgebender, wenn etwas aus so einer Zelle herauswächst oder zumindest ein kleines Signal sendet. Und ist das dann überhaupt noch eine vollkommene Isolation? An einem Historiengemälde des 18. Jahrhunderts entdecken wir, dass die Isolation auch als Mittel zur Hierarchisierung genutzt werden kann.

Sprengt den Rahmen!

Euer frame[less]-Redaktionsteam